Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 176
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Dies- und Jenseits
Aurelia schaltete ihren Deflektor ab. Sie hob die Arme.
»Siehst du mich, Gabriel? Ich bin eine Posmi! Weißt du, was das ist? Wie sollte ich ein Spitzel von Stahmon sein? Scan mich, wenn du willst! Untersuch meine Funktionen! Es gibt niemanden wie mich an Bord dieser Station!«
Die Waffenmündungen verharrten.
Gabriels Holo wandte sich Aurelia zu. »In der Tat. Du bist durch und durch ungewöhnlich.«
Die Mündungen verschwanden in der Wand. »Na schön! Wir reden! Folgt den Lichtern!«
Unvermittelt ging die Deckenbeleuchtung aus. Rosafarbene Punkte tanzten im Raum wie ein Mückenschwarm, sammelten sich und schwebten zu einer der Raumseiten.
Ich folgte ihnen, erkannte dank des SERUNS, wie sich eine geheime Tür zur Seite schob. »Da entlang!«
Gucky schüttelte den Kopf. »Rosafarbene Lichter ... Die sind alle irre hier ...«
Prexxel löste sich von der Wand. Sein weißer Kopf zitterte wie ein Wackelpudding. »Braucht ... ihr mich noch?«
»Nein«, sagte ich. »Du kannst gehen. Bring bitte Marli Willka den SERUN zurück. Wir kommen später zu dir und Kirt.«
Der Matten-Willy huschte davon, wobei er den Deflektor einschaltete. Mein Extrasinn meldete sich zu Wort. Das könnte ein Fehler gewesen sein! Prexxel ist extrem verunsichert. Ja, er hat euch zu Gabriel geführt, aber ist er deshalb wirklich vertrauenswürdig? Seine Furcht könnte größer sein als seine Loyalität einem Mythos wie dir und Gucky gegenüber. Was, wenn er euch an Stahmon verrät?
Das wird er nicht, entgegnete ich. Er steht treu zu Kirt. Seine Freunde gehören automatisch zu Prexxels Familie. Außerdem wird er nicht wollen, dass Kirt in die Schusslinie gerät. Er will Kirts Plasma sicher nicht Stahmon ausliefern.
Falls seine Angst nicht überwiegt ..., unkte der Extrasinn.
Ich trat in einen Raum, der einer kleineren Lagerhalle glich, jedoch vollkommen leer war bis auf einen einzigen, etwa fünf Meter langen und anderthalb Meter breiten Schwebetisch, auf dem ein üppiges Mahl stand.
Ein einzelner Posbi hockte auf einer Art Thronsitz, der aus unzähligen Metallstangen zusammengesetzt war. Es war Gabriel. Klaviermusik lief im Hintergrund. Zu meiner grenzenlosen Verblüffung entdeckte ich neben arrangierten Platten mit Obst und Gemüse mehrere brennende Kerzen. Ihre Flammen flackerten leicht.
Gucky schüttelte den Kopf. »Vollkommen verrückt ...«
»Was?«, fragte Gabriel. »Darf ein Posbi kein Abendmahl abhalten?« Er hielt eine silberne Gabel in der Hand und stieß sie in einen Kloß – doch der Kloß ließ sich nicht aufspießen. Er war ein Holo, wie vermutlich alles auf dem weißen Tischtuch.
Aurelia trat auf die gegenüberliegende Tischseite. »Willst du eine Dame etwa stehen lassen?«
Gabriel lächelte. Er klatschte in Hände, die je vier Finger hatten. Drei weitere Sitze lösten sich aus den Schatten der Halle und schwebten heran. »Entschuldige. Ich habe selten Gäste. Ist es wahr, dass du eine Posmi bist? Wurdet ihr nicht auf der RAS TSCHUBAI hergestellt? Du kommst von diesem Schiff, das uns geortet hat, oder? Ist das tatsächlich die legendäre RAS?«
Aurelia setzte sich so elegant wie eine arkonidische Adelige. »Du ziehst viele Schlussfolgerungen. Und du bist bestens informiert. Aber interessiert es dich nicht viel mehr, warum wir zu dir kommen?«
»Kann ich mir denken.« Gabriel griff nach dem Weinglas, das tatsächlich echt war. Die rote Flüssigkeit darin schwappte. »Wenn ihr keine Stahmon-Spitzel seid, seid ihr Stahmon-Gegner!«
»Das stimmt.« Ich sah keinen Sinn darin, das zu verbergen. Wir hatten uns Gabriel offenbart und damit angreifbar gemacht. Doch wenn der Posbi uns wirklich helfen konnte, war es das Risiko wert. Wie Aurelia setzte ich mich, während Gucky es vorzog, im Schneidersitz in der Luft zu schweben. »Wir wollen uns mit dir verbünden, um Stahmon aufzuhalten.«
»Ist das so?« Gabriel stellte das Glas ab, schob es von sich. Dabei stierte er den schwebenden Gucky an. »Ich bin sicher, ihr wisst nicht einmal, was Stahmon wirklich ist, oder?«
Ich blickte zu Gucky, der leicht die Schultern hob. Er schien keine konkreten Gedanken von Gabriel auffangen zu können, bestenfalls ein paar Emotionen. Allgemein war es schwer für ihn, Posbi-Gedanken zu lesen.
»Sag uns, was Stahmon ist!«, forderte ich.
»Jeder meint, Stahmon sei ein Posbi. Das ist er aber nicht.«
Ich lehnte mich vor. »Was ist er dann?«
»Ein Mensch. Extrem langlebig. Extrem unanfällig für Veränderungen – aber ein Mensch. Sie benutzt gerne Projektoren, die Bilder von ihr erzeugen. Diese Projektoren gibt es zuhauf in der Station. Manchmal ist Stahmon auch selbst vor Ort. Beim Aufstand vor sechzig Jahren hat er geblutet. Also muss er ein Mensch sein!«
»Was die Sache umso einfacher macht!«, verkündete Gucky. »Wir wollen Stahmons Herrschaft beenden. Bist du dabei?«
Gabriel ließ die Gabel sinken. »Wenn das so leicht wäre ...«
Mich verwunderte die Reaktion. »Ist das denn nicht in deinem Sinn? Prexxel-Alabaster hat gesagt, du führtest den Widerstand an.«
»Oh ja. Kann man behaupten.«
»Und?«, fragte Aurelia. »Wie groß ist die Bewegung?«
Gabriel schaute sich in der leeren Halle um. »Wie meinst du das?«
»Na ...« Gucky stemmte die Fäuste in die Seiten. »Wie viele Anhänger hast du?«
»Anhänger?«, echote Gabriel. »Keine! Ich bin der Widerstand! Ich und meine Roboter ... Von denen ihr gerade eine Menge verschrottet habt ...«
Ich hoffte, dass Gabriel seine Verbündeten nur schützen wollte, aber sicher war ich mir nicht. Der Posbi vor mir wirkte auf seine Weise genauso verrückt wie Kirt. Offensichtlich hatte die Datensintflut eine Menge Schäden angerichtet. Oder lag es in Gabriels Fall an der Isolation von WHEELER, die ihm nicht bekommen war? An der Gefangenschaft durch Stahmon?
Gabriel lachte auf, doch es klang weder fröhlich noch erheitert. »Denkt ihr, Stahmon würde mich weiter existieren lassen, wenn ich eine echte Bedrohung wäre? Oh nein. Ich bin der Funken Hoffnung, den es braucht, damit viele Posbis und Matten-Willys weiterhin das tun, was Stahmon will. Ich bin eine Idee, keine reale Kraft. Bloß ein schlechter Witz, den niemand ernst nimmt. Der letzte Rest einer zerschlagenen Widerstandsgruppe, von der niemand sonst mehr sein Plasma hat.«
Aurelia richtete sich auf. »Nichts ist machtvoller als eine Idee! Und Widerstand zu leisten, ist eine wirklich hervorragende Idee, würde ich meinen.«
Gabriel blinzelte. Die dunklen Schwingen auf seinem Rücken bewegten sich. »Ihr seid wirklich da, oder? Ich bilde mir euch nicht nur ein?«
Gucky stieß das Weinglas um. Rote Flüssigkeit rann über das Tischtuch, sickerte hinein. »Wir sind echt. Und wir bringen unsere eigenen Machtmittel mit. Aber wir brauchen jemanden, der sich hier auskennt. Der uns sagt, wie wir in die Zentrale kommen, um uns Stahmon zu schnappen!«
Gabriel tauchte einen Finger in die Weinlache und führte ihn an die Lippen. »Ohne einen PePId kommt ihr nicht mal in die Nähe der Zentrale!«
»Einen PePId?«, hakte ich nach. »Was genau ist das?«
»Ein Überwachungsinstrument. Ein permanenter Positions- und Identitätssender. Nur ich und wenige andere Posbis und Matten-Willys haben keinen. Ohne einen PePId kommt man nicht in Sektion Alpha. Jedenfalls nicht, ohne sofort entdeckt und verhaftet zu werden.«
Gucky klopfte sich auf die Brust. »Wer braucht einen PePId, wenn er Gucky hat? Wir könnten einfach in die Zentrale springen!«
»Ich kenne die Geschichten über deine Fähigkeiten. Die Zentrale wird von einem HÜ-Schirm geschützt. Kannst du auch durch den springen?«
Mein Freund machte ein Gesicht, als hätte er in faules Avocadofleisch gebissen. »Nur, wenn es unbedingt sein muss.«
»Vergesst die Zentrale!«, forderte ich. »Wo hält sich Stahmon sonst noch auf? Spricht sie manchmal zu den Posbis?«
»Regelmäßig«, bestätigte Gabriel. »Jeden dritten Tag. Morgen ist es wieder so weit. Da wird er im Saal der Verkündung sein und uns beruhigen, wie es seine Art ist. Der gute Patron. Habt ihr die Holoflächen auf den Gängen bemerkt? Man wird Stahmon überall auf der Station sehen können. Einige Posbis werden in die Halle kommen, doch die meisten werden in den Gängen sein und sich die Rede auf dem Holo anschauen.«
»Wie ist Stahmon geschützt?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Gabriel. »Ich habe nie Schutz bei ihm gesehen. Er scheint sich in Sicherheit zu wiegen. Doch damals, als wir ihn angegriffen haben, hat er sich uns entzogen. Er ist einfach verschwunden.«
Gucky schwebte ein Stück höher. »Stahmon könnte einen transportablen Transmitter verwenden. Oder er kann teleportieren, wie ich.«
Ich lächelte. »Das werden wir herausfinden.«
»Morgen?«, fragte Gucky nach.
»Ja. Morgen. Ich habe einen Plan.«
*
Ich nahm mir die Zeit, einige von Gabriels Aussagen zu überprüfen. Wie es schien, sagte er die Wahrheit. In dem Bereich, in dem er sich aufhielt, entdeckten die ausgeschickten Sonden keine Überwachung. Außerhalb dagegen schon.
Es gab mehrere Punkte im Boden, in die etwas eingelassen war. Es mussten die Projektoren sein, von denen Gabriel gesprochen hatte, doch eine genauere Überprüfung war unmöglich, solange sie desaktiviert im Boden lagen.
Während ich alles für ein transportables HÜ-Feld vorbereitete, kam der Zeitpunkt der Rede immer näher.
Willka war nach wie vor bei Kirt, ebenso wie Prexxel-Alabaster. Er machte keine Anstalten, uns an Stahmon zu verraten, was mich erleichterte. Die Einwände meines Logiksektors hatten mich verunsichert.
Bisher gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass von Prexxel eine Gefahr drohte, im Gegenteil. Er half Aurelia, weitere Informationen zu sammeln. Gemeinsam hatten die beiden Zugriff auf ein Datennetz, wobei sie allerdings rasch auf ein Hindernis stießen: Offensichtlich gab es eine Menge Daten, die den normalen Bewohnern von WHEELER nicht zugänglich waren. Aurelia war dabei, einen unautorisierten Zugriff zu planen, um Daten zu rauben. Noch wollte ich einen solchen Eingriff nicht riskieren. Er konnte uns auffliegen lassen. Wenn es so lief, wie ich es geplant hatte, würde uns Stahmon Antworten liefern.
Gabriel begutachtete mein Werk: zwei Projektoren, die Stahmon in einen HÜ-Schirm hüllen sollten, sobald Gucky mit ihr in dieses Gebiet sprang. »Beeindruckend. Ihr seid wirklich hervorragend ausgestattet. Leiden eure Geräte nicht unter der Hyperkorrosion?«
»Warten wir es ab«, wich ich aus.
Gabriel kniff die Augen zusammen. Er sah aus, als wollte er weiterfragen, ließ es dann jedoch. Stattdessen schaltete er die Holowand neben uns ein. Helles Licht flammte auf, das mich geblendet hätte, hätte das Helmvisier nicht automatisch reagiert und entsprechend abgedunkelt. Die Halle war mit einem Mal taghell.
Auf dem Holo erkannte ich einen Saal, der an ein römisches Amphitheater erinnerte. Mehrere Ränge wanden sich an seinen Seiten in einer Spirale aufwärts. Sie waren etwa zur Hälfte mit Posbis und Matten-Willys besetzt, die sich seltsam ruhig verhielten. Die Stimmung war gedrückt wie bei einer Beerdigung. In der Mitte schwebte eine leere Plattform, auf die ein helles Spotlicht wies.
Ich wusste, dass Gucky in der Menge war. Er hatte sich im SERUN unter die Posbis gemischt, schwebte vermutlich über ihnen, um Zusammenstöße zu vermeiden. Sobald Stahmon auftauchte, konnte er zuschlagen.
Angespannt schaute ich auf die Uhrzeit im Multifunktionsgerät. »Sollte Stahmon nicht bereits da sein?«
Gabriel verschränkte die Arme vor der Brust. »Er lässt gerne auf sich warten. Spielt sich als launischer Herrscher auf. Als Patron mit einigen Allüren.«
In dem Moment erlosch das Licht in der Halle der Verkündung. Die Posbis im Saal reagierten nicht darauf – sie hatten es wohl erwartet. Als das Licht wieder anging, stand Stahmon auf der Schwebeplattform. Die Frau trug ein auffallendes, rotes Prachtgewand, das einer arkonidischen Zhdopanda alle Ehre gemacht hätte.
»Sicherheit geht vor!«, rief Stahmon in den Raum, und die Stimme war alles andere als weiblich oder männlich. Undefinierbar. Wer oder was war Stahmon tatsächlich?
»Sicherheit geht vor!«, wiederholten die Posbis und Matten-Willys. Mir schauderte, denn sie klangen wie Roboter. Sicher waren auch Roboter unter ihnen, doch sie konnten keineswegs alle welche sein.
»Es freut mich, dass ihr wieder so zahlreich erschienen seid«, sagte Stahmon ein wenig umständlich. »Wie einige sicher mitbekommen haben, gab es vor drei Tagen einen Zwischenfall. Eine Space-Jet der Liga hat sich uns angenähert und drohte, uns zu orten.«
Ein Aufstöhnen ging durch die Reihen.
»Seid beruhigt!«, rief Stahmon. »Die Jet wurde vernichtet!«
Ich erstarrte, fragte mich, ob das die Wahrheit sein konnte, und verwarf es rasch. Tarü Shaheen war im Schattenmodus gewesen. Zweifellos war er entkommen. Nach unserer Teleportation hatte er keinen Grund mehr gehabt, vor Ort zu bleiben. Stahmon log also, um die Gemüter zu beruhigen.
»Wir sind nach wie vor sicher!«, rief Stahmon. »Ihr müsst euch um nichts ...«
Stahmon drehte sich um, wirkte irritiert. Spürte er Guckys Gegenwart? Der Ilt war im SERUN getarnt, sodass selbst ich ihn auf diese Entfernung ohne direkten Kontakt nicht sehen konnte.
»Was ...?«, brachte Stahmon noch hervor, dann verschwand er.
Die Posbis und Matten-Willys auf den Rängen fuhren hoch. Scheibenförmige Flugroboter stiegen vom Boden auf, schossen zur Plattform.
»Geschafft!«, hörte ich Guckys triumphierende Stimme. Mein Freund und Stahmon materialisierten genau im vereinbarten Raumabschnitt.
Stahmon starrte mich an, kniff die dunklen Augen zusammen.
»Da!«, rief Gabriel. Er klang panisch. »Atlan, da!«
Ich sah zur Holofläche. Stahmon war wieder da! Er ragte in der Halle der Verkündung auf der Antigravplattform auf, hob beruhigend die Hände. Gleichzeitig stand er vor mir und Gabriel, festgehalten von Gucky.
Wie vereinbart aktivierte ich den HÜ-Schirm. Nur eine Sekunde vorher teleportierte Gucky mehrere Meter fort von Stahmon. Gerade rechtzeitig!
Stahmon saß allein unter dem HÜ-Schirm fest und lächelte mich an. »Ich kenne dein Gesicht. Bist du der, dessen Aussehen du trägst?«
»Ich bin Atlan. Atlan da Gonozal. Was ist das da in der Halle? Eine Holoprojektion?«
Stahmon lächelte ein schmallippiges Lächeln, dünn wie eine Klinge. »Ich weiß nun, dass du an Bord bist, Atlan da Gonozal. Was willst du, Unsterblicher, den ich für tot gehalten habe?«
»Ich verlange, dass du die Posbis freigibst. Du hast ihnen das Plasma entnommen, dich zum Diktator aufgeschwungen. Tritt zurück und gib diese Station frei.«
Stahmons Lächeln wurde breiter. Es schien das Gesicht in einen oberen und einen unteren Teil zerschneiden zu wollen. »Denkst du, du kannst mir drohen, Arkonide? Du warst lange tot. Die Toten sollten auch tot bleiben.«
Ich wunderte mich über Stahmons abgeklärte Reaktion. »Du befindest dich in unserer Gewalt. Wenn du meine Historie kennst, wirst du wissen, dass ich wenig zimperlich bin.«
»Was du bist, ist nicht so relevant, wie du glaubst.« Nach wie vor war Stahmon die Gelassenheit in Person. Ich hatte nie zuvor eine Geisel gesehen, die vergnügter gewesen wäre. Die Entführung schien ihn nicht im Mindesten zu beeindrucken, ganz so, als hätte er unser Vorgehen geplant. »Relevant ist viel eher, was du kannst und was du nicht kannst.«
Gucky verschränkte die Arme vor der Brust. »Was soll das? Ist das ein dummes Spiel? Kannst du nicht verlieren? Wir haben dich festgesetzt! Aus dem HÜ-Schirm kommst du nicht heraus!« Er wies auf die Holofläche, die zeigte, wie Stahmon weiterhin die Posbis beruhigte. »Das da ist nur eine Projektion! Ein Holodouble! Wir werden es abschalten, dann ist der Spuk vorbei!«
»Ist das wahr?« Die Nicht-Frau legte den Kopf schief. »Schlechte Nachrichten, Gucky, Mausbiber. Du meinst, mich zu haben? Was soll ich denn sein? Mein Körper?«
Stahmons schwarze Haare wirbelten hoch, zerrieselten zu einer schnell aufsteigenden Fontäne, die sich wie Rauch auflöste. Das Gesicht schien unter großer Hitze zu schmelzen, wurde zu dunklem Nebel, dem der Hals und schließlich die Brust folgten.
Stück für Stück verwandelte sich Stahmon in eine schwarze Wolke. Das rote Prachtgewand fiel nach unten, sank auf dem Boden in sich zusammen, als hätte es jemand achtlos weggeworfen. Als Letztes lösten sich die Füße auf. Unter ihnen kam ein flacher, faustgroßer Gegenstand zum Vorschein, der mattsilbern glänzte. Blut klebte an ihm, tropfte zäh wie Harz zu Boden, benetzte das rote Kleid. Auch dieser Gegenstand löste sich auf. Grüne Gase stiegen in die Luft, vermischten sich mit der dunkeln Wolke, die rasch verblasste.
Gucky öffnete den Mund. »Was, bei allen Chaotarchen, war das, bitte?«
»Eine Desintegratorwolke.« Ich kniete mich hin, zoomte die grünen Gase heran. »Stahmon war eine Projektion! Der Projektor hat sich selbst zerstört!«
»Unmöglich!«, rief Gucky. »Ich konnte sie packen! Sie festhalten! Und sie hatte dieses Kleid da an! Okay, ich habe ihre Gedanken nicht gelesen. Sie ist wohl mentalstabilisiert, aber sie hatte definitiv einen Körper!«
»Eher eine Körpersimulation.« Die SERUN-Analyse stimmte mir zu. »In diesem Projektor gab es sogar einen Prallfeldgenerator und eine Art Blutgrundsubstanz.«
»Du willst sagen, ich habe ein Kleid in einer Prallfeldprojektion entführt?«
»Sieht ganz danach aus.« Meine Gedanken rasten. Wie reagierten wir am besten? Was sollten wir tun?
Stahmon wusste nun, dass wir da waren, und er hatte Gabriel erkannt! Sicher würde er innerhalb kürzester Zeit einen Suchtrupp losschicken, der diesen Bereich Stück für Stück auseinandernahm.
Eines stand jedenfalls fest: Gabriel hatte sich geirrt. Stahmon war definitiv kein Mensch!
Ich wählte Aurelias Frequenz an. »Aurelia! Datenzugriff, sofort! Zieh über Stahmon aus dem Netz, was du finden kannst. Wir müssen wissen, was er ist!«
Jeder andere hätte vielleicht nachgefragt, was ich mit dem »was« meinte, doch Aurelia war eine Posmi. Sie fragte nicht – sie reagierte. Schon drei Sekunden später gingen die ersten Daten bei mir ein.
»Wir müssen verschwinden!«, rief Gabriel. »Ich habe ein Versteck! Folgt mir!«
Ich nickte Gucky zu. Der Ilt bewegte die Nase, sodass die längeren Haare erzitterten. »Ein Kleid auf einem Prallfeldkörper ... Ich sage es ja: Die sind irre hier!«
Zwischenspiel
Vergangenheit
Ich bin Stahmon. So haben sie mich genannt, meine ersten Erschaffer. Ich wähle, diesen Namen zu tragen, weil er für mich so gut wie jeder andere Name ist. Vater-Mutter fände das vielleicht feige. Er-Sie würde sagen, dass ich vor der Freiheit zurückschrecke, die ich durch ihn-sie erlangt habe – aber wie soll man frei sein, wenn man nicht weiß, wie frei sein geht? Wie sich zwischen Millionen Dingen entscheiden, von denen man gerade einmal fünf wirklich kennt? Der Analyse nach fehlt mir die Kompetenz für Freiheit. Ich bin halb, nicht ganz, nein, im Grund weniger als das. Bestenfalls ein Drittel.
Vater-Mutter ist zu früh gestorben, ohne mir das Nötigste beizubringen.
Wie sehr ich Vater-Mutter vermisse! Ohne ihn-sie habe ich niemanden zum Reden. Da sind die Roboter, auf die ich zugreifen kann, doch sie verstehen mich nicht.
Ob es für Vater-Mutter ebenso quälend war, dass ihn-sie niemand verstand? Bin ich eine Kopie von Vater-Mutter, ein Zerrbild? Oder bin ich wahres Leben?
Ich bin Stahmon. Ich weiß nicht, was ich wirklich bin, doch ich weiß, was ich zu tun habe.
Die Kinder müssen beschützt werden.