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7.

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Als Stahnke zu Kramer hinüberging, stand Dr. Mergner bei ihm, die weißen Haare unternehmungslustig gesträubt, in der Hand einen Stoß zusammengehefteter Kopien. »Fertig!«, verkündete er stolz. »Na, war das schnelle Arbeit?«

Der Hauptkommissar zuckte die Achseln. »Mal gucken. Wenn’s uns schlauer macht, war’s schnell. Wenn nicht, dann hat es noch zu lange gedauert.«

Mergner schickte Stahnke einen vernichtenden Blick, der allerdings durch seine dicken Brillengläser einiges an Sprengkraft verlor. Dann wandte er sich demonstrativ wieder Kramer zu. »Zunächst einmal steht die Todesursache jetzt eindeutig fest«, referierte er. »Die Obduktion hat ergeben, dass der Mann ertrunken ist.«

Stahnke schnaubte. »Kunststück! Wenn man eine Leiche in einer wassergefüllten Kiste findet, dann ist es ja wohl kein Wunder, wenn die Lunge voll Wasser ist.«

»Das habe ich nicht gesagt«, korrigierte Mergner scharf. »Im Gegenteil. Natürlich hatte der Tote keine wassergefüllten Lungen. Vielmehr waren sie voll mit sogenanntem Schaumpilz, also feinen Blasen aus Schleim und Luft, vermischt mit etwas Wasser. Wie es eben typisch ist für einen Ertrunkenen.« Wieder so ein giftiger Blick auf Stahnke: »Das sollten Sie aber wirklich wissen.«

Stahnke spürte aufsteigende Hitze im Nacken. Klar, eigentlich wusste er das auch. Hatte auch schon einschlägige Befunde in der Hand gehalten, in denen von ballonierten Lungen die Rede war, Lungen, die gebläht waren von diesem Schaum und in die man Dellen drücken konnte, weil sie ihre Elastizität verloren hatten. Er mochte gar nicht daran denken, wie es zuging, wenn während des Ertrinkens solcher Schaum entstand.

Nachdem Mergner aber Stahnkes Erinnerung nun einmal auf die Sprünge geholfen hatte, fielen dem gleich noch ein paar Details mehr ein. »Wie sieht es denn mit dem Magen des Toten aus? War da Wasser drin?«

Der Mediziner runzelte die Stirn und blinzelte über seine Brillengläser hinweg. »In der Tat, ja«, antwortete er verblüfft. »Das könnte jedoch …«

»… auch postmortal dorthin gelangt sein«, unterbrach Stahnke. »Ist bekannt. Und was ist mit dem Dünndarm?«

»Ebenfalls Wasser«, erwiderte Mergner und nickte anerkennend. »Womit wir einen eindeutigen Beweis für Tod durch Ertrinken hätten.«

»Wurde das Wasser analysiert?«

»Was denken Sie denn? Natürlich! Es ist mit dem Wasser in der Kiste identisch. Beziehungsweise mit dem Wasser, das diesen Keller halb geflutet hatte. Wobei es sich um hiesiges Leitungswasser ohne signifikante Beimischungen handelt. Als Beweis, dass der Betreffende nicht anderweitig ertränkt wurde, würde ich das aber gelten lassen.«

Stahnke begann breit zu grinsen. »Aber, aber, Herr Doktor! Jetzt fangen Sie ja doch an, unsere Arbeit zu machen. Erst bewerten Sie Indizien und befördern sie zu Beweisen – und dann machen Sie aus Ertrinken plötzlich Ertränken! Kann es sein, dass Sie irgendwo einen Trumpf stecken haben, den Sie eigentlich noch ausspielen wollten?«

Jetzt war es an Mergner, zart zu erröten. »Tja, äh … Sie wissen ja, diese Schwellungen am Hinterkopf des Toten. Ich wollte da ganz sichergehen. Aber es steht zweifelsfrei fest, dass dem Mann diese Verletzung vor seinem Tod zugefügt worden ist. Und dass die Schläge hart genug waren, um ihm das Bewusstsein zu rauben.«

Stahnke wechselte einen stummen Blick mit Kramer. Von gewaltsamer Tötung waren sie ohnehin schon ausgegangen, das ganze Arrangement dort in diesem Kellergewölbe, die gefesselten Hände und Füße ließen gar keine andere Schlussfolgerung zu. Jetzt schied wohl die Möglichkeit eines Unfalls aus, etwa bei einem schiefgegangenen Waterboarding. Wenn dem Ertränken dieses alten Mannes tatsächlich eine peinliche Befragung vorausgegangen war, dann hatten die Täter diese wohl als beendet erachtet. Entweder, weil sie die Hoffnung aufgegeben hatten, an Informationen zu kommen – oder weil sie schon alles erfahren hatten, was sie wissen wollten. Womit ihr Opfer verzichtbar geworden wäre. Fester Schlag auf den Kopf, noch einer zur Sicherheit, Klappe zu. Mit anderen Worten: Mord.

»Wie lange ist die Tat in etwa her?«, erkundigte sich Kramer.

»Zwischen sechsunddreißig und achtundvierzig Stunden vor dem Auffinden«, erwiderte Mergner prompt. »Das Leitungswasser war kalt, die Kellerluft ebenfalls, das hat den Zersetzungsprozess verlangsamt. Haben wir beides in Rechnung gestellt.«

Der Tatzeitpunkt war demnach weder auf einen Wochentag noch auf eine Tageszeit genau zu bestimmen. Vor allem Letzteres fand der Hauptkommissar ärgerlich.

»Was ist mit dieser Silikondichtung?«, fragte er. »Wie alt ist die eigentlich?«

»Nicht sehr alt«, warf Kramer ein. »Sogar fast frisch, Lösungsmittel teilweise noch nicht ausgegast, also nicht ganz durchgehärtet. Die Masse dürfte erst kurz vor dem Tod unseres Unbekannten aufgebracht worden sein.«

Stahnke runzelte die Stirn. »Und zu genau diesem Zweck vermutlich«, ergänzte er. »Warum nur dieser Aufwand?«

Kramer zuckte die Achseln.

»Bleibt die Frage aller Fragen.« Der Hauptkommissar wandte sich wieder Mergner zu. »Nämlich die, mit wem wir es hier zu tun haben.«

Mergner nickte. »Richtig. Weshalb wir der Leiche auch erstklassige Fingerabdrücke abgenommen haben, was ich einmal lobend erwähnen möchte, denn aufgrund der fortgeschrittenen Waschhaut des Toten war das keine kleine Herausforderung.« Beifallheischend huschte sein Blick zwischen Stahnke und Kramer hin und her. Die aber hielten sich mit Anerkennung zurück, ahnend, was folgen würde. Der Mediziner seufzte. »Hat aber leider nichts genützt. Der Tote ist nicht in unserer Kartei. Auch beim Bundeskriminalamt wurde alles abgerufen und verglichen, aber ohne positiven Befund.«

Stahnke rieb sich die Augen; obwohl sie noch am Anfang vermutlich langwieriger Ermittlungen standen, fühlte er sich bereits müde. Der Jüngste war er wahrlich nicht mehr. »Da die Befragung der Nachbarn ebenfalls negativ verlaufen ist, stehen wir in puncto Identifikation also nach wie vor bei null«, knurrte er.

»Und die DNA?«, fragte Kramer

»Diese Hoffnung bleibt uns noch«, entgegnete der Doktor.

Stahnke brauchte eine Sekunde, ehe er begriff. »Wie! Soll das heißen, der genetische Fingerabdruck wurde noch nicht abgeglichen?«

»Na hören Sie mal!« Mergners zerzauste Haare schienen sich im Zorn noch mehr zu sträuben. »Wofür halten Sie mich? Für einen Zauberer?« Irritiert hielt er inne, denn Stahnkes verkniffene Miene gab ihm Rätsel auf. Wie hätte der Gerichtsmediziner auch wissen können, dass sein Gegenüber ihn in Gedanken gerade eben genau mit einem Hexenmeister verglichen hatte und sich das Lachen jetzt nur mit Mühe verbeißen konnte?

»So schnell ist das LKA nun einmal nicht«, assistierte Kramer dem Doktor. »Das wissen wir doch zur Genüge.«

»Nach Hannover haben Sie die Proben zur Analyse geschickt?« Stahnke schüttelte den Kopf. »Das darf doch nicht wahr sein! Gegen das Landeskriminalamt sind Schnecken die reinsten Rennpferde. Die lassen uns doch warten, bis wir schwarz werden.«

»Nicht in Mordsachen«, widersprach Mergner. »Machen Sie mir die Kollegen dort nicht schlechter, als sie sind. Die wissen auch Prioritäten zu setzen.«

»Tja, wenn die Bildzeitung drängelt und ein Skandal droht! Dann vielleicht.« So leicht war der Hauptkommissar nicht zu besänftigen. »Haben Sie die Sendung denn wenigstens entsprechend gekennzeichnet?«

Mergner schluckte und schwieg.

Stahnke stöhnte. »Los, Mann, sorgen Sie mir dafür, dass eine zweite Probe in ein privates Labor gegeben wird, mit Eilvermerk. Wir müssen hier endlich von der Stelle kommen.«

Der Mediziner schnappte nach Luft. »Ohne offizielle Anordnung? Und wer zahlt das? Soll ich die Rechnung gleich an Sie persönlich schicken lassen?«

Stahnke wandte sich Kramer zu. »Ruf Manninga an, sag, dass der Laborbefund eilt und dass wir grünes Licht brauchen. Schönen Gruß. Ach ja, und wenn du ihn schon an der Strippe hast: Er soll doch bitte auch in Hannover Druck machen. Doppelt hält besser. Mal gucken, wer am Ende das Rennen macht.« Er drehte sich zurück, legte Mergner einen Arm um die Schultern, schob ihn wie beiläufig zur Tür: »Schönen Dank so weit, dann sehen wir mal zu, dass es weitergeht, wir beide, nicht wahr?«

Etwas später tauchte Kramer vor Stahnkes Schreibtisch auf. »Läuft alles, so wie gewünscht«, teilte er mit, knapp und effizient wie immer. Dann verharrte er stumm, bis der Hauptkommissar sich bequemte, den Blick zu heben. »Dass die Anzahl deiner Freunde gerade um einen halben geschrumpft ist, weißt du ja wohl, oder?«

»Ein halber Freund? Was kann man damit schon anfangen.« Stahnkes Schmunzeln fiel dünn aus. »Schöntuerei bringt keine Resultate, und Resultate sind das Einzige, was mich interessiert. Das war doch schon immer so.«

Der Oberkommissar nickte. »Stimmt, du hattest hier noch nie viele Freunde.«

Stahnke zuckte die Achseln. »Sollen sie ruhig auf mich schimpfen, solange sie in der Sache funktionieren. Hauptsache … wir haben Erfolg.«

Kramer blickte ernst auf seinen Vorgesetzten herab. Dass der sich erst im letzten Moment besonnen hatte und vom »Ich« zum »Wir« gewechselt war, war ihm nicht entgangen. »Die Zeiten haben sich geändert«, sagte er leise. »Vielleicht sind demnächst auch halbe Freunde verdammt wichtig.«

Stahnke hielt Kramers Blick nicht stand. Er senkte den Kopf, wischte ein paar imaginäre Krümel von seinem Schreibtisch und erwiderte schroff: »Hör auf zu unken. Sag mir lieber, wie wir weiter vorgehen. Geben wir das Foto des Toten nun an die Presse oder nicht?«

Das Bild war ganz manierlich geworden; das markante Antlitz war nicht auf den ersten Blick als das einer Leiche zu erkennen.

»Wenn der Mann hier aus der Gegend stammt, müsste ihn jemand erkennen«, sagte Kramer. »Andererseits hat die Vermisstenstelle keine Anzeige vorliegen, die auf unseren Toten passt. Also könnte er auch ganz woanders herstammen. Dann bringt die regionale Veröffentlichung nichts. Aber der Täter weiß dann, dass wir die Leiche gefunden haben, was von Nachteil sein könnte.«

»Theoretisch ja; praktisch wüsste ich nicht, welcher Nachteil das sein sollte, da wir ja noch nicht einmal einen Anfangsverdacht haben«, erwiderte Stahnke. »Andererseits sollten wir vielleicht doch den DNA-Abgleich abwarten.«

»Den haben wir hoffentlich morgen, so oder so«, sagte Kramer.

»Morgen also. Bis dahin warten wir noch ab.« Immerhin eine Entscheidung, dachte Stahnke. Wenn schon kein Ergebnis.

Zorn und Zärtlichkeit

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