Читать книгу Robert Plant - Paul Rees - Страница 5
ОглавлениеWie sollte man absehen können, wohin es einen noch treibt?
VORWORT
ZUGABE
Einen Moment lang war er allein. In derselben Garderobe, in der er knapp zwei Stunden zuvor noch nervös auf und ab gelaufen war. Vor diesen zwei Stunden hatte ihn die Angst vor dem, was bevorstand, vollkommen beherrscht. Die Vergangenheit mit all ihren Dämonen, die er hier und jetzt ein für allemal hatte begraben wollen, hatte schwer auf seinen Schultern gelastet.
Er hatte gespürt, wie die Angst ihn von innen auffraß. Die Ungewissheit darüber, welchen Eindruck er bei all den Tausend Menschen da draußen hinterlassen würde. Er war ein 60-Jähriger, der die Zeit zurückdrehen und all die Wunder der Jugend noch einmal Revue passieren lassen wollte. Machte er sich dadurch nicht zum Narren? In diesen endlosen Minuten, in denen er ganz allein mit sich gewesen war, hatte er in den Spiegel geschaut und sich immer wieder gefragt, ob er wirklich noch einmal der sein konnte, der er gewesen war, ob es ihm tatsächlich möglich war, seine Stimme noch einmal in die unglaublichen Höhen hochzuschrauben, die er einst erreicht hatte. So viele Fragen plagten ihn – auf die Antworten musste er noch warten.
Zudem waren da auch noch all die ihm sehr gegenwärtigen Geister. Der seines erstgeborenen Sohnes, der seines besten Freundes und die all der anderen Weggefährten, die er über die Jahre verloren hatte. Für sie alle wollte er dieses eine und letzte Mal der »goldene Gott« sein.
Es war gegen Mitternacht am 10. Dezember 2007, wenige Minuten nach dem Ende von Led Zeppelins Reunion-Konzert in der Londoner O2 Arena. Robert Plant sammelte sich. Der donnernde Applaus und der Jubel der Menge waren allmählich verebbt. Er hörte die ausgelassenen Stimmen all der Menschen in den Gängen im Backstagebereich; in denselben Gängen, in denen es wenige Stunden zuvor noch so still gewesen war, kurz bevor er und die Band noch einmal die Bühne geentert hatten.
Jimmy Page und John Paul Jones, die beiden anderen Überlebenden der Originalbesetzung von Led Zeppelin, hatten sich in ihre eigenen Ecken zurückgezogen und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Für diesen einen Abend waren sie noch einmal zusammengekommen, doch es gab eine Distanz, ja eine Kluft zwischen ihnen, die nicht zu überbrücken war. Darin lag all das begraben, was sie gemeinsam aufgebaut hatten, bevor es vor ihren Augen zusammengebrochen war. Ihre Geschichte war nicht nur die Geschichte gemeinsamer Erfolge, sondern auch gegenseitiger Beschuldigungen, und ihre Beziehungen zueinander waren am Ende so verfahren, dass es unmöglich schien, dieses komplexe Geflecht zu entwirren.
Als Plant endlich soweit war, dass er den draußen Wartenden die Türe öffnete, wusste er bereits, was sie ihm sagten, als sie ihm die Hand schüttelten und ihm auf die Schulter klopften. Er, die ganze Band, war großartig gewesen. Besser als irgendwer sich hatte erträumen lassen. Seine Zweifel waren zerstreut und seine Schuld, sofern er denn eine gehabt hatte, war getilgt worden.
Pat und Joan Bonham, die Witwe und die Mutter seines Freundes und Bandkollegen John, den sie vor Ewigkeiten – oder waren es erst Minuten gewesen? – begraben hatten, gehörten zu den Letzten, die er begrüßte, wobei sie ihm besonders nahestanden. Jason, der Sohn bzw. Enkel der beiden, hatte den Platz seines Vaters hinterm Schlagzeug eingenommen und ihm alle Ehre gemacht. Plant versicherte ihnen, dass John unheimlich stolz auf seinen einzigen Sohn gewesen wäre. Und in diesem Augenblick kehrten die Geister zurück.
Eigentlich erwartete man ihn auf der VIP-Party in irgendeinem öden Veranstaltungssaal ein Stockwerk höher, wo sich bereits Promis wie Paul McCartney, Mick Jagger, Kate Moss, Naomi Campbell und Priscilla und Lisa-Marie Presley tummelten, um ihn zu feiern. Doch Plant warf nur noch einen letzten Blick auf den Ort seines großen Triumphs, ließ seinen Wagen vorfahren und bat darum, ihn fortzubringen. Er wollte alles und jeden hier so weit wie möglich hinter sich lassen.
»Diese besondere Atmosphäre hinter der Bühne in der O2 Arena kann man nur wenige Minuten ertragen«, erklärte er mir drei Jahre später.
Plant dirigierte den Fahrer in nördliche Richtung, über die Themse durch die von der Weihnachtsbeleuchtung illuminierten Londoner Straßen bis nach Chalk Farm. Dieses Nordlondoner Stadtviertel liegt etwa anderthalb Kilometer westlich vom geschäftigen Camden Town und nur wenige Schritte vom vornehmen Primrose Hill entfernt, wo Plant ein Haus besitzt. Bei der Marathon Bar, einer etwas heruntergekommenen Dönerbude an der Chalk Farm Road, ließ er sich absetzen.
Beim Hineingehen sah er gleich die zwei großen Dönerspieße, auf denen das Fleisch vor sich hinbrutzelte. Er ging vorbei an einer dieser typischen Imbissbudentheken, über der auf einer ebenso typischen Speisetafel das Angebot aus Kebabs, Döner, Burger und Brathähnchen aufgelistet war, und nahm in einem fensterlosen Hinterzimmer an einem der Holztische Platz. Er bestellte eine halbe Flasche Wodka und einen Hummusteller. Die Leute hier kannten ihn und ließen ihn in Ruhe. Er fühlte sich wohl unter den spätabendlichen Stammgästen in diesem Imbiss – den jungen Kerlen, den verliebten Pärchen und den zwielichtigen Ganoven. Durch den offenen Durchgang konnte er durch den Verkaufsraum bis auf die Straße hinausblicken.
Ich traf Plant zum ersten Mal 1998, als ich für das britische Musikmagazin Kerrang! schrieb. Damals stand die Veröffentlichung des zweiten Page-&-Plant-Albums Walking into Clarksdale bevor. Aus diesem Anlass hatte ich die beiden Musiker in London zu einem Interview getroffen. Im Verlauf des Gesprächs hatte Plant mehrfach Phasen, in denen er gereizt und desinteressiert wirkte und dann wieder sehr einnehmend und mitteilsam war. Ich konnte mir keinen richtigen Reim auf ihn machen und war daher umso interessierter an ihm. Sein offensichtlich widersprüchliches Wesen faszinierte mich ebenso wie sein nicht von der Hand zu weisendes Charisma. Hingegen hinterließ der stillere und verletzlicher wirkende Page einen weitaus blasseren Eindruck bei mir.
In den folgenden Jahren lief ich Plant immer mal wieder über den Weg. Mal fuhr ich gemeinsam mit ihm auf einer öffentlichen Fähre in Istanbul und ein paar Mal traf ich ihn backstage bei diversen TV-Shows und Preisverleihungen. Als er herausfand, dass ich wie er aus den Midlands stamme und ebenfalls ein großer Fußballfan bin, fasste er ein wenig Vertrauen zu mir und taute etwas auf, wenngleich mein Verein, West Bromwich Albion, der größte Rivale der Wolverhampton Wanderers ist, mit denen er seit seiner Jugend mitfiebert. Mehrfach schlug Plant mir per E-Mail eine Wette auf den Spielausgang vor, wenn wieder mal eine Begegnung zwischen unseren beiden Clubs anstand. Ich warte noch heute darauf, dass er seinen Wetteinsatz – ein Essen in einem indischen Restaurant an der Londoner Brick Lane – einlöst.
2010 interviewte ich ihn erneut, diesmal für die Zeitschrift Q. Damals wirkte der Erfolg des Albums Raising Sand, das er mit der amerikanischen Bluegrass-Sängerin Alison Krauss aufgenommen hatte, noch nach. Plant war bei diesem Gespräch herzlicher und freundlicher als bei unserem ersten Interviewtermin und wirkte auch wesentlich entspannter. Das mag an den einhelligen positiven Reaktionen gelegen haben, die es auf Raising Sand und für seine darauf folgenden Projekte gegeben hatte, vielleicht aber auch einfach daran, dass Page bei diesem Gespräch nicht dabei war. Plant sprach über seine Jugend in den englischen Midlands, über seine wilden Jahre mit Led Zeppelin und über seine ungemein facettenreiche Solokarriere, die mal mehr und mal weniger erfolgreich verlief.
Was mich an Plant am meisten beeindruckt, sind seine Leidenschaft für die Musik – die heute keineswegs geringer ist als damals, als er noch ein Junge war – und seine einzigartige Lebensgeschichte. Die meisten Musiker seiner Generation haben ihre besten Werke bereits vor vielen, vielen Jahren abgeliefert und begnügen sich damit – Plant hingegen sucht nach wie vor nach neuen Herausforderungen und Abenteuern. Deswegen macht seine Musik immer noch so viel Spaß, deswegen wirkt sie frisch, vital und aufregend. Diese Einsicht und die Tatsache, dass sich noch nie jemand mit der kompletten Biografie dieses außergewöhnlichen Mannes beschäftigt hatte, gaben den Ausschlag dazu, dieses Buch zu schreiben.
Außerdem wollte ich herausfinden, was Plant inspiriert und anspornt. Auf den ersten Blick mag er sehr geschwätzig wirken, tatsächlich ist das aber nur Fassade. In Wahrheit ist er sehr vorsichtig und zurückhaltend, tunlichst darauf bedacht, nicht zu viel von sich preiszugeben. Ich wollte wissen, was für ein Mensch sich hinter der Musik verbirgt. Denn wenn man den Menschen besser verstehen kann, wird auch der Weg, den er als Künstler eingeschlagen hat, in einem ganz neuen Licht erscheinen.
Welche Fragen gingen Plant durch den Kopf, als er in den frühen Morgenstunden dieses Dezembertages in der Marathon Bar vor seinem Hummusteller saß? Dachte er darüber nach, wie weit er gekommen war und was für eine lange Reise hinter ihm lag? Über seine anstrengenden Jugendjahre, die geprägt waren von Auseinandersetzungen mit seinen Eltern, notorischem Geldmangel und der Sorge, dass sein lang gehegter Traum sich allmählich in Luft auflösen könnte? Über die schwindelerregenden Höhen, die er mit Led Zeppelin erklomm, die Jahre, in denen ihm Millionen von Fans zu Füßen lagen und er geradezu berauscht war von dem gigantischen Erfolg und dem enormen Einfluss der Band? Oder über das tiefe Loch, in das er gestürzt war, als es nichts mehr gab, das die Leere in seinem Herzen hätte füllen können.
Während der ganzen Zeit hatte es für ihn immer die Musik gegeben. Damals wie heute war sie dasjenige, das ihn immer wieder begeisterte. Am Anfang waren es verrauschte Radiowellen gewesen, wilde Klänge, die irgendeinen primitiven Nerv in ihm getroffen hatten. Die unendlichen Möglichkeiten, die sich dahinter zu verbergen schienen, ließen ihn ganz schwindlig werden. So oft und so sehr hatten ihn die Musik von Elvis und Robert Johnson und all die Sounds gepackt, die von der amerikanischen Westküste und von Nordafrika aus zu ihm herüberrauschten. Diese Klänge hatten ihn immer wieder aufgerichtet, hatten ihm mehr gegeben, als er je zu hoffen gewagt hätte. Und er kostete das, was er bekam, bis auf den letzten Tropfen aus. Doch der Preis, den er dafür zu zahlen hatte, war hoch.
Dachte Plant, während er dort in der Marathon Bar saß, auch über die Gegenwart nach und betrachtete das, was er erreicht hatte? Überlegte er in diesem Moment vielleicht sogar, was noch vor ihm liegen mochte? Mit Raising Sand, dem Album, auf das er so stolz war, hatte er eine ganz neue Saite zum Klingen gebracht, dennoch blieb die Frage offen, was er als Nächstes tun, welche Richtung er einschlagen sollte und mit wem. Diese unablässige Neugier auf das, was noch alles möglich sein könnte, hat er nie verloren. Selbst an diesem Abend, an dem er mit rausgereckter Brust einen Schritt zurück in die Vergangenheit getan hatte, schöpfte er die meiste Kraft daraus, nach vorn zu blicken, zu neuen Ufern aufzubrechen und zu den Mysterien, die dahinter verborgen lagen.
»Wenn man süchtig ist nach Musik, kann man sein Leben nicht einfach planen«, erklärte er mir einmal. »Wenn man in meinem Alter immer noch Gänsehaut kriegt und einen Kloß im Hals hat, wenn man Musik hört, wie sollte man da absehen können, wohin es einen noch treibt?«