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2.3 Die Spiritualität irischer Mönche

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Die Spiritualität der irischen Mönche im Frühmittelalter wirkt für den Betrachter im 21. Jahrhundert seltsam widersprüchlich. Da ist einerseits eine radikale, oft unmenschlich wirkende Askese. Andererseits erkennt man eine enge Gemeinschaft und Bodenständigkeit, von der wir in unserem heutigen, oft viel zu kopflastigen Christentum sicher einige wichtige Lektionen lernen können.

Sünde verstanden die Iren als Symptom einer Krankheit, nämlich des sündhaften Grundzustandes des Menschen. Sie war also nicht das Ergebnis einer einmaligen Entscheidung für Gut oder Böse. Buße diente darum nicht der Wiedergutmachung, sondern der Therapie. „Eine Vielzahl von Vergehen erfordert eine Vielzahl von Bußen“, heißt es in der Bußregel Columbans. „Und so wie Ärzte verschiedene Medizinen herstellen müssen, so müssen geistliche Ärzte verschiedene Heilmittel für die verschiedenen Wunden, Unpässlichkeiten, Leiden und Schwächen der Seele haben.“ Die Buße entsprach der Krankheit: Wer zuviel redet, wurde mit Schweigen bestraft, der Ruhelose mit dem Praktizieren von Sanftmütigkeit, der Vielfraß mit Fasten, der Schläfrige mit Wachen, der Stolze mit Gefängnis (Olsen 2003:88). Dabei richtete sich die Buße nach der Tat, weniger nach der Motivation, was sich für das Mittelalter als prägend erweisen sollte (Angenendt 190:201 ff.). In Columbans Bußbüchern ist nachzulesen: Wer beichtet, der „erfragt die geschuldete Buße“. Wer etwa wegen Völlerei oder Trunkenheit die Kommunion erbricht, hat dreimal 40 Tage zu büßen; wenn dasselbe wegen Krankheit geschieht, sind es sieben Tage. Buße ist gleichbedeutend mit Strafe: „Wer am Beginn eines Psalmes hustet und nicht gut singt, werde mit sechs Schlägen bestraft; wer beim Opfer nicht die Ordnung einhält, sechs Schläge; wer beim Chorgebet lächelt, sechs Schläge“ (aus Columbans Bußbuch, Angenendt 1990:214).

Arbeit galt den Mönchen als das Mittel, um Demut zu lernen. Die Begriffe wurden austauschbar verwendet, auch für „Arbeiten“ wie das Beten in einem eiskalten Fluss (Bitel 1990:133). Die Askese war nach diesem Verständnis eine unbedingte Voraussetzung für wirkliches geistliches Leben. Häufig wurden in Klöstern täglich alle 150 Psalmen gebetet. Strenges Fasten, lange Nachtwachen, stundenlanges Stehen im kalten Wasser stellten einige der geistlichen Übungen dar, mit denen die sündhafte fleischliche Natur bezwungen werden sollte. Beim Crossfigel (Crucis Vigilia) hielt der Asket die Arme stundenlang in Kreuzesform ausgebreitet. Gebete wurden dabei oft als Lorica bezeichnet, was soviel heißt wie „Schutzpanzer“: Sie waren ein magisches Mittel, um Unheil abzuwehren (Angenendt 1990:205). Diese Arbeit hatte allerdings auch ihren Lohn. Der Mönch, der sich in Gebet und Askese übte, erwarb dadurch Virtus, die himmlische Kraft. Wie wir in Kapitel 4.8 sehen werden, eine der Kernkompetenzen, die einen Vir Dei ausmachten, einen Mann Gottes. Denn mit dieser Kraft konnte er den Segen und Schutz Gottes sicherstellen. Aus eben diesem Grund waren auch die Gräber der Heiligen und deren Reliquien so wichtig, denn in ihnen wohnte die Kraft des oder der verstorbenen Heiligen (Bitel 1990:185). Auch in der keltischen Kultur hatten die Gräber schon eine wichtige Rolle gespielt. Nun wurden sie zu Orten, an denen man dem Heiligen begegnen konnte (Bitel 1990:70 f.).

Als eine besondere Form der Askese verstand man das Martyrium. Nachdem es eine Christenverfolgung wie in der Antike in Irland nie gab, bei der jemand ein Rotes Martyrium – den Tod um Christi willen – erlitt, entwickelten die Mönche die Idee des Grünen Martyriums – durch Fasten und Arbeit vom eigenen Verlangen befreit werden – und des Weißen Martyriums. Bei letzterem ging es darum, alles um Christi willen zu verlassen, selbst wenn das Fasten, Hunger und harte Arbeit bedeutete. Wer in das Weiße Martyrium ging, wurde ein Peregrinus. Dieser Begriff wurde später ein Synonym für die irischen Wandermönche des Frühmittelalters.

Im irischen Verständnis war die Zugehörigkeit zu einer Sippe gleichbedeutend mit dem Menschsein, damit, eine „Person“ zu sein, mit dem Leben an sich. Peregrini ist der Plural des lateinischen Peregrinus und war ursprünglich ein juristischer Begriff für Menschen, die wegen Verbrechen aus der menschlichen Gemeinschaft, der Familia, ausgeschlossen wurden. Sie, die sich wie Tiere verhalten hatten, sollten nun wie ein Tier ohne Gemeinschaft leben. Sie wurden zu einem Schreckgespenst, zu einer Unperson, und verhielten sich auch nach ihrer Verbannung oft so, in dem sie beispielsweise Reisende überfielen und bestialisch ermordeten. Die Mönche übernahmen diesen Begriff für jemanden, der alle Gemeinschaft um Christi willen verlässt. Besonders in der Zeit von 500 bis 800 verließen irische Mönche Heimat, Verwandte und Verbündete, um Heiligung in der Fremde zu suchen. „Ihr tiefer Glaube war, dass ihr Tod in der Ödnis Gottes Gericht über einen Sünder demonstrieren würde; ihr Überleben aber würde ihnen eine geistliche Belohnung geben, die über alles hinausging, was sie zuhause finden konnten“ (Bitel 1990:223 ff.).

Selbst im Weißen Martyrium gingen die Iren nie allein. Columban etwa zog nach dem Vorbild Jesu mit zwölf Mönchen in die Fremde. Das gemeinschaftliche Leben war wie die Askese fest im „genetischen Code“ der Iren verwurzelt. Wie wichtig Netzwerke waren, haben wir bereits gesehen. Jeder Mönch hatte außerdem seinen Anamchara. Das Wort bedeutet „einer, der meine Zelle mit mir teilt“, ein Seelenfreund. Diese Person, der man sich ganz öffnete, leitete einen auf dem Weg der Nachfolge Christi. Als der Seelenfreund eines jungen Mönches im Doppelkloster Kildare gestorben war, sagte die Heilige Brigid (454–524) zu ihm: „Jemand ohne einen Seelenfreund ist ein Körper ohne einen Kopf. Iss nicht, bevor du einen Seelenfreund gefunden hast“ (Olsen 2003:93 f.). Der Seelenfreund Columcilles erlegte ihm als Buße auf, ins Exil zu gehen und so viele Seelen zu bekehren, wie durch dessen Verschulden in der unheilvollen Schlacht von Cúl Dreimne getötet wurden: 3 000.

Lange vor Guinness und Kilkenny kannten die Iren schon das Bier. Von Brigid ist ein Biersegen überliefert, und im Kloster Cell Sléibe verwandelte die Oberin sogar einmal Wasser in Bier, um durch dieses Wunder bei episkopalem Besuch angemessen auftischen zu können (Bitel 1990:209). Gastfreundschaft hatte einen hohen Stellenwert. Der Besuch eines Gastes war immer wichtiger als das eigene Fasten, das die Mönche bereitwillig unterbrachen, um mit einem Gast zu essen. Auch wenn die heiligen Orte im Kloster für Besucher und Laien tabu waren, so wurden Gäste doch mit warmem Herzen und Händen in eigenen Gästehäusern willkommen geheißen. Reisende, Flüchtlinge und junge Menschen fanden eine zeitweise und manchmal auch dauerhafte Heimat in den Klostermauern, was ein Ausdruck der keltischen Großzügigkeit war (Aschoff 2006:65). Und wie man späteren Berichten über „das Geschrei der Iren“ entnehmen kann,8 verstanden sie schon immer zu feiern.

Das Abschreiben und Studieren der Bibel und anderer antiker Texte, auch das Aufschreiben keltischer Sagen, entwickelte sich zu einer wichtigen Beschäftigung der irischen Mönche. Dabei leisteten sie erstklassige handwerkliche Arbeit und verzierten die von ihnen gefertigten Handschriften mit manchmal nachgerade witzigen und charmanten Illustrationen. Aus den Randnotizen, die sie neben den eigentlichen Texten machten, kann man sehen, wie sie über die Arbeit reflektierten – und manchmal auch über ganz andere Dinge.9 Sie besaßen die in der Antike so großartig entwickelte Fähigkeit, in abstrakten Bahnen zu denken, die dem frühmittelalterlichen Europa mit dem Niedergang der antiken Kultur verloren gegangen war.

Columbans Revolution

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