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Vorwort

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Das Onlinemagazin Science Daily musste selbst zugeben, dass die Geschichte, die man da im September 2012 veröffentlichte, sehr nach einem Plot aus einem Indiana-Jones-Film klang. Wissenschaftler des Instituts für Planetologie der Universität Stuttgart, so war zu lesen, hatten herausgefunden, dass eine antike Buddhastatue aus einem Stück Meteoritgestein gemeißelt worden war – das belegten Materialanalysen. Danach handelte es sich um eine äußerst seltene Eisen-Nickel-Legierung namens Ataxit, kurzum um ein Fragment des sog. „Chinga-Meteoriten“, der vor etwa 15.000 Jahren über der Grenzregion zwischen Sibirien und der Mongolei niedergegangen war. Die „Iron Man“ genannte Statue wog rund 10 Kilogramm, maß 24 Zentimeter Höhe und trug eine auffällige Swastika-Gravur auf der Brust. Das Stück wurde von den Stuttgarter Wissenschaftlern als eine buddhistische Gottheit identifiziert, möglicherweise aus der frühtibetischen Bön-Kultur stammend.

Über einen Privatsammler wäre man an das wertvolle Stück gelangt, das mit der Tibet-Expedition von Ernst Schäfer 1938/39 nach Deutschland gekommen sei. Da rauschte es umgehend im Blätterwald. „Nazis fanden in Tibet einzigartige Statue aus Meteorit“ titelte eine Nachrichtenagentur, die Süddeutsche meinte fast ehrfürchtig „Eine Gottheit aus dem All“, und auch die sonst so nüchterne Neue Zürcher Zeitung war ergriffen: „Ein Buddha, der vom Himmel fiel“. In dieser hübschen Geschichte zwischen Exotik und Geheimnis ging es natürlich erst einmal unter, dass sich Buddhismus- und Tibetexperten rund um den Erdball angesichts dieser Meldungen schon bald die Haare rauften und auf diverse Ungereimtheiten bei der spektakulären Entdeckung hinwiesen.

Nicht nur Ort und Zeitpunkt der Statuen-Herstellung erschienen äußerst zweifelhaft, ebenso die Ikonographie und ihre historische Zuordnung. Vor allem tauchen in keiner der penibel von der Schäfer-Expedition geführten Listen über die von ihr gesammelten ethnologischen Stücke eine solche oder auch nur entfernt vergleichbare Statuen auf. Die Masse der noch existierenden Stücke aus der Schäfer-Sammlung liegt heute im Magazin des Münchner Museum Fünf Kontinente (dem ehemaligen Völkerkundemuseum). Dort sagte man:

„Buddhafiguren und vor allem Thangkas konnte man in jenen Tagen gar nicht erwerben, da geweihte Gegenstände damals zumindest im zentralen Tibet gar nicht verkauft wurden. Daher befinden sich in der Sammlung Schäfer auch nur unfertige Statuen, die von Schmieden erworben wurden, um den Herstellungsprozess zu dokumentieren. Die hier befindlichen Statuen sind nicht mit geweihten Gegenständen gefüllt und mit einer Grundplatte verschlossen, d.h., sie wurden nicht zum Leben erweckt und sind damit magisch unwirksam und für den Kult nicht verwendbar.“

Die Meteorit-Statue ist aller Wahrscheinlichkeit nach im 20. Jahrhundert hergestellt worden, eher in Europa als in Asien, „für den allgemeinen Antiquitätenhandel oder den Markt der Nazi-Memorabilien“, so das Urteil des Buddhismusexperten Bruno Richtsfeld.

Wahr blieb an der ganzen Geschichte allein das Material, nämlich das seltene Meteoritgestein Ataxit. Und der Versuch der etwas bedröppelten Stuttgarter Wissenschaftler, zu erklären, dass sie ja auch keine Kulturhistoriker seien und eigentlich ja auch nur genau das, nämlich die Herkunft des „Iron Man“ aus dem himmlischen Material, hätten belegen wollen. „Beim Barte des Nazi-Buddha“ kommentierte süffisant Spiegel-online den wissenschaftlichen Patzer.

Wie und warum auch immer der „Nazi-Buddha“ hergestellt wurde, bleibt ungewiss*. Doch die breite Aufregung, die die vermeintlich spektakuläre Fundgeschichte auslöste, belegt nur, was die NZZ konstatierte: „Bis heute ist die Schäfer-Expedition geheimnisumwittert.“ Diese Nazi-Buddha-Episode zeigt eindrücklich die noch immer ungebrochene Faszination der Schäfer-Unternehmung nach Tibet unter dem Banner der SS, fast 80 Jahre nach ihrem Start. Nazis und Tibet – nicht nur eine Reizwortkombination für Hollywood-Streifen, sondern auch für abstruse Spekulationen oder auch kleine wissenschaftliche Fehltritte.

Manche meinen, es wäre um eine okkulte Mission gegangen, andere sagen, es war eine rein wissenschaftliche Unternehmung, und schließlich könnte es sich auch noch um einen geheimen politischen Auftrag der SS gehandelt haben. Nichts davon ist wahr, aber auch nichts falsch, denn die Tibet-Expedition von Ernst Schäfer in den Jahren 1938/39 war eine besondere Gemengelage, in der sich Spuren und Belege für alle diese Behauptungen wiederfinden lassen. Das soll auf den folgenden Seiten berichtet werden, bis hin zu der nicht minder eigenartigen Wirkungsgeschichte dieser ominösen Expedition in der Nachkriegszeit.

Gleichzeitig ist dieser Bericht auch eine biographische Skizze über die Abgründe großen Ehrgeizes und Opportunismus als Überlebensprinzip in den Zeiten einer radikalen Diktatur. Die Tibet-Expedition mag einst den Wünschen und Träumen des jungen Zoologen Ernst Schäfer entsprungen sein, doch von Beginn an bereitete die SS dafür die Bühne, und Heinrich Himmler führte die ideologische Regie. Ernst Schäfer war in diesem Spiel eher Getriebener als Akteur. Bevor wir seinen Wegen folgen, begeben wir uns deshalb auf eine kurze ideengeschichtliche Spurensuche, wie es eigentlich zu der Tibetfaszination eines Reichsführers SS Heinrich Himmler kommen konnte.


Heinrich Himmler bei einer Kranzniederlegung in der Krypta des Quedlinburger Doms zu Ehren des dort einst bestatteten Königs Heinrich I., den Himmler als germanisch-antichristliche Führerpersönlichkeit verehrte (1. Juli 1938).

Nazis in Tibet

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