Читать книгу 2999 - DAS DRITTE MILLENNIUM - Peter Schmidt - Страница 8
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ОглавлениеWir fuhren durch die Tiefgarage und dann über eine der Magnetbahnen, die auch die Lufttaxis benutzten, wenn sie sich dicht über dem Boden bewegten. Rita kontrollierte das Schaltpult.
Für meinen Geschmack blickte sie zu oft nervös in den Rückspiegel. Wenn Dupin so clever war, wie es seine Mission erforderte, würde er jetzt Verdacht schöpfen …
Unser Wagen war ein Zapper-Volt, der kleinere Strecken – bis etwa sechshundert Meter – gleiten konnte. Weiter reichte seine Energie nicht, da der Antigravitationseffekt technisch immer noch zu aufwendig ist.
„Wohin bringen Sie mich?“, fragte Dupin.
„Das Regierungslabor liegt im Süden Frankfurts“, sagte Rita.
Dupin nickte und fummelte an dem Goldchip hinter seinem linken Ohr. Mit einer bestimmten Druck- und Kontaktfolge, die auf den Abdruck des linken Mittelfingers programmiert war, konnte man Not- und Ortungssignale geben.
Ich saß neben Rita und beobachtete Dupins Hand im Rückspiegel. Aber es sah nicht so aus, als wenn er versuchte, Kontakt aufzunehmen.
Gleich darauf fuhren wir durch eine schwach beleuchtete Tunnelröhre in den Main.
Ich habe immer leichte Beklemmungsgefühle, wenn sich diese Zapper-Volts, die zu dem echten Amphibienfahrzeugen gehören, unter Wasser bewegen. Scheint irgendeine Macke aus grauer Vorzeit in meinen Genen zu sein …
Luftblasen stiegen neben uns an den Seitenfenstern auf. Die Klimaanlage arbeitete, und die Scheinwerfer gaben ein fast gespenstisch klares Bild von der umliegenden Uferformation. Unser Wagen glitt sicher und leise surrend durch das klare Wasser des Flusses zur Tunneleinfahrt an der andere Seite hinüber.
„Zur Hölle mit diesen Unterwasserfahrten …“ sagte Dupin; er starrte angespannt auf den Bildschirm des Orientierungssystems und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Anscheinend fühlte er sich genauso unwohl unter Wasser wie ich.
Ich ahnte, warum Rita die Fahrtroute durch den Fluss den Verkehrsstaus auf den großen Brücken vorgezogen hatte: Wir sollten weniger leicht geortet werden können.
Als wir am südlichen Stadtrand den Tunnel verließen, war es kurz nach zwei.
Das dreistöckige Haus mit den Erkertürmen hinter der Einfahrt mochte gut und gern tausend Jahre alt sein. Ein amtliches grün-weiß-gelbes Emblem neben dem Eingang wies Besucher darauf hin an, dass es unter Denkmalschutz stand. Rita stieg aus und warf einen prüfenden Blick an der grau verputzen Fassade hinauf. Die Wände besaßen keinen aus Solarbelag. Selbst die Dächer bestanden noch aus guten alten Dachpfannen von Anno dazumal und konnten keine Lichtenergie speichern.
Manchmal ziehen Lehrer mit ihren Schulklassen in diese Wohngegend, um sich die letzten Repräsentanten einer vergangenen Epoche anzusehen. Die Schüler stellen dann oft die Frage: „Und woher bezog das Haus damals seine Energie, Herr Lehrer?“ Die Antwort des Lehrers ist meist ebenso stereotyp, wenn auch nicht ganz ernst gemeint: „Früher dachte man, die Energie käme aus der Steckdose, Kinder.“
Rita steckte ihre Hand durch das Seitenfenster und drückte auf den Signalgeber am Schaltpult.
Das Signalfeld der Tür sprang auf Grün.
Dupin war ebenfalls ausgestiegen und pinkelte vor Ritas Augen ungeniert an einen der uralten Eichenbäume am Gartenweg.
„Ich kann diesen farbigen Schweineigel nicht ausstehen“, flüsterte Rita mir zu.
„Nanu, ist das etwa ein echtes altes Rassenvorurteil?“
„Uriniert mir fast in den Weg! Und sieh dir bloß sein selbstgefälliges Grinsen an, wenn er sein schwarzes Nigger-Gemächt wegpackt, Frank …“
„Pass lieber auf, dass er keinen Kontakt über seine Zentraleinheit aufnimmt“, raunte ich ihr zu, während wir durch das altmodische Treppenhaus nach oben gingen. „Wäre doch peinlich, wenn er plötzlich aus den Nachrichten erführe, dass seine verehrte Präsidentin quicklebendig an einer Fernsehdebatte mit ihrem politischen Gegner teilnimmt?“
Am späten Nachmittag war eine Wahlkampfsendung mit dem Anwalt Ezard Spell angesagt. Spell war für die meisten ein zwielichtiger Politiker der alten Couleur – und für viele Frauen im Demokratischen Grünen Bund ein rotes Tuch. Er wurde nicht müde, zu betonen, das Matriarchat sei gescheitert. Wie es hieß, wollte er dem zunehmenden Druck aus der Dritten Welt dadurch begegnen, dass er die Grenzen öffnete.
Für viele politische Beobachter war das allerdings ein rein taktisches Spiel. Er spekulierte dabei auf die Stimmen der Einwanderer. Die Machtblöcke hatten sich der Globalisierung und dem Verdienstgefälle in den vergangenen Jahrhunderten durch eine rigorose Zoll- und Abschottungspolitik entledigt, aber die großen Probleme waren geblieben: Klimaverschiebungen, Umweltprobleme, erschöpfte Ressourcen und Überbevölkerung.
Dupin ließ sich in einen der großen Sessel fallen, die aussahen wie der vorsintflutliche Zahnarztstuhl meines Genetikers. Er betrachte den Bildschirm an der Wand, über den Zahlenkolonnen liefen.
Die Zahlen zeigten an, dass das Rechenzentrum im Haus mit allen großen Rechenzentren weltweit kommunizierte. Im Grunde waren die Zahlen nichts weiter als Daten für Worte, Töne und Bilder, wenn auch wie immer codiert.
„Das ist kein Regierungsrechner, oder?“, sagte Gerald Dupin. Er warf uns einen argwöhnischen Blick zu.
„So? Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte Rita. Sie hatte ihren weißen Kittel angezogen und sah wieder mal hinreißend aus – jedenfalls für eine heruntergekommenen Brüsseler Detektiv, der seit Monaten ohne Frau auskommen musste.
„Sie wissen doch, dass ich Sekretär im Außenministerium war – Abteilung Datenverschlüsselung?“
„Na und?“, fragte Rita. Sie zog den aufgerollten Stecker aus dem Rechner, um ihn an die Zentraleinheit hinter Dupins Ohr anzuschließen.
Dupin drückte unwillig ihre Hand weg. „Moment noch … Bei jedem autorisierten Regierungsrechner erscheint auf der obersten Zeile der neuen Nachricht ein Autorisierungscode, habe ich recht?“
„Niemand bestreitet, dass Sie recht haben, Dupin. Wahrscheinlich hatten Sie sogar mehr als einmal recht in Ihrem Leben.“
„Und – wo ist der Code?“, fragte er. „Ich sehe nichts.“
„Gott, sind Sie ein schwieriger Patient“, sagte Rita. „Er ist in den Hintergrund geschaltet, damit nicht jeder hergelaufene Einbrecher sofort erkennt, dass es sich um Regierungsdaten handelt. Man muss doch nicht mit der Tür ins Haus fallen, oder?“ Sie gab ein paar Zahlen ein, und der Code tauchte wie gewünscht in der obersten Zeile der Datenseite auf.
„Na, sind Sie nun zufrieden?“
„Allerdings … Wissen Sie, dass Sie eine hübsche Figur haben?“ Dupin legte seinen Arm um ihre Hüfte.
„Hände weg …“
Rita klinkte den Stecker hinter Dupins Ohr ein. Dann ging sie hinüber zum Schaltpult, und ich folgte fasziniert dem Spiel ihrer Finger auf der Tastatur.
Auf dem Bildschirm an der Wand erschien das Konterfei der Präsidentin. Raoul Weber war um die Fünfzig und nicht gerade der mütterliche Typ, den sich die Feministinnen vielleicht aus wahltaktischen Gründen gewünscht hätten. Aber bei ihrer politischen Vergangenheit war sie auch als Frau immer noch interessant, sah man einmal von den Raffinessen der Bildbearbeitung ab.
Das Foto zeigte sie als strahlende Wahlsiegerin des ersten Matriarchats der modern Geschichte: Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand zum Siegeszeichen erhoben und von jungen, streng dreinblickenden „Lehrerinnen“ umgeben, die ihre Regierungsmannschaft bildeten. Danach folgte ein kurzer Hinweis auf die Datenbank der Regierung, die jedem Strafe androhte, der unberechtigt ins System eindrang.
Anschließend signalisierte eine kurze Meldung, dass Gerald Dupin zum Kreis der Berechtigten gehörte. Er wurde über die Muster seiner DNS identifiziert.
Die Desoxyribonukleinsäure als in allen Lebewesen vorhandener Träger der genetischen Information mit der Fähigkeit zur DNS-Replikation besteht – wie jedes Kind in der Schule lernt – aus zwei spiralförmig angeordneten Ketten von Nukleotiden, die durch vier verschiedene, sich in unterschiedlicher Reihenfolge wiederholende Basen über Wasserstoffbrücken in der Kopplung Adenin-Thymin und Guanin-Zytosin miteinander verbunden sind. Die Basenfolge bestimmt dabei den genetischen Code.
Bei Dupin war der größere Teil der Erbinformation durch einen Code abgesichert, der auf einer zusätzlich eingefügten Basenfolge basierte – und auch die Stelle in seiner DNS, die den Codeschlüssel zum neuen Datenübermittlungssystem „EPOS-X“ enthielt, war mit diesem Schlüssel abgeschirmt.
„Okay Gerald“, sagte Rita. „Wir sind bereit …“
„Bereit wozu?“, erkundigte sich Dupin. Er schien darauf zu warten, dass sie ihre Arbeit ganz ohne seine Hilfe erledigte.
„Geben Sie mir Ihre Zugangsinformationen?“
„Sie meinen den Code für EPOS-X?“
„Deswegen sind wir hier …“
„Ich dachte, Sie würden nur meine Daten auf Fehler untersuchen?“
„Richtig – und dazu brauchen wir den Zugangscode.“
„Das war nicht abgemacht, oder?“
„Ich bitte Sie, Gerald“, mischte ich mich ein. „Sie sind doch kein Anfänger. Sie wissen genauso gut wie Rita und ich, dass es nicht möglich ist, ohne Code Ihren Datenbestand auf Fehler zu untersuchen. Das ist genauso, als wenn Sie Ihrem Arzt bei einer Herzuntersuchung nicht gestatten würden, ein Katheter einzuführen.“
„Katheter sind Technik von vorgestern. Ich dachte, Sie hätten eine andere Methode, um den Fehler zu finden?“
„Nein, haben wir nicht“, sagte Rita. Sie verschränkte ihre Arme und wandte sich langsam auf dem Drehstuhl nach ihm um.
Dupin zog den Stecker aus seinem Kopf und legte das Kabel vor sich auf den Tisch.
„Tut mir leid, dazu bin ich nicht autorisiert.“
„Lieber Himmel, Dupin …“, sagte Rita. „Ich dachte, das hätten wir alles längst am Flughafen geklärt! Was wollen Sie denn noch alles, um Ihren verdammten Argwohn loszuwerden – dass Raoul Weber Ihnen im Bett höchstpersönlich ins Ohr flüstert, wir müssten Ihren Code überprüfen?“
„Von meinen Daten hängt das Schicksal der freien Welt ab. Sie wissen, dass dieser englische Hacker … wie war noch gleich sein Name?“
„Winston Hare …“
„… Hare erst vor einem Jahr nachgewiesen hat, dass alle gegenwärtigen digitalen Nachrichtenverschlüsselungssysteme geknackt werden können. Man benötigte dafür nur die neuesten Hochleistungscomputer und das chinesische Dechiffrierungssystem Qin. Was war die Folge dieser katastrophalen Entdeckung?“
„Der Zusammenbruch des Weltwirtschaftssystems“, sagte ich.
„Wenn’s nur das gewesen wäre“, seufzte Dupin. „Eine Gesellschaft ohne sichere Datenübermittlung ist keine Gesellschaft mehr.“
„Dafür haben wir jetzt EPOS-X, oder?“, fragte ich mit treuherzigem Blick.
„Wenn ich’s nicht gerade an eine paar dahergelaufene Regierungsbeamte weitergebe …“
„Also gut Rita, ich glaube, ich hab langsam genug von deinem kleinen schwarzen Liebling. Schaffen wir ihn doch einfach zurück nach Brüssel in die Regierungszentrale. Soll seine kleine feministische Gespielin im höchstpersönlich erklären, dass es sich um einen Notfall handelt. Ich werd’ mir jedenfalls nicht mehr den Mund deswegen fusselig reden“, sagte ich und erhob mich von meinem Sessel …
„Was soll denn das nun wieder heißen?“ fauchte Rita. Sie baut sich breitbeinig und mit in die Hüften gestützten Armen vor mir auf. “Du kannst mich doch jetzt nicht mit diesem Kerl zurücklassen!“
„Doch, kann ich“, sagte ich und legte militärisch grüßend meine Hand an die Schläfe.
Dann verließ ich unmerklich lächelnd und mit wohlkalkulierten, gemessenen Schritten den Raum.