Читать книгу Kenia Leak - Peter Höner - Страница 10
Afrikanisches Zwischenspiel Nr. 1
ОглавлениеIn der Fieberakazie lärmten bereits die Webervögel, mit Geschrei und Geflatter versuchten die Männchen ein Weibchen in eines ihrer kugeligen Nester zu locken. Die kleinen, gelben Vögel bauten immer gleich mehrere Brutstätten. Sie bauten so lange, bis alle Weibchen ein Nest bezogen hatten, und weil alle Männchen so viele Weibchen wie möglich beglücken wollten, entstanden Wohnkugeln ohne Ende. Leer stehende Wohnungen. Was für ein Luxus, den sich die frechen Kerle da leisteten.
Samuel Kimele sass im Bademantel hinter seinem Schreibtisch im Büro seines Landhauses am Naivasha See. Die Nähe seiner Farmen, eine seiner Touristen-Lodges auf der anderen Seeseite und die Moi South Lake Road hinter dem Haus taten ihm gut. Wenigstens seine allernächste Umgebung verbürgte Dauer und Zugehörigkeit.
In der Nähe der geöffneten Fenster sass ein junger Mann in einem Sessel. Schwarze Hose, weisses Hemd, den Kittel hatte er über einen Fauteuil gelegt. Wenn er nicht gähnte, ass er Mandeln, mit denen er ab und zu auf einen Vogel zielte.
Der Datendiebstahl Odongos richtete, noch bevor die Dateien überhaupt publik wurden, einen Schaden an, über den Kimele jeden Überblick verloren hatte. Auf einem Blatt Papier versuchte er, sich Klarheit zu verschaffen. Doch alle Gedankenspiele missrieten zu unübersichtlichen Kritzeleien. Wütend zerknüllte er seine Zettel und knallte sie in den Papierkorb.
Er stand auf und defilierte im schwingenden Bademantel vor schweren, dunklen Büchergestellen hin und her und verlangte eine Zusammenfassung.
«Das hilft dir auch nicht weiter, Pa», sagte der junge Mann und drehte sich nach seinem Grossvater um.
«Eine Zusammenfassung! Ich möchte sie hören.»
«Bitte: Der Whistleblower Odongo hat sich im Gefängnis erhängt. Die gestohlenen Dateien sind verschwunden. Schluss, aus. Ein Sturm im Wasserglas.»
«Schön wär’s», murrte der Minister und schnürte den Bademantel zu. «Etwas genauer, wenn ich bitten darf.»
«Gut. Wir haben alles getan, um herauszufinden, wer im Besitz der Dateien sein könnte. Wir sind jedem Verdacht nachgegangen, haben Journalisten, die Kollegen Odongos, seine Verwandten und seine Nachbarn ausgequetscht», der Junge kickte ein paar Mandeln in die Akazie, «ausser zwei vagen Vermutungen haben wir nichts. – Soll ich dir das jetzt alles vorkauen?»
«Ich höre.»
«Verdacht Nummer 1: Die Journalistin Elisabeth Kyengo könnte die Dateien erhalten haben. Eine Frau! Dem Staate wohlbekannt. Eine aufmüpfige Schlampe um die dreissig, die für ihren reisserischen Journalismus und für ihren Aufruf zum Sexstreik bekannt geworden ist. Lysistrata!»
Der Junge rollte auf dem Sessel hin und her und tat, als ob er sich einen von der Palme schütteln würde.
«Weiter!»
«Der Schrecken aller Männer hat das Land kurz nach Odongos Tod verlassen und ist in London untergetaucht. Unauffindbar. Zusammen mit ihrem Mann! Schlussfolgerung: Es droht eine Weltrevolution. – Alles klar?»
«Ich bitte um etwas mehr Respekt», zischte der Minister. «Die Dokumente schaden der gesamten Familie.»
«Verdacht Nummer 2: Die Journalistin Elisabeth Kyengo ist verwandt mit einem Polizeibeamten, der vor Jahren einmal gegen dich ermittelt hat. Mit einem gewissen Robinson Njoroge Tetu. Nur: der alte Hundling ist seit Jahren blind, lebt in einem Kaff auf dem Land. Doch dort ist er nicht. Oho! Er sei zusammen mit einer Enkelin nach Lamu gefahren. Hört, hört!»
Der Junge sprang auf und hopste auf den Sessel, trommelte sich auf die Brust.
«Der Mann ist gefährlich. Uh, uh! Er will sich rächen, er schmuggelt die Daten ins Ausland, von Lamu nach Somalia. In Somalia wird er die Daten veröffentlichen. Uh!»
Der Mann plumpste in den Fauteuil und streckte die Beine aus.
«In Lamu angekommen ist er bis heute nicht.»
Kimele konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die Theatereinlage seines Enkels hatte ihn zumindest abgelenkt. Der Junge, der davon träumte, Filmschauspieler zu werden, wie schon seine Mutter, die ihre Träume aber dann begraben musste, hatte ja recht. Sie konnten nichts machen, sie mussten warten, und wenn sie Glück hatten, gingen die CDs mit den Daten mehr oder weniger verloren, weil es Odongo nicht mehr gelungen war, ihre Verbreitung zuverlässig zu regeln.
Was Tetu betraf – mein Gott, wahrscheinlich war es eine vollkommen überflüssige Anordnung. Er hatte ein paar Leute von Safaricom nach Kanja geschickt, welche alle Handys in Tetus Dorf mit einem kleinen Sender aufrüsteten, angeblich, um den Empfang zu verbessern.
In den nächsten Tagen würden sie wohl erfahren, wo sich Robinson Njoroge Tetu aufhielt und was er zu erzählen hatte.