Читать книгу Initiation - Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft - Peter Maier - Страница 9
(4) Stimmen zum WalkAway
ОглавлениеÄußerungen von Teilnehmern einige Wochen danach
Lassen wir abschließend einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer des WalkAway selbst zu Wort kommen:{1}
„Der WalkAway als Initiationsritus ist ein wichtiger Schritt für Jugendliche. Auch wenn man im Vorfeld sehr viele Informationen bekommt, die Erfahrungen muss jeder ganz für sich selbst machen. Das ist das Schöne am WalkAway: Es geht dabei nicht um das Erfüllen von Aufgaben oder Normen – nein, den WalkAway kann jeder individuell bestimmen. Gerade für Jugendliche ist das eine sehr wichtige Erfahrung. So geht jeder mit anderen Fragen oder Problemen hinaus und jeder wird andere Wege und Möglichkeiten finden, sich mit ihnen zu befassen. Ich habe das bei der Abschlussrunde gemerkt, weil die Geschichten der anderen Teilnehmer ganz andere Erlebnisse, Erkenntnisse und Erfahrungen beinhalteten. Diese vielen verschiedenen Facetten haben die ganze Gruppe bereichert, was für mich ein sehr schöner Aspekt des WalkAway war. Im Vorfeld kann dir niemand sagen, was du erleben wirst; dass der WalkAway dir auf irgendeine Weise helfen wird, kann hingegen auf jeden Fall behauptet werden.“
(Anna, 16 Jahre ){2}
„Der WalkAway hat mir mehr Selbstbewusstsein gebracht – schon deshalb, weil ich die Solozeit geschafft habe. Es war für mich eine wichtige Erfahrung, dass ich selbst entscheiden musste, was mir gut tut und was nicht. Es war keiner da, den ich hätte fragen können. Das wohl wertvollste Erlebnis war, dass ich erkennen durfte, wie schön im Grunde die Welt und die Natur sind. Daher sind die Natur und die Schöpfung für mich sehr schützenswert. Bezüglich meiner Eltern kann ich sagen: Das Verhältnis zu ihnen war immer gut. Aber jetzt kann ich auch etwas durchziehen, was ich für richtig halte, meine Eltern aber vielleicht nicht unbedingt gut finden. Vielleicht gehört dies bereits zu einem Abnabelungsprozess. Ich bin froh, dass ich den WalkAway gemacht habe.
(Klaus, 18 Jahre)
„Beim WalkAway konnte ich viel über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft nachdenken. Eine wichtige Erfahrung dabei war für mich das Alleinsein für eine lange Zeit. Ich musste das Hungergefühl bekämpfen. Dennoch hat mir der WalkAway viel gebracht und Spaß gemacht. Ich durfte die Kraft und die Schönheit der Natur wieder entdecken.“
(Maria, 17 Jahre)
„Hinsichtlich meiner Persönlichkeit habe ich mich durch den WalkAway nicht wesentlich verändert, ich bin aber selbstsicherer und mutiger geworden. Außerdem ist mir dabei klar geworden, dass ich meinen eigenen Weg gehen will und dass ich für meine Entscheidungen Verantwortung übernehmen muss. Ich habe mir selbst bewiesen, dass ich etwas schaffen kann. Dazu war es wichtig, Zeit für mich zu haben und den Alltag hinter mir lassen zu können. Es war eine richtige Herausforderung, ganz auf mich allein gestellt zu sein und auch keine Ablenkung z.B. durch meinen MP3-Player haben zu können. Ich würde den WalkAway sofort an andere Jugendliche weiter empfehlen, da er eine einmalige Erfahrung ist. Von der Natur können wir Menschen viel lernen – z.B. dass wir uns gegenseitig annehmen sollen, so wie wir sind. Die Natur ist für uns alle wichtig.“
(Waltraud, 16 Jahre)
„Der WalkAway ist einzigartig in unserer Gesellschaft. Er bietet die Möglichkeit, den Alltag einmal ganz hinter sich zu lassen und über seine Probleme nachzudenken. Ich weiß nun, dass ich mich auch größeren Herausforderungen stellen kann. Nach meiner Meinung gibt es keine bessere Möglichkeit, um seine Persönlichkeitsentwicklung so anzutreiben, wie es dabei geschehen ist. Ich habe die Natur mehr respektieren und schätzen gelernt und gehe in Zukunft rücksichtsvoller mit ihr um. Während der Solozeit bin ich in meiner Erinnerung mit dem Verlust eines geliebten Menschen konfrontiert worden und habe gelernt, mit dem Tod besser umzugehen. Ohne den WalkAway würde ich wohl noch sehr damit zu kämpfen haben.“
(Markus, 16 Jahre)
„Der WalkAway hat meine Neugier geweckt, mir meine Ängste genommen, Wunden verschlossen und mich naturbewusster gemacht. Vor allem die Tiere, die ich während meiner Solozeit gesehen habe, haben maßgeblich zu dem Entwicklungsprozess beigetragen, den ich während des Rituals durchgemacht habe. Sie haben meine Naturverbundenheit geweckt. Vor allem die Begegnung mit einer Schlange war einerseits schockierend, hat aber auch meine Neugier entfacht. Überhaupt habe ich mehr Bewusstsein für die Natur und den Gedanken bekommen, dass unser Leben, so wie wir es jetzt führen, nur eine sehr abstrakte Interpretation unseres von der Natur vorgegebenen Verhaltens ist. Danke, dass ich dabei sein konnte.“
(Linda, 17 Jahre)
„Der WalkAway war für mich eine gute persönliche Erfahrung, an die ich gerne zurück denke. Ich glaube, ich bin selbständiger geworden und habe einen tieferen Blick für die Natur bekommen. Z.B. war die Wiese mit all den vielen Schmetterlingen einfach nur wunderschön. Ich verbringe jetzt meine Zeit viel mehr und viel lieber draußen, beobachte die Natur und versuche, von ihr viel zu lernen. Ich habe viel über mich gelernt und fühle mich gestärkt. Ich habe jetzt nicht mehr so viel Angst vor dem Sterben. Mir ist klar geworden, dass ich einmal keinen langweiligen Bürojob haben will. Mein Verhältnis zu mir selbst und zu meinen Eltern ist viel besser als vor dem WalkAway. Wir reden jetzt offener miteinander und sie vertrauen mir mehr und lassen mich mehr selbstständig entscheiden.“
(Robert, 18 Jahre)
„Kann man den WalkAway als Ritual für das Erwachsenwerden betrachten? Der WalkAway – nach einer Vorbereitungszeit von einem Tag und einer Nacht ohne Nahrung alleine in den Wald hinaus zu gehen, nur mit Wasser, einer Plane und einigen persönlich wichtigen Gegenständen – ist meiner Meinung nach ein geeigneter Schritt zum Erwachsenwerden. Ob man es in unserer Gesellschaft als Ritual betrachtet, weiß ich nicht. Der WalkAway ist kein 'Absitzen' von Zeit. Alles fängt im Grunde schon lange vor dem eigentlichen 'Event' an: Nämlich mit der Entscheidung, dieses Ritual mitzumachen. Es kann passieren, dass man erst mit seinen Eltern darum kämpfen muss, überhaupt mitmachen zu dürfen. Dies bringt einem dem selbstständigen Handeln schon ein wichtiges Stück näher.
Beim WalkAway selbst werden viele Gedanken frei, altes 'Zeug' kommt hoch – Gutes wie auch Schlechtes. Aber das bringt einem seinem Ich sehr viel näher. Der Höhepunkt ist dann, wenn man alleine in die Natur geht. Dort habe ich Stille und Frieden erlebt und ich war ganz frei – keine Einflüsse von außen und keine Pflichten. Ich habe dabei wirklich zu mir selbst gefunden. Ich habe da draußen ein festes Band mit meinem Innersten geschmiedet. Und genau das braucht ein selbständiger, eigenständiger und erwachsener Mensch! Wenn man das hat, steht man fest im Leben und kann überhaupt erst sein eigenes Leben führen.
Vollkommen erwachsen werde ich wohl erst in der Zeit, die nach dem WalkAway auf mich wartet. Ich werde immer wieder an Mauern stoßen, die ich dann überwinden muss. Mit der Kraft, die ich bei dem Ritual bekommen habe und die ich nun immer wieder aus der Natur ziehen werde, lassen sich aber all diese Hindernisse durchbrechen. Ich glaube, ich werde nun fröhlicher und gestärkt durch die Welt gehen und ein schönes Leben führen, das Stück für Stück aus einem Jugendlichen einen wirklichen Erwachsenen aus mir macht.“
(Georg, 16 Jahre)
Gedanken eines Vaters nach der Teilnahme seines Sohnes (Robert, 18 Jahre) am WalkAway
„Erfahren habe ich als Vater vom Walk Away durch meinen Sohn. Er war von der Vorstellung des Projekts durch den Initiationsmentor so begeistert, dass er unbedingt dabei sein wollte. Den eigentlichen Grund für den damaligen Enthusiasmus habe ich bis heute nicht erfahren. Mein Sohn hat ihn mir auch nicht genannt. In jedem Fall hat mich seine Begeisterung neugierig gemacht. Der Initiationsmentor lud die interessierten Eltern zu einem Informationsabend ein. Mit dabei war auch ein erfahrener WalkAway- Trainer, der umfassend und kompetent Rede und Antwort stand. Für mich waren danach alle vielleicht noch vorhandenen Restzweifel komplett ausgeräumt. Ich war der festen Überzeugung, dass dieses Projekt für die Entwicklung meines Sohnes gut war.
Erst im Nachhinein machte ich mir Gedanken, weshalb ich mir nach dem Informationsabend über den Nutzen der Veranstaltung so sicher war. Die Inhalte kannte ich im Detail damals auch noch nicht. Bei der Vorstellung wurde lediglich das Ziel genannt. Der Weg dorthin wurde nur in ganz groben Zügen beschrieben. Was mich als Vater jedoch uneingeschränkt daran begeisterte, war der Umstand, dass mein Sohn die in der großstädtischen Umgebung sehr seltene Gelegenheit bekam, einmal einen wirklichen Perspektivenwechsel durchzuführen: Während z.B. die Pädagogik in der Schule grundsätzlich darauf aufgebaut ist, dass die Schüler den Lernstoff mehr oder weniger anschaulich im Klassenzimmer vermittelt bekommen, 'funktioniert' der WalkAway ganz anders.
Mein Sohn sollte von mir die Möglichkeit bekommen, seinen Standpunkt zu ändern. Er sollte die Dinge aus einer anderen Perspektive nicht nur betrachten, sondern sogar erleben können. Das war für mich der Schlüssel zum Erfolg des WalkAway: Er sollte vielleicht auch meinen Sohn weg vom Konsum- und Leistungsdenken und hin zum realen Erleben einer für ihn teilweise völlig neuen Welt führen.
Beim WalkAway spielen die Jugendlichen nicht die alleinige Hauptrolle. Es ist vielmehr das Zusammenwirken von vielen Komponenten, die in der Gefühls- und Gedankenwelt der jungen Menschen eine nachhaltige Wirkung entfalten. Da ist die ungewohnte Umgebung, die neue Gruppe, der Trainer, die unbekannte Situation und auch die Unsicherheit und Spannung, was auf einen zukommt. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Eltern. Gerade in der Pubertät sind die Jugendlichen auf der Suche nach ihrem eigenen Weg und auf der Suche nach sich selbst. Ihrer biologischen Entwicklung folgend, sollten sie sich von den Eltern lösen, um in eine eigene, selbstbestimmte Zukunft gehen zu können. Sie sollten eben ihren ganz persönlichen WalkAway machen.
Die Eltern müssen den Kindern zeigen, dass sie die Loslösung ihrer Kinder unterstützen und dennoch für den Fall der Fälle immer noch als Zuflucht für sie da sind. Einer der schlimmsten Erziehungsfehler ist meiner Meinung nach das 'Klammern der Eltern', die nicht erkennen möchten, dass es eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist, die Kinder behutsam in eine immer größer werdende Selbständigkeit zu entlassen. Wie weit man als Kind oder als Eltern loslassen kann oder darf oder muss, ist individuell verschieden und hängt in erster Linie von der Persönlichkeit des Jugendlichen und seinem Entwicklungsstand ab.
Das Erlebnis des WalkAway ist kein Dauerzustand, sondern ein punktuelles Ereignis. Die jungen Menschen machen an wenigen Tagen ihre Erfahrungen und kehren anschließend in ihren Alltag zurück. Die Wirkung des Erlebten entfaltet sich nicht schlagartig, sondern kommt langsam und für die Eltern oftmals unmerklich. Man sollte daher nicht erwarten, dass die Kinder nach der Rückkehr plötzlich andere Menschen geworden sind. Vielmehr ist der durchlebte WalkAway im Idealfall als großer Sprung innerhalb der individuellen Entwicklung des Einzelnen zu verstehen. Dieser Sprung vollzieht sich jedoch im Menschen und ist von außen selten deutlich wahrzunehmen. Ein ähnliches Ergebnis dürfte vermutlich auch ohne WalkAway erreicht werden, aber eben erst irgendwann viel später und wahrscheinlich auch nicht in diesem positiven Ausmaß.
Eine für mich sehr bald augenscheinliche Veränderung bei meinem Sohn war, dass er durch die 24 Stunden in der Einsamkeit sein Verhältnis zur Natur im positiven Sinn korrigiert hat. Er hat dadurch begonnen, die Natur mit anderen Augen wahrzunehmen. Er hat angefangen ein Empfinden zu entwickeln, das vielen jungen Menschen in der heutigen Zeit fremd ist. Was ihn ganz offensichtlich sehr tiefgreifend geprägt hat, war die Summe aus Einsamkeit, Fasten, die Geräusche in der Nacht, die Gerüche, die Temperaturen und die Nässe (es regnete teilweise). Ich glaube, dass er sich erstmals als Teil der Natur empfunden hat und nicht wie vorher als lediglich in der Natur lebend. Das kann nach meiner Ansicht die Selbstfindung eines jungen Menschen enorm unterstützen.
24 Stunden fastend allein in der Natur zu verbringen ist sicherlich der Hauptteil des WalkAway. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass die Vorbereitungsphase für den Erfolg unerlässlich ist. Es findet ein langsames aber sehr intensives Hinführen statt. Dadurch werden die Teilnehmer erst in die Lage versetzt, sich zu lösen und sich auf ihren Tag in der Einsamkeit vorzubereiten. Dabei arbeitete man sehr stark mit Ritualen. Diese waren vermutlich weniger wegen ihres spezifischen Sinns von Bedeutung. Vielmehr zählte der Umstand, dass jedes Ritual den Rang eines Gebotes hat, das nicht hinterfragt wird. Es wird als unverzichtbarer Bestandteil ganz einfach akzeptiert.
Die Rituale trugen somit wesentlich dazu bei, dass man sich aus dem gewohnten Leben löste und Freiraum für das Kommende schaffte. Bemerkenswert war auch, dass die Jugendlichen zunächst in der Gruppe vorbereitet wurden. Man kannte sich also bereits vor dem WalkAway und hatte insofern auch ein gewisses Gefühl der Selbstsicherheit. Schritt für Schritt wurden die Teilnehmer jedoch in der Vorbereitungsphase darauf hingeführt, dass sie sich als Individuen zu verstehen hatten. Denn nur alleine ist es möglich, all das loszulassen, was das Leben im Alltag eines jeden Einzelnen prägt. Ohne Loslassen gibt es keine Selbstfindung und keine neue Zukunft.
Für meinen Sohn Robert war es gerade hinsichtlich seines besonderen Lebensweges enorm hilfreich, am WalkAway teilzunehmen. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer Phase der Vergangenheits-Kindheits-Bewältigung (Wo komme ich her?), er befand sich auf der Suche zu sich selbst (Wer bin ich?) und er war auf der Suche nach seiner persönlichen Zukunft (Wo will ich hin?). Der WalkAway hat ihm dabei enorm geholfen und ihn einen riesigen Schritt weiter gebracht.“
Soweit die Erfahrungsberichte von Teilnehmern und von einem Vater zum WalkAway, die bewusst ganz am Anfang dieses Buches stehen sollten. Um aber die Tiefe dieses Rituals wirklich erfassen zu können, ist es nötig, Begriff und Inhalt der „Initiation“ näher zu erläutern, die negativen Folgen aufzuzeigen, wenn Initiationsrituale fehlen und demgegenüber die Bedeutung von Initiation am Beispiel von traditionellen Völkern näher zu untersuchen. Denn die „Initiation“ scheint mir der Schlüsselbegriff für das Verständnis, die Deutung und die Lösung vieler Probleme unserer Jugend im westlichen Kulturkreis zu sein.