Читать книгу Nacht. - Peter Fechter - Страница 8
Adrenalin
ОглавлениеLaufen, schweben, leicht wie eine Feder sein. Die Spuren des Regens auf der Haut, die eigenen auf dem Asphalt. Dunst steigt langsam auf. Die Stadt: Sie atmet, wäscht sich rein.
Langsam und beständig fließt er dahin, schwillt plötzlich an. Wie eine zähe Masse bewegt er sich gestaltlos fort, der stete Menschenstrom. Die Metropole ist da, sie wartet, ist bereit. Auseinandergezogen, eine schwarze Kruste im hellen Schimmer des anbrechenden Großstadttages.
Und mit einem Mal ist es eine andere Welt. Eine Welt, von der man sich getrennt hat. Da, wo man sich jetzt befindet, existiert die Zeit nicht, gibt es keine Geschichte mehr. Nur die eigenen Beine, die den Körper vorwärtstreiben und schwer an den Gedanken zu tragen haben. Der Blick bleibt an großen Häuserfronten hängen, dann fällt er auf dutzende Gesichter, die immer mehr verschwimmen, je schneller man wird.
Und dann, als der Puls die optimale Frequenz erreicht, fühlt man sich wie ein Surfer kurz vor dem „Take-off“: Blitzschnell einatmen, die Luft anhalten. Seine ganze Körperspannung auf eine einzige, entscheidende Aktion ausrichten, um auch schon auf das Brett zu springen, sich aufzurichten. Den linken Fuß vorne platzieren, die Knie beugen. Regular, alles easy, tausendfach einstudiert. Wenn man jetzt noch die Arme ausbreiten kann, um sich zu stabilisieren, ist es geschafft, man ist drin: In einer Phase, in der sich die ganze Welt zu überstürzen scheint, diese Sekunde ist die schönste.
In dieser einen Sekunde kann man seine zersplitterte Existenz als eins, als Ganzes begreifen, mit dem Leben verschmelzen. Der Herzschlag nimmt einen regelmäßigen Rhythmus an. Man ist sich sicher, in diesem Moment alles spüren zu können, was dieses Herz in der Vergangenheit hat anschwellen, hüpfen, leicht wie eine Feder tanzen oder auch schwer wie ein Stein wiegen lassen, was es betäubt und es zum Schmelzen gebracht hat - wie die Liebe. Alles, was dieses Herz gefiltert, archiviert, aufgezeichnet hat, wie die Blackbox eines fünfundzwanzigjährigen Körpers.
Nur ein durch Ultraschall erzeugtes Bild wäre wohl in der Lage, ein Echo davon wiederzugeben, die Freude, die es weitet, die Energie, diese aufpeitschende Emotion, die man eben verspürt, wenn man dann dort oben steht, auf der Anhöhe über der Stadt.
Hinunterblickt, versucht den Höhenunterschied zu begreifen.
Er weitet den Raum, dehnt die Zeit.
Wird zur Brandung, zur Welle.
Der Raum überwältigt, erdrückt einen ebenso, wie er zu befreien weiß.