Читать книгу Das Elefantengrab - Peter Höner - Страница 11

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Tetu wackelt auf dem Hintern, mit den Füßen voran, aus dem kleinen Nylonzelt. Was für eine Nacht. Der Rücken schmerzt, die Beine sind ihm abgestorben, sein Schädel brummt, kalter Schweiß klebt ihm auf der Stirn; und pinkeln müßte er schon lange.

Halbwegs im Freien, richtet er sich auf und setzt sich unter den Zelteingang, ein mißgelaunter Kloß, der trotzig zu Boden starrt. Er reibt sich die Augen aus, fuchtelt mit seinen Wurstfingern im Gesicht herum, ohne im trüben Dämmerlicht des Morgens irgend etwas zu finden, an dem sein Blick haftenbliebe und ihm das beruhigende Gefühl gäbe, es sei alles nur halb so schlimm, vielleicht ein Traum, der schon bald vergessen sei.

Wolken, am frühen Morgen. Hat die Regenzeit begonnen? Was hat er denn in dieser Einöde verloren, warum ist er überhaupt hier, ist er betrunken? Wäre es möglich, daß er die vielen Bierflaschen ausgesoffen hat? Acht, zehn, zwölf Flaschen, die um eine häßliche Feuerstelle in der Asche stecken? Zwölf Flaschen, er allein?

Tetu schließt die Augen. Irgendwo da unten müssen Sümpfe sein, und in den Sümpfen oder irgendwo dahinter muß ein Gemetzel stattgefunden haben. Ja, jetzt erinnert er sich wieder. Grauenvoll. Quälend, und immer noch einmal, heulten die Motorsägen von Wilderern auf, die Elefanten zersäbelten als wären sie Nichts; Fleischberge, denen man ein Paar Zähne aus dem Maul bricht. Mettler und er saßen im Dunkeln, zum Zuhören verdammt, und tranken Bier, eine Flasche nach der anderen. Dann, nachdem es endlich ruhig geworden war, verkrochen sie sich in ihr Zelt, verzweifelt und erschöpft.

Und jetzt? Mettler ist schon aufgestanden. Er, Tetu, schätzte den Weißen, weil er ihn für einen trägen Menschen gehalten hat, dessen Gelassenheit und Umsicht er liebte, und nun scheint sich Mettler auf der Suche nach Jill Parker in einen kopflosen und übereifrigen Abenteurer zu verwandeln. Es ist noch kaum richtig Tag, und schon hat der Msungu ein Feuer gemacht und Kaffee aufgesetzt. Ja, was soll denn diese Hast?

Mettler sitzt in Mbilas Landrover und bastelt an dessen Funkgerät herum. Mbila scheint das Funkgerät nicht zu benutzen, wenn es nicht überhaupt eine Blindpackung ist, um einen Luxus vorzutäuschen, den Mbila gar nicht braucht. Die Antenne ist abgebrochen, die Kontakte wackeln oder hängen lose aus dem Armaturenbrett, und die Skala der Frequenzen ist derart verstaubt, daß sich die einzelnen Wellenlängen kaum noch entziffern lassen. Doch Mettler kennt den Kasten. Die Anlage in seiner Piper Cup ist auch nicht besser, und nachdem er an den Drähten herumgezogen, sie gesäubert und neu verschraubt hat, beginnt immerhin der Lautsprecher zu rauschen. Mettler verlängert die abgebrochene Antenne mit einem Kupferdraht, den er aus seiner Plastikisolierung schält. Er steckt die beiden Enden des Drahtes in das Antennenstück, verkeilt sie mit einem Hölzchen, und, siehe da, das Rauschen verstärkt sich.

Das Kaffeewasser kocht. Mettler klettert aus dem Wagen und schlendert zur Feuerstelle. Er wünscht Tetu, der immer noch vor dem Zelt hockt, einen guten Morgen, als der Kasten zu knacken beginnt. Eine undeutliche Stimme. Danach eine aufgeregte, ungeduldige, die Mettler nicht versteht, die aber die andere, die undeutliche, plötzlich hellwach rufen läßt: «Was? Was sagst du? Wiederholen bitte, wiederholen.»

Und die Wiederholung, die, immer noch undeutlich, dafür gut gebrüllt, durch den Äther geschickt wird, läßt auch Mettler herumschnellen und zum Auto zurückeilen. Er dreht den Lautsprecher auf, winkt Tetu zu sich und schreit: «Los, ich glaube, sie haben sie, sie haben Jill gefunden.»

Tetu steht brummend auf und wackelt zu Mbilas Landrover hinüber, in dem Mettler vor dem Funkgerät kauert und angestrengt ein Gespräch verfolgt, das unvollständig und schlecht verständlich ist.

«Punkt 81, eine Meile nördlich des Äquators. Over.»

«Auf Buschpfad Richtung Ost. Over.»

«Buschpfad Richtung West. Over.»

«Circa zwei Meilen. Over.»

«Zwei Meilen. Over.»

«Furt Ura Sand River. Over.»

«Ura Sand River. Over.»

«Furt! Ura Sand River. Over.»

«Jaja, Furt. -- Weiter! Over.»

«Etwas oberhalb ...»

«Etwas oberhalb? Das ist ein alter Übergang. -- Wir kommen, sofort. Over.»

«Verstanden. Ihr kommt. -- Landen Ura Sand River. Over.»

«Ja, sehr gut, wir holen euch ab. Over and out.»

«Over and out.»

«Over and out.»

Mettler und Tetu schauen sich an. Tetu runzelt die Stirn und zieht die Schultern hoch. Wie kommt Mettler dazu zu glauben, irgend jemand habe die Forscherin gefunden? Wer landet beim Ura Sand River, wer holt wen ab? Kann das ‹over and out› nicht ebensogut eine Botschaft der Wilderer sein?

Mettler hat bereits die Parkkarte des Mulika Range Nationalparks auf der Motorhaube des Landrovers ausgebreitet. Der Ura Sand River ist ganz in ihrer Nähe, auch Punkt 81. Müßten sie nicht um das südliche Ende des Sumpfes herumfahren, könnten sie in einer halben Stunde dort sein.

Tetu läßt sich von Mettlers Eifer nicht anstecken. Punkt 81, was heißt das überhaupt? Ist das eine Aussicht, eine Straßengabelung, eine Notrufstelle? Und liegt er nicht exakt in der Richtung, aus der gestern Nacht die Schüsse kamen? Punkt 81: Ein Treffpunkt der Wilderer.

Mettler wühlt in Mbilas Landrover und sucht das Fernglas, das, er weiß es genau, zu Mbilas Ausrüstung gehört. Wer demnächst landen will, muß jetzt noch in der Luft sein. Vielleicht erkennt er die Maschine, vielleicht läßt sich so ausschließen, daß es sich bei der Meldung um eine Botschaft der Wilderer handelt? Zwischen Kaugummipapieren und verschütteten Trockenfrüchten findet Mettler das Fernglas, ein gutes, aber verschmutztes Glas, mit dem er sofort den Himmel abzusuchen beginnt. Ohne Erfolg. Im trüben Grau, das über der Steppe lagert und sich mit dem Himmel vermengt, verschmieren Wolkenschwaden und Akazien. Eine Maschine läßt sich nicht entdecken. Und dann erspäht sie Tetu doch. Auch ohne Glas. Auf der anderen Seite des Tals, über den Wäldern am Fluß, kaum mehr als vielleicht fünf, sechs Kilometer entfernt, sinkt ein rot-gelb gestreifter Ballon in die Savanne. Der Ballon der Kiriyaga Lodge, der einer kleinen, zahlungskräftigen Touristengruppe ein exquisites Vergnügen bietet. Und auf einen Kleber hinter der Frontscheibe des Landrovers zeigend, brummt Tetu: «Frühpirsch mit anschließendem Sektfrühstück. -- Dein Funkspruch gilt wohl den Frühstücksköchen der Kiriyaga Lodge.»

Mettler ärgert sich. Immer diese Miesmacherei, diese schlampige Bequemlichkeit, abgestumpft und dickfellig. Er, Mettler, hat keine Lust, hier seine Zeit zu vertrödeln. Wenn der alte Fettarsch ausschlafen will, bitte, soll er doch zu Hause bleiben. Und während Tetu seine Kleider ausklopft, eine Tasse Kaffee schlürft, drängt Mettler zum Aufbruch. Er zieht die Heringe des Zeltes aus dem Boden -- jaja, schau du nur, du trinkst meinen Kaffee. Ich arbeite -- faltet das Oberzelt zu einem Rechteck und schlägt die Plane ein. Schon liegen die Zeltstangen und das Oberzelt auf dem gefalteten Bodentuch, Mettler beginnt, das Ganze zu einer Wurst zu rollen, als er zurückschreckt. Direkt vor seinem Gesicht steht ein grauschwarzer Skorpion, der sich unter der Plane verborgen hielt. Kampfbereit, mit aufgestelltem Stachel, droht er mit klappenden Scheren.

Tetu, der Mettler mürrisch und gereizt zugeschaut hat, schüttelt den Kopf. Was hat er denn jetzt schon wieder? Warum glotzt er wie versteinert in den Sand? Dann erschrickt er ebenfalls. Der Skorpion ist groß, seine Fluchtwege sind versperrt. Wer weiß: Vielleicht reagiert ein Msungu auf das Gift empfindlicher als ein Afrikaner? Tetu läuft zum Wagen, sucht in der Kochkiste mit Vorräten und Kochgeschirr nach einem Glas und schleicht damit zu Mettler. Mit einer raschen Handbewegung stülpt er das Glas über das Spinnentier.

Der Skorpion zuckt zusammen, greift an, stutzt, will fliehen. Das gläserne Gefängnis ist eine Falle, aus dem es kein Entrinnen gibt. Nachdem er sich ein paar Mal um die eigene Achse gedreht und mit seinen Scheren die Glaswände abgetastet hat, verharrt er in der Mitte seines Gefängnisses. Zwei, drei, vielleicht fünf Sekunden bleibt er stehen, erstarrt in einer eigenartigen Anspannung von Ratlosigkeit und Vorsicht. Dann wölbt er seinen stachelbewehrten Schwanz über seinen Leib, langsam und zögernd, verharrt einen letzten Augenblick und ersticht sich selbst.

Das Elefantengrab

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