Читать книгу Das große Buch der Berg-Krimis Dezember 2019 - Peter Haberl - Страница 23

4. Kapitel

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„Jetzt fehlen uns noch drei Aussagen“, erklärte Hauptkommissar Degenhart, als sie in Richtung Polizeiinspektion unterwegs waren. „Nämlich die von Trummer, von Erich Scholz und von Franz Ringer. Was Trummer anbelangt, so wird dieser am Montagmorgen bei uns in der Dienststelle auf dem Teppich stehen. Erich Scholz wurde oder wird von den Kollegen in Nürnberg vernommen, das heißt, uns bleibt im Moment nur Franz Ringer. Heute ist Freitag und ich vermute, dass er früher Feierabend hat als an den übrigen Wochentagen.“

„Wir wissen, wo er beschäftigt ist“, gab Karl Kutzer zu verstehen. „Um es herauszufinden, wäre es am einfachsten, bei seinem Arbeitgeber anzurufen.“

„Dein kriminalistischer Spürsinn ist wieder einmal umwerfend“, versetzte Degenhart mit gutmütigem Spott und fischte sein Mobiltelefon aus der Jackentasche. Die Telefonnummer, die er benötigte, hatte er in seinem Notizblock notiert, er tippte sie und stellte die Verbindung her. Gleich darauf meldete sich eine Frauenstimme: „Metallbau Meister, Sie sprechen mit Frau Lubinsky. Was kann ich für Sie tun?“

„Hauptkommissar Degenhart, Kriminalpolizei Weiden. Ich habe lediglich eine Frage an Sie, Frau Lubinsky: Befindet sich Herr Franz Ringer noch in der Arbeit oder hat er bereits den Feierabend angetreten?“

„Die Beschäftigten in der Schlosserei haben vor einer halben Stunde Schluss gemacht“, erwiderte die Frau am anderen Ende der Leitung.

„Vielen Dank.“ Degenhart unterbrach die Verbindung, ließ das Handy wieder in die Jackentasche gleiten und sagte: „Nach menschlichem Ermessen müsste Franz Ringer in der Zwischenzeit zu Hause eingetroffen sein. Fahren wir also noch einmal hin.“

Die Beamten läuteten zehn Minuten später an der Wohnungstür von Franz und Carmen Ringer, doch niemand öffnete. Oberkommissar Kutzer klingelte an der Tür der gegenüberliegenden Wohnung in dieser Etage und gleich darauf zeigte sich eine ältere Frau. „Wir möchten zu Herrn Ringer. Haben Sie eine Ahnung, wo er und seine Frau sein könnten?“

„Sie waren doch vor etwa einer Stunde schon einmal hier und haben sich eine ganze Zeit in der Wohnung aufgehalten“, sagte die Frau, ohne auf die Frage des Oberkommissars einzugehen. Forschend musterte sie sein Gesicht, als versuchte sie in seinen Zügen zu lesen.

„Stimmt. Frau Ringer klagte, dass sie sich nicht wohl fühle, daher vermute ich, dass sie sich niedergelegt hat und schläft. Wir wollen aber nicht zu ihr sondern zu ihrem Mann. In seinem Betrieb haben wir erfahren, dass er vor ungefähr einer Dreiviertelstunde ins Wochenende gegangen ist.“

„Wahrscheinlich kauft er ein“, erzählte die Frau. „Die Carmen hat sich also wieder einmal nicht wohl gefühlt“, kam es dann mit spöttisch angehauchter Stimme über ihre Lippen. „Hat‘s wohl wieder amal zu tief ins Glas g‘schaut.“ Die Frau schaute Kutzer verschwörerisch an, und als sie weitersprach, flüsterte sie fast. Sie sagte: „Ich glaub, die Carmen säuft. Mir ist das in der letzten Zeit schon des Öfteren aufgefallen, dass sie torkelte und wirres Zeug daherredete.“ Ihre Stimme sank noch weiter herab, als sie hinzufügte: „Die haben‘s sogar schon einmal mit dem Sanka abgeholt und nach Wöllershof gebracht, weil‘s b‘soffen randaliert hat.“

„Sie können uns also auch nicht sagen, ob sich jemand in der Wohnung befindet“, meinte Oberkommissar Kutzer und wollte sich abwenden, doch da ergriff die Frau noch einmal das Wort und sagte:

„Der Franz hat damals auf Teufel komm raus mit seiner Schwiegermutter g‘stritten. Die alte Scholz ist nämlich, nachdem der Sanka mit der Carmen weg war, aufgetaucht und hat ihm im Treppenhaus lautstark Vorhaltungen gemacht, weil er den Rettungsdienst angerufen hat. Die beiden haben sich damals ziemlich heftig gestritten und der Franz hat seine Schwiegermutter schließlich aufgefordert, auf der Stelle das Haus zu verlassen.“

Degenhart, der bisher schweigend vor der Tür zur Wohnung des Ehepaares Ringer gestanden hatte, sagte: „Das heißt also, dass das Verhältnis zwischen Franz Ringer und seiner Schwiegermutter nicht ganz ungetrübt war.“

„In den Augen der alten Scholz war der Franz doch nur ein kleiner Pisser, der mit Hängen und Würgen seine Familie ernähren konnte und der es zu nichts gebracht hat. Der Franz hat mir öfter mal sein Leid geklagt. Seine Schwiegermutter soll der Carmen damals abgeraten haben, ihn zu heiraten, weil er nichts sei und weil er es nie zu was bringen würde. Die Scholz hat sich immer für wen Besseres gehalten und einer wie der Franz – der lediglich über einen qualifizierten Schulabschluss verfügt – hatte ihrer Meinung nach in ihrer Familie keinen Platz. Ich weiß nicht mehr, zu wem sie irgendwann mal gesagt hat, dass ihre Carmen etwas Besseres verdient habe als einen Schlosser.“

„Solche Aussagen sind doch sicher auch bis zu Herrn Ringer durchgedrungen“, meinte der Hauptkommissar.

„Na klar. Zu mir hat der Franz einmal gesagt, dass er wohl erst seine Ruhe haben würde, wenn seine Schwiegermutter unter einigen Kubikmetern Erde verschwunden sei. Die Carmen soll nämlich immer mehr auf die Hetztiraden ihrer Mutter abgefahren sein und dem Franz vorgeworfen haben, dass es ihm immer schon am Ehrgeiz gemangelt hat und dass er sich ein Beispiel an anderen Männern nehmen solle, die Karriere gemacht haben und ihrer Frau Dinge bieten, die er ihr niemals würde bieten können mit seinem lächerlichen Gehalt als Schlosser.“

„Daraus ziehe ich zwangsläufig den Schluss, dass Franz Ringer nicht gerade gut auf seine Schwiegermutter zu sprechen war“, erklärte Degenhart.

„Er hat es zwar nie so direkt ausgesprochen, aber ich glaube, er hat sie gehasst wie die Pest. Aber der Franz ist ein ziemlich gutmütiger Kerl und er hat alles geschluckt, nur um des lieben Friedens willen. Als er den Rettungsdienst angerufen hat, weil seine Frau randalierte, war das mehr oder weniger eine Kurzschlussreaktion, wie er mir später gesagt hat, weil er sich nicht mehr anders zu helfen gewusst hat. Dös is a arme Sau, der Franz.“

„Was wir von Ihnen eben gehört haben, ist sehr interessant. Gibt es noch mehr zu berichten, das Verhältnis zwischen Frau Anna Scholz, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn betreffend? Wenn ja, dann sollten wir ...“

Degenhart verstummte, weil auf der Treppe unten Schritte zu hören waren. Gleich darauf erschien ein Mann, der mit einem blauen Overall bekleidet war, auf dessen Kopf eine Baseballmütze saß und den der Hauptkommissar auf Mitte vierzig schätzte. Er trug eine Plastiktüte mit dem Reklameaufdruck eines bekannten Discounters in der linken Hand.

„Da kommt ja der Franz“, stieß die Nachbarin hervor. „Mich brauchen‘s ja dann wohl nimmer.“

„Vielen Dank noch einmal für Ihre wertvollen Hinweise“, bedankte sich Degenhart und blickte dem Mann entgegen, der irgendwie müde die Treppe emporkam. Die Nachbarin verschwand schnell in ihrer Wohnung und drückte die Korridortür ins Schloss. Jetzt hielt Franz Ringer mitten auf der Treppe an, in seine Augen trat ein erwartungsvoll-angespannter Ausdruck. Den Hauptkommissar mutete es fast an wie ein misstrauisches Lauern.

„Grüß Gott, Herr Ringer“, grüßte der Hauptkommissar. „Ich bin Hauptkommissar Degenhart von der Kriminalpolizei Weiden. Mein Kollege Kutzer und ich möchten mit Ihnen sprechen.“

Franz Ringer presste einen Augenblick die Lippen zusammen, sodass sie nur noch einen dünnen, blutleeren Strich in seinem Gesicht darstellten, setzte sich schließlich ruckartig wieder in Bewegung und kam nach oben. „Sie waren doch heute schon bei uns und haben mit meiner Frau gesprochen. Sie hat mich telefonisch informiert. Ich kann Ihnen auch nicht mehr sagen.“

„Wir sind der Meinung, dass es notwendig ist, mit Ihnen zu sprechen“, konterte Degenhart. „Wenn Sie jetzt natürlich keine Zeit haben, werden wir das akzeptieren, ich möchte Sie dann aber bitten, am Montagvormittag um 10:00 Uhr bei uns in der Inspektion zu erscheinen. Wie‘s Ihnen beliebt ...“

Ringer stieß scharf die Luft durch die Nase aus, ihm stand regelrecht auf die Stirn geschrieben, wie wenig erbaut er von diesem Besuch war. Etwas unschlüssig schaute er von Degenhart zu Kutzer und wieder zu Degenhart, dann sagte er: „Als mich meine Frau angerufen hat, äußerte sie, dass sie sich nicht wohl fühle. Ich denke, sie schläft jetzt und ich möchte nicht, dass sie gestört wird. Ich unterstelle, dass Sie dafür Verständnis haben.“

„Wie Sie wollen. Dann eben am Montagvormittag um 10:00 Uhr in der Polizeiinspektion.“

In dem Moment wurde die Korridortür geöffnet und in ihrem Rahmen erschien Carmen Ringer. Ihre Haare waren ziemlich unordentlich, was darauf schließen ließ, dass sie tatsächlich gelegen hatte. „Es geht mir wieder gut. Daher ist es nicht notwendig, dass du am Montag freinimmst, Franz. Da wir nichts zu verbergen haben, solltest du die beiden Herren von der Kriminalpolizei in die Wohnung bitten und ihre Fragen beantworten.“

Ihre Stimme hatte immer noch nicht richtig klar geklungen, sie hatte so manche Endung verschluckt oder bei dem einen oder anderen Wort zu lallen begonnen, zumindest aber schien sie den Schluckauf überwunden zu haben.

Hauptkommissar Degenhart vermutete, dass Carmen Ringer schon länger hinter der Tür gestanden und gelauscht hatte.

Franz Ringer schoss seiner Frau einen wütenden Blick zu, dann knurrte er: „Bitte, nach Ihnen.“

Er betrat hinter den beiden Polizisten die Wohnung und schloss die Tür. Carmen Ringer ging auf etwas unsicheren Beinen voraus ins Esszimmer und setzte sich sofort auf einen der Stühle. „Bitte, nehmen‘s Platz.“

Die Sektflasche und das Glas waren jetzt verschwunden. Scheinbar hatte Carmen Ringer, nachdem die Kommissare gegangen waren, nicht mehr getrunken, denn sie schien nicht mehr ganz so stark beschwipst zu sein.

Franz Ringer brachte die Tüte mit den Einkäufen in die Küche, dann kam auch er ins Esszimmer und setzte sich. „Sie haben mit Frau Neumeyer gesprochen“, brummte er. „Was hat diese neugierige Spinatwachtel denn zu erzählen gewusst?“

„Gibt es einen besonderen Grund für diese Frage?“, erkundigte sich Oberkommissar Kutzer.

„Die Neumeyer ist die größte Ratsch‘n hier im Haus. Die verreckt ja fast vor lauter Neugier, ihr entgeht nichts – aber auch gar nichts. Und sie weiß über jeden hier im Haus was. Die Alte ist mit Vorsicht zu genießen.“

„Wir haben nichts von Bedeutung von Frau Neumeyer erfahren“, erklärte Hauptkommissar Degenhart, beugte sich etwas vor und heftete seinen zwingenden Blick auf Franz Ringer. „Sie waren nicht gerade gut auf Ihre Schwiegermutter zu sprechen, Herr Ringer“, sagte er dann mit besonderer Betonung.

Franz Ringer stieß sich mit dem Daumen seiner rechten Hand gegen die Brust, setzte ein verblüfftes Gesicht auf und stieß hervor: „Ich!? Wie kommen Sie denn darauf? Ich hab gegen meine Schwiegermutter doch nicht das Geringste gehabt – im Gegenteil ...“ Seine Hand sank wieder nach unten.

„Wir wissen, dass es Ihnen Ihre Schwiegermutter angekreidet hat, dass Sie nur –“ der Hauptkommissar hob die Hände in Schulterhöhe und deutete mit Zeige- und Mittelfingern imaginäre Anführungszeichen an, „– einen handwerklichen Beruf ausüben. Deswegen hat sie sogar Ihrer Frau abgeraten, Sie zu ehelichen.“

„Das kann Ihnen doch nur die Neumeyer gesteckt haben!“, erregte sich Carmen Ringer. „Diese alte Dreckratsch‘n. Die soll doch die Krätze kriegen!“

„Kein sehr frommer Wunsch, Frau Ringer“, knurrte Oberkommissar Degenhart. „Außerdem wissen Sie ja gar nicht, ob uns das Frau Neumeyer gesagt hat. Wie Sie wissen, haben wir in der Zwischenzeit mit Ihren Brüdern Bruno und Wilhelm und deren Gattinnen gesprochen. Ihre Mutter hat Ihrem Mann immer den Doktor Matheis als Paradebeispiel für einen Schwiegersohn hingestellt. Das ist definitiv, unabhängig davon, dass sie den Arzt vor Gott und der Welt schlecht gemacht hat.“

„Sie hat Martin gehasst!“, giftete Carmen Ringer.

„Aber doch nur, weil er im Gegensatz zu allen anderen in ihrer Familie Karriere gemacht und sie ihm das nicht gegönnt hat, nachdem er damals das Verhältnis mit Ihnen beendete.“

„Das ist doch Unsinn!“, fauchte die Frau.

„Es ist die Wahrheit“, murmelte Franz Ringer und strich sich mit einer fahrigen Geste seiner rechten Hand über den Mund. „Es stimmt, ich war meiner Schwiegermutter nie gut genug. Wobei ich mich frage mit welcher Begründung sie mich gewissermaßen als Versager anschaute. Weder sie noch ihr Mann – Gott hab ihn selig – haben es beruflich zu etwas gebracht, und das gleiche gilt für ihre drei Söhne. Sie bildet sich zwar Wunder was ein darauf, dass Erich Finanzobersekretär ist, aber so weltbewegend ist das in meinen Augen auch wieder nicht. Mittlerer Dienst – kein Grund, sich darauf etwas einzubilden.“

„Wie redest du den plötzlich über meine Familie!“, entfuhr es Carmen Ringer und sie schaute dabei ihren Mann regelrecht entsetzt an. „Großer Gott, wenn das die Mama hören würde.“

Das große Buch der Berg-Krimis Dezember 2019

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