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Kapitel 1: Ein abenteuerlicher Plan

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Eva Löckchen lebte in Ur im Taliland weit hinter dem blauen Horizont. In Ur regierte ein Bürgermeister, der mit einem goldenen Seil die Sonne und mit einem silbernen Seil den Mond an den Himmel ziehen konnte. Der Bürgermeister trug einen langen weißen Bart und war schon hundert Jahre im Amt. Fast alle Uris waren mit ihm zufrieden, bis auf, ja bis auf die vielen Kinder von Ur. Das kam daher, weil der alte Bürgermeister verordnet hatte, dass es in Ur nur regnen durfte, wenn alle Kinder fest schliefen. Eva Löckchen hatte daher noch nie Regentropfen mit eigenen Augen gesehen. Eva Löckchens Vater und Mutter erzählten, dass Regentropfen wie Silberperlen glitzern. Das wollte Eva Löckchen nun aber selbst sehen. Und so kam es, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als erwachsen zu sein; die Erwachsenen, die durften wach bleiben und sehen, wie nachts der Regen in dicken Tropfen fiel.

In Ur schien das ganze Jahr über die Sonne. Apfelsinen und Bananen wuchsen auf den Bäumen und riefen, wenn sie reif waren: "Pflück mich, pflück mich", bis einer daherkam, der sie abpflückte. Dann gab es in Ur noch Kakao-, Marmeladen-, Pfirsich- und Schokoladenbäume. So wuchsen in Ur die meisten Dinge auf den Bäumen. Da gab es zum Beispiel die Limonadenbäume, an denen man nur einen Zweig anschneiden musste, und schon tropfte die kühlste Limonade heraus. Und schließlich die Bonbonbäume; eingewickelt in durchsichtige Blätter reiften an ihnen Bonbons in den buntesten Farben.

Wünschte man sich in Ur etwas, das gerade nicht auf den Bäumen wuchs, so musste man nur einen kurzen Brief an den alten Bürgermeister schreiben: "Lieber Bürgermeister, ich möchte ...." und so weiter, und so weiter, und so weiter. Bald flatterte dann der Antwortbrief ins Haus. Vom Bürgermeister höchstpersönlich unterschrieben stand in ihm zu lesen:

"Deine Bestellung ist soeben eingetroffen, wenn Du möchtest, kannst Du sie auf dem Bürgermeisteramt abholen."

Die Uris lebten faul in den Tag hinein. Auch Eva Löckchen machte da keine Ausnahme, nur manchmal dachte sie:

"Ach, mir ist so langweilig! In Ur gibt es keine Räuber, keine Riesen, keine wilden Tiere und keine verlassenen Schlösser wie in den fernen Ländern, von denen Vater und Mutter manchmal erzählen."

Erst gestern hatte sie vom Vater so eine unglaubliche Geschichte gehört, die sie unbedingt ihrem Freund Maxe erzählen musste.

"Na so etwas", schnaubte Maxe, "na so etwas", und seine Pferdeohren glühten vor Aufregung.

Evas Freund Maxe war nämlich ein Pferd. Und was für ein Pferd; an seinen krummen Pferdebeinen trug Maxe die rotesten Socken, die man sich denken kann. Für Eva jedenfalls war Maxe das schönste, das edelste, das prächtigste Pferd in ganz Ur.

"In Ur passiert wenig Aufregendes”, meinte auch Maxe und fand deshalb Evas Geschichte so spannend.

"Eva, das müssen wir Pivolino erzählen", sagte Maxe und trabte zu Pivolino, der nach dem Morgenkaffee ein Nickerchen auf einem knorrigen Apfelbaum machte.

Pivolino öffnete verschlafen erst das eine, dann das andere Auge, rückte seine karierte Fliege zurecht, setzte seine Brille auf und gähnte laut. Dann kratzte er sich an der einzigen weißen Feder auf seinem kahlen Kopf und sagte:

"Bei meiner Vogelseele, so wahr ich Pivolino heiße, ehem, bin ich doch vor Langeweile eingeschlummert."

War Pivolino nicht ein seltsamer Vogel? Keiner redete so weise daher wie er:

"Bei meiner Vogelseele, so wahr ich Pivolino heiße..."

"So ein aufgeplusterter Vogel", ärgerte sich Maxe und blähte seine Nüstern. Überhaupt ließen Maxe und Pivolino selten eine Gelegenheit aus, einander in die Haare zu geraten. So konnten sie sich zum Beispiel nicht einigen, ob das Märchenland hinter den Haufen- oder den Schäfchenwolken liegt. Aber ist das wirklich so wichtig?

"Was weißt Du schon von der Welt?" sagte Maxe zu Pivolino und traf damit genau ins Schwarze. Pivolino konnte zwar fliegen, doch eine Flugreise über die Grenze von Ur hinaus hatte er noch nie gemacht. Um es genau zu sagen, er war ein richtiger Langschläfer, saß meistens nur auf seinem Apfelbaum und flog höchstens einmal am Tag eine Runde über Maxes Weide.

War es daher verwunderlich, dass Maxe und Pivolino laut miteinander zankten, nachdem Maxe atemlos Evas Geschichte erzählt hatte.

"Doch", schnaubte Maxe, "die Glasmenschen wohnen nur wenige Tagesflüge von hier im Land Din, und Schatten gibt es dort auch, ja, ganz schwarze, und ein Regenbuch soll es dort geben, und, und, ... ob Du es glaubst oder nicht". Pivolino schüttelte den Kopf, und seine weiße Feder zitterte bedenklich.

"Glaub' ich nicht, so wahr ich Pivolino heiße, ehem!"

"Hat Eva erzählt, und die wird es wohl wissen."

"Glaub' ich nicht, Maxe, nie und nimmer, Du erfindest immer die unglaublichsten Märchen, ehem."

Eva aber lächelte und sagte:

"Ihr Streithähne, nehmt lieber Euren ganzen Mut zusammen; lasst uns doch selbst zu den Glasmenschen reisen!" Pivolino blieb vor Überraschung der Schnabel offen stehen, und Maxe rollte entgeistert die Augen.

"Oh Schreck", sagten sie wie aus einem Munde. Doch dann siegte ihre Abenteuerlust.

Eva erzählte, was sie von den Schatten und den Glasmenschen wusste, und Maxes und Pivolinos Ohren wurden immer größer vor Neugier. Pivolino sagte:

"Ich platze vor Tatendrang, ehem, ehem, ja, das wäre eine tolle Reise", und seine weiße Feder wippte im Wind.

Schließlich schworen sie hoch und heilig, niemandem etwas von ihrem Geheimplan zu erzählen. Pivolino setzte sein Nickerchen fort, und Eva ritt auf Maxes breitem Rücken nach Hause. Dort packte sie Brot, Rosinenkuchen, ein großes Stück Käse und ein paar Flaschen Honigblütenwein in Maxes Satteltaschen und legte ein Briefchen auf den Eichentisch im Wohnzimmer. Darin stand: "Lieber Vater und liebe Mutter, macht Euch bitte keine Sorgen, ich bin ganz bestimmt bald wieder zurück". Dann machte sie sich klammheimlich auf den Weg.

Eva Löckchens wundersame Reise

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