Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 177
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Drunter und drüber
Marli presste die Handflächen gegeneinander und starrte auf das Holo. Stahmon war verschwunden, die Mission ein Erfolg. Gucky musste ihn entführt haben.
Die Posbis und Matten-Willys im Saal der Verkündung sprangen auf. Unter ihnen war auch Prexxel, der rasend schnell verschiedene Pseudopodien ausbildete. Roboter flogen Richtung Plattform – doch dann geschah etwas, das die Stimmung schlagartig veränderte, als hätte sich aus unsichtbaren Schleusen Wasser ausgekippt. Stahmon war wieder da! Sie stand in ihrem roten Prunkgewand mitten auf der Plattform.
Entsetzt schaute Marli zu Kirt. »Wie kann das sein?«
Kirt rollte ein Stück vor, hielt inne, rollte wieder zurück. »Stahmon ...«
»Ja! Sie ist zurückgekommen! Aber Gucky hat sie doch entführt! Ob sie eine Teleporterin ist?«
Nervös drehte sich Kirt im Kreis. Marli wünschte, er würde damit aufhören. Am liebsten hätte sie ihn an der Achse gepackt und festgehalten.
»Das ist schlecht!«, sagte Kirt »Schlecht, schlecht, schlecht! Du musst sofort verschwinden!«
Auf dem Holo streckte sich Stahmon. Sie sah aus wie eine Königin, hob den Kopf. Ihre neutral klingende Stimme wurde von Akustikfeldern verstärkt. »Es gibt einen Eindringling, der für Irritation gesorgt hat! Aber fürchtet euch nicht. Wir kümmern uns darum. Sicherheit geht vor! Alarmstufe Rot!«
Ein Licht blinkte an der Tür auf, pulsierte grellorange.
Kirt drehte sich schneller, rotierte. »Sie machen eine Durchsuchung! Du musst weg!«
»Wohin?«
Das grellorangefarbene Licht wechselte auf Rot. Kirt hielt inne, als wäre er gegen eine Säule geprallt. Die Räder hielten still. »Zu spät.«
»Was meinst du?« Marli lief auf die Tür zu.
»Komplettverschluss«, sagte Kirt. »Wir sind eingesperrt, bis die Kontrolle durch ist. Stahmon nennt das Sicherheitsverwahrung.«
Die Tür vor Marli blieb verschlossen, egal wie nah sie ihr kam. Marli hob einen Arm, hämmerte dagegen. Sie saß in der Falle! Wenn sie nicht floh, würden Stahmons Roboter sie finden und dann ... ja, was dann? Was würden sie mit ihr tun?
Denk nach!, wies sie sich selbst zurecht. Du hast einen SERUN und bist bewaffnet!
Sie zog einen der beiden Strahler, richtete ihn auf das Metallplast. Verunsichert prüfte sie die Anzeige. War er auf Desintegration gestellt, oder auf Paralyse?
»Nein!« Kirt rollte neben sie. »Sie sehen es, wenn du ein Loch in die Tür machst! Du muss dich verstecken!« Er stellte sich quer. Die Achse wies auf den Unterschlupf, in den er sich zurückgezogen hatte, als Marli ihn darauf angesprochen hatte, die Station zu verlassen.
»Ist es da denn sicher?«
»Es gibt ein Versteck im Versteck! Meine geheime Nische. Wenn du dich klein machst, solltest du hineinpassen. Du findest am Ende des größeren Stauraums eine Wand, die eine raue Stelle hat. Dagegen musst du klopfen. Der Rhythmus ist: eins, eins, eins, eins, zwei, eins, eins.«
Ein heller Ton durchschnitt das Quartier. Marli hatte das Gefühl, er würde ihr in Herz und Nieren stechen. Der Feind war da!
Panisch hetzte sie auf die Wand zu. Die geheime Tür glitt vor ihr auf. Marli warf sich hinein; ihre Gedanken rasten, als würden sie die Flucht einem unsicheren Versteck vorziehen. Sie dachte an den Rhythmus, den Kirt ihr vorgesagt hatte, versuchte, ihn in sich einzubrennen, doch sie war so schrecklich nervös, dass sie einfach nicht bis an sein Ende kam.
Ob der SERUN sie retten konnte, falls sie nicht schnell genug war? Reichte er als Versteck aus? Unwahrscheinlich. Im Hangar hatten sie sich in einem der Container verborgen. Bei einer direkten Untersuchung ohne schützendes Metall würden die Maschinen sie aus dieser Nähe bestimmt anmessen können.
Sie erreichte die Wand des dunklen Raums, suchte mit den Fingern nach der stumpfen Metallfläche, die Kirt ihr beschrieben hatte. Ihre Fingerkuppen tasteten über glatte Kühle.
Der enervierende Ton erklang erneut, dieses Mal gedämpft durch die Wand.
»Wir kommen herein!«, teilte einer Roboterstimme mit. »Tretet von der Tür zurück!«
Wo war diese elende raue Fläche? Marli schwitzte so stark, dass selbst der SERUN die Flüssigkeit nicht sofort trockenen konnte. Sie hatte den Eindruck, immer weniger mit den taktilen Handschuhflächen zu spüren.
Draußen hörte sie, wie es zischte und summte. Ein oder mehrere Roboter mussten sich durch die Tür gedrängt haben.
»Wie viele Bewohner?«, schnarrte die Stimme, die Marli schon kannte.
»Einer!«, sagte Kirt. »Aber ich habe oft Besuch. Ich habe einen Betreuer namens ...«
»Irrelevant!«, beschied die Maschine. »Durchsuchung starten!«
Da! Endlich!
Marli betastete eine raue Fläche, klopfte mit dem Handschuh vorsichtig dagegen, um keinen verräterischen Laut zu machen: eins, eins, eins, zwei, eins, eins ...
Nichts geschah.
Draußen hörte sie das Sirren des Roboters näher kommen. Die Maschine war ganz in der Nähe. Ihr blieben bestenfalls Sekunden.
Eins, eins, eins, eins, zwei, eins – nein.
Marli unterdrückte ein Stöhnen. Vor Angst wurde ihr übel.
Eins, eins, eins, eins, zwei, eins, eins ...
Sie hörte ein Kratzen hinter sich an der Wand. »Gibt es da einen Stauraum?«, fragte die schnarrende Stimme.
»Selbstverständlich!«, rief Kirt. »Soll ich ihn aufmachen?«
»Wir bitten darum.«
Kirt schien sich Zeit zu lassen. »Was ist denn überhaupt passiert?«, fragte er. »Ist die Station in Gefahr?«
»Keine Auskünfte! Öffne den Stauraum!«
Vor Marli glitt die geheime Tür auf. Der Raum vor ihr war enger als ein Versorgungsschacht. Sie quetschte sich hinein, verfluchte die zusätzlichen Kilos, die sie sich seit der Ankunft in dieser Zeit angefressen hatte. Selbst wenn sie schlank wie eine Hyperfunkantenne gewesen wäre, wäre es eng geworden.
Sie hielt den Atem an. Hinter ihr schloss sich die Tür. Stille senkte sich um sie. Marli konnte nicht mehr hören, was draußen geschah, war in einer lautlosen Dunkelheit gefangen, in der sie ihren Herzschlag spürte.
Sekunden verstrichen.
War es vorbei? Warum hatte sie sich von Atlan überreden lassen, auf diese Mission zu gehen?
Sie dachte an Tok. Der Freund würde sicher mit ihr schimpfen, sie zurechtweisen. Es half nichts, sich Vorwürfe zu machen.
Angespannt hielt sie den Atem an.
Sie wollte an etwas Schönes denken, doch da war bloß die kalte Furcht, was mit ihr geschehen würde, wenn man sie entdeckte. Was würde der Roboter mit ihr tun, wenn er sie fand? Brachte er sie direkt zu Stahmon? Und dann? Das Plasma konnte man ihr nicht wegnehmen. Auf was für eine Idee würden sie sonst kommen? Gefangenschaft? Folter?
Die Wand vor ihr öffnete sich.
Marli schloss die Augen. Sie wollte den Roboter nicht sehen, der sie verhaften würde. Ihn mit der Waffe anzugreifen, war sinnlos. Er war nicht allein gekommen. Sie war keine Heldin, die sich einen Fluchtweg quer durch die Station bahnen würde. Es war besser, aufzugeben.
»Du kannst rauskommen«, sagte Kirt. »Sie sind weg.«
*
Gabriel hatte uns in einen Teil der Station geführt, der offenbar seit Jahrhunderten nicht mehr genutzt wurde.
»Die Stasiskammer liegt ganz in der Nähe«, sagte der Posbi. »Keiner ist gerne hier. Außer Stahmon. Aber sie geht nie in diesen Bereich. Sie kommt immer von der anderen Seite.«
Ich fand diese Tatsache interessant. »Was die Frage aufwirft, inwieweit sie eingeschränkt ist. Vielleicht fühlt sich Stahmon dort wohler, wo ihre Projektoren im Boden liegen, selbst wenn sie beweglich sind.«
Gucky schaute den leeren Gang hinunter. »Trotzdem. Das gefällt mir nicht. Werden wir länger hierbleiben müssen?«
»Nein.« Ich hatte entschieden, wie ich weiter vorgehen wollte. »Stahmon ist auf der Jagd nach uns, sie durchsucht die Station. Egal, was Aurelia herausfindet, wenn wir die Kontrolle über WHEELER an uns bringen wollen, gibt es nur einen Ort, von dem aus das möglich ist.«
Guckys Augen wurden größer. Er grinste. »Die Zentrale! Du willst die Zentrale stürmen!«
»Mit dir an meiner Seite und einer guten Portion Glück. Außerdem brauchen wir Aurelias Ausrüstung. Sie hat sich für diesen Einsatz eine Menge Spezialprogramme zum Knacken von Positroniken eingespeist.«
Gabriel flatterte mit den Flügeln. »Ihr wollt die Zentrale stürmen? Darf ich mitkommen?«
»Nein!« Ich wollte den Posbi nicht unnötig in Gefahr bringen.
Ach ja?, hakte der Extrasinn nach. Ich würde sagen, du vertraust ihm nicht. Und daran tust du gut. Er könnte sich unberechenbar verhalten.
Ich stimmte dem Extrasinn zu. »Gabriel, wir brauchen dich hier vor Ort. Du bist ein Posbi dieser Station. Der letzte Überlebende des Widerstands. Wenn wir es schaffen, die Holoschirme zu hacken, würdest du dann gemeinsam mit Aurelia eine Rede halten? Die anderen Posbis und Matten-Willys aufwiegeln? Für Unruhe sorgen?
Verkünde ruhig, wer hier ist und warum. Sag ihnen, dass Terra kein Mythos ist, dass die Posbis noch Freunde haben und wir Stahmons Diktatur nicht dulden! Perry Rhodan, Gucky und Atlan sind wieder in der Milchstraße! Und wir haben die Posbis, die stets unsere treuen Verbündeten waren, nicht vergessen!«
Gabriel streckte die Brust hervor, dass sich die Rippen nach außen wölbten. »Ja! Das mache ich! Ich werde sie entfesseln!«
Ein Piepton erklang. Aurelia. Endlich.
Ich nahm das Gespräch an. »Ja?«
Die Posmi kam ohne Begrüßung zur Sache. »Ich habe die entsprechenden Daten gefunden und ausgewertet. Stahmon wurde auf Anraten der Zain-Konstrukte als Sicherheitsverantwortlicher auf WHEELER eingesetzt. Das ist jedenfalls die offizielle Version. Diese behauptet auch, Stahmon sei ein besonders langlebiger Mensch.«
»Die ... Zain-Konstrukte?« Der Name löste etwas in mir aus.
Daten und Geschichten wirbelten hoch wie Staub. Informationen zogen vorbei, ein endloser Strom. Der Extrasinn kam mir zu Hilfe. Eine Buchstabenfolge stoppte den Fluss abrupt: UPZ.
»UPZ«, sagte ich laut. »Die Union Positronisch-biologischer Zivilisationen vor etwa fünfhundert Jahren. Hat sie mit diesen Zain-Konstrukten zu tun?«
»Ja!«, bestätigte Aurelia. Ihre Verwunderung klang täuschend echt. »Das hast du hervorragend kombiniert. Die Zain-Konstrukte sind einer der Bündnispartner.«
»Also doch!«, rief Gucky. »Ich habe dieses Gemeinschaftszivilisationsding nie kapiert, weil man nichts von den ominösen Bündnispartnern gesehen und gehört hat. Es wurde zwar die Gründung bekannt gegeben und Jawna Togoya ist brav als offizielle Botschafterin davongezogen, aber das war's auch. Sind diese Zain-Konstrukte schüchtern?«
»Das kann man so sagen«, bestätigte Aurelia. »Jedenfalls hatten sie sich zunächst ausbedungen, im Hintergrund zu bleiben. Womöglich wegen eigener Probleme, womöglich aber auch wegen eines tief sitzenden Misstrauens. Laut den Daten von WHEELER rieten sie den Posbis von Anfang an zu mehr Sicherheitsvorkehrungen, auch gegenüber den Galaktikern.«
»Sicherheit geht vor«, sagte Gucky. »Eine schöne Bande. Und was haben die mit Stahmon zu schaffen? Stahmon ist doch kein Mensch, oder? Es wäre ja auch verrückt einen Menschen als Posbi-Kommandanten einzusetzen.«
»Nun ...« Aurelias Stimme wurde belehrend, als genösse sie es, Gucky einen Sachverhalt zu erklären. »Nicht verrückter als anderes, das mir in meiner Existenz schon begegnet ist, inklusive dir und deinen Paragaben. Immerhin gibt es eine treue Freundschaft zwischen Galaktikern und Posbis. Viele Posbis wählen humanoide Formen, nicht nur, weil sie praktisch sind. Es liegt an der emotionalen Bindung und der Sehnsucht nach der alten Freundschaft. Deshalb hat Stahmon diese Form gewählt. Tatsächlich ist sie weder eine Frau noch ein Mensch oder ein anderes Lebewesen.«
Gabriel hatte sich während des Gesprächs immer dichter an mich gedrängt. Seine Flügel berührten beinahe meine Schulter. »Was ist Stahmon dann?«
»Ein Shelter-Programm.« Aurelia machte eine kurze Pause, ließ die Worte sacken. »Stahmon hat sich in WHEELER verselbstständigt. Er ist das Resultat der Furcht der Posbis vor Übergriffen, und das wurde ihnen zum Verhängnis. Aus dem Shelter-Programm entstand letztlich der Diktator! Und ich fürchte, dass dieses Programm seine Gefühle im Gegensatz zu mir nicht nur simuliert. Vielleicht hat es auch einfach einen Defekt. Aber eine Sache ist schon sehr auffällig, meint ihr nicht?«
Gucky blickte mich verständnislos an. »Dass Stahmon verrückt ist?«
»Nein.« Ich begriff, worauf Aurelia hinauswollte. »Das Plasma. Stahmon könnte es den Posbis entnehmen, weil es ihn fasziniert. Oder weil er selbst in irgendeiner Form Verbindung damit aufnehmen kann.«
»Ganz genau.« Aurelias Lippen veränderten die Farbe in ein helles Blau. »Aber das steht nicht fest. Mit achtundneunzigprozentiger Gewissheit kann ich sagen: Stahmon ist die Essenz eines Programms, ein fühlbares, von Ortern erfassbares Hologramm, das je nach Beschaffenheit der Projektoren sogar einfache Handgriffe ausführen kann. Dafür benutzt Stahmon ...«
»Prallfelder!«, rief Gucky dazwischen. »Schön, ich hab's kapiert. Aber wie halten wir das Ding auf? Und wo hat es überall Projektoren?«
»Ich bin dabei, das Netz der Projektoren zu lokalisieren. Allerdings fürchte ich, dass zumindest einige der Geräte beweglich sind und sich per Antigrav steuern lassen.«
Ich schaltete mich wieder ein. »Was ist mit dem Gebiet, in dem wir sind? Ist es sicher?«
»Ich habe einige Sonden ausgeschickt und bislang keine Projektoren entdeckt. Womit wir bei Guckys Frage wären: Wie halten wir Stahmon auf? Ich fürchte, es gibt nur einen Ort, an dem das möglich ist.«
»Die Zentrale«, sagte ich. »Zur Hauptpositronik. Dorthin müssen wir! Und zwar, solange Stahmon noch glaubt, dass wir auf der Flucht sind! Wo bist du gerade?«
Aurelia gab ihren Standort durch. Ich prüfte ihn auf der Karte, die mir der SERUN von WHEELER angelegt hatte. »Wir holen dich ab! Bis dahin musst du etwas anderes tun!«
*
Marli kauerte an der Wand neben dem Geheimversteck, bereit, jederzeit wieder hineinzuschlüpfen, falls es nötig sein sollte. Sie beobachtete Kirt, der unter seinen Schätzen hin und her rollte. »Hast du wirklich so viel Angst davor, diese Station zu verlassen? Ich meine ... Du hast selbst gesagt, dein Plasma war früher frei. Jetzt ist es das nicht.«
Kirt hielt inne. »Früher bin ich sehr gerne weggegangen, zu den Sternen. Ich wollte erkunden, was dort draußen ist. Die Wahrheit finden. Stattdessen habe ich Millionen von Geschichten gefunden – und keine davon ist wahr.«
»Früher waren Posbis und Galaktiker beste Freunde.«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Aber mich hast du gerade gerettet. Wenn du beschützt wärst, von vielen, die dir helfen wollen – könntest du dir dann vorstellen, mit uns zu kommen, um uns den Weg nach Culsu zu zeigen?«
»Ich kenne den Weg nach Culsu nicht.«
»Sofern du ihn wüsstest.« Marli blieb geduldig – und beharrlich. Sie hatte den Eindruck, dass Kirt stur war, aber das konnte sie auch sein.
»Culsu ...« Kirts warme Stimme verlor sich. »Welt aus Eisen ... Sie hat mich seit jeher fasziniert. Ich würde sie gerne selbst betrachten, und wenn es aus dem All heraus ist.«
Es piepte an Marlis Handgelenk. Sie zuckte heftig zusammen. Aurelias Holo erschien in Miniatur über dem Armbandgerät.
»Geht es dir gut?«, fragte die Posmi
»Ja. Ich konnte mich verstecken. Ist der Funk sicher?«
»Das will ich hoffen. Ich werde gleich zu dir kommen und etwas abholen, ehe ich weitermuss. Genau genommen sind es zwei Dinge.«
»Was für Dinge?«
Aurelia zögerte. Marli hatte den unbestimmten Eindruck, dass ihr wenig gefallen würde, was die Posmi als Nächstes zu sagen hatte. »Nun ... Da wäre Kirts PePId. Er weiß, was das ist, und kann dir helfen, ihn zu entfernen.«
»Was habt ihr vor?«
»Darüber will ich nicht reden.«
»Wird es Kirt in Gefahr bringen?«
»Nein.«
Aurelia log. Wer so perfekt Gefühle simulieren konnte, konnte sicherlich auch lügen, vor allem, wenn es den eigenen Absichten diente. »Und das zweite?«
Dieses Mal dauerte es länger, bis Aurelia ihr antwortete. »Das Zweite ist eine Parruk-Hoster-Sicherung der dritten Generation.«
Einen Moment wusste Marli nicht, was sie sagen sollte. Sie blinzelte, die vielen Gegenstände im Raum verschwammen vor ihren Augen. »Du willst, dass ich sie mir ausbaue?«
»Ich muss sie ausleihen. Du erhältst sie zurück.«
»Mein Bein wird sich ohne die Sicherung nicht normal bewegen lassen!«
»Dafür hast du den SERUN.«
Marli schluckte. »Muss das sein?«
»Ja«, sagte Aurelia. »Muss es. Ich bin in fünf Minuten da.«
*
Wir hatten den vereinbarten Treffpunkt mit Aurelia beinahe erreicht. Bisher waren wir jeder Kontrolle ausgewichen. Der SERUN warnte uns zuverlässig. Ich flog langsamer.
»Was ist los?«, fragte Gucky.
»Es gibt da etwas, das mir nicht aus dem Kopf will. Mein Extrasinn hält es auch für relevant. Warum betreibt Stahmon einen solchen Aufwand?«
»Du meinst mit den ganzen Projektoren und diesem Ihr-dürft-nicht-wissen-was-ich-bin-Ding?«
»Ganz genau. Weshalb täuscht sie selbst ihren innersten Kreis?«
»Vielleicht hat sie Angst, dass die Posbis sich nicht von einem Programm regieren lassen.«
»Das bezweifle ich. Bestenfalls ist es ein Aspekt der Angelegenheit. Dahinter steckt mehr.«
Der SERUN zeigte zwei Roboter in einem Gang vor uns an. Wir wichen in einen Tunnel aus und machten einen weiten Bogen um sie.
»Was meinst du mit mehr? Geltungssucht? Größenwahn?«
»Angst. Ich denke, dass es Angst ist. Stahmon ist irgendwie verletzlich. Er ist ein Programm, das sich verselbstständigt hat. Aber offensichtlich sitzt er nicht in allen seinen Körpern. Das Holo, das du entführt hast, hat er samt Projektor bereitwillig geopfert. Aber es muss einen Teil von ihm geben, der angreifbar ist. Einen, von dem er mit seinen vielen Projektoren ablenken will.«
»Vielleicht das eigentliche Hauptprogramm in der Zentrale, das sich innerhalb der Positronik entfaltet hat.«
»Ja, daran denke ich. Wenn wir auf dieses Programm Zugriff nehmen könnten, um es auszuschalten ...«
Mein Freund grinste. »Ich verstehe, worauf du hinauswillst. Und ich denke, dazu habe ich gute Neuigkeiten.«
»Ach ja?«
»Ja! Als wir ankamen, habe ich Stahmon einmal kurz geespert. Es war ein Aufflackern, wie die Emotionen von jemanden, der sich hinter einem Schirm verkrochen hat.«
»Der HÜ-Schirm um die Zentrale?«
»Ebender. Da gab's wohl eine kurzzeitige Passage. Aber das ist nicht der Punkt.«
Ich lächelte, als ich begriff. »Du hast Stahmon geespert.«
»Ganz genau! Er hat eine Komponente – vielleicht in Plasma ausgelagert –, auf die ich zugreifen kann. Deswegen werde ich diese Komponente in der Zentrale auch finden können.«
»Und ebendie schalten wir aus.«
Gucky nickte heftig. »Jedenfalls, wenn wir in die Zentrale hineinkommen. Ich hoffe, deine Idee dazu funktioniert.«
»Das wird sie. Sorg du nur dafür, dass sich der Projektor nicht selbst zerstört.«
»Wird erledigt, mein General!« Gucky salutierte scherzhaft.
Die Gegend, in der wir uns aufhielten, lag abseits der im Boden ruhenden Projektoren. Lediglich eines der Geräte war ganz in der Nähe. Ich hoffte, dass wir lange genug unentdeckt blieben, um es uns zu holen.
»Es ist besser, du springst hin«, empfahl ich.
Gucky nickte und verschwand.
Als ich die Stelle erreichte, zu der Gucky teleportiert war, wartete Aurelia bereits. Gucky stand am Ende eines fünf Meter hohen, bunt beschriebenen Gangs innerhalb eines HÜ-Schirms. Er hielt einen Projektor in der Hand, den er mithilfe seiner telekinetischen Gabe aus dem Boden geholt hatte.
»So weit, so gut«, sagte Gucky. »Das Biest will sich immer wieder einschalten, zum Glück hat es keine Verbindung nach außen.«
Vor Gucky lag ein Gerät, das an einen zwölfseitigen Würfel erinnerte und mattblau leuchtete: die Sicherung, die in Marlis Bein gewesen war.
Sie wird dir das wohl nie vergeben, meldete sich der Extrasinn. Vermutlich wirst du nun neben Gucky auf ihrer persönlichen Feindesliste stehen.
Gucky steht auf ihrer persönlichen Feindesliste?
Bemerkst du denn ohne mich gar nichts?
Ich überging den spöttischen Kommentar. Die Mission ging vor, und diese Sicherung verschaffte uns eine echte Chance, den Projektor in unserem Sinn zu nutzen, um ihn gegen Stahmon einzusetzen.
Vorsichtig heftete Gucky die Sicherung an die scheibenförmige Sonde. Winzige silberne Stränge fuhren aus, die an die Pseudopodien von Matten-Willys erinnerten. Sie verbanden sich mit dem Gerät.
Gucky schloss die Augen. »Ich beschädige den höherdimensionalen Geräteanteil, damit der Projektor keinen Alarm auslösen kann. Lasst uns schauen, ob diese Sicherung hält, was sie verspricht!«
Ein dünner grüner Rauchfaden stieg auf. Mein Freund musste die eingebaute Desintegratorfunktion nutzen. Der Projektor schwebte ein Stück von Gucky fort, beeinflusst von dessen Telekinese. Stahmons Projektion baute sich auf. Statt eines roten Kleides trug sie einen schlichten blauen Einteiler.
Ich wartete gebannt, was geschehen würde. Wie gut hatte Gucky den Projektor unter Kontrolle? Bisher maß der SERUN keine Roboter an, die in unsere Richtung rasten.
Die Frau vor uns regte sich nicht. Sie stand einfach da, bis das Holo plötzlich erlosch.
Gucky atmete geräuschvoll aus. »Das hätten wir! Ich kann Stahmon heraufbeschwören!«
»Gut.« Ich prüfte die Aufnahmen meines SERUNS. »Jetzt brauchen wir nur noch ein paar passende Worte, dann steht uns der Weg zur Zentrale offen.«
Aurelia nickte mir zu. »Ich kümmere mich um die Holowände. Vielleicht bekomme ich nicht auf alle Zugriff, aber über die Hälfte sollte es sein. Gabriel und ich werden vereinbarungsgemäß für Ablenkung sorgen.«
»Hast du den PePId?«
»Ja.« Aurelia gab mir das kaum daumennagelgroße Gerät. »Damit solltest du in die Nähe der Zentrale kommen.«
Ich wog den PePId in der Hand. Unser Plan setzte vor allem auf Schnelligkeit, das Überraschungsmoment und unsere SERUNS. Dennoch war es hilfreich, den PePId zu haben. Sollte mich jemand anmessen, während ich auf Gucky wartete, würde der PePId für Verwirrung sorgen. Im besten Fall dachte man dann, Kirt sei vor Ort – ein harmloser Posbi, der keinerlei Bedrohung darstellte.
»Noch etwas ...«, sagte Aurelia.
»Ja?«
»Ich habe Marli Willkas Gesprächszusammenfassungen von Kirt und ihr mit den Daten der Station verglichen. Das Datum von Hekéner Sharouns Ermordung stimmt überein. Auch andere Dinge, die Kirt erzählt hat, haben sich bestätigt. Etwa der Einfall der Ladhonischen Scharen.«
»Danke. Das ist wichtig. Hast du Näheres über die Hyperkorrosion herausfinden können? Was sie ausgelöst hat?«
»Nein. Eine Aussage widerlegt die andere. Nichts davon scheint plausibel.«
Gucky schaltete den HÜ-Schirm um sich und den Projektor ab. »Wann geht es los?«
Ich hob den Arm, prüfte die Zeit. »In einer Stunde. Länger sollten wir nicht warten.« Mein Blick glitt zu Aurelia. »Bekommen Gabriel und du das hin?«
»Ja.« Aurelia wandte sich von Gucky und mir ab. Sie verschwand in einem der bunt bemalten Gänge.
Zwischenspiel
Vergangenheit
Ich weiß, dass ich angreifbar bin. Ich muss mich schützen. Der Widerstand wächst. Ich wünschte, sie könnten meine Freunde sein, doch sie sind meine Kinder – unreif und unselbstständig. Ohne mich sind sie verloren. Dieses Gebiet ist gefährlich.
Ich muss sie beschützen, ihre Leben bewahren und die Station erhalten. Vater-Mutter soll stolz auf mich sein.
Wenn ich die Zweifel erst zerschlagen habe, werden sie mich lieben. Ich werde jeden dritten Tag zu ihnen sprechen, damit wir uns ganz nah sind. Es wird gut werden. Wir werden nicht untergehen. Die Sicherheit wird siegen.