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Kleinstädte und Kleinbürger
ОглавлениеDeutschland ist nicht gerade ein großes Land und mit über 80 Millionen Menschen dicht besiedelt. Obwohl die Mehrzahl der Einwohner in Städten wohnt, gibt es dennoch keine Megastädte. Zwar besuchen wir gern Riesenstädte wie Paris, London oder New York, leben möchten die meisten dort aber nicht. Deutsche Städte, egal welcher Größe, sind relativ übersichtlich, meist ähnlich angelegt und oftmals steril langweilig. Auch wenn sie oft mehrere hundert Jahre alt sind und vielen verschiedenen Einflüssen unterworfen waren, so ist davon, bis auf ein paar Ausnahmen, meist wenig übrig geblieben. Dafür haben nicht zuletzt fleißige Stadtplaner gesorgt, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, so viel Individualität wie möglich zunichte zu machen, um dann ihre ganz eigene Auffassung von Stadtgestaltung durchzusetzen. Nun will ich nicht abstreiten, dass solche Leute auch ihre Existenzberechtigung haben, denn es kann ja nicht sein, dass jeder macht, was er will. Deutsche Stadtplaner sind jedoch von einer besonderen Sturheit beseelt, die nur eine Auffassung verträgt, die eigene. Ich bin mit solchen Menschen öfters kollidiert und habe letztendlich immer den Kürzeren gezogen. Das lag aber nicht daran, dass sie die besseren Argumente in Feld führten, sondern dass sie sich ihrer Behördenallmacht bedienten, um klarzumachen, dass es nur eine städtebauliche Meinung gibt. Der Versuch, ein Gebäude, das noch nicht einmal an einer Straße lag und kaum einzusehen war, grau zu streichen, endete mit der Erkenntnis, dass in meiner Stadt alle Häuser seit Jahren nur beige gestrichen werden. Und tatsächlich, nachdem mir dieser Hinweis schriftlich zugegangen war, musste ich feststellen, dass dem so ist. Diese Leute haben es fertig gebracht, einer ganzen Stadt ihren Willen aufzudrücken und zwar einen beigen. Wäre ich in einer anderen deutschen Stadt gewesen, hätte ich mein Haus bestimmt blau anstreichen müssen, nur weil es dort Stadtplaner gibt, die sich auf solch eine Farbe festgelegt haben. Warum soll es deutschen Städten anders ergeben, als deren Bewohnern? Deutsche Städte sind über Jahrhunderte gewachsen, leider nicht kontinuierlich. In regelmäßigen Abständen übten sich unsere Vorfahren im Kriegshandwerk. Das führte dazu, dass Stadtplaner immer wieder die Gelegenheit erhielten, von vorn zu beginnen. Manchmal fiel diesen kriegerischen Auseinandersetzungen auch der Stadtplaner zum Opfer. Heute muss man bis zu dessen Pensionierung warten. Stadtplaner in Deutschland sind nicht gerade sehr einfallsreich. Kleinere Städte und Ortschaften in einer bestimmten Region sehen sich sowieso sehr ähnlich. Selbst die Kirchen, oftmals das einzig nennenswerte Bauwerk, machen da keine Ausnahme.
Deutschlands größte Stadt Berlin bringt es gerade mal auf etwas mehr als drei Millionen Einwohner. Das ist für Deutschland sehr groß. Die Mehrzahl der Deutschen hat es von jeher vorgezogen in kleinen bis mittleren Städten zu wohnen und davon gibt es eine ganze Menge, was bei einer Einwohnerzahl von 80 Millionen bedeutet, dass sie ziemlich eng beieinander liegen. Wer heute in bestimmten Teilen Deutschlands unterwegs ist, hat den Eindruck, dass Dörfer und Städte nahtlos ineinander übergehen. Es gibt Regionen, da stehen Ortsausgangs- und -eingangsschild von zwei Gemeinden direkt nebeneinander. Die Reisedauer zwischen zwei Orten dauert oftmals nur wenige Minuten. Deshalb haben die Deutschen auch ein sehr eigenwilliges Entfernungsgefühl entwickelt. Ist der Weg zum nächsten Supermarkt länger als zwei Kilometer, wird das als unzumutbar eingestuft. Die Bewältigung einer 100 km-Distanz wird hierzulande schon mal als Tagesreise eingestuft und ab 500 km Entfernung eine Übernachtung eingeplant. In den USA habe ich die Leute auf dem Land bewundert, die für ein paar belanglose Dinge nach unseren Maßstäben, Weltreisen unternahmen. Meine Schwiegereltern wohnen 50 km entfernt in einer Kleinstadt. Aber es kostet uns schon sehr viel Überwindung, regelmäßig dort hinzufahren.
Heute kommt es öfter vor, dass Leute auf der Suche nach Arbeit in eine andere Region umsiedeln müssen. Das kommt einer familiären Katastrophe gleich. Erst letztens hat mir eine Bekannte heulend mitgeteilt, dass ihre Familie nun endgültig entzweit ist. Die Tochter und Enkel sind nach München zogen. München liegt gerade mal 600 km entfernt. Mit dem Auto ist man in knapp vier Stunden dort. Mit amerikanischen Verhältnissen gemessen, ist das direkt um die Ecke. In Deutschland, wo die längste Distanz 1.000 km beträgt, ist das jedoch ein Umzug ans Ende der Welt.