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Eine unverhoffte Gelegenheit

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Nach bestandenem Abitur schrieb sich Schäfer 1929 an der Universität Göttingen ein und studierte vornehmlich Zoologie und Botanik, daneben auch Geographie und Geologie. Einer seiner Professoren war der Ornithologe Hugo Weigold, ein Pionier des Naturschutzes, Gründer der Vogelwarte Helgoland und seit 1924 Direktor der Naturkundeabteilung des Provinzialmuseums Hannover. Dort jobbte Ernst Schäfer während der Semesterferien. Und – das war das Entscheidende – erfuhr von Weigold, dass der bereits als junger Mann das tibetisch-chinesische Grenzgebiet bereist hatte, als Mitglied der Expedition von Walther Stötzner. Dieser war eigentlich Architekt, hatte sich aber als Autodidakt der Geographie und Völkerkunde verschrieben und wurde mit mehreren Forschungsreisen nach Asien bekannt.

1911 begleitete Hugo Weigold Stötzner in Bergregionen der westchinesischen Provinz Sichuan. Neben Weigold als Vogelkundler nahmen an der Fahrt noch ein Geodät, ein Entomologe, ein Botaniker, ein Geograf und ein Ethnologe teil. In diesem interdisziplinären Unternehmen von 1911 liegt der Kern des später von Schäfer immer wieder vorgetragenen Anspruchs eines neuen, ganzheitlichen bzw. „holistischen“ Forschungsansatzes für Expeditionen – eine angeblich bislang vernachlässigte und erstmals von ihm 1938/39 verwirklichte Methode der Feldforschung.

Ornithologe Weigold entdeckt und klassifiziert während dieser Exkursion dutzende neuer Vogelarten, doch den angehenden Zoologen Schäfer fasziniert eine andere Geschichte ganz besonders, denn die Stötzner-Mannschaft ist unterwegs im unwegsamen Gebiet des sagenumwobenen Bambusbären. Eines Tages bringt ein lokaler Jäger drei Felle ins Lager der Expedition, um sie zu verkaufen.

„Unsere Freude kannte keine Grenzen, denn es gibt kein zweites Säugetier von gleicher Seltenheit. Noch nie hat ihn eines Europäers Auge lebend gesehen. Es gibt keine weitere Gegend auf der großen Erde, wo das sagenumwobene Tier noch zu finden wäre. Nur in diesen weltenfernen, ungangbaren, einsamen Hochalpen lebt er noch als Überbleibsel aus vorgeschichtlicher Zeit. Einige wenige Gebirgsstöcke und an diesen der doppelt mannshohe undurchdringliche Bambuswald an den steilen Hängen, in welchem der alles mordende Mensch ihn nicht verfolgen kann, ist seit Jahrtausenden sein allerletztes Asyl geworden.“16

So schreibt Weigold begeistert. Wenige Tage später ist es seiner Gruppe noch vergönnt, als erste Weiße zwei lebende Bambusbären zu erblicken, Alluropoda melanoleuca, den heute als Großen Panda bekannten schwarz/weiß gezeichneten Bären, der zum weltweiten Symbol des Arten- und Naturschutzes mutierte. Als Hugo Weigold seinem Studenten Schäfer von dem „Fabeltier“ in Chinas Hochgebirgswäldern erzählt, hatte der Wettlauf der weißen Großwildjäger auf das exotische Objekt ihrer Begierde längst eingesetzt. Und 1928, Ernst Schäfer büffelt noch für sein Abitur, erlegen zwei Amerikaner den ersten Panda in freier Wildbahn.

Die erfolgreichen Jäger waren Theodore und Kermit Roosevelt, älteste Söhne des US-Präsidenten Theodor „Teddy“ Roosevelt. Die beiden waren unterwegs im Auftrag des berühmten Field Museum of Natural History in Chicago. Der Erfolg der Brüder weckte Begehrlichkeiten. Zum Beispiel bei der ebenfalls renommierten Academy of Natural Sciences in Philadelphia. Als zeitweiliger Kurator arbeitete dort der aus einer wohlhabenden Industriellenfamilie stammende Brooke Dolan II. Das Zoologie-Studium in Princeton und Harvard empfand der zur Exzentrik neigende Dolan als wenig befriedigend. Ähnlich wie Schäfer sehnte er sich jenseits von Labor und Hörsaal nach Jagdabenteuern und Forschungsreisen.

Dolan war finanziell unabhängig und bot der Academy eine von ihm organisierte und bezahlte Expedition in das Panda-Gebiet Westchinas an. Man wurde sich schnell einig, und Dolan kontaktierte den als erfahrenen Zoologen und Gebietskenner bekannten Hugo Weigold in Hannover. Der wiederum empfahl den ehrgeizigen Studenten und exzellenten Schützen Schäfer als weiteren Begleiter. Zwei Seelenverwandte begegneten sich, der nur zwei Jahre ältere Dolan nannte Schäfer fortan „Junge“, umgekehrt redete der den Amerikaner mit „Brooky“ an. Dolan verpflichtete noch den Kameramann Otto Gnieser und den Ethnologen Gordon T. Bowles für die Expedition, die am 13. Januar 1931 Berlin mit der Transsibirischen Eisenbahn Richtung Osten verließ. Über Moskau und Sibirien erreichte die fünfköpfige Gruppe nach zwei Wochen Peking. Dann ging es über Shanghai mit einem Dampfer den Jangtsekiang hinauf nach Westen.

In der Provinzstadt Tatsienlu (heute Kangding), seit langer Zeit wichtiger Grenzort zwischen Tibet und China – obwohl Peking wie Lhasa Tausende Kilometer entfernt sind –, trennen sich ihre Wege. Ethnologe Bowles erkundet die Völkermischung der Grenzregion unterstützt vom Kameramann Gnieser, während die drei Zoologen weiter nach Westen ziehen, ins Pandagebirge, Vorland der tibetischen Hochebene, und in Gebiete, in denen auf ihre Unabhängigkeit bedachte regionale Machthaber und Stammesfürsten das Sagen haben. Bald ist Schäfer auf der Jagd. Woche um Woche durchpirscht er mithilfe einheimischer Führer die unwegsamen, meist dicht bewaldeten Berghänge, erlegt Groß- und Kleinwild, Goral, Serau, Takin, aber auch Murmeltiere, Füchse, Hasen, Hirsche, Bären, Wildschweine, Dachse und Wölfe. Dann, Mitte Mai 1931, kampiert er mit seinem Führer seit Tagen im Bambusdickicht. Pandarevier. Doch die scheuen Bären entgehen immer wieder ihren Verfolgern, die Hatz wird ermüdend, der launische Schäfer ist gereizt. Doch kurz vor Abbruch der Pirsch entdecken sie einen arglos Bambus schmausenden Panda.

„Jetzt geht es um alles … Entfernung 400 Meter, näheres Anpirschen sinnlos … also handeln und vor allem die Nerven behalten. So reiße ich mich zusammen und suche nach einer Auflage … und warte bis der Rumpf des Bären frei im Zielfernrohr erscheint. Der Todesstachel sucht und fasst, längst habe ich die Büchse eingestochen, leise, ganz leise, Atem angehalten. Peng – dröhnend werfen die Wände das Echo zurück. Der Bär fällt, fängt sich wieder, hängt frei über dem Abgrund. Raus nun, was der Büchsenlauf aushalten kann, denn ein verwundeter Bär ist ein für uns verlorener Bär. Nur der tote ist unser. Und so jage ich schießend und immer wieder repetierend noch sechs weitere Kugeln hinüber, steintot fällt der Bär. Glutheiß ist die Büchse, wild schlägt das Herz, aber dann löst sich die Spannung …“17


Ernst Schäfer 1931 auf seiner ersten Expedition gemeinsam mit Brooke Dolan in Westchina. Er hält den von ihm erlegten Pandabären im Arm und einen Tragopan, eine Fasanenart.

Für Ernst Schäfer legt der Jäger im entscheidenden Moment alle zivilisatorische Überprägung ab, wird ganz Instinkt, gleich seinem tierischen Opfer, verschmilzt mit ihm. Über diese tödliche Jagdmagie fabuliert er weitschweifig und mit einer persönlichen Intensität, dass es wie eine nagende Sucht klingt. Auf einem Foto in Schäfers Reisebereicht sieht man den bärtigen Jäger sitzen, er umfasst den Hals des toten Panda wie im Schwitzkastengriff, blickt ihm in die erloschenen Augen, in der anderen Hand hält er einen toten Fasan.

Der 21-jährige Großwildjäger glaubte jedenfalls nun, die „Feuerprobe“ seiner Forscherlaufbahn bestanden zu haben. Ein Hauptziel der Expedition war mit dem erlegten Pandabären jedenfalls erreicht, nach neun Monaten verlassen sie China und reisen heimwärts. Neben dem Panda bringt die Expedition mehrere Hundert Säugetierfelle und rund 900 Vogelbälger mit. Schäfer und Weigold reisen nun über Burma nach Indien, die anderen Teilnehmer nehmen den Weg über den Hafen von Shanghai. Am 13. Januar 1932 betreten Weigold und Schäfer indisches Territorium. Dank großzügiger Spenden wurde in Philadelphia eine habitat group aus den Pandabären und dem tibetischen Takin im Museum aufgestellt. Aber für Ernst Schäfer war eines nach dieser Reise absolut sicher: Tibet, an dessen äußerster Grenze er gerade mal kurz gekratzt hatte, wurde zum Sehnsuchtsland schlechthin, Projektionsfläche seiner Fluchtphantasien, Männertraum von nomadischer Freiheit und heroischer Einsamkeit.

Schäfers früher Drang in die Wildnis war vor allem gespeist aus einem gerüttelt Maß an Zivilisationsüberdruss, ja wenn nicht garekel. Wie schreibt er am Ende seines Berichts über die erste Expedition: „Ich biege um eine jähe Felsenecke, wo eine große Orchidee blüht – und dann traue ich meinen Augen nicht mehr – da steht ein Auto! Selten habe ich gehaßt, aber dieses Automobil hasse ich mehr als alles andere auf Erden. Wie gelähmt lehne ich in den weichen Polstern, mir ist es wie eine Entführung … vorbei das Nirvana, der Urwald, der nur den Kampf kennt. Aber nicht den Haß!“

Zumindest die regionale Presse wird aufmerksam auf den jungen Zoologie-Studenten und seine Tibetfahrt. Das Hannoversche Tageblatt vereinnahmt kurzerhand alle Teilnehmer zu Einheimischen und titelt „Hannoveraner forschen in Tibet – Zwischen Dschungel und Hochgebirge – Von Chinesischen Banden bedroht!“

Nazis in Tibet

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