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„Die können doch nicht einfach streiken“

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Das war, als bei Panasonic in Neumünster gestreikt wurde: So um die 150 Menschen vor dem Werktor, die Lahnstraße an beiden Enden von quer stehenden Polizeiautos gesperrt, ein BMW rauscht dennoch durch, hupend, Menschen springen in letzter Sekunde zur Seite.

Auf den Tag neun Monate danach saß der fixe Fahrer im Neumünsteraner Amtsgericht auf der Anklagebank: 62 Jahre alt, 44 Jahre Führerschein, jahrelang täglich mit dem Lkw auf der Straße gewesen, kein einziger Punkt in Flensburg, makellos leeres Strafregister - und dann dieser 17. Juni 2003.

Der Mann versucht zu erklären: „Psychisch und nervlich“ sei er unter Druck gewesen, seine todkranke Frau (sie ist vor diesem Gerichtstermin verstorben) habe er von einer Ausfahrt im Rollstuhl wieder nach Hause bringen wollen, „schnellstens“, weil sie über Schmerzen geklagt habe.

Und dann verteidigt er sein Verhalten von damals: Die Straße sei gar nicht richtig gesperrt gewesen, sagt er, „ich hab' mich gewundert - die Polizei ist präsent, aber keiner hindert mich, in dieses Chaos hinein zu fahren“. „Chaos“ sagt er, und: Die Leute könnten „doch nicht einfach streiken und da alles lahm legen“. Er selber habe immer gearbeitet, „manchmal auch nachts, Autos repariert, das musste doch laufen“. Heute ist er krank, „in 47 Jahren kaputt gearbeitet“.

Sein Anwalt sieht später „so mehrere unglückliche Sachen“ zusammen gekommen, ein „ungemeiner psychischer Druck, auf beiden Seiten“; „dann denken Sie nicht immer mehr richtig, dann verhalten Sie sich nicht immer richtig“.

Den Betroffenen muss es wie Horror vorgekommen sein: „Das Auto kam frontal auf mich zu“, sagt eine Zeugin; „mein Mann musste mich beiseite ziehen, sonst hätte es mich erwischt“. Eine weitere Zeugin: „Wenn ich mich nicht an den Bühnen-Lkw gequetscht hätte, dann weiß ich nicht....“

Neun Monate lassen dabei nicht vergessen, drücken aber doch auf die Erinnerung: Wie schnell das Tempo des BMW wirklich gewesen sein könnte - da reichte die Palette von 30 über 50 bis zu 70 km/h. Der Angeklagte selber war sich der „25 km/h, es könnten auch 30 gewesen sein“ sicher.

Letztlich war's nicht so wichtig - den „gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr“ gab der Staatsanwalt leicht hin: „Es fand ja kein Straßenverkehr statt.....“ Wegen Nötigung allerdings hielt er 30 Tagessätze zu 50 Euro für angemessen; der Richter schließlich fand ein Maß „an der untersten Grenze“ (30 mal 30 Euro, auch in Raten zu zahlen). So wenig ist das nicht: Von 50 Euro pro Tag müsse er leben, hatte der 62-Jährige erzählt.

Bei Panasonic sind die Arbeitsplätze inzwischen dahingegangen: Die Produktion wurde ausgelagert, nach Tschechien.

(März 2004)

Hinter den Fassaden

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