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12.

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Stephanie warf ihren Koffer mit Schwung aufs Bett. Das Aufnahmeverfahren der Klinik hatte ihre Geduld bis an die äußerste Grenze strapaziert, und das wollte bei ihr etwas heißen. Was dachten sich diese Ärzte, die Psychologinnen und Diätberaterinnen nur dabei, sie zu behandeln, als sei sie krank? Wussten die denn allesamt nicht, wer sie war und dass man sie aus ganz anderen Gründen hergeschickt hatte?

Nun ja, möglicherweise wussten sie das wirklich nicht, sollten es auch nicht wissen. Trotzdem, die Art und Weise, wie man sie ausgefragt, gewogen und vermessen hatte, vor allem, wie die Resultate anschließend stirnrunzelnd kommentiert worden waren, setzte Stephanie doch mächtig zu. Fast könnte man glauben, ich wäre wirklich krank, dachte sie. Anorektisch. Magersüchtig. Was für ein Gedanke!

Der einzige Spiegel befand sich im Bad. Viel zu klein natürlich. Mit automatisierten Bewegungen streifte Stephanie ihre Kleidung ab, straffte ihren Körper, begann zu posieren, sich nach beiden Seiten zu drehen, ohne ihr Spiegelbild aus den Augen zu lassen. In manchen Augenblicken fand sie sich selbst durchaus vorzeigenswert. Meistens aber erkannte sie die Mängel, die Makel ihres Körpers klar und unbarmherzig. So wie jetzt. Schenkel und Hinterbacken schwabbelten immer noch, und an den Hüften ließen sich nach vorn kleine Röllchen formen. Daran musste sie unbedingt noch arbeiten.

Was hieß da schon Bodymass-Index 14,8! Lächerlich.

Der Gedanke lenkte sie einen Augenblick lang ab. Ihr Blick wurde unstet, löste sich kurz aus dem unbarmherzigen Zugriff des Spiegels. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie plötzlich andere Dinge. Hervortretende Rippen unter- und oberhalb eines stark geschrumpften Busens, kugelige Schultergelenke, die dicker waren als die dazugehörigen Oberarme, schaufelartige Beckenknochen, eine knubbelige Ader, die das Dekolletee verunstaltete. Heißer Schreck durchzuckte sie. Was war denn das? Das war doch nicht sie.

Natürlich war sie das nicht. Ein erneuter kontrollierter Blick in den Spiegel stellte das klar. Diese Ärzte hatten sie dermaßen durcheinandergebracht, dass sie schon das zu sehen begann, was die ihr einzureden versuchten. Darauf wollten die doch nur hinaus. Das durfte nicht noch einmal passieren. Sie musste sich dagegen wappnen.

Stephanie ging zurück ins Zimmer. Ein weißes Nachthemd und ein ebenfalls weißer, flauschig-neuer Bademantel hingen einladend außen an den Schranktüren. Sie wollte schon danach greifen, fühlte sich dann aber doch noch nicht müde genug. Schläfrig schon gar nicht. Schließlich war Sommer, draußen war es noch hell, überall waren Leute, viele davon jung. Warum sollte sie hier in diesem kleinen Klinikzimmer versauern?

Sie erwog, ebenfalls noch auszugehen. Ein Spaziergang würde ihr guttun. Das viel zu reichhaltige Abendessen, das diese Diätassistentin ihr aufgenötigt hatte, lag ihr wie ein Stein im Magen. Diese Frau hatte ihr die Bissen buchstäblich einzeln in den Mund geguckt. Entwürdigend! Lediglich ein Stückchen Käse hatte Stephanie in ihrer Serviette verschwinden lassen können und ein wenig von der Butter gleichmäßig über den Teller verteilt. Ab morgen würde sie bei Tisch etwas findiger sein müssen.

Aus dem Bad piepste es gedämpft. Sie tappte zurück und fummelte das Handy aus ihrer Jeans. Eine SMS. Bestimmt von Lennert! Ihre Laune besserte sich schlagartig. Wenn die SMS wirklich von ihm kam, dann war die Entscheidung getroffen. Auf jeden Fall würde sie noch ausgehen. Mit ihm.

Schnell noch unter die Dusche. Vorher rasch frische Wäsche herauslegen. Nackt wie sie war, beugte sie sich über ihren Koffer, zog den Reißverschluss schwungvoll auf und klappte den Deckel zurück.

Dann erstarrte sie.

Der Koffer war voller silberner Päckchen. Dazwischen Streifen mit Tabletten, Pillen und Kapseln verschiedenster Art. Einige Medikamente in Originalverpackung. Und eine pralle weiße Plastikwurst. Rundherum waren zerknüllte Zeitungen gestopft.

Panisch warf sie den Kofferdeckel wieder zu. Oben drauf klebte der rote Gepäckschein. Nummer 06996 – verdammt, das war doch ihre Nummer! Wer hatte sich denn bloß an ihrem Koffer zu schaffen gemacht?

Noch einmal rannte sie ins Bad, schnappte sich die Jeans, zerrte den Tascheninhalt heraus. Da, ihr Gepäckscheinabschnitt. Nummer 06996, genau identisch. Also warum …

Dann schaute sie genauer hin. Da war auch noch Text auf dem Gepäckschein, der am Kofferdeckel klebte, klein gedruckt, und der stand auf dem Kopf.

Es dauerte noch eine Sekunde, bis sie drauf kam, dass sie den Koffer umdrehen musste.

Jetzt stand der Text richtig herum, und die Nummer lautete 96690.

Wem immer dieser Koffer gehören mochte – ihrer war das nicht.

Sand und Asche

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