Читать книгу Der geduldete Klassenfeind: Als West - Korrespondent in der DDR - Peter Pragal - Страница 5
Mit West-Pass nach Ost-Berlin
ОглавлениеUnser Start in das Abenteuer DDR begann mit einem Versprechen, einer Abmachung unter Eheleuten. »Was immer künftig passiert«, sagte meine Frau, »wir dürfen niemals erpressbar werden.« Wir fuhren auf der Autobahn. München, wo wir seit Jahren zu Hause waren, lag hinter uns. Gerade hatten wir die Donau überquert. Ich wusste sofort, was sie meinte. Unsere Reise nach Berlin an einem Februartag des Jahres 1974 war kein Ausflug oder ein Wochenendtrip. Vor uns lag eine Bewährungsprobe. Wir waren dabei, unseren Wohnsitz in einen Staat zu verlegen, dessen Geheimdienst uns als »Klassenfeinde« betrachten würde. Und wenig Skrupel kannte, menschliche Schwächen auszunutzen. Bei uns, da waren wir uns einig, würden sie keine Chance haben, Vertrauen und Verlässlichkeit zu untergraben.
Vier Wochen zuvor, am 10. Januar 1974, hatte ich im DDR-Außenministerium in Ost-Berlin meinen Presseausweis als akkreditierter Korrespondent der Süddeutschen Zeitung erhalten. Das Visum und die Aufenthaltsgenehmigung »für das gesamte Gebiet der DDR«, befristet zunächst auf ein halbes Jahr, wurden in meinen bundesdeutschen Reisepass gestempelt. Fast ein Jahr hatte ich auf diesen Augenblick gewartet. Zwar hatte sich die DDR in der Folge des Grundlagenvertrages von 1972 verpflichtet, bundesdeutsche Journalisten als ständige Korrespondenten ins Land zu lassen. Die schriftliche Zusage hatte ich seit März 1973. Aber mit der Umsetzung ließ sie sich Zeit.
Als ich das Ministeriums-Gebäude am Spreeufer verließ, war mein Frust über die Schwerfälligkeit kommunistischer Bürokratie verflogen. Beschwingt ging ich die Straße Unter den Linden in Richtung Brandenburger Tor. Vorbei an der Staatsoper und der Humboldt-Universität. Nicht mehr als Tourist und Tagesbesucher, sondern als künftiger Bewohner Ost-Berlins. Einer mit einer Adresse in der »Hauptstadt der DDR«. Endlich konnte ich tun, was ich mir gewünscht und weshalb mich meine Redaktion hierher geschickt hatte: das Leben der Menschen im sozialistischen deutschen Staat beschreiben. Ihren Alltag in Beruf und Freizeit. Ihre Sorgen und ihre Freuden. Und wie sie sich eingerichtet haben in der SED-Diktatur.
Ich war nicht der erste westdeutsche Journalist, den die DDR akkreditierte. Ein paar Kollegen, unter ihnen die Vertreter der Deutschen Presse-Agentur und des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, hatten ihre Ausweise vor mir bekommen. Aber ich war der erste, der freiwillig seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik aufgab und ganz nach Ost-Berlin verlegte. Mit Ehefrau und zwei kleinen Kindern. Da für die ständigen Korrespondenten ebenso wie für ausländische Diplomaten Residenzpflicht bestand, hatten auch meine Kollegen eine Büro- und Wohnadresse im Ostteil der Stadt. Ihren Hauptwohnsitz behielten die meisten jedoch in West-Berlin. Und mit ihm oft auch ihren privaten Lebensmittelpunkt.
Unser neues Domizil war in einem Plattenhochhaus im Stadtteil Lichtenberg. Weißenseer Weg 2, vierte Etage, Wohnung 06. Später erhielt die Straße den Namen Ho Chi Minh. Vier Zimmer, Küche, WC, Bad, auch »Nasszelle« genannt. Kein Balkon und kein Keller. Auch Garagen gab es nicht. Dafür wurde der Parkplatz neben dem Gebäude von der Volkspolizei bewacht. Insgesamt 96 Quadratmeter Wohnfläche. Zugewiesen vom Dienstleistungsamt für Ausländische Vertretungen, einer Behörde, die eng mit dem Außenministerium und der Stasi zusammenarbeitete. Die ursprünglich bunten Tapeten – jedes Zimmer in einem anderen unruhigen Muster – hatten wir einheitlich weiß überstreichen lassen. Zum Entsetzen der Mitarbeiter, die kein Verständnis für unseren Geschmack hatten. Weiße Wände – das war nach Ansicht von SED-Funktionären typisch für Arme-Leute-Behausungen. »Die Wohnung wurde in renoviertem Zustand übernommen«, heißt es im Übergabeprotokoll. Das Haus war erst seit einigen Wochen bewohnbar. Bei der Miete zeigte das Amt einen durchaus kapitalistischen Erwerbssinn. 1200 D-Mark pro Monat kassierte der staatliche Vermieter, einzuzahlen vierteljährlich im Voraus auf ein Devisenkonto der DDR-Außenhandelsbank. Das seien eben Marktpreise, sagte man mir im Außenministerium. In Tokio seien die Mieten höher.
Die Vorbereitung auf den Umzug war mühevoll. Wochenlang waren wir in München damit beschäftigt, unseren Hausstand für den DDR-Zoll aufzulisten. Allein die Aufstellung der Bücher, die wir nach Ost-Berlin mitnehmen wollten, füllte zwölf eng beschriebene DIN-A4-Seiten. Alles musste vermerkt sein, Autor, Titel, Verlag, Erscheinungsjahr. Einige Bücher waren darunter, die der Zoll unter normalen Umständen an der Grenze beschlagnahmt hätte. Etwa Robert Havemanns »Fragen – Antworten – Fragen«. Oder die Streitschrift »Monopol-Sozialismus« des polnischen Dissidenten Jacek Kuroń. Bei uns setzte der Zoll auf jeden Einfuhr-Antrag ohne Beanstandung den Genehmigungsstempel. Versehen mit dem Zusatz: »Ohne Handelswert.«
In der leeren Wohnung warteten wir auf unsere Möbel. Unsere Kinder Markus und Katharina waren in der Obhut der Großeltern. Meine Frau und ich schauten aus dem Fenster. Unten knatterten die Trabis vorbei. Die Abgaswolken waren deutlich erkennbar. Die äußeren Rahmen der Fenster waren mit Graphitstaub überzogen, der aus den Schloten des »VEB Elektrokohle« herüberwehte. Rund ums Haus war Baustelle. Ein Plattenbau nach dem anderen wurde hochgezogen. Der Boden war aufgeweicht und von Gräben durchzogen. »Wie soll ich da mit dem Kinderwagen durchkommen«, sagte meine Frau. Die Tochter war erst ein paar Monate jung. Die Beschwernisse des Alltags – das war uns in diesem Moment klar – würde vor allem die Ehefrau zu tragen haben.
Der Wechsel aus dem wohlgeordneten Leben in München in die schroffe Welt des realen Sozialismus war ein Kulturschock. In Ost-Berlin waren wir Fremde. Keine Freunde, keine Bekannten, die man um Rat und Unterstützung fragen könnte. Aber wie im Ausland fühlten wir uns auch nicht. Wir waren nicht in Warschau oder Moskau, sondern in einer deutschen Stadt. Wir fühlten uns wie Pioniere. Offen und bereit, diese Hälfte einer durch die Mauer geteilten Metropole Schritt für Schritt zu erforschen. Unsere Neugier war stärker als unsere Bedenken. »Wir schaffen das«, sagte meine Frau.
Gegen Mittag fuhr die Spedition vor. Ein gelber Lastwagen samt Hänger. Mit Münchner Kennzeichen. Die Bauarbeiter unterbrachen ihre Arbeit. Zuzug aus dem Westen war für sie neu. Als die Türen des Anhängers geöffnet wurden, steigerte sich ihre Verwunderung. Da stand, fest verzurrt, eine »Ente«, der 2CV meiner Frau. Weil Möbel und Kartons nicht den gesamten Platz ein nahmen, hatten wir das Auto in München über eine Rampe in den Hänger gefahren. Aber hier gab es keine Rampe, um den Wagen wieder auf den Boden zu bekommen. Der Fahrer aus Bayern sah sich um. Er winkte einem Kranführer. Der kam aus seiner Kabine herunter geklettert. Der Möbelpacker erklärte ihm, worum es ging. Der Kranführer legt zwei Gurte um das Auto, stieg auf seinen Hochsitz und beförderte die »Ente« sanft auf den Boden.
Unsere Spediteure blockierten mit ihrem Laster den Hauseingang. Möbelpacker aus Ost-Berlin, die den Hausrat einer DDR-Familie abladen wollten, mussten deshalb warten. »Können wir euch solange helfen?«, fragten sie ihre West-Kollegen. Die hatten nichts dagegen. Es entspann sich ein Erfahrungsaustausch unter deutschen Werktätigen. »Ihr seid wohl von der alten Schule«, meinten die Berliner und schauten auf die beiden Kästen Bier, die ihre Münchner Kollegen ausgeladen hatten. Alkoholgenuss während der Arbeit war in der DDR verboten – eine Bestimmung, die in der Praxis freilich oft missachtet wurde.
Noch mehr staunten die Ostler, als sie drei flache Rollwagen erblickten, auf denen die Spediteure aus Bayern Schränke, Waschmaschine und Kisten zum Fahrstuhl fuhren, anstatt sie mit eigener Kraft zu schleppen. Als die Malocher aus dem Arbeiter- und Bauernstaat auch noch erfuhren, dass die Münchner nach festen Stundenlöhnen bezahlt wurden, während sich ihr wesentlich geringerer Verdienst nach der Kubikmeterzahl der transportierten Möbel berechnete, war klar, wer im Ost-West-Vergleich das schwerere Los hatte. »Bei uns«, sagte einer der Berliner, »wird viel mehr geschuftet.«
Die Möbel waren an ihrem Platz, die Teppiche verlegt, die Kisten ausgeräumt und die Spediteure auf dem Heimweg, da fiel unser Blick auf die kahlen Wände. Die Bilder fehlten noch. Wir überlegten, welcher Stich und welches Gemälde an welcher Stelle hängen sollten. Im Werkzeugkasten fand ich Hammer und Bilderhaken. Aber so sehr ich mich auch anstrengte, der Nagel ging nicht in die Wand. Auch nicht an einer anderen Stelle. Schon beim ersten festen Schlag krümmte sich der Metallstift. Gegen den Beton der Fertigteile hatte ich keine Chance. Am Schwarzen Brett im Hauseingang hatte ich den Satz gelesen: »Der Bohrmann kommt.« Darunter der Name des Hausmeisters. Den bat ich um Hilfe. Mit seiner starken Bohrmaschine »schoss« er Löcher zur Befestigung der Dübel in die Betonwände. Für jedes Loch nahm er, vermutlich auf Anweisung des Vermieters, zwei Ost-Mark.
Paul H. war ein waschechter Berliner. Ein freundlicher, hilfsbereiter Mann, der viel von preußischen Tugenden hielt. Mitte fünfzig, von untersetzter Statur, die Haare sorgfältig gescheitelt. Der blaue Arbeitsanzug, den er trug, wirkte wie frisch gebügelt. Ohne »Paule« hätten wir uns am Anfang schwer getan. Er gab uns Hinweise, wo wir gut essen konnten. Er besorgte uns einen Kumpel, der die Waschmaschine anschloss. Und er sagte uns, wo es einen Privatbäcker gab, dessen Schrippen besser schmeckten als die Fabrikware aus der Kaufhalle. Während sein Hausmeister-Kollege im Ruf stand, für die »Firma Horch und Guck« die Augen offen zu halten, hatte »Paule« mit seiner sozialistischen Obrigkeit wenig im Sinn.
Ich merkte es an seinen Reaktionen zum Thema Fußball. Im Sommer 1974 war Weltmeisterschaft. »Paule« drückte der westdeutschen Mannschaft die Daumen. Als sie in Hamburg vom DDR-Kollektiv eins zu null geschlagen wurde, brach für ihn eine Welt zusammen. Diesen Triumph hat er dem Regime nicht gegönnt. Als er am Tag nach dem Sparwasser-Tor, wie jeden Morgen, im Hausflur stand, hatte er ein trauriges Gesicht. Wortlos ließ er mich passieren. Diese Schmach wollte er nicht kommentieren. In den nächsten Tagen ging es ihm besser. Mit jedem Sieg der Westdeutschen hellte sich seine Miene auf. Erst hat er mir anerkennend zugenickt, dann die Hand zur Gratulation entgegengestreckt. Und schließlich, als Beckenbauer, Müller und Co. den Titel gewonnen hatten, schlug er mir mit seiner Arbeiterhand auf die Schulter. »Na also«, sagte er, sichtlich stolz darauf, dass »die Jungs« seine Erwartungen doch noch erfüllt hatten.
Einige Monate vor meinem Arbeitsbeginn am 1. März 1974 hatte ich im Außenministerium darum gebeten, mich bei der Suche nach einem Büroraum im Stadtzentrum zu unterstützen. Ein geeignetes Mietobjekt zu finden, sei schwierig, bekam ich zur Antwort. Die DDR erlebte zu dieser Zeit eine diplomatische Anerkennungswelle. Immer mehr westliche Staaten nahmen offizielle Beziehungen zum zweiten deutschen Staat auf und benötigten für ihre Missionen Räume. Und die waren knapp. Ich musste also warten und vorübergehend in der Wohnung arbeiten. Das war für ein harmonisches Familienleben nicht gerade förderlich. Die Wohnung war extrem hellhörig. Auch durch geschlossene Türen drang jeder Laut. Wenn die Kinder lärmten, wurden sie ermahnt: »Seid ruhig, Papa muss schreiben.«
Ohne Telefon ist ein Journalist hilflos. Ich hatte frühzeitig einen Anschluss beantragt, aber als wir einzogen, war kein Apparat da. Wie sollte ich meine Texte, die ich damals auf der mechanischen Maschine schrieb, nach München übermitteln? Ich fuhr nach West-Berlin. Mal ins Büro der Süddeutschen Zeitung, mal in ein Postamt, das gleich hinter dem Grenzübergang lag. Von dort aus habe ich meine Artikel der Nachrichtenaufnahme der Zeitung aufs Band gesprochen. Eine Sekretärin hat dann den Text abgeschrieben. So ging das etliche Wochen. Eine Praxis, die viel Zeit kostete. Und eine Mühsal, die man sich im Zeitalter von Handy und E-Mails kaum noch vorstellen kann.
Nach einem Vierteljahr wurde endlich ein Telefon in unserer Wohnung installiert. Ein graues Gehäuse mit einer Wählscheibe. Unsere Freude war nur kurz. Oft gab es kein Amtszeichen. Das lag daran, dass ein anderer Teilnehmer sprach. Die DDR-Post hatte uns fürs Erste einen sogenannten Doppelanschluss zugeteilt. Wenn es stark regnete, tat sich auch nichts. Und als ein Bagger das provisorische Kabel zerriss, war die Leitung für längere Zeit tot. Dann blieb mir nichts anderes übrig, als wieder zum Telefonieren nach West-Berlin zu fahren.
Im Lauf der Zeit besserte sich die Lage. Aus dem Doppel- wurde ein Einzelanschluss. Ortsgespräche kamen in der Regel problemlos zustande. Nach West-Berlin gab es eine Durchwahlnummer. Doch die war meistens besetzt. Man konnte sich die Finger wund wählen, bis man endlich »durch war«. Gespräche in die Bundesrepublik mussten beim Fernamt angemeldet werden. Das dauerte. Als die DDR ihre Ständige Vertretung in Bonn einrichtete, waren Gespräche dorthin im Selbstwählverkehr möglich. Aus der Bundesrepublik konnte man sich direkt ins Ost-Berliner Netz einwählen. Das nutzte vor allem meine in Nordrhein-Westfalen wohnende Schwiegermutter, um sich nach unserem Befinden zu erkundigen. Für sie war die DDR unverändert »die Zone«. Auch meine Frau nahm bei den Gesprächen mit ihr kein Blatt vor den Mund. Sie wusste oder ahnte zwar, dass die Stasi mithört. Aber das kümmerte sie nicht. Sie schimpfte auf alles, was ihr an diesem autoritären Staat missfiel. Die Gängelung der Menschen, die Sonderrechte für die Bonzen und die Unzulänglichkeiten des täglichen Lebens. Als sie einmal sagte: »So ähnlich muss es bei den Nazis gewesen sein«, wurde das Gespräch unterbrochen. So als hätte jemand bewusst die Leitung gekappt. Das passierte immer wieder. SED-Kommunisten konnte man mit nichts mehr provozieren, als ihr Regime mit der NS-Diktatur zu vergleichen.
Im Haus mit seinen 18 Etagen gab es zwei Fahrstühle. Hergestellt in einem Volkseigenen Betrieb. Die wurden von den vielen Mietern und ihren Gästen stark beansprucht. Zeitweise versagten sie den Dienst. Wenn man Pech hatte, blieb der Aufzug zwischen zwei Stockwerken stecken. Tagsüber war das nicht schlimm. Ein Hausmeister war immer in der Nähe. Am späten Abend oder in der Nacht musste man Geduld haben, bis man aus der engen Kabine befreit wurde. Als die Fahrstühle mal wieder nicht fuhren und meine Frau nicht wusste, wie sie den Kinderwagen ins Erdgeschoss bringen sollte, war es mit ihrer Geduld zu Ende. Bei ihr hatte sich viel Unmut gestaut: Weil der Strom ausfiel und sie die Kindermahlzeit auf einem Spirituskocher warm machen musste. Weil ein offener Kabelschacht direkt vor dem Hauseingang verlief, den man nur auf einer schmalen Bohle überqueren konnte. Erst im Herbst, als am 7. Oktober der 25. Jahrestag der DDR-Gründung mit großem Propaganda-Aufwand gefeiert wurde, waren die Mängel rund ums Haus behoben. Die Machthaber waren um ihr Prestige besorgt.
Meine Frau packte also unsere Kinder ins Auto und fuhr zum staatlichen Dienstleistungsamt. Sie war es gewohnt, ungelöste Probleme selbst anzugehen und nicht zu warten, bis ihr Mann dafür Zeit hat. Bei der Pförtnerloge verlangte sie nach dem Leiter, um sich zu beschweren. Das war etwas blauäugig. Sie wurde weder zum Chef vorgelassen noch zu einem anderen Mitarbeiter. Stattdessen erschien eine Sekretärin und teilte ihr förmlich mit: »Frau Pragal, Sie sind für uns kein Gesprächspartner. Der Funktionsträger ist Ihr Mann.« Meine Frau war sprachlos. Eine solche Auskunft hatte sie nicht erwartet. Schon gar nicht in einem Staat, der sich mit der Emanzipation der Frauen brüstete. Wütend fuhr sie zur Ständigen Bonner Vertretung, um dort ihren Frust abzuladen. Deren Leiter Günter Gaus nahm sich tatsächlich Zeit für sie. Er hörte sich ihre Beschwerden geduldig an. Aber er war wohl der falsche Adressat. Auf das hierarchische Gehabe in realsozialistischen Behörden hatte die Ständige Vertretung keinen Einfluss. Für mich hat das Erlebnis im Dienstleistungsamt nachhaltige Folgen. Immer wenn ich mich vor einer unangenehmen häuslichen Aufgabe drücken will, sagt meine Frau süffisant: »Funktionsträger, mach du das mal.«