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Zurück ins „Sehnsuchtsland“

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Am 5. April 1934 verließ Schäfer Deutschland mit Ziel Shanghai und traf dort mit Brooky und dessen Frau Emily zusammen. Dolan hatte neben Schäfer noch den landes- und sprachkundigen amerikanischen Missionar Marion Duncan für die Expedition verpflichtet. Mitte Juli schiffte man sich auf dem Fluss-Dampfer Ichang Richtung Westen ein. Schäfer notiert in bekannter Diktion

„… auch wir lebten in Shanghai in Saus und Braus, doch in unsrem Innern hatte etwas anderes gewühlt: Der Drang nach Wildnis und unbändiger Freiheit, nach großem Erleben, wie es nur die Einsamkeit dem Forscher offenbaren kann.“19

Von allem bekam er in den folgenden 18 Monaten reichlich. Die Expedition plagten Krankheiten, finanzielle Engpässe, Raubüberfälle und machtbewusste Warlords. Schließlich brach das Team auseinander, als Brooke Dolan im abgelegenen Städtchen Jyekundo aufbrach, um Geld und Unterstützung aus der Provinzhauptstadt Sining zu holen. Schäfer blieb über mehrere Monate unter widrigen Bedingungen völlig auf sich und seine Fähigkeiten gestellt. Trotzdem gelang es ihm, mit seiner kleinen einheimischen Mannschaft bis weit in unbekannte Gebiete der Chang Tang vorzudringen und das Quellgebiet des Jangtsekiang zu erkunden. Überflüssig zu erwähnen, dass er auch hier auf die seltenen Großtiere der Chang Tang, den wilden Yak und den Tibetbär, ausgiebig seine Büchse richtete.

Schäfer entdeckte bei dieser Exkursion eine bislang der Zoologie unbekannte Spielart des Blauschafs. Lange war in der Fachwelt umstritten, ob es sich bei der isoliert lebenden Population um eine eigenständige Unterart handelte. Erst 1978 wurde das Zwergblauschaf dann als solche anerkannt und erhielt in Anerkennung ihres Entdeckers die taxonomische Bezeichnung Pseudovis nayur schaeferi. 350 Säugetierexemplare, daneben Kleinfunde wie Schädel und Gehörn, und 2500 Vogelbälger sowie 2500 Mollusken befanden sich schließlich in den Expeditionskisten, die zurück nach Philadelphia verschifft wurden. Wissenschaftlich betrachtet war das Unternehmen damit ein Erfolg.

Als Schäfer bei seiner Rückkehr nach Jyekundo feststellen musste, dass keine Hilfe eingetroffen war – weder Geld noch Lebensmittel – und von seinem Bruder im Geiste und Freund Brooke Dolan jede Spur fehlte außer einigen monatealten Briefen, fühlte er sich verletzt und betrogen. Aber es gelang ihm letztendlich doch, sich samt dem Expeditionsgepäck Richtung Shanghai einzuschiffen. Dolan, der nach seiner gescheiterten Mission nach Sining krank wurde und dann weiter nach Shanghai reiste, da er keinen anderen Ausweg sah, reist nun Schäfer entgegen. Bei ihrer Begegnung nahe des Städtchens Dochen droht Schäfer mit einem Benzinkanister in der Hand, das Expeditionsgut zu verbrennen, sollte sich Dolan nicht umgehend entschuldigen. Der hadert, argumentiert, erklärt sich: “… wenn ich zurückgekehrt wäre, wäre ich nur eine Belastung für dich gewesen. Ich war doch immer nur das Aushängeschild, und ich wußte doch, dass du es auch alleine schaffen würdest!“

Er bietet Schäfer an, ein Drittel der Sammlung an ihn abzutreten, und lädt ihn ein, mit nach Philadelphia zu seiner Familie zu reisen. Man verträgt sich zwar mit einem Handschlag, beschließt, die Expedition gemeinsam zu Ende zu bringen, aber der entstandene Riss in ihrer Freundschaft wird sich nicht mehr schließen lassen. Dolans Beweggründe, ihn allein in Jyekundo zurückzulassen, konnte Schäfer zeitlebens nicht nachvollziehen. Noch Jahrzehnte später schreibt er von seinem tiefen Misstrauen gegen das „Yankeetum“, das sich damals bei ihm unauslöschlich festgesetzt hat.20

Nicht nur der in Deutschland jetzt herrschende radikale Nationalismus, sondern auch diese bittere Enttäuschung durch seinen amerikanischen Freund bringen Schäfer dazu, jetzt immer häufiger von seinem Plan einer „rein deutschen Tibet-Expedition“ zu sprechen. Schäfer schreibt über die „2. Brooke Dolan Expedition“ einen zweibändigen Reisebericht „Unbekanntes Tibet“ und „Dach der Welt“. Im Vorwort lässt Schäfer keinen Zweifel mehr darüber aufkommen, welche Prioritäten er nun setzt:

„Mit der allgemeinen Erhebung durch die nationale Revolution in Deutschland erlebt unsere Forschung nicht nur als reine Wissenschaft neuen Aufschwung, sondern sie wird auch in neue Bahnen gelenkt: neben der Pflege wichtiger Wissensziele gilt es, die Wissenschaft zur Trägerin kernigen deutschen Mannestums zu machen. So wollen wir Forscher nicht nur Verkünder objektiver Wissenschaft, sondern selbstbewußte Soldaten des deutschen Geistes sein.“21

Anfang November 1935 erreichte Ernst Schäfer samt der mehrere Tonnen umfassenden Expeditionsausbeute wieder Shanghai. Nach 18 Monaten in der westchinesischen Bergwildnis, unter freiem Himmel und unter primitivsten Bedingungen überforderten ihn Enge, Lautstärke und Brutalität der kosmopolitischen Millionenmetropole. Schäfer war schnell eine Attraktion, wurde in der deutschen und britischen Kolonie herumgereicht, ein gern gesehener Partygast und Vortragsredner. Er selbst war sich über seine nächsten Schritte noch nicht recht im Klaren. Welche Möglichkeiten würden sich ihm in Deutschland bieten? Im „neuen Deutschland“ der NS-Diktatur, der er sich ja bereits willig angenähert hatte. Fast zwei Jahre hatte er nun keinen deutschen Boden mehr betreten, nichts von den jüngsten politischen Entwicklungen dort selbst erfahren.

In diesen Tagen lud ihn der deutsche Generalkonsul in Shanghai, Oberst Hermann Kriebel, zum Tee ein. Kriebel, ein Nationalsozialist der ersten Stunde, hatte den Hitlerputsch 1923 militärisch geplant und mit Hitler in der Festungshaft in Landsberg gesessen. Nun war er zu der Überzeugung gelangt, dass Schäfer „einer der Männer ist, die aus dem Holz sind, aus dem die großen deutschen Forscher bestehen!“, und bot ihm unumwunden an, sich mit Empfehlungsschreiben an „führende Persönlichkeiten“ in Deutschland für ihn einzusetzen. Schäfer dankte, nahm an, und Kriebel setzte Anfang Januar 1936 mehrere Briefe auf, etwa an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (bis 1935 „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“) und an die Kulturpolitische Abteilung des Auswärtigen Amtes. Er bitte um finanzielle und ideelle Unterstützung für den vielversprechenden und linientreuen Jungforscher, schreibt Kriebel und gibt zu bedenken, dass Schäfer sonst in die Dienste der Amerikaner oder sogar der Chinesen treten könne. „Es ist aber nicht nötig, dass uns der Mann verloren geht. Sein sehnlichster Wunsch ist es, als Deutscher eine deutsche Expedition in das Gebiet zu leiten, das nach seiner Überzeugung noch eine ungeheure Ausbeute an wissenschaftlichen Ergebnissen verspricht.“ Ein Plan Schäfers für eine „deutsche wissenschaftliche Jungmannschaft“ liege bereits vor, schwärmt Kriebel. Schäfer selbst flankiert die Bittbriefe des Generalkonsuls mit einem eigenen Schreiben an den ihm bekannten SS-Gruppenführer August Heißmeyer, damals Chef des SS-Hauptamtes. Wortreich und wie so oft an der Grenze zur peinlichen Prahlerei schildert er in vertraulichem Ton den Expeditionsablauf und seine vermeintlich überragende Rolle dabei.

Er gibt zu bedenken, dass die Amerikaner ihm in New York und in Philadelphia eine Stelle in Aussicht gestellt haben, ebenso die Chinesen in Nanking. Natürlich würde er lieber für sein Heimatland arbeiten, er winkt mit seinen Teilrechten an dem Expeditionsgut und den Veröffentlichungen, seiner Foto- und Filmausbeute. Bevor er mit der Academy of Natural Sciences in Verhandlungen tritt, möchte er deshalb wissen „Inwieweit kann ich mich durch die Zusage einer finanziellen Unterstützung in Deutschland den Amerikanern gegenüber gedeckt fühlen?“ Und dann hoffe er natürlich auf eine „unbürokratische Lösung“ seines wissenschaftlichen Abschlusses, sprich die Erlangung der Doktorwürde ohne Examen.

Während man an verschiedensten Stellen in Berlin die Briefe von Kriebel und Schäfer las und bewertete, schifften sich am 6. Januar 1936 Brooke und Emily Dolan mit Ernst Schäfer auf der Empress of Asia der Canadian Pacific Line für die Ozean-Passage nach Vancouver ein. In Deutschland machte nun auch die NS-Presse Stimmung. Das Parteiblatt Völkischer Beobachter ließ Schäfer ebenso hochleben wie die SS-Postille „Das Schwarze Korps“: „Deutsche Energie erobert die Welt“ hieß es da, und „Schäfer, ein kämpfender Forscher“. Die Weichen waren gestellt. Den 25-jährigen Jungforscher und Noch-Studenten in Deutschland zu halten und nicht an das Ausland zu verlieren, entwickelte sich rasch zum Politikum.

Nazis in Tibet

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