Читать книгу Kenia Leak - Peter Höner - Страница 7

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Der alte Fuchs. Tat, als ob er gleich etwas sagen würde, pst! es spricht der grosse Vorsitzende. Und dann wurde geschwiegen.

Doch Mettler war vorbereitet. Er hatte seine Pfeife dabei und konnte warten. Es musste wichtig sein, was der Alte zu sagen hatte, wenn er sein Geheimnis über vierzehn Tage einfach für sich behielt. Die Augenoperation war mit Sicherheit nur ein Vorwand, gehörte aber dazu. Tetu wollte sehen, was seine Äusserungen bewirkten.

Seit 2002 lebte Tetu bei seiner Familie in Kanja, war ein freier Mann, trotzdem war es Mettler in all den Jahren nicht gelungen, seinen ehemaligen Kollegen hinter dem Mount Kenia hervorzulocken. Für eine Reise in die Schweiz hatte der Rentner keine Zeit.

Mettler zerkrümelte den Tabak in seiner Handfläche, pickte mit Mittel-, Zeigefinger und Daumen die Tabakbrösel auf und stopfte sie in den bauchigen Kopf seiner Pfeife.

Tetu wurde nach seiner Verhaftung vor mehr als zwanzig Jahren von einem Gefängnis in ein nächstes abgeschoben, er wurde verhört und gefoltert, er erblindete. Ohne seine Söhne, ohne ihn, Mettler, der sich immer wieder auf die Suche nach ihm machte, wäre Tetu wohl für immer verloren gegangen. Verschwunden, wie viele andere.

2002, als er und Alice Tetu in Kanja besuchten, um auf seine wiedererlangte Freiheit anzustossen, hatte er Tetu angeboten, ihn in die Schweiz zu begleiten, damit er sich von hiesigen Ärzten untersuchen lassen konnte. Aber Tetu lehnte ab.

Seine Rente sei ausreichend und er habe längst gelernt, mit Ohren und Nase zu sehen. Was seine Hände fänden, genüge ihm.

Mettler wiederholte sein Angebot. Er schrieb Briefe, schickte mehr als einmal Geld. Eine finanzielle Unterstützung für einen Enkel, der Anwalt werden wollte, für den Bau eines Hühnerstalls, für Fahrräder, ein Handy. Aber ausser einem mageren Danke und einem schlechten Foto von Tetu hörte er nichts mehr, ja, in den letzten drei Jahren war es sogar immer dasselbe Bildchen.

Robinson, das Kinn auf einen Stock gestützt, auf einer Bank vor seinem Häuschen.

Schliesslich blieben auch die Glückwünsche zu Weihnachten und Neujahr unbeantwortet und ihr Kontakt versiegte. Noch vor einem Monat hätte er nicht sagen können, ob Tetu überhaupt noch lebte.

Aber dann, im April dieses Jahres, konnte es plötzlich nicht schnell genug gehen. Ob Mettlers Einladung noch gültig sei? Mettler zögerte keinen Augenblick. Er freute sich auf den Besuch, auch wenn ihm von Anfang an klar war, dass Tetu andere Gründe haben musste.

Mettler schielte nach dem schwer atmenden Mann neben sich, der immer noch mit dem Finger vor dem Mund eine Antwort vorbereitete.

Sie kamen wirklich aus zwei verschiedenen Welten, und obwohl er sich einbildete, Tetu zu kennen und er Tetu seinen Freund nannte, blieb ihm dieser fremd. Das Misstrauen ge­genüber den Weissen hatte Tetu schon immer den Zugang zu seiner Welt versperrt.

Das dürfte auch mit ein Grund sein, weshalb ihm die drei Kamele einen solchen Schrecken eingejagt hatten. Wasungus waren Tetu unheimlich, er glaubte, bei ihnen sei alles möglich und sie würden mit Tricks arbeiten, die er nicht durchschaute.

Mit dem Zeigefinger drückte Mettler den Tabak in den Pfeifenkopf, fischte nach seinem Feuerzeug und steckte sich die Pfeife an.

Tetu schwieg.

Geld war wohl nicht der Grund. Tetu erhielt eine Rente, er war lange genug ein treuer Diener des Staates gewesen, Polizeichef von Lamu und Lodwar. Und er besass Land. Schon in den Achtzigerjahren hatte er begonnen, Land zu kaufen, fruchtbares Land am Fuss des Mount Kenia. Von seinen Söhnen arbeiteten die meisten in der Stadt, auch seine Töchter ­be­­sassen eine Ausbildung. Sein Ältester bewirtschaftete die Fel­der und produzierte Überschüsse, ein anderer besass ei­nen Busbetrieb. Seine Kinder hatten etwas gelernt, waren Leh­rerinnen, Ingenieure, einer hatte es sogar zu einem Anwalt mit einer eigenen Kanzlei gebracht. Seine Familie war erfolgreich. Geldsorgen kannte der Familienclan nicht.

Eine Pfeife an der frischen Luft zu rauchen, war kein beson­deres Vergnügen. Sie wurde zu heiss, der Rauch brannte auf der Zunge, und der Tabak verglühte im Pfeifenkopf. Auch vor­sich­tiges Stopfen und langsames Ziehen halfen wenig, und Mettler befürchtete, die Pfeife sei zu Ende, noch bevor Tetu den Mund aufgemacht hatte. Aber länger als eine Pfeife war er nicht gewillt, auf eine Antwort zu warten.

Wahrscheinlich ging es um Naomi. Der Grossvater kam mit seiner Enkelin, um deren Zukunft zu regeln. Vielleicht ­erwartete Tetu, dass Mettler dem Mädchen einen Studienplatz organisierte. Dass Naomi intelligent war, bezweifelte er keinen Augenblick. Aber jedes Mal, wenn Mettler die junge Frau darauf ansprach, vorsichtig und um sieben Ecken, tat diese, als könne sie seine Frage nicht verstehen.

Tetu wollte die Operation abwarten. Der Arzt behielt Tetu im Spital, weil doch eine ganze Reihe von Abklärungen zu ­machen waren. Das konnte er verstehen und war froh, weil sie im Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen eine Menge Arbeit hatten. Der Krieg in Syrien betraf sie zwar weit weniger als andere Länder. Die Schweiz war kein EU-Land, hier lebten keine Verwandten, die es bereits geschafft hatten. Mails und Selfies, die zeigen sollten, wie willkommen sie ­waren, kursierten keine, und eine Kanzlerin, die versprach: «Wir schaffen das», gab es auch nicht.

Tetu räusperte sich, nahm den Finger vom Mund und … Nun wurde die Nase massiert. Daumen und Zeigefinger zwirbelten den Kolben, als könnte so der Gedankenfluss beschleunigt werden.

Mettler stopfte die Pfeife und feuerte nach, rauchen liessen sich diese letzten Krümel nicht. Ein, zwei Züge, und die Pfeife ging wieder aus.

Moody! Mark René Moody. Sein Enkel und Naomi waren fast täglich mit den Rädern unterwegs. Hatte Moody Naomi erzählt, dass er lieber in Kenia leben würde? Weil er, trotz weissem Grossvater und einer weissen Mutter so dunkelhäutig war, dass ihm niemand glaubte, dass er Schweizer sei, wohingegen ihn in Kenia wohl kaum jemand nach seiner Zu­­gehörigkeit fragen würde? Hatte Naomi ihrem Grossvater erzählt, dass Moody die Schweiz verlassen möchte, und nun kombinierte dieser ihre Interessen mit Moodys Wünschen, weil sie sich Vorteile für Naomi ausrechneten?

Ach was. Selbst wenn Moody etwas in dieser Richtung zu Naomi gesagt haben sollte, er würde wohl kaum seine Aus­bildung zum Sozialarbeiter aufs Spiel setzen und sein Prak­tikum im Durchgangsheim abbrechen, um Hals über Kopf nach Kenia auszuwandern.

Ganz abgesehen davon, dass seine Mutter Christina solche Pläne vereiteln würde. Auch sein Vater Ali, der in Wien ein ­Hotel führte, wäre damit nicht einverstanden. Gut, Moody war erwachsen, aber … Nein, mit Moody hatte Tetus Schweigen nichts zu tun.

Mettler seufzte und drehte sich nach Tetu um. Er hielt sich für einen geduldigen Zuhörer, aber irgendwann verlor auch ein beredtes Schweigen an Bedeutung.

Busoni stemmte seinen Hintern hoch und rückte schwanzwedelnd ein bisschen näher. Er drehte sich umständlich, dann zwängte er die Schnauze zwischen seine Beine.

Tetu reagierte nicht.

Herrgott noch mal, er hatte auch noch anderes zu tun. In die Ferne schauen und dem Gebrumm der Insekten lauschen konnten sie auch später noch.

Busoni wollte gestreichelt werden. Seine stürmische Zudringlichkeit war immer noch diejenige eines unerzogenen Welpen. Mettler schob ihn sanft, aber entschieden unter den Tisch zurück.

Tetu rührte sich nicht.

Mettler begann seine Raucherutensilien einzupacken. Pfeife, Stopfer, Feuerzeug und Tabak wurden wieder in den Beutel gepresst. Aufbruch. Auch wenn Tetu ihm nicht zuschaute; was er hörte, waren klare Zeichen. Mettler gab ihm noch eine Minute.

«Versprichst du mir, den Mund zu halten und mich ausreden zu lassen, bis du die ganze Geschichte gehört hast?»

Tetu drehte sich nach Mettler um, und seine Finger liessen endlich auch die Nase in Ruhe. Die Hände ruhten auf seinen Oberschenkeln. Seine Augen standen offen, die übergrossen, schwarzen Pupillen schwammen im Wasser. Doch der Blick war voll und von einer beängstigenden Schärfe. Als könne er sein Gegenüber durchschauen und Schicht um Schicht in sein Innerstes vordringen.

«Kimele», stiess er hervor. «Du erinnerst dich. Kenias Finanz­minister Samuel Kimele.»

Kenia Leak

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