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Erste Weichenstellungen

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Im Frühjahr 1932 zurück am heimischen Schreibtisch in Göttingen, musste sich der Forscher Schäfer nun wieder den Niederungen des Zoologie-Studiums widmen – profan und eintönig. Notwendig ist ein baldiger Studienabschluss, dann eine Promotion. Bald zählte er Tausende Rehhaare, spaltete, maß und analysierte sie. War das Zoologie? Jedenfalls nicht seine. „Sklavenarbeit“ nannte er es abschätzig. Etwas Abwechslung verschafft ihm die Niederschrift seiner China- und Tibeterlebnisse. Schäfers erstes Buch „Berge, Buddhas und Bären“ erscheint im Herbst 1933. Weitschweifige Jagderlebnisse füllen die meisten Seiten, doch die Exotik ferner Weltregionen reicht aus, um gute Verkaufszahlen zu erzielen. Schäfers Name wird bekannt, er hält erste Vorträge. Als Widmung setzt er seinem Werk voran:

„Gewidmet sei das Buch meinen Kameraden und jedem echten deutschen Jungen, in dem alte Wanderlust und Tatendrang noch wach sind. Mögen sie ihre Fittiche entfalten, um uns Kolonien, Weltgeltung und den ‚Platz an der Sonne‘ wieder zu sichern.“

Das ist ein neuer Zungenschlag, heroisch, martialisch. Es ist der Stil der Zeit, und Ernst Schäfer geht von Beginn an mit. Während er noch auf Pandas pirschte und sich durch den indischen Dschungel schlug, hat sich Deutschland tiefgehend gewandelt. Das erste demokratische Experiment auf deutschem Boden ist gescheitert. Die Weimarer Republik – im um sich greifenden Wahn, ein starker Mann werde es besser richten als Parlamente und Parteien – ist untergegangen. Adolf Hitler und die NSDAP sind seit neun Monaten an der Macht, als Ernst Schäfers Buch erscheint. Und am 1. November 1933 tritt der 23-jährige Student Ernst Schäfer als Anwärter der 51. SSStandarte Göttingen in Heinrich Himmlers Schutzstaffel ein.

Drei Monate später wird er SS-Mann, das ist der unterste Dienstgrad. Amerikanischen Ermittlern gegenüber wird er später behaupten, nur Anwärter gewesen zu sein, nicht Mitglied, alle Studenten seien eben „angehalten gewesen, SA- oder SS-Mitglied zu werden“. Das machte man halt damals so, wenn man etwas werden wollte. Knapp drei Jahre werden noch vergehen, bis der Reichsführer SS den SS-Mann und Tibetforscher Schäfer zu sich rufen wird – um ihm ein unwiderstehliches Angebot zu machen. In diesem Herbst 1933 hatte Heinrich Himmler als Chef der Politischen Polizei in Bayern das erste Lager für internierte Regimegegner eingerichtet und es in die Verantwortung seiner SS gelegt – Dachau. Das Lager wird zum Vorbild und zur Blaupause für das System der Konzentrationslager im NS-Staat.

Ernst Schäfer erhielt dagegen am 18. Januar 1934 eine unerwartete Überraschung: Ein Telegramm von Brooky: „Plane für die Academy of Natural Sciences Philadelphia neue, große Tibetexpedition. Machst du mit?“ Das Unternehmen sollte dieses Mal weiter in das eigentliche Tibet vordringen, genauer gesagt auf die tibetische Hochebene, die östliche Chang Tang, in das Quellgebiet des Jangtsekiang. Weiße Ausländer hatten diese Region bislang noch nicht bereist. Dolan war vor allem interessiert, die damals fast unbekannte Tierwelt der Hochebene genauer zu erforschen, den wilden Yak, den tibetischen Braunbären, die Tibetgazelle (Tschiru), den Kiang oder das Blauschaf. Zwei Jahre sollte die Erkundung dauern, aber die politischen Rahmenbedingungen waren alles andere als ermutigend: Der chinesische Bürgerkrieg zwischen den Kommunisten und der nationalchinesischen Regierung der Kuomintang in Nanking hatte sich verschärft, viele Landesteile litten unter den Kämpfen, und zusätzlich hatte das Kaiserreich Japan die Mandschurei besetzt und drohte, weitere Teile chinesischen Territoriums zu okkupieren.

Nicht nur Schäfers Professoren rieten ihm dringend davon ab, seine wissenschaftliche Laufbahn ein weiteres Mal zu unterbrechen für eine wissenschaftlich mehr als zweifelhafte und außerdem äußerst riskante Unternehmung, auch Eltern und Freunde baten Schäfer, Abstand von einer Expedition mit Brooky zu nehmen – der hatte nämlich in der amerikanischen Boulevardpresse gerade für negative Schlagzeilen mit Alkoholexzessen und anschließenden erheblichen Sachbeschädigungen gesorgt. Vielleicht war dieses unstandesgemäße Verhalten mit ein Grund für seinen Wunsch nach zügigem Aufbruch in den Fernen Osten. Wie beim ersten Mal war Dolan der alleinige Finanzier der Expedition und die Academy in Philadelphia Nutznießer möglicher naturwissenschaftlicher Ergebnisse.

Doch Schäfers Drang, in das osttibetische Hochplateau vorzustoßen, überwog sämtliche Warnungen und Ratschläge. Er sagte Dolan zu, kümmerte sich um wissenschaftliche Instrumente und die Präparationsausrüstung sowie um Waffen und Munition. Und er schrieb einen Brief. Denn Ernst Schäfer besaß ein untrügliches Gespür dafür, welche Klaviatur er wann bei wem anzuschlagen hatte. So bat er einerseits bei der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes um Hilfe durch die deutsche Auslandsvertretung in China und andererseits ersuchte der frischgebackene SS-Mann die Führung der Schutzstaffel in Berlin um Protektion.

Obwohl es sich um eine amerikanisch finanzierte und geleitete Expedition handelte, sah man in der SS-Führung den positiven Imageeffekt überwiegen, wenn einer der ihren an solch einer Unternehmung teilnahm. Prompt formulierte die Göttinger SS-Standarte ein Empfehlungsschreiben an das Auswärtige Amt:

„Schäfers größtes Ziel ist es, nicht nur der deutschen Wissenschaft als Forscher zu nützen, sondern dem neuen Deutschland in allen Staaten, die er auf dieser zweijährigen Reise besucht, durch Einsatz in Wort und Tat zu dienen. Er bittet um das Einverständnis der obersten SS-Führung und um das Wohlwollen und die Unterstützung der Regierung für diese und seine späteren Forschungen.“18

Der Köder war ausgeworfen, man sollte wieder von ihm hören.

Nazis in Tibet

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