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ОглавлениеBad Homburg, am selben Tag
Wenn es etwas gab, auf das einen das Leben als Fußball-Hooligan vorbereitete, dann waren es Situationen wie diejenige, in der sich Big Tam und seine verbliebenen Mannen nun fanden. Aus banalem Anlaß entstandene Kämpfe auf Leben und Tod mit irgendwelchen Unbekannten auf Autobahnraststätten gehörten zu den wenigen vertrauten, haltgebenden Fixpunkten in der ansonsten ungewissen Welt der Auswärtsspiele. Alle Reifen des eigenen Mietwagens aufgeschlitzt vorzufinden, auch das gehörte dazu wie der Hopfen ins Bier.
Sicher, das gegnerische Team, die Opposition, war heute außergewöhnlich stark gewesen. Natürlich kam es auch nicht jeden Tag vor, daß einer von ihnen bei einem Kampf draufging. Doch es kam vor, immer häufiger sogar, seit in ihrem Teil Londons selbst halbwüchsige Schulmädchen Messer als Must-have-Accessoires betrachteten. Der Tod von Mick dem Griechen war daher eine Tragödie, eine Tragödie mit einem griechisch-zypriotischen Elternteil sogar, aber kein Drama. Wenn sie in Thailand auf ihren erfolgreichen Raubzug anstießen, würde stets ein volles Glas für Mick den Griechen mit auf dem Tresen stehen. Bis dahin aber galt das Motto: The show must go on.
Big Tam blickte von den aufgeschlitzten Reifen ihres Mercedes zu dem Ford Focus des Mossad-Teams, der mit laufendem Motor und halboffener Fahrertür auf dem Parkplatz stand. Wortlos öffnete er den Kofferraum des Mercedes und bedeutete seinen Leuten mit einem Kopfrucken, ihre Sachen in den Ford zu schaffen. Reden konnte er im Moment nicht so gut, da dieser bärtige Ziegenficker neben der Nase auch seine Oberlippe angeknabbert hatte, aber die Jungs wußten auch so, was zu tun war.
JoJo und Fila-Frank trugen das Gepäck hinüber, stellten die zwei im Kofferraum des Ford befindlichen Koffer einfach auf dem Parkplatz ab und beluden den Wagen mit ihren eigenen Sachen. Fila-Frank als Kleinster setzte sich freiwillig auf die Rückbank, die beiden Sporttaschen mit der Ausrüstung des Teams neben sich. Big Tam setzte sich in den Beifahrersitz, den er ganz nach hinten schieben mußte, um Platz für seine Beine zu schaffen. JoJo, der als einziger bei dem Kampf überhaupt nichts abbekommen hatte, übernahm das Steuer.
„He, Frank, mach schon mal die Wummen klar!“, sagte JoJo, während er anfuhr.
„Warum gerade ich? Ich verstehe nix von Waffen.“
„Du hast doch Glaser gelernt, da wirst du doch wohl noch mit einer pisseligen Kalaschnikow fertigwerden können, oder? Los, mach hinne!“
„Sir, jawohl, Sir, wird sofort erledigt, Sir. Sir, bitteschön, bitte gleich, Sir!“, entgegnete Fila-Frank sarkastisch. „Seit wann hat JoJo hier eigentlich irgendwas zu sagen?“, dachte er derweil bei sich. Der Kaffer sollte sich besser nicht allzu viele Freiheiten herausnehmen und mal ein bißchen auf seinen verfickten Ton achten, ansonsten würde er früher oder später in Big Tams Faust laufen. Das würde übel für ihn ausgehen. Big Tam, unbestrittener General aller Bushwhackers und Eigentümer einer Gerüstbau-Firma, hatte sein ganzes Leben lang auf dem Bau gearbeitet. Seine Muskeln waren echt, Produkte harter körperlicher Arbeit, und seine Schlagkraft legendär. JoJo hingegen hatte Sozialarbeit studiert und verdiente sich seitdem eine goldene Nase mit seinem eigenen, staatlich geförderten Zentrum für Gewaltprävention, dessen Tätigkeit im wesentlichen darin bestand, daß er halbwüchsigen Ghetto-Niggern Kung Fu beibrachte und sie als Drogenkuriere einsetzte.
Widerwillig machte sich Fila-Frank an die Arbeit. Vor dem Abzugsbügel war ein kleiner Hebel. Aha, den mußte man drücken, um das Magazin in die Öffnung stecken zu können. Aber wie lud man die Scheißknarre durch? Der verfickte Spannbolzen ließ sich einfach nicht nach hinten ziehen. Ach so, jetzt hatte er es, zuerst mußte man den großen Hebel da rechts nach unten drücken, dann ging es. Ka-tschack, nun war die Knarre durchgeladen. War das Ding da rechts der Sicherungshebel? Ja, das mußte er wohl sein. Das Scheißding war ein bißchen groß und nicht mit Hand zu erreichen, während man den Finger am Abzug hatte, eine stockschwule Konstruktion, aber wahrscheinlich mußte der so groß sein, damit die Iwans in Sibirien beim Schießen die Handschuhe anbehalten konnten. Der Sicherungshebel hatte drei Raststellungen: waagerecht war wohl die Sicherungsstellung, der erste Klick nach unten müßte demnach Einzelfeuer sein, der zweite Dauerfeuer, Ratatata. So, den Sicherungshebel wieder nach oben, nun war die Knarre durchgeladen und gesichert.
Fila-Frank lud auch noch die zweite Kalaschnikow durch und sicherte sie, schob sie dann diskret zwischen den Fahrersitzen hindurch nach vorn und erklärte Big Tam und JoJo, wie sie mit der Kalaschnikow umzugehen hatten: Einfach den Sicherungshebel einen Klick nach unten drücken, dann den Finger an den Abzug und tun, was getan werden mußte.
Urs freute sich geradezu auf seinen Termin in Bad Homburg. Die meisten Offshore-Kunden der UCS, bei denen er Simple Money abholte oder überbrachte, behandelten ihn wie einen lästigen Bittsteller, der obendrein gerade ziemlich ungelegen kam. Häufig ließen sie Urs warten, obwohl die Kundentermine natürlich im voraus vereinbart worden waren und er stets auf die Minute pünktlich kam. Meist wechselten sie bei den Übergaben kaum ein Wort mit ihm.
Urs konnte die Gründe dafür nachvollziehen: Vielen Kunden war es peinlich, durch seinen Besuch daran erinnert zu werden, daß sie ihre steuerlichen Angelegenheiten, nun ja, etwas kreativ ausgestalteten. Einige wenige schienen die Treffen mit UCS-Kurieren wie ihm zwar als einen pikanten Schuß Agentenromantik in ihrem Leben auszukosten, aber die Mehrzahl der Kunden empfand das ganze konspirative Brimborium um ihr Simple Money – immer nur von Telefonzellen aus bei ihrer Schweizer Bank anzurufen, sich dabei nur mit ihrer Kontonummer und einem Codewort zu identifizieren, etc. – als unter ihrer Würde. Sie stießen sich daran, sich wie die Straftäter verhalten zu müssen, die sie nun einmal waren, zumindest nach deutschem Recht.
Überdies saß fast allen chronisch die Angst im Nacken, nicht nur vor der Steuerfahndung. Die von den UCS-Kurieren betreuten Kunden gehörten ausnahmslos zu den reicheren Reichen. Mit der richtigen Beratung war dieser Personenkreis ohnehin kaum steuerpflichtig. Simple Money um der bloßen Steuerersparnis willen war nur etwas für Habenichtse oder Dumme. Um Steuervermeidung ging es dabei für die wirklich Reichen schon nicht mehr, zumindest nicht vorrangig.
Vielmehr waren zwei Drittel der Kundschaft Männer. Männer trieb oftmals die Furcht vor den finanziellen Ansprüchen ihrer Ehefrauen, sowohl ehemaligen als auch gegenwärtigen, in die diskreten Arme einer Schweizer Bank. Andere, erfolgreiche Bauträger und dergleichen, hatten bereits ein paar gelungene strategische Insolvenzen hinter sich, aber somit leider auch die Anwälte, Inkassobüros und Privatdetektive ihrer Gläubiger. Wieder andere, zum Beispiel der Mannheimer Inhaber zweier Pizzerien, zugleich stolzer Besitzer einer Luxusyacht vor Puerto Banús, deren monatlicher Unterhalt mehr kostete als sein Ferrari, hatten das Problem, daß es ihnen zwar gelungen war, einem Compliance Officer der UCS die legale Herkunft ihrer Vermögenswerte zu dessen Zufriedenheit zu erklären, sie aber wenig zuversichtlich waren, diesen Erfolg gegenüber einem Ermittlungsrichter wiederholen zu können. Kein Wunder also, daß viele Kunden auf aushäusigen Treffpunkten wie Grünanlagen oder Parkhäusern bestanden, und ebenfalls kein Wunder, daß auch Urs vor Terminen mit manchen dieser Kunden ein mulmiges Gefühl hatte.
Die alte Frau Kourmansky in Bad Homburg war da von einem ganz anderen Schlag: Mitte Achtzig, aus uraltem bayerischen Adel, die kinderlose Witwe eines ehemaligen Rüstungsstaatssekretärs. Ihre einzige Sorge im Leben war, ob das Vermögen, das ihr Mann seinerzeit höchst diskret und peu à peu in Genf gebunkert hatte, ausreichen würde, um ihren Aufenthalt in einem luxuriösen Bad Homburger Seniorenheim bis an ihr Lebensende zu finanzieren.
Zugegeben, mit rund fünfundsechzigtausend Euro pro Jahr war das Leben in der „Residenz Schloß Waldeck“ nicht ganz billig. Doch Frau Kourmanskys verblichener Gatte hatte damals insgesamt fast sieben Millionen Mark bei der UCS-Vorläufergesellschaft „Helvetischer Bankverein“ angelegt. Selbst in schlechten Jahren warf ihr Depot rund das Doppelte dessen ab, was sie zum Leben brauchte, wuchs deshalb von Jahr zu Jahr. Frau Kourmansky war geistig noch völlig klar und intelligent genug, um diese einfache Rechnung zu begreifen, aber Tinte auf Papier reichte ihr einfach nicht. Jedes Vierteljahr, wenn es wieder galt, das nächste Quartal in der Seniorenresidenz im voraus zu begleichen – die Betreiber der Residenz hatten schlechte Erfahrungen mit anderen Zahlungsmodi gemacht –, wollte sie darum nicht nur die erforderliche Summe erhalten, sondern aus dem Munde ihres „Herrn von der Bank“ hören, daß noch genügend Geld da war.
Frau Kourmansky behandelte ihn nicht wie einen Laufburschen, sondern in ihren Augen war Urs ihr wahrer Kundenberater. Mit ihrem eigentlichen Kundenberater hatte sie kaum Kontakt; der schickte ihr lediglich immer zu ihren Geburtstagen einen übertrieben großen Blumenstrauß und zu Weihnachten Pralinen, die dazugehörigen Glückwunschkarten geheimniskrämerisch nur mit seinen Initialen signiert, dieser Schnösel. Urs hingegen vertraute sie. Urs war ihre Nabelschnur, er brachte das Geld und die Gewißheit, daß noch genügend Geld übrig war. Obwohl sie noch ganz gut sehen konnte, bestand sie darum jedesmal darauf, daß ihr Urs den vierteljährlichen Depotauszug vorlas und ihr danach versicherte, daß das verbliebene Geld gut und sicher angelegt war und noch ewig reichen würde.
Hernach zelebrierten Urs und die alte Dame stets das gleiche Ritual. Während Urs mit wichtiger Miene den Depotauszug verbrannte, klingelte die alte Dame nach Kuchen und Gebäck und setzte eigenhändig einen famosen Kaffee auf, frisch von Hand gemahlen und aufgebrüht in einer sogenannten Karlsbader Kanne aus edlem Meißener Porzellan.
„Darf ich noch zuschenken, mein lieber Herr Weber?“
„Sehr gerne, verehrte Frau Kourmansky. Danke.“
Ja, die Frau Kourmansky war wirklich eine feine alte Dame.
Derweil Urs bei Kaffee und Kuchen mit seiner Lieblingskundin beisammen saß, fuhren die drei Bushwhackers zunehmend frustriert die kleine Straße am Fuß der Auffahrt zur herrschaftlichen Seniorenresidenz auf und ab. Trotz voll aufgedrehter Klimaanlage war es ihnen heiß unter den Lackiereroveralls und ihren zu Mützen hochgerollten Sturmhauben. Das Pink Champagne und das Adrenalin in ihrem Blut taten ihr übriges.
Wyss war längst überfällig, sein Audi nicht auf dem Besucherparkplatz vor dem Tor zur Auffahrt abgestellt. Diese Auffahrt, das hatten sie sorgfältig überprüft, war der einzige Zugang zum Gelände der Seniorenresidenz; es gab keinen separaten Personaleingang, keine diskrete rückwärtige Zufahrt für Kranken- oder Leichenwagen.
„Schon halb drei. Dave hat gesagt, der Termin ist um halb zwei. Wo bleibt der Kerl?“, maulte JoJo. „Wahrscheinlich war er schon hier und ist längst wieder über alle Berge. Der wird ja wohl kaum eine Stunde zu spät kommen.“
„Nässe dich mal nicht ein!“, knurrte Big Tam undeutlich, eine Hand am Lenkrad des Fords, mit der anderen immer noch ein blutgetränktes Knäuel Papierhandtücher gegen seine Nase und Oberlippe pressend. „Wir sind um allerhöchstens zehn nach halb zwei hier angekommen.“ Da der geborgte Ford Focus kein Navigationsgerät an Bord hatte und das Team weder einen Stadtplan von Bad Homburg besaß noch ein Wort Deutsch sprach, hatte sich die Anfahrt zu der in einem stillen Vorort gelegenen Seniorenresidenz zu einer wahren Odyssee entwickelt. „Entweder der Kurier ist noch da drin, oder er kommt noch. So oder so, wir halten uns an den verdammten Plan. Wir warten, bis er seinen Termin erledigt hat, wir folgen ihm zu seinem Auto und ihr beiden überbringt ihm die Frohe Botschaft mit dem Taser. Dann gebt ihr ihm eine Ladung Pfefferspray in die Fresse oder zieht ihm den Schuhbeutel über den Kopf, damit er nix mehr sieht und ihr die Sturmhauben wieder abnehmen könnt. Ihr könnt hier schließlich nicht mit Sturmhauben durch die Gegend laufen. Damit seht ihr ja aus wie Kriminelle.“
Nachdem das Lachen verklungen war, fuhr Big Tam fort: „Dann packt ihr den Spasti in seinen Wagen und nehmt ihn mit. JoJo, du fährst; Frank, du hältst ihn mit der Kalaschnikow in Schach. Ich folge euch in dem Ford hier. Wir suchen uns in aller Ruhe ein einsames Plätzchen, irgendwo schön abgelegen, wo wir das Geld umladen können. Dann fesseln wir den Kurier, sperren ihn in seinen Kofferraum und hauen ab. Fertig, damit ist der Fisch geputzt. Bevor jemand den Kurier findet und überreißt, was hier abgelaufen ist, sind wir längst in Bangkok.“
Also warteten sie weiter. Zum Zeitvertreib brach JoJo wieder einmal eine Debatte über den künstlerischen Wert von Banksys Oeuvre vom Zaun, ein altes Reizthema, mit dem er Fila-Frank zur Weißglut treiben konnte, wie er wußte.
„Zum tausendsten Mal, JoJo, der Typ ist nichts als ein Schmierfink! Ein genialer Selbstvermarkter von einem Schmierfinken. Der kann ja noch nicht mal richtig sprayen, der braucht ja eine Schablone, um die Wände zu verhunzen. Wetten, daß selbst ich noch besser sprayen kann als der?“
„Weißt du was, Frank? Das glaube ich dir sogar. Aber du tust ihm unrecht, wenn du ihn auf das bloße Sprayen reduzierst. Banksy ist kein klassischer Grafittikünstler, das ist auch nicht sein Anspruch; er ist vielmehr ein begnadeter Satiriker, dessen eigentliche Leinwand, nein: dessen eigentliches Medium, die Medien sind. Er greift relevante soziale Probleme der Gegenwart auf und verdichtet diese visuell auf ihren absoluten Kern, ihre Essenz. Dann nutzt er den geradezu symbiotischen Nexus zwischen den omnipräsenten, nach Inhalten dürstenden Medien und sich selbst, dem geheimnisumhüllten Grafitti-Sprayer, der im Moment der Entdeckung seiner Werke per definitionem nicht zugegen ist, um deren Bedeutung zu erläutern, um kommunikativen Raum …“
Fila-Frank hielt seinen Kopf zwischen den Händen und wimmerte verzweifelt: „Symbiotischer Nexus … Mann, hör auf, bitte! Mir platzt gleich der Schädel hier, soviel Sozialarbeiter-Bullshit in einem einzigen Satz kann doch kein Mensch ertragen.“
„Aber du wirst zugeben müssen, daß Banksys verfremdete Version von Edward Hoppers ‚Nighthawks‘ absolut brillant ist. Dieses Werk bringt gleich mehrere makrosoziale und politische Tendenzen der Gegenwart derart schonungslos und treffsicher auf den Punkt, daß es einem schlicht den Atem verschlägt: das Wegbrechen der traditionellen britischen Arbeiterklasse im postindustriellen Zeitalter, die gewalttätige Reaktanz als eine fast schon hilflos wirkende Antwort auf den Verfall tradierter sozialer Strukturen und Normen, die zunehmende Entfremdung zwischen einem wirtschaftlich dekadenten Großbritannien und seiner kulturell dekadenten ehemaligen Kolonie, den USA …“
„Meinst du das Bild mit dem Hool?“
„Ja.“
„Stimmt, das ist wirklich geil.“
„Sehr geil“, echote Big Tam, „eine schöne, faire Kampfszene. Man ahnt, daß der Hool diese verdammten Yankees gleich alle niederwichsen wird.“
Urs verließ die „Residenz Schloß Waldeck“ erst gegen drei Uhr. Frau Kourmansky war eine Seele von einem Menschen und ihr Kaffee vorzüglich, aber der heutige Termin hatte sich doch etwas hingezogen: Die Flut an schlechten Nachrichten aus der Wirtschaft im allgemeinen und der Bankenbranche im besonderen war nun anscheinend auch in die Altenheime geschwappt. Diesmal hatte es Urs’ ganzer Überredungskunst bedurft, um Frau Kourmansky davon zu überzeugen, daß ihr Geld auch wirklich sicher angelegt war und noch ewig reichen würde.
Doch es war ihm gelungen. Urs verstand zwar nichts von den Finanzmärkten, aber desto mehr von betuchten alten Herrschaften. Auch er teilte deren instinktive Grundüberzeugung, daß eine große Bank, insbesondere eine große Schweizer Bank, zwangsläufig eine gute und sichere Bank sein mußte. Insofern fiel es ihm leicht, Callable Kick-In-Goal Worst-Of-Zertifikate, oder was auch immer die Bank den Kunden im Rahmen einer diskretionären Mandatslösung sonst noch eigenmächtig ins Depot gemischt haben mochte, als der Weisheit letzten Schluß zu verkaufen, so sicher wie Bundesanleihen, aber doppelt so lukrativ, mindestens.
Schon auf halbem Wege die Auffahrt hinunter bemerkte Urs den Ford Focus. Er konnte nicht sagen, was genau ihn an dem Ford störte, aber irgendwie war dieser Anblick nicht ganz stimmig, paßten der Wagen und seine Insassen nicht hundertprozentig ins Bild.
Drei Männer in einem Wagen, das war grundsätzlich ein bißchen ungewöhnlich. Außerdem blickten die Männer stur geradeaus, obwohl Schloß Waldeck doch nun wirklich ein imposanter Anblick war.
Selbst langjährige Anwohner würden im Vorbeifahren zumindest mal einen kurzen Blick auf dieses prächtige Anwesen werfen, oder?
Der Ford Focus rollte langsam davon, westwärts. Urs beschleunigte diskret seinen Schritt, um einen Blick auf das Kennzeichen des Wagens zu werfen, aber es gelang ihm nicht, da der Ford nun ebenfalls beschleunigte. Als Urs das große Tor der Auffahrt erreichte, war er bereits außer Sicht.
Urs ging gleichfalls westwärts die Straße entlang, langsam und nachdenklich, blickte sich dabei um. Die innere Stimme von Urs dem Privatmann erinnerte ihn daran, daß er heute noch nicht zu Mittag gegessen hatte, daß Frau Kourmanskys Kuchen seinen Appetit erst recht angeregt hatte, daß er ziemlich spät dran war, daß er vor seinem nächsten Kundentermin noch ins Hotel einchecken wollte, daß er hier gerade aus einer Mücke einen Elefanten machte.
Die innere Stimme von Urs dem professionellen Nachrichtendienstler hielt dagegen, daß es im Verlauf seiner heutigen Anreise gleich zwei ungewöhnliche Vorfälle gegeben hatte, und – jetzt fiel es ihm wieder ein! – daß ihn vorhin ein sehr ähnlich aussehender Wagen mit halsbrecherischem Tempo auf der Einfahrt zur Autobahnraststätte überholt hatte. Das mußte nichts zu bedeuten haben, könnte es aber. Und wenn es etwas zu bedeuten hatte, was könnte das sein?
Um ihn selbst ginge es dabei nicht, er hatte keine Feinde; wenn überhaupt, dann ginge es nur um das Geld. Gut, dann gab es exakt zwei Möglichkeiten: Entweder hier waren die deutschen Behörden am Werk oder irgendwelche Ganoven. Falls die Behörden einen Tip bekommen hatten, falls die alte Frau Kourmansky sich den Falschen anvertraut haben sollte, dann wäre ohnehin nichts mehr zu machen. Dann hätten die Beamten seinen Audi mit dem Geldkoffer längst abschleppen lassen. Dann würde sich diese Situation womöglich zum nächsten Vaihinger-Skandal auswachsen.
Den ehemaligen Kollegen Vaihinger hatte man vor dreieinhalb Jahren in einer der zahlreichen illegalen Dolero-Wechselstuben Rio de Janeiros mit zwei prall gefüllten Reisekoffern voller Bargeld verhaftet: Kundengelder, deren Gegenwert der Dolero von seinem Auslandskonto aus an UCS überweisen sollte. Brasilien hatte strenge Gesetze zur Kontrolle von Devisenausfuhren, und man konnte den brasilianischen Kunden nun wahrlich nicht zumuten, sich selber um deren Umgehung kümmern zu müssen.
Vaihingers Abtransport in Handschellen wurde live im brasilianischen Fernsehen übertragen. Vaihinger, Tschumpl der er war, beantwortete dabei vor laufender Kamera die Frage einer TV-Journalistin mit einer hingeworfenen Bemerkung, welche die temperamentvolle brasilianische Volksseele regelrecht zum Kochen brachte: „Ach was, in Brasilien muß niemand, der Geld hat, ins Gefängnis.“ Dies war die Sorte Wahrheit, die niemand gerne hören mochte, aber es war die Wahrheit: Zwei Tage später war Vaihinger wieder daheim in Zürich und die Story spurlos aus den brasilianischen Medien verschwunden.
UCS hatte tief in die Tasche greifen müssen, um diese peinliche Angelegenheit aus der Welt zu schaffen, und umgehend Konsequenzen gezogen: Alle Kuriere, bis dato reguläre festangestellte Mitarbeiter, wurden gekündigt und fortan nur noch als freie Mitarbeiter weiterbeschäftigt. Der verbleibende Rumpf der Kurierabteilung wurde umbenannt, bekam einen Anglizismus spendiert: Travel Security Advisory.
Obendrein durften die Kuriere seitdem nur noch unter Decknamen reisen, denn die brasilianischen Behörden hatten sich bei ihrer Durchsuchung der UCS-Geschäftsstelle Rio de Janeiro Zugang zum weltweiten Personalverzeichnis der Bank verschafft. Um die firmeninterne Bezeichnung der Kurierabteilung in Erfahrung zu bringen, hatten sie einfach nur im Personalverzeichnis nach Vaihingers Eintrag suchen müssen. Mit dieser Abteilungskennung als Suchbegriff wiederum hatte die Datenbank bereitwillig eine vollständige Mitarbeiterliste der Kurierabteilung ausgespuckt. Seither standen die Klarnamen der UCS-Kuriere bei Zoll- und Steuerbehörden in der ganzen Welt auf diversen Listen verdächtiger Personen – leider auch der Name Urs Wyss.
Vaihinger selbst war natürlich mit Schimpf und Schande aus dem Unternehmen gejagt worden. Danach hatte er nie wieder Arbeit finden können, noch nicht einmal als Nachtwächter. UCS duldete kein Versagen und hatte innerhalb der Schweiz einen ausgesprochen langen Arm.
„Aber was, wenn das Ganoven waren?“, fuhr die mahnende innere Stimme von Urs dem Profi fort. Das konnte eigentlich nicht sein, woher sollten die denn ahnen, wer er war und was er im Kofferraum hatte? „Aber was, wenn?“, insistierte seine professionelle innere Stimme. Den Audi hatte er gezielt in einer ruhigen Wohnstraße in einem Neubaugebiet abgestellt, einer Spielstraße, in der jeder jeden kannte, in der zu dieser Tageszeit junge Mütter ihre Kinder im Blick behielten und damit zugleich den Audi. Niemand würde dort ungestört den Kofferraum aufbrechen können. Mit anderen Worten, ohne Autoschlüssel keine Beute. Urs nahm den Autoschlüssel in die Hand, um ihn im Notfall rasch irgendwo ins Gebüsch werfen zu können.
Mehr konnte er nicht tun. Die einzige Alternative wäre, sich ein Taxi zu rufen, damit ins Stadtzentrum zu fahren, dort an einem sicheren Ort zu warten, seinen zweiten Kundentermin des Tages sausen zu lassen und erst am Abend zu seinem geparkten Wagen zurückzukehren. Aber eine bloße Intuition, ein ungutes Gefühl ohne konkreten Anlaß, rechtfertigte keinen derart dramatischen Schritt. Mit diesem tröstlichen Gedanken ging er weiter, näherte sich seinem geparkten Wagen auf einer komplizierten spiralförmigen Route. Er sah nichts Verdächtiges, keine Spur mehr von dem Ford Focus.
Endlich, nachdem er die Spielstraße einmal ihrer ganzen Länge nach abgelaufen und seinen Wagen dabei nur kurz im Vorbeigehen aus den Augenwinkeln gecheckt hatte – alles okay –, kehrte er schnellen Schrittes auf einer Parallelstraße zurück, bog dann wieder in die Spielstraße ein und ging beruhigt zu seinem Wagen. Sein Unbehagen war offensichtlich unbegründet gewesen, aber es war nun mal ein Kennzeichen echter Profis, jedes auch noch so unbestimmte Chnüüschlotteri ernst zu nehmen.
Erst beim Einsteigen in den Audi wurde er gewahr, wie kalt es trotz des schönen Sonnenscheins draußen gewesen war, höchstens zwölf, dreizehn Grad, kaum wärmer als in Zürich. Statt des leichten Trenchcoats hätte er doch lieber den warmen blauen Wollmantel mitnehmen sollen. Normalerweise drapierte er sein Sakko beim Fahren immer über die Rückenlehne des Beifahrersitzes, um häßliche Falten zu vermeiden, doch nun beschloß er, das Sakko zunächst ein paar Minuten lang anzubehalten, bis die Klimaanlage auf Touren gekommen war. Er ließ den Motor an und beugte sich nach vorn, um die Klimaanlage ein oder zwei Grad wärmer zu stellen.
Als Urs wieder aufblickte, sah er zwei Gestalten in weißen Overalls und mit schwarzen Sturmhauben über den Köpfen auf sich zu rennen, Kalaschnikows in den Händen. Instinktiv duckte er sich, legte den Rückwärtsgang ein und trat aufs Gas. Nach ein paar Metern Rückwärtsfahrt mit quietschenden Reifen besann er sich jedoch. Nein, er hatte keine Chance, konnte den Kugeln einer Schnellfeuerwaffe nicht davonfahren. Diese Burschen einfach über den Haufen zu fahren, auch das würde nicht funktionieren. Wenn sie nur Messer oder Knüppel gehabt hätten, wäre es sicher den Versuch wert gewesen, aber gegen zwei Sturmgewehre war jegliche Gegenwehr reiner Selbstmord. Les jeux sont faits, rien ne va plus.
Er bremste scharf, legte reflexhaft den Parkgang ein, zog die Handbremse und hob beide Hände über den Kopf. Sein linker Arm und sein Unterkiefer kribbelten dabei ganz merkwürdig, so als würden tausend Ameisen darüber laufen. Unvermittelt spürte er einen ungeheuren Druck auf seiner Brust, als habe jemand einen Faßreif stramm um seinen Brustkorb herum gespannt, und ihm stockte der Atem. Nur Sekundenbruchteile später hörte er das Rattern des Sturmgewehrs und sah das Mündungsfeuer, als eine der beiden Gestalten eine volle Garbe auf ihn abfeuerte. Der Faßreif um seinen Oberkörper zog sich noch enger zu. Mit weit aufgerissenem Mund versuchte Urs verzweifelt, Atemluft hinab in seine Lungen zu ziehen, aber seine Lungen verweigerten ihm die Gefolgschaft, der auf seiner Brust lastende Druck war einfach zu groß.
Während sich das Wageninnere langsam um ihn herum zu drehen begann, sah Urs wie ein unbeteiligter Zuschauer zu, wie sich seine erhobenen Arme allmählich senkten, und er hörte, wie sein Großhirn in hilfloser Wut schrie: „Wer hat das angeordnet? Ich habe nichts dergleichen angeordnet! Die Arme sofort wieder hoch, aber ein bißchen zackig!“ Aber Urs’ Körper gehorchte nicht mehr, gehorchte nichts und niemandem mehr. Selbst seine Augen folgten nur noch ihrem eigenen Willen: Plötzlich verschwand die Straße vor ihm, an ihrer Stelle erschienen farbenprächtige Feuerwerke vor einem karmesinroten Hintergrund. Sehr bald jedoch sah er überhaupt nichts mehr.
Ja, fick die Henne! JoJo starrte ungläubig auf die Kalaschnikow in seinen Händen, die soeben ein mysteriöses Eigenleben entwickelt hatte, von dem seine Ohren immer noch klingelten. Er hatte doch nur einen Warnschuß abgeben wollen, auf die Fahrbahnoberfläche ein paar Meter vor dem Wagen des Kuriers, um den Kerl von weiteren Fluchtversuchen abzuhalten! Stattdessen hatte die verdammte Knarre wie von selbst einen langen, ununterbrochenen Feuerstoß abgegeben, bis das ganze Magazin leergefeuert war, hatte sich dabei wie ein bockendes Pferd in seinen Händen aufgebäumt, so daß der Lauf zuletzt dreißig Grad nach oben zeigte.
Auf dem Weg himmelwärts hatte die Knarre beträchtlichen Schaden angerichtet: Ein am Straßenrand geparkter grüner Renault Espace mit einem großen Aufkleber „Leah & Torben on Board“ am Heck sah aus, als sei der Van amerikanischen Söldnern in einer miesen Ecke Bagdads im Dunklen begegnet. Ein paar Häuser weiter die Straße hinunter regnete es immer noch Solardach-Fragmente.
Wie zur Bekräftigung ließ der Kurier im Audi langsam die Hände sinken, legte sein Kinn auf die Brust, als wolle er ein kurzes Nickerchen halten, kippte weiter nach vorn und blieb schließlich mit der Stirn auf der Hupe seines Wagens liegen.
„Tja, den hast du sauber weggepustet, Django!“, sagte Fila-Frank genüßlich. „Möchtest du hier noch ein bißchen herumhängen und an der Mündung deines verfickten Colts schnuppern, oder könntest du deinen symbiotischen Nexus, deinen schwarzen Arsch, jetzt endlich mal in die Gänge kriegen?“
Ein kleiner Bub, vielleicht drei Jahre alt, der in einem nahen Vorgarten gemeinsam mit seinem Schwesterchen im Sandkasten spielte, nahm jauchzend sein Schäufelchen, legte es wie ein Gewehr an und zielte mit dem Plastik-Schaufelblatt auf JoJo: „Babababa! Bababababa!“
„Wahrscheinlich gehört der Renault Espace seiner Mami!“, dachte Fila-Frank zynisch.
Immer noch völlig verstört rannte JoJo zu dem Audi hin. Wo waren die verfickten Einschußlöcher? Der Audi müßte doch eigentlich völlig durchsiebt sein, bei so einer vollen Salve auf kurze Distanz, aber JoJo sah keinerlei Einschußlöcher. Außerdem, wie konnte es sein, daß es den Kurier erwischt hatte, obwohl kein Loch in der Frontscheibe war?
Daß er den Kurier getroffen hatte, daran konnte es jedoch keinen Zweifel geben. Als JoJo die Fahrertür aufriß, reagierte der Kurier überhaupt nicht; er lag immer noch mit der Stirn auf der Hupe. JoJo packte den Kurier an den Schultern, richtete ihn auf, versuchte ihn wachzurütteln, gab ihm ein paar Ohrfeigen: nichts, keine Reaktion.
JoJo lehnte sich vor, öffnete den Sicherheitsgurt und zerrte den Kurier auf die Straße. Der Körper des Kuriers war so schlaff wie eine Marionette mit gekappten Fäden, totes Gewicht wie ein Sandsack.
JoJo hielt den Kurier unter den Achseln fest, Fila-Frank hob seine Beine an; gemeinsam bugsierten sie den Leblosen in den Fußraum des Fonds. JoJo warf ihm die nutzlose, leergefeuerte Kalaschnikow in den Fonds hinterher, setzte sich in den Fahrersitz und raste mit Vollgas aus dieser verdammten Spießerstraße, deren Bewohner zweifellos längst die Polizei gerufen hatten.
An der Einmündung zur Straße wartete bereits Big Tam in dem Ford Focus. Big Tam mußte die Schüsse gehört haben, wunderte sich bestimmt, was da abgelaufen war, aber jetzt war keine Zeit für Erklärungen.
JoJo nahm die Kurve wie ein Rallye-Champion, mußte dabei eine volle Lenkradumdrehung gegenlenken, riß sich unmittelbar darauf die Sturmhaube vom Kopf und verfolgte im Rückspiegel, wie Big Tam ebenfalls beschleunigte.
Ungefähr eine Minute später bemerkte Fila-Frank, der mit der Kalaschnikow auf dem Schoß im Fonds des Audi kauerte, seine Füße auf dem Oberkörper des Kuriers wie auf einer Fußbank abgestützt, trocken: „JoJo, der Typ ist abgekratzt.“
JoJo wollte es nicht wahrhaben: „Ja, aber … Wie denn? Warum denn? Hast du Blut gesehen? Ich habe kein Blut gesehen. Da müßte doch überall Blut sein, wenn der eine Kugel gefangen hat. So eine Scheiße aber auch! Wo ist er denn getroffen?“
„Der ist überhaupt nicht getroffen, soweit ich das überblicken kann. Sieht eher so aus, als sei er vor lauter Schreck tot umgefallen. Oder er ist an Altersschwäche gestorben, was weiß ich. Jedenfalls ist er tot.“
„Bist du sicher, daß er tot ist? Ganz, ganz sicher?“
Zur Antwort nahm Frank sein Feuerzeug aus der Tasche, zog Urs’ Kopf an den Haaren hoch und schwenkte die Flamme vor dessen Augen hin und her. „Meine Zeit als Consultant Spezialarzt in der Harley Street ist zwar schon eine Weile her, aber, ja, ich bin mir tatsächlich sicher, daß jemand ohne Puls und ohne verfickten Pupillenreflex die Schwarze Essensmarke gezogen hat. Außerdem, riechst du das nicht?“ Er fächelte mit der flachen Hand Luft in JoJos Richtung. „Der hat sich eingeschissen. Ist mir vorhin schon direkt aufgefallen.“ Er fügte bösartig hinzu: „Bei deinen Körperpflegegewohnheiten kriegst du so was natürlich nicht mit.“
„Na ja, wenn ich ihn nicht getroffen habe, dann habe ich ihn auch nicht auf dem Gewissen“, sagte JoJo erleichtert.
„Auf dem Gewissen? Seit wann interessierst du dich denn für so was? Warst du wieder an den Frauenzeitschriften, entdeckst du gerade deine weibliche Seite, oder was?“
„Nee, Frank, ich meine nur, rein juristisch gesehen, falls das hier irgendwie schiefgehen sollte. Wenn ich ihn nicht getroffen habe, kann es auch kein Raubmord gewesen sein. Ist doch logisch, oder?“
Fila-Frank schüttelte den Kopf, amüsiert ob soviel Naivität, und lachte: „Guck mal in den verfickten Spiegel, JoJo, und sag mir, was du siehst. Ich helfe dir: einen Nigger. Und weißt du, was der weiße Richter sieht, wenn du vor ihm stehst? Lebenslänglich, mit besonderer Schwere der Schuld. Mann, du bist schwarz, darum war es Mord, heimtückischer Mord! Als ob ich das ausgerechnet dir noch groß erklären müßte! Also, sorge du lieber mal dafür, daß hier nichts schiefgeht.“
Insgeheim hoffte Fila-Frank, daß er irgendwo ganz, ganz weit weg sein würde, wenn bei JoJo endlich der Groschen fiel, daß er, Frank, sich vorhin geirrt hatte: Die verdammte Kalaschnikow schaltete direkt mit dem ersten Klick des Sicherungshebels auf Dauerfeuer.
Nach rund zwanzig Minuten zielloser Fahrt durch die Wälder des Hochtaunus erspähte JoJo schließlich an der Einmündung eines Forstwegs ein Schild, das auf einen Parkplatz für Wanderer hinwies. JoJo blinkte, bog ab und tastete sich langsam in den Forstweg hinein. Der Parkplatz war leer und ideal für ihre Zwecke.
Er fuhr auf den Parkplatz und stellte den Audi fein säuberlich in einer der Parkbuchten ab, die es diese arschgefickten anal-retentiven Krauts selbst in dieser Einöde zu markieren für erforderlich gehalten hatten.
Dann ging alles ziemlich schnell. Nach dem Austausch einiger gutgelaunter Frotzeleien mit Big Tam – „Hey, ihr Jungs solltet nur den Kurier überfallen, nicht dem ganzen verdammten Volk der Krauts den Krieg erklären!“ – „Was ist denn das auch für eine verfickte Scheißbank, die Halbtote für sich arbeiten läßt?“ – zogen sie sich sicherheitshalber wieder die Sturmhauben über und öffneten den Kofferraum des Audis. Darin lagen zwei absolut gleich aussehende, große schwarze Samsonite-Hartschalenkoffer mit Zahlenschlössern. Beide Koffer waren verschlossen, doch Werkzeug hatten die Bushwhackers nicht dabei. Wer würde denn auch an so was denken? Verfickte Scheiße!
Fila-Frank war schon drauf und dran, die Schlösser der Koffer mit der Kalaschnikow aufzuschießen – schließlich funktionierte diese Technik in Hollywood-Filmen immer ganz hervorragend –, als JoJo endlich das Bordwerkzeug des Audis fand und den ersten Koffer mühelos mit dem Schraubendreher aufhebelte.
Bingo! In dem Koffer befanden sich ein kleines schwarzes Kästchen, das zusammen mit einem Akku-Pack an den Kofferdeckel geklebt war, offenbar der GPS-Peilsender, vor dem sie Dave gewarnt hatte. Ferner eine Geldzählmaschine, zwei Formularblöcke mit dem UCS-Logo – und eine Unmenge Geldbündel, säuberlich nach Nennwerten geordnet und jeweils mit klarer Stretchfolie zu großen Quadern geformt. Tatsächlich, das waren gut und gerne drei Millionen Euro. Meine Fresse, was für ein erhabener Anblick!
JoJo hatte ihnen zuvor von „Security Packs“ erzählt, als Geldbündeln getarnten Farbbomben, die bei Auslösung die gesamte Beute und den Täter mit einer kaum abwaschbaren Farbe grellrot einfärbten. Darum behielten sie die Handschuhe, die Overalls und die Sturmhauben an, öffneten jedes der Geldbündel einzeln, in einigem Abstand von dem Koffer, und warfen dann erst die Scheine lose in ihre mitgebrachten Sporttaschen. In dem Koffer befand sich jedoch kein Security Pack.
Nachdem der erste Koffer geleert war, knackte JoJo auch den zweiten: nichts, nur Klamotten, Waschzeug, ein zerlesenes Buch mit dem Titel „KulturSchock Thailand“ sowie eine Plastiktüte mit einer Festplatte darin. Nur Müll also. JoJo legte die beiden Koffer zurück in den Kofferraum. Dann wuchteten Big Tam und er gemeinsam die Leiche des Kuriers in den Kofferraum. Big Tam drückte einmal kräftig, schon ließ sich die Kofferraumklappe schließen. Erledigt.
„Was nun, JoJo?“, fragte Big Tam. „Du bist der Experte. Sollen wir die Karre abfackeln?“
„Nee, dann ist in spätestens einer halben Stunde die Feuerwehr hier und unser ganzer Vorsprung flöten. Nach dem kleinen Wildwest-Intermezzo von vorhin wird garantiert längst nach dem Audi gefahndet, aber solange die Bullen nach einem Audi suchen, sind wir in dem Ford relativ sicher. Wir sollten aber mal mit dem Feuerlöscher durch den Innenraum gehen, um DNA-Spuren zu vernichten. Den Kofferraum auch, nicht zu vergessen. Und dann nix wie weg hier.“
Fila-Frank übernahm freiwillig diese Aufgabe, während Big Tam und JoJo bereits ihre „Arbeitskleidung“ auszogen und in einen Müllsack stopften.
„Tja, Big Tam“, sagte JoJo lächelnd, „wir haben es fast geschafft. Jetzt müssen wir nur noch die Klamotten loswerden. Die verbrennen wir wirklich am besten, aber auf einem anderen Parkplatz. Dann stellen wir den Ford irgendwo in Frankfurt ab, nehmen uns ein Taxi zum Bahnhof, tun die Waffen zurück ins Schließfach und machen uns noch eine schöne Nacht in Frankfurt. Wenn wir morgen früh den ersten Eurostar nehmen, sind wir gegen Mittag zurück in London.“
„Das mit der schönen Nacht in Frankfurt könnte dir so passen!“, nuschelte Big Tam unwirsch, „Als frischgebackene Self-made-Millionäre in der Taunusstraße mal so richtig auf den Putz hauen, was? Blonde Heidis pimpern, das hättest du wohl gern. Vergiß es, kommt nicht in Frage. Ich muß mir dringend einen verfickten Doc suchen, der meine Nase wieder in Ordnung bringt und mir eine Tollwutspritze oder so was gibt, und ihr beiden werdet mich dabei hübsch brav begleiten.“
„Oui, mon général!”, stimmte Fila-Frank zu, der gerade wieder zu den beiden stieß. „Aber was ist mit dem Zaster? Müssen wir diesem Walla-walla-Mann in Southall nicht Bescheid sagen, daß wir morgen vorbeikommen?“
„Quatsch!“, knurrte Big Tam. „So ein Hawallada hat immer auf. Du kennst doch die verdammten Inder. Außerdem“, fügte er mit einem Kopfrucken in Richtung des geparkten Audis hinzu, „nimm dir mal ein Beispiel an unserem toten Freund da. Es ist immer gefährlich, jemandem zu erzählen, wann genau du wo genau mit einem Riesenbatzen Cash auftauchen wirst. Brandgefährlich! Heutzutage treibt sich so viel Gesindel auf den Straßen herum, es ist unfaßbar. Bärtige Kaftanträger, fromme Kopfabschneider, Selbstmordattentäter, Haßprediger, vermummte fette Weiber mit fünfzehn Kindern, Investmentbanker, Politiker, Crack-Nigger, Gangbanger, lesbische linke Journalistinnen, irische Katholiken und andere Kinderficker, Fernsehköche, Messerstecher und, und, und. Aufknüpfen, sage ich immer, einfach aufknüpfen sollte man das ganze Geschmeiß. Man ist ja heutzutage seines Lebens nicht mehr sicher … Fragt die Mumie im Kofferraum!“
Lachend stiegen sie in den Wagen und fuhren zurück in Richtung Frankfurt.