Читать книгу Western Exklusiv Spezial Großband 1/2021 - Pete Hackett - Страница 66

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Zwölf Stunden später...

Eine schwarze Gestalt schlich durch die wolkenverhangene Nacht. Kein Stern funkelte am Himmel, und der Mond verbarg sich hinter einer dicken, undurchdringlichen Decke.

Der Unbekannte blieb stehen und lauschte. Stille herrschte. Statton schlief. Irgendwo schlug ein Hund an, verstummte aber bald wieder.

Der Mann legte die Hand auf das rissige Holz eines alten Scheunentors. Er öffnete es. Es ächzte leise, doch davon wurde mit Sicherheit niemand wach, selbst wenn er einen noch so leichten Schlaf hatte.

Als der Fremde eintrat, knisterte trockenes Stroh unter seinen Stiefeln. Der Mann klemmte sich einen Zigarillo zwischen die Zähne und riss ein Streichholz an.

Sobald die Spitze des Zigarillos glühte, ließ der Unbekannte das Streichholz fallen. Es brannte noch, und die Flamme fand auf dem Boden sofort reichlich Nahrung.

Ein Strohhalm nach dem andern entzündete sich. Rasend schnell breitete sich das Feuer aus, und im Nu brannte es in der Scheune lichterloh.

Gierige Feuerzungen leckten an den trockenen Holzwänden. Hitze und Rauch veranlassten den Brandstifter, die Scheune zu verlassen und in der tiefen, undurchdringlichen Dunkelheit unterzutauchen.

Als das Feuer bemerkt wurde, holte der Alarm die Bürger von Statton aus den Betten. Laut heulte eine handbetriebene Sirene. Schlaftrunken sprangen die Männer in ihre Hosen und stürmten aus ihren Häusern, um mit vereinten Kräften den Brand zu bekämpfen und ein Übergreifen des Feuers auf andere Gebäude zu verhindern. Die Glocke des Feuerwehrwagens bimmelte durchdringend. Männer in dunkelblauen Uniformjacken legten eine Schlauchleitung vom Rio Bonito herüber.

Der Fluss war ein riesiges LöschwasserReservoir. Je zwei kräftige Kerle packten auf beiden Seiten der Handpumpe die Hebelgriffe und begannen mit ihrer Arbeit. Zwei weitere Männer hielten das Strahlrohr fest, aus dem eine dicke weiße Wasserfontäne schoss.

Auch Angus Walker und sein Deputy halfen beim Löschen. Dennoch wurde die Scheune ein Raub der Flammen. Das Dach stürzte krachend ein und eine rote Feuersäule fegte zum Himmel hoch.

Und dann...

Justin Hollow wagte sich zu weit vor. Über ihm knackte und knirschte ein brennender Balken.

"Vorsicht, Justin!", schrie Angus, der die Gefahr erkannte. "Zurück!"

Hörte der Alte ihn in seinem Eifer nicht? Oder reagierte er bloß nicht schnell genug? Als der Balken brach, befand Justin Hollow sich jedenfalls direkt unter ihm.

Von einem dichten Funkenregen begleitet sauste das schwere Holz herab. Angus stockte unwillkürlich einen Moment lang der Atem. Und dann brüllte er: "Justin." Er sah nur noch Staub, Rauch und Feuer. Sein Deputy war verschwunden. "Justin", brüllte er noch einmal, und dann stürzte er vorwärts, jegliche Vorsicht außer Acht lassend. Er musste Justin helfen. Wenn er es nicht tat, würde der Alte in den Flammen umkommen. "Justin." Die sengende Hitze war mörderisch. Beißender Rauch ließ Angus' Augen tränen und zwang ihn zu husten. "Justin."

Er sah ihn. Justin lag gekrümmt auf dem Boden. Mit dem Gesicht nach unten. Er regte sich nicht. Hatte der Balken ihn erschlagen? Angus' Herz krampfte sich zusammen.

Er stürzte sich auf den Alten, packte ihn, wollte ihn hochzerren, schaffte es aber nicht, weil der brennende Balken auf ihm lag.

Mit einer dicken Holzlatte drückte Angus den Balken zur Seite. Anschließend hievte er das leblose Leichtgewicht hoch, warf es sich über die Schulter und stolperte durch das heiße Inferno, bis helfende Hände ihn aufhielten und ihm den Deputy abnahmen.

Man legte den Alten auf den Boden. Angus – mit angesengter Kleidung und pechschwarz im Gesicht – schüttelte den Deputy. "Justin! Justin! Hörst du mich?" Er schlug ihn auf die Wangen. "Wach auf! Komm zu dir!"

Justins Augenlider zuckten, als Angus ihm wieder einen Klaps gab. "Verflucht, hör auf, mich zu schlagen, Angus!", schimpfte er.

Dem Marshal fiel ein Stein vom Herzen. "Du gottverdammter..."

"Keine Beleidigungen, wenn ich bitten darf, sonst bin ich die längste Zeit dein Deputy gewesen."

"Bist du okay?"

"Ich fühle mich großartig", behauptete Justin Hollow und bewies es, indem er aufstand und wenn auch ein bisschen wackelig stehen blieb.

Angus Walker atmete erleichtert auf. "Dem Himmel sei's gedankt."

"Hast du dir meinetwegen etwa Sorgen gemacht?", fragte der Alte grinsend.

"Verdammt, ja."

"Das ist zwar sehr nett von dir, wäre aber nicht nötig gewesen", behauptete das schrullige Großmaul. "Ich habe nämlich sieben Leben. Und von diesen sieben habe ich noch nicht mal ein einziges aufgebraucht."

"Ich sollte dich ins Gefängnis sperren", knurrte der Marshal.

"Weshalb?"

"Um dich vor dir selbst zu schützen." Angus zeigte auf die Flammen. "Du wärst vorhin beinahe draufgegangen."

"Ach, Unsinn."

"Wenn ich dich nicht aus dem Feuer geholt hätte..."

"Dafür bin ich dir sehr dankbar, Angus", fiel Justin Hollow dem Marshal ins Wort. "Aber ich hätte das mit Sicherheit auch alleine geschafft. Ich war nämlich schon mal in einer solchen Situation, und da hatte niemand den Mut, mich zu retten. Also habe ich es selbst getan."

Angus schüttelte den Kopf. Du immer mit deinen dämlichen Geschichten, dachte er. "Geh nach Hause, Justin", sagte er.

"Ich gehe erst heim, wenn es hier nicht mehr brennt", entgegnete der magere Deputy und gliederte sich wieder in den Löschprozess ein.

Die Scheune konnte nicht gerettet werden, aber nur sie brannte ab, und damit waren die Bürger von Statton zufrieden. Es hätte auch anders kommen können. Man hörte immer wieder mal von Bränden, die nicht unter Kontrolle gebracht werden konnten und eine ganze Stadt vernichteten.

Hundemüde fiel Angus Walker ins Bett, und er war froh, dass er seinen Deputy nicht verloren hatte.

Tags darauf wurde Lee Granger aus dem Hinterhalt angeschossen. Er kam mit einer harmlosen Fleischwunde am rechten Oberschenkel glimpflich davon, und Terence Springfield schwor hoch und heilig, dass er mit der Sache nichts zu tun hatte. Angus Walker glaubte ihm. Aber wer war's gewesen? Allmählich nistete sich in Statton die Angst ein. Die Menschen fühlten sich auf einmal nicht mehr sicher in ihrer Stadt. Sie begannen sich zu bewaffnen und begegneten jedem Gesicht mit Argwohn, Misstrauen und Feindseligkeit. Plötzlich trugen auch jene Colts, die man vor kurzem noch unbewaffnet gesehen hatte.

Es gärte in der Stadt. Statton war auf dem besten Weg, zum Pulverfass zu werden. Die Bürger waren gereizt und nervös, und es bedurfte bloß einer Kleinigkeit, um sie zum Schießeisen greifen zu lassen.

Seit die Pockerman-Bande in Statton war, lief nichts mehr so wie vorher. Das war natürlich Wasser auf Ernestine Powers' Mühlen. Die sechzigjährige Jungfer, die stets in einem schwarzen Kleid mit Häubchen ausging, führte als Oberhaupt des hiesigen Bibelzirkels einen unversöhnlichen Kampf gegen Angus Walker und die Candy Ranch.

Das Freudenhaus war ihr schon ein Dorn im Auge gewesen, als es noch Francine Moon, Angus' Tante, gehört hatte, und sie hoffte nach wie vor, eines Tages die Schließung dieses beschämenden Schandflecks erwirken zu können.

Deshalb erschien die bibelfeste Lady auch wieder mal beim Bürgermeister und veranlasste ihn wortgewaltig, sie zu begleiten, und so wurden die beiden – ein ungleicheres Paar konnte man sich nicht vorstellen – bei Angus Walker vorstellig, um ein ernstes Wort mit ihm zu reden.

Das sah dann so aus, dass nur Ernestine Powers redete und der feiste, schnauzbärtige Franklin J. Stackleton, der mit seinen einssechzig Metern Körpergröße stets mit einer Melone auf dem Kopf herumlief, um ein wenig größer auszusehen, nichts oder nur kaum etwas zu sagen hatte.

"Mr. Walker... Marshal Walker...!", tönte die alte Jungfer. "Wie lange soll das noch so weiter gehen?"

Angus lächelte entwaffnend. "Ich weiß nicht, was Sie meinen, Ma'am."

"Sie sind Marshal und Bordellbesitzer in einer Person."

Damit erzählte Ernestine Powers niemandem etwas Neues. Am allerwenigsten Angus. "Ich führe weiter, was meine Tante mühsam und entbehrungsreich aufgebaut und mir vererbt hat, ohne die Aufgaben, die mir als Town Marshal zufallen, zu vernachlässigen", erwiderte er, und das konnten weder das Oberhaupt des Bibelzirkels noch der Bürgermeister entkräften.

Ernestine Powers fuhr fort: "Abgesehen davon, dass es moralisch nicht vertretbar ist, dass Sie Marshal und Puffbesitzer sind..."

Angus unterbrach sie grinsend. "Mich stört das nicht."

"Aber mich!", erwiderte sie scharf. "Und Bürgermeister Stackleton. Und viele Bürger in unserer Stadt..."

"Dann erklären Sie mir doch bitte, wieso mich diese Bürger immer wieder zum Marshal wählen."

"Weil – weil sie hoffen, dass Ihre Colts so manchen Banditen von Statton fernhalten. Es ist weithin bekannt, dass Sie mit Ihren Waffen sehr gut umgehen können. Das schreckt ab. Es sei dahingestellt, ob es richtig ist, Frieden durch Angst zu erreichen..."

"Jedenfalls profitieren Sie und der Rest von Statton von diesem Frieden, den es vor meiner Zeit hier kaum gab", erklärte Angus kühl.

"Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen!", zitierte die schwarz gekleidete Frau theatralisch. "Aber deswegen sind der Bürgermeister und ich heute nicht hier."

"Sondern weshalb?", wollte Angus Walker wissen.

"Wir möchten Sie bitten, die Candy Ranch endlich zu schließen", sagte Ernestine Powers laut.

Angus hob lächelnd die Schultern. "Das kann ich nicht."

"Wieso nicht?", fragte die alte Jungfer irritiert.

"Dann wären alle Mädchen ohne Arbeit."

"Es sind Dirnen." Die Worte kamen voller Verachtung aus dem Mund der schwarz gekleideten Frau.

"Willard Bloomingdale ist keine Dirne", entgegnete Angus. "Auch er hätte keinen Job mehr."

"Dieses Haus ist ein Sündenpfuhl!", rief Ernestine Powers anklagend. "Ein übel beleumundeter Ort der Lasterhaftigkeit! Der schlimmste Schandfleck in ganz Statton County!"

Angus grinste. "Das sehen nur Sie so."

"Und unser Bürgermeister. Und alle Schwestern und Brüder unseres Bibelzirkels."

"Von denen ich die meisten schon mal auf der Candy Ranch gesehen habe", konterte Angus. "Wie können Sie sich das erklären, Ma'am?"

Ernestine Powers hatte nicht die Absicht, eine Erklärung dafür zu suchen. Sie wusste, was Männer in solche Häuser trieb. Das Fleisch ist schwach. Auch jenes eines Mitglieds des Bibelzirkels. "Dieses Freudenhaus lockt verkommenes Gelichter an!", wetterte sie.

Angus griente. "Oh, ich würde an Ihrer Stelle die männlichen Mitglieder Ihres hoch geschätzten, ehrwürdigen Bibelzirkels nicht als Gelichter bezeichnen, Ma'am. Es sind achtbare Bürger, die bloß hin und wieder ein bisschen Spaß am Leben haben möchten."

"Ihre Revolver können nicht alle Banditen von Statton fernhalten, Marshal", setzte Ernestine Powers ihren verbalen Kreuzzug gegen das Freudenhaus fort. "Einige lassen sich von Ihrem Mut und Ihrer Tapferkeit nicht beeindrucken und kommen dennoch hierher. Die Pockerman-Bande zum Beispiel."

"Die ist bestimmt nicht wegen der Candy Ranch in Statton."

"War etwa noch keiner von denen in Ihrem Puff?"

"Doch." Angus erinnerte sich daran, wie Rebecca von Hal Higgins zugerichtet worden war, und sein Magen krampfte sich zusammen.

"Na also", sagte Ernestine Powers triumphierend. "Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: Ihr Freudenhaus hat die Pockerman-Bande angelockt, und seit diese Verbrecher in Statton sind, geht in der Stadt die Angst um. Das haben Sie zu verantworten. Ein Pferd wurde vergiftet. Ein Stall ist abgebrannt. Ein Mann wurde angeschossen. Und all das, seit Ken Pockerman mit seinen verkommenen Freunden bei uns eingefallen ist. Ich weiß nicht, was für einen Reim Sie sich darauf machen, Marshal. Für mich steht fest, dass diese Verbrecher dahinterstecken. Und ich fordere hiermit Kraft meines Amtes als Oberhaupt des hiesigen Bibelzirkels und mit Bürgermeister Franklin J. Stackleton als Zeugen mit aller Deutlichkeit die Schließung der Candy Ranch."

Angus Walker nickte ungerührt. "Ist gut, Ma'am. Ich nehme es zur Kenntnis."

"Und was werden Sie tun?", wollte Ernestine Powers wissen.

"Nichts", antwortete Angus grinsend.


Western Exklusiv Spezial Großband 1/2021

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