Читать книгу Schlussstein - Peter Gnas - Страница 26
Bremen, Montag 09. Februar 2009, 22.30 Uhr
ОглавлениеIn den Nachrichten wurde berichtet, dass es einen Bekenneranruf gegeben habe. Ein Mann hatte sich geäußert, dass er in die Kindertagesstätte in Bremen zwei Bomben zu Explosion gebracht habe. Er verlange einhundert Millionen Euro. Er würde weitere Anschläge begehen, wenn man seiner Forderung nicht nachkäme. Er habe genaue Angaben gemacht, wo die beiden Sprengkörper deponiert wurden. Anhand der Beschreibung sei klar, dass er die Wahrheit sagte. Die Nachrichtenredaktion hatte die Polizei, die Feuerwehr sowie die Politik um eine Bestätigung gebeten. Der Innensenator Bremens stand in der Eingangshalle des Amtssitzes für ein Interview zur Verfügung.
„Herr Senator Franke, Sie kennen das Telefongespräch, das ein Redakteur unseres Senders mitgeschnitten hat. Können Sie die Aussage, die der Anrufer geäußert hat, bestätigen?“
„Ich möchte zunächst allen Betroffenen und Angehörigen das Mitgefühl des gesamten Senats übermitteln. Wir sind zutiefst bestürzt darüber, dass ausgerechnet die Kleinsten unserer Gesellschaft Opfer eines solch schrecklichen Ereignisses sind. Die meisten von uns haben Kinder und können sich in die Angst und Trauer hineinversetzen.“
Er machte eine Pause: „Nun zu Ihrer Frage. Nein, wir sind nicht in der Lage den Inhalt des Anrufs zu bestätigen oder zu dementieren. Sie werden Verständnis dafür haben, dass die Bergungsarbeiten von weiteren Verschütteten Vorrang haben. Alle Rettungskräfte gehen bis an die Grenze ihrer Kräfte. Jeder Stein wird umgedreht. Um kein Menschenleben unter den Trümmern zu gefährden, können wir nicht mit schwerem Gerät auf das Gelände fahren. Sämtliche größere Trümmerteile werden mit einem Kran, der außerhalb der Anlage steht, weggehoben.“
„Halten Sie es für wahrscheinlich, dass der Anruf authentisch ist.“
„Vieles ist möglich. Um solch eine schreckliche Nachricht zu bestätigen, muss man bei Tageslicht mit der Untersuchung beginnen“, antwortete der Senator.
„Das Gebäude der Kindertagesstätte hatte einen Kern aus Beton. Wenn wir uns die Trümmer ansehen, scheint es einem Experten zufolge sehr unwahrscheinlich zu sein, dass es sich um eine Gasexplosion gehandelt hat. Wir spielen das Interview ein“, sagte der Redakteur.
Das Fernsehbild zeigte einen Mann, der eingeblendete Text stellte ihn als Brandgutachter vor. Der Experte äußerte Zweifel an einer Gasexplosion. Die Kindertagesstätte sei zu einer Zeit gebaut worden, als es längst vorgeschrieben war, dass Gassensoren verbaut werden, die frühzeitig einen Gasalarm ausgelöst hätten. Für eine solche Wucht hätte sich im Heizungsraum zum Beispiel über lange Zeit Gas ansammeln müssen. Der einzig denkbare Fall wäre, wenn der Einbau eines Sensors vergessen wurde oder defekt gewesen sei. Für ihn klinge der Anruf plausibel.
Der Senator hatte das Interview auf einem Monitor verfolgt. Nun sah er wieder den Journalisten an.
„Sie sehen“, sagte er, „auch für einen Experten ergibt sich zu diesem Zeitpunkt noch kein eindeutiges Bild. Bevor wir so einen bizarren Anruf bestätigen, prüfen wir aufs Gründlichste. Die vollständige Bergung möglicher Verletzter geht vor.“
„Können Sie Auskunft darüber geben, wie Sie morgen früh weiter verfahren wollen?“, fragte der Reporter. „Werden die Kindertagesstätten in Bremen morgen geöffnet sein?“
„Wir setzen in der Nacht die Suche nach möglichen Opfern fort“, antwortete der Senator. „Das wird vermutlich bis in die frühen Morgenstunden dauern. Alles wird so weit freigelegt, dass die Experten beim ersten Tageslicht mit ihrer Arbeit beginnen können. Dabei geht es nicht darum, dass die Angaben eines anonymen Anrufers bestätigt werden. Bei jedem Ereignis dieser Art, muss nach den Ursachen gesucht werden.“
„Bleiben die Bremer Kindertagesstätten morgen geschlossen?“
„Dazu wollte ich jetzt kommen. Natürlich können wir nicht auf einen vagen Anruf hin, zehntausenden von arbeitenden Eltern den Kindergarten vor der Nase verschließen. Das gebietet unsere politische Verantwortung.“
„Aber zählt es nicht auch zu Ihrer Verantwortung, einer solchen massiven Bedrohung den Boden zu entziehen und die Tagesstätten zu schließen?“
„Wir haben einen Krisenstab aus Politik, Polizei und Feuerwehr gebildet“, antwortete Senator Franke, „gleich nach diesem Gespräch werde ich mich wieder in diesen Kreis begeben. Wir werden das weitere Vorgehen koordinieren und hoffen, dass wir in den nächsten Stunden zu einem geeigneten Maßnahmenplan kommen.“
„Während unseres Aufbaus vor Ihrem Amtssitz meinten einige Kollegen gesehen zu haben, dass der Bundesinnenminister das Haus betrat. Können Sie das bestätigen?“, fragte der Redakteur.
„Ja, der Bundesinnenminister war auf einer Konferenz in der Nähe, als er von dem schrecklichen Unglück erfuhr. Er wollte es sich nicht nehmen lassen, den Bürgern das tiefe Mitgefühl der Bundesregierung auszudrücken und seine Unterstützung anzubieten.“
„Kann es sein, dass Minister Offenbach auch von dem Anruf erfahren hat und deshalb mit im Krisenstab sitzt?“
„Natürlich ist dem Innenminister dieser ungeheure Vorgang nicht entgangen. Auch er nimmt solche Aussagen sehr ernst, möchte aber zunächst gewährleistet sehen, dass man alles für die Bergung möglicher Verletzter getan hat. Auch der Innenminister ist traurig und fassungslos über so viel Unglück.“
„Wir werden weiter hier warten und auch vor Ort an der Unglücksstelle. Wir hoffen, dass Sie die Zuschauer auf dem Laufenden halten“, sagte der Journalist.
*
In der vergangenen Stunde waren von einem Cateringservice belegte Brötchen und Getränke in den großen Sitzungsraum gebracht worden. Die Teilnehmer des Krisenstabs waren beim Hinausgehen der Politiker zunächst am Tisch sitzen geblieben und hatten gewartet, ob sich die Herren gleich wieder einfinden würden. Als das nicht geschah, standen sie auf, vertraten sich im Raum und auf dem Flur ein die Beine und diskutierten miteinander.
Alle waren sie durch den langen Tag erschöpft. Sie hofften durch Kaffee und frische Luft, etwas Schub zu bekommen. Die Stimmung war gedämpft. Einige fühlten sich durch die Politiker, die den Raum verlassen hatten, nicht ernst genommen. Die älteren unter ihnen wiesen aber darauf hin, dass man froh sein könne, dass Rotberg mit im kleinen Kreis saß. Er würde für die Integration des Teams sorgen.
Gemeinsam hatten sie die Nachrichten verfolgt. Sie erfuhren auf diese Weise, dass man sich entschlossen hatte, der Empfehlung Rotbergs zu folgen, den Hinweis auf eine Bombe nicht zu bestätigen.
Die Spitzenpolitiker kehrten gemeinsam wieder in den Sitzungsraum zurück. Bevor sie ihre Plätze einnahmen, bedienten sie sich an den Schnittchen und den Getränken.
Der Innenminister ergriff das Wort: „Meine Damen und Herren, sie haben wahrscheinlich soeben die Übertragung im Fernsehen verfolgt. Ich hatte vorhin den Vorschlag von Herrn Rotberg gehört und muss sagen, dass er mich als erste Maßnahme überzeugt hat. Ich bin natürlich nicht Innensenator des Landes Bremen, habe mich aber sehr dafür eingesetzt, dass wir im ersten Schritt so vorgehen.“
Der Innenminister sah in die Runde – er hatte einen Riecher für Situationen: „Wahrscheinlich waren Sie nicht erfreut darüber, dass ich die Führungsriege zu einem Gespräch im kleinen Kreis gebeten habe. Sie haben den ganzen Tag mit der schweren Belastung durch das Attentat zu tun gehabt. Ich wollte mich dafür bedanken und ihnen meinen Respekt ausdrücken.“
Offenbach war ein Fuchs – er wusste, wie man Leute für sich einnimmt. Er merkte, dass den Teilnehmern diese Worte gut gefielen.
„Ich brauche, um mir über eine Situation klar zu werden, möglichst wenige Menschen um mich herum. Deshalb habe ich darum gebeten, mit einer Essenz dieser Expertenrunde sprechen zu können. Eine erste Festlegung ist nun getroffen. Der Hinweis auf eine Bombe wurde nicht bestätigt.“ Er blickte in die Runde.
„Als weitere Maßnahme wurde beschlossen, dass alle Kindergärten der Stadt morgen früh geschlossen bleiben. Wir werden die Öffentlichkeit und damit den oder die Täter nicht vorher darüber informieren. Die Polizei wird die Kindertagesstätten sperren, die Kinder werden von Ihren Erziehern in nahegelegene Turnhallen begleitet.“
Wesselmann hob die Hand und redete gleich los: „Verzeihen Sie die Zwischenfrage, Herr Minister, wissen wir denn, ob sich der Täter auf Kindergärten beschränken wird?“
Minister Offenbach machte eine Handbewegung in Richtung des Psychologen Hans-Werner Sikorski.
„Darüber haben wir lange gesprochen“, sagte Sikorski. „Wir wissen es natürlich nicht. Die Tatsache, dass der Täter sich einen Kindergarten als Ziel ausgesucht hat, zeigt, dass es wahrscheinlich seine Absicht war, größtmögliches Entsetzen in auszulösen. Ich bin der Auffassung, dass er mit einen weiteren Anschlag, Ähnliches zu erreichen versucht. Damit will er seinen Forderungen noch mehr Nachdruck verleihen. Natürlich kann so etwas auch in einer Schule stattfinden.“
„Danke, Herr Dr. Sikorski“, sagte der Innenminister, „damit sind wir nun mitten in der Abwägung, die uns beschäftigt hat. Es wird morgen früh eine beträchtliche Zahl von Eltern geben, die Ihre Kinder zu Hause behalten. Die werden sie nicht in den Kindergarten und in die Schule schicken. Es wird aber auch viele geben, die nach unseren Äußerungen im Fernsehen doch an einen Gasunfall glauben und ihren Tagesablauf ganz normal weiterführen wollen. Die Abwägung heißt nun, schließen wir neben den Kindergärten auch die Schulen? Schließen wir alle Einrichtungen im Land Bremen oder im gesamten Bundesgebiet? Wenn ja, wie setzen wir das durch? Die Polizei wird da nicht ausreichen. Aktivieren wir dafür den Bundesgrenzschutz oder auch die Bundeswehr? Ist die Bundeswehr dabei bewaffnet, wie sie es im Inneren ja nicht sein darf? Was ist mit dem öffentlichen Nahverkehr, mit Krankenhäusern?
Es war so still in der Runde, dass man eine Nadel hätte fallen hören.
„Wir können unser Land ja nicht zum Stillstand bringen“, fuhr Offenbach fort. „Aber wer übernimmt die Verantwortung, wenn etwas passiert? Sollen Innensenator, Bürgermeister, Polizeipräsident und ich in diesem Fall zurücktreten? Löst das unser Problem? Wenn man auf die Forderungen eingeht, gibt es dann Ruhe oder fördert man damit weitere Abscheulichkeiten?“
Minister Offenbach nahm einen Schluck Wasser. „Wir haben uns entschlossen, es morgen bei der Schließung der Kindergärten zu belassen. Sie alle arbeiten an exponierter Position und sind es gewohnt, mit schwierigen Situationen umzugehen. Der oder die Täter stehen denen von New York in nichts nach. Diese Menschen sind zu allem fähig und deshalb kann jede Entscheidung, die wir hier fällen falsch sein. Wir haben uns darauf verständigt, dass jeder, der unsere Entscheidung nicht mittragen will, sich aus diesem Kreis zurückziehen kann. Von denjenigen, die hierbleiben, erwarte ich Loyalität und absolute Verschwiegenheit. Die Pflicht zu schweigen besteht natürlich auch für die, die jetzt gehen.
Es entstand eine kleine Pause. Man wartete ab, ob irgendjemand gehen wolle. Schließlich erhob sich der Bürgermeister.
„Meine Damen und Herren“, sagte er, „ich danke Ihnen. Dann lassen Sie uns gleich an die Arbeit gehen, alles zu koordinieren.“
Senator Frankes Sekretärin hatte bereits die Senatorin für Soziales, Kinder und Jugend verständigt, dass sie in den Krisenstab kommen müsse. Sie solle eine vollständige Liste aller Kindertagesstätten erstellen lassen – auch von denen kirchlicher und privater Träger.
Rotberg und der Polizeipräsident fuhren ins Präsidium, um die Runde beim Innensenator nicht unnötig zu vergrößern. Außerdem wollte man den Medien nicht signalisieren, dass es einen konkreten Plan für die nächsten Stunden gab. Rotberg bat Sabrina Hamm, ihn zu begleiten. Wesselmann beauftragte er, im Stab zu bleiben und weitere Maßnahmen telefonisch mit ihm abzustimmen.
Als der Polizeipräsident, Rotberg und Sabrina Hamm das Haus verlassen wollten, bemerkten sie, dass sich der Kreis der Pressevertreter deutlich vergrößert hatte. Man erkannte von Berghausen und stürmte mit Mikrofonen und Kameras auf die drei zu. Dadurch, dass viele Medienvertreter ihre Fragen gleichzeitig stellten, war nichts zu verstehen. Was die Presse aber wissen wollte, war eigentlich klar.
Von Berghausen blieb kurz stehen, Rotberg und Sabrina Hamm warteten hinter ihm stehend.
„Meine Damen und Herren, vielen Dank, dass Sie so geduldig ausharren, um die Öffentlichkeit zu informieren. Sie möchten sicherlich wissen, was jetzt geschehen wird. Wir drei werden ins Polizeipräsidium fahren und uns nach dem Stand der Bergungsarbeiten erkundigen. Die Untersuchungen am Unglücksort müssen koordiniert werden. Ich bitte Sie, Ihre Fragen an den Innensenator zu richten, sobald er Ihnen wieder zur Verfügung steht. Vielen Dank.“
Es gab ein Blitzlichtgewitter. Die Journalisten versuchten weitere Fragen beantwortet zu bekommen, die drei verließen aber zügig das Gebäude und eilten zu Rotbergs Dienstwagen.
Sobald sie im Auto saßen, bat der Polizeipräsident Sabrina Hamm, sich an der Unglücksstelle nach dem Fortschritt der Untersuchungen zu erkundigen. Sie wählte die Mobilnummer von Grabert. Wenn einer an einem Tatort gründlich vorging, war er es – deshalb koordinierte er die Kripo vor Ort.
Grabert meldete sich sofort. Sie hörte zu und machte sich Notizen in ihrem kleinen Heft. Von Zeit zu Zeit bestätigte sie das Gehörte mit einem ‚Hmm’.
„Sie können den zweiten Explosionsort bestätigen. Die Laboruntersuchungen laufen noch. Nach allem, was man über solche Attentate weiß, geht er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Sprengstoff als Ursache aus.“
„Ist der Tatort für die Öffentlichkeit gesperrt?“, wollte Rotberg wissen.
„Ja, es versuchen zwar immer wieder Journalisten durchzukommen, sie konnten aber stets rechtzeitig abgefangen werden. Die Presse kann also, wie wir es angeordnet hatten, nicht mehr sehen, an welchen Stellen wir arbeiten. Damit dürfte auch der Täter im Fernsehen keine Rückschlüsse auf unseren Wissensstand ziehen können.“
„Gut“, sagte von Berghausen, „dann rufen sie bitte die Einsatzleitung der Bereitschaftspolizei zusammen. Wir treffen uns in fünfzehn Minuten im großen Besprechungsraum neben meinem Büro. Und man soll alle Beamten, die erreichbar sind, auf morgen früh vier Uhr zu ihren Revieren beordern. Auch diejenigen, die Urlaub haben oder gerade nicht im Dienst sind.“
Sabrina Hamm rief an und gab alle Anweisungen des Polizeipräsidenten durch. Sie musste zweimal bestätigen, dass es wirklich alle Polizeibeamten sein sollten. Am Ende des Telefonats verdonnerte sie ihren Gesprächspartner zu absoluter Vertraulichkeit und wies ihn nachdrücklich darauf hin, dass auch sämtliche Polizisten Stillschweigen zu bewahren hätten.
„Können wir die Namen und Anschriften aller Kindergartenleitungen rauskriegen?“ wollte Rotberg wissen.
„Soweit ich es verstanden habe, wird Senator Franke das mit der Jugendsenatorin koordinieren“, meinte von Berghausen.
„Ich schicke Wesselmann eine SMS in die Sitzung, dass wir die Daten schnellstmöglich brauchen“, sagte Sabrina Hamm und begann sofort zu tippen.
Der Polizeipräsident unterrichtete die Einsatzleitung über die aktuelle Situation. Alle waren durch die Nachrichten informiert, dass es sich möglicherweise um einen Bombenanschlag gehandelt habe. Glauben wollte es niemand. Es gab immer wieder verrückte Anrufer, die sich zu etwas bekannten, was sie nicht getan hatten. Das Unglück im Erdbeerweg war zu drastisch – das konnte in ihren Augen nur ein Unfall gewesen sein. Die Geheimhaltung innerhalb der Polizei hatte offenbar gut funktioniert.
Die nächsten Schritte wurden besprochen und während der Sitzung delegiert. In Bremen arbeiteten mehr als zweitausend Polizeibeamte – es war eine große Aufgabe, möglichst viele von ihnen um vier Uhr früh in die Reviere zu bekommen. Die Leiter der Dienststellen sowie alle erreichbaren Mitarbeiter der Kriminalpolizei wurden zu diesem Zweck ins Präsidium beordert. Man hatte nur wenig Zeit, diese Aufgabe zu bewältigen.
„Wir müssen neben den Kindergarten-Leitungen auch die Schulleitungen informieren“, meinte Sabrina Hamm. „Es müssen Turnhallen vorbereitet werden, in denen wir die Kinder mit ihren Erzieherinnen unterbringen.“
Im Präsidium befanden sich zur Stunde nicht mehr als zwanzig Personen. Das Wichtigste war zunächst, einen vernünftigen Krisenstab zu organisieren. Der Einsatzleiter der Schutzpolizei verließ mit Sabrina Hamm den Besprechungsraum, um zu telefonieren. Nach einer Dreiviertelstunde befand sich bereits eine beachtliche Mannschaft im Präsidium. Nach einer weiteren Stunde hatte man fast jede Kindertagesstätten-Leitung ausfindig gemacht. Sie wurden gebeten, sich um fünf Uhr am Morgen in der Polizeidienststelle einzufinden, die ihrer Einrichtung am nächsten lag.
Jetzt gab es bereits viele hundert Personen, die informiert waren, dass am Morgen etwas geplant war, das mit dem Unglück im Erdbeerweg in Verbindung stand. Alle diese Menschen ahnten, dass das, was sie im Fernsehen gesehen hatten, der Wahrheit entsprach. Alle waren zu absolutem Stillschweigen verpflichtet worden.
Wenn so viele Leute ein Geheimnis bewahren sollen, geht es meistens schief. Rotberg war gespannt, wann die erste Zeitung oder der erste Sender Wind von der Sache bekam. Dann würde das Chaos über Bremen hereinbrechen. Niemand ließ dann mehr seine Kinder aus dem Haus. Niemand fuhr dann noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Straßen würden unter der Last von tausenden zusätzlichen Autos verstopfen. Arbeitsplätze blieben unbesetzt. Es käme zu hunderten Unfällen. Verletzte könnten aufgrund völlig verstopfter Verkehrswege nicht versorgt werden.
Rotberg mochte nicht daran denken. Im Grunde wäre es preiswerter, dem Täter das Geld zu bezahlen. So durfte er als Polizist natürlich unmöglich denken. Man konnte einen so brutalen Täter nicht davonkommen lassen.
Viele Polizeibeamte machten sich früher als angegeben auf den Weg zu ihren Dienststellen. Oft lag es daran, dass sie nach den Ereignissen im Erdbeerweg und dem dringlichen Anruf in der Nacht kaum mehr in den Schlaf fanden. Die meisten hatten das Gefühl, sie müssten etwas tun, um Schlimmeres zu verhindern.
In den Revieren wurden sie mit den Plänen vertraut gemacht. Man hatte aber die Weisung ausgegeben, dass um diese Uhrzeit noch keine auffällige Polizeipräsenz auf den Straßen wahrnehmbar sein sollte. Man durfte nicht riskieren, dass die Täter Wind von der Sache bekamen.