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Prolog

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Der Traum kommt im Herbst wieder häufiger. Er kann die Männer auch dieses Mal nicht sehen. Er kann sie nie sehen. Aber ihre Schreie hören. Markerschütternde Schreie, die so gellend sind, wie nur ein Mensch schreien kann, der weiß, dass er stirbt. Schreie, die nicht zu dem sonst martialischen Auftreten der Fedajin der Hisbollah-Brigaden und ihrer ständig propagierten Todessehnsucht passen. Wenn der Zeitpunkt wirklich da ist, sieht doch manches anders aus. Wie ein letztes Aufbäumen, bevor alles schwarz wird. Er kann den Hubschrauber hören, das schwere, wuchtige Schneiden der Rotorblätter gegen den Luftwiderstand, das hohe Kreischen der Turbine, den blau auslackierten Davidstern am Heck, das Rattern der automatischen Bordwaffen und das Einschlagen der Projektile in die jahrhundertealten Sandsteinmauern des Dorfes. Für einen Augenblick, einen Bruchteil einer Sekunde, sieht er auf, sieht das dunkel glänzende Helmvisier des Bordschützen in der Sonne funkeln. Wie bei einem entmenschlichten Wesen. Er spürt sich laufen. Nur weg von hier. Ein hinter einem Mauervorsprung kniender Unteroffizier in der olivgrünen Felduniform der Zahal, der isrealischen Verteidigungsstreitkräfte, mit stumpfnasigem Sturmgewehr im Anschlag, Tarnnetz auf dem Helm und schwarz verschmiertem Gesicht schreit ihn an: „German! Keep your ass down!“ – doch er läuft weiter, atmet Staub, schmeckt Schweiß, Diesel, verbranntes Kerosin und den unverkennbaren Gestank von verbranntem Schießpulver. Er weiß, was als nächstes kommt. In parallelem Anflug zischen zwei Raketen über ihn hinweg mit bläulich weißen Flammenschwänzen auf ihr Ziel zu, einen baufälligen Schuppen etwa hundert Meter die Straße hinunter. Ein Blitz, der gewaltige Explosionsdonner nach der Hitzewelle, dann ein Feuerball, der für einen Augenblick sogar die Morgensonne verdunkelt. Die Druckwelle reißt ihn beinahe von den Füßen. Er stolpert nach vorne, Taubheit in den Ohren, ein durchdringendes Pfeifen scheint tief aus seinem Inneren zu kommen. Steine schlagen vor ihm auf dem Boden auf und noch etwas anderes, das beim Aufprall auf dem Boden ein klatschendes Geräusch verursacht. Er wird immer atemloser, das Herz scheint sich seinen Weg durch den Brustkorb und den Hals freizusprengen. Er weiß nicht mehr, was passiert ist. Er weiß gar nichts mehr. Dann ist alles vorbei.

Er wacht auf und sieht: Holzlatten an der Decke. Ein Raum, eine andere Zeit, fast scheint es ein anderes Universum. Am Abend zuvor hat er vergessen, die Heizung etwas höher zu drehen, sein Atem kondensiert in der kalten Luft zu feinem Dunst. Der Nachbar fährt gerade vom Hof. Autoscheinwerferlicht huscht über die Wand. Wochenendfrühschicht bei der Conti in Korbach, der nächsten Kreisstadt. Seit August ist die Kurzarbeitsregelung wieder aufgehoben. Ein Segen für die Familie mit der kleinen Tochter.

Er schlägt die Bettdecke zurück und steht auf, nachdem er minutenlang auf der Bettkante gehockt und darauf gewartet hat, wieder in der Wirklichkeit anzukommen. Erst der Duft von frischem Kaffee bringt ihn zu klarem Verstand. Er wird diesen Traum nicht los. Ein Blick durch den Gardinenspalt nach draußen. Ein weiterer trüber Herbsttag bricht an. Die trübe Jahreszeit hat den Sommer in diesem Jahr früh abgelöst. Er hofft auf noch einige sonnige Oktobertage und einen späten Wintereinbruch.

Krawattennazis

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