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Es gab keinen Schlüsseldienst in der Stadt, der bereit war, jetzt noch jemanden herauszuschicken. Die Handwerker des Notdienstes waren alle unterwegs. Anscheinend hatte in dieser Nacht jeder mindestens ein oder zwei Hausschlüssel verloren. Also blieb Angela gar nichts anders übrig, als bei ihm zu übernachten.

Seine neue Hose drückte während der Rückfahrt im Schritt, der Jeansstoff war so steif wie ein altes, von Wind und Wetter gegerbtes Stück Segeltuch, und der Geruch der Appretur begann ihm langsam auf die Nerven zu gehen. Gewöhnlich wusch er seine neuen Sachen, bevor er sie zum ersten Mal anzog.

Aber die Vorstellung, noch eine Flasche Rotwein zu öffnen, nachdem Angela schlafen gegangen war, und es sich mit seinen Magazinen im Liegesessel bequem zu machen, entschädigte ihn wieder etwas für das unangenehme Gefühl.

Er würde eine Platte auflegen – Tom Sighcore. Die hatte er sich gleich nach der Bekanntschaft mit Angela gekauft, um herauszufinden, was sie an dem Burschen so anziehend fand. Dann würde er alle Kerzenleuchter im Haus anzünden, sozusagen als Vorgeschmack auf das, was ihm in den nächsten Tagen mit Franziska bevorstand. Witzigmann musste ein ausgemachter Romantiker sein, ein regelrechter Beleuchtungsfanatiker, denn auf nichts war bei der Möblierung soviel Wert gelegt worden wie auf anheimelndes Licht.

"Das ist also dein Haus?“, sagte Angela begeistert. "Phantastischer alter Bau …"

Sie lief durch den Garten wie ein junger Köter, der an allen Ecken und Sträuchern schnuppern musste. Wenn es nicht unter ihrer Würde gewesen wäre, hätte sie auch noch an jedem Baum das Bein gehoben, um ihre Duftmarke zu hinterlassen, dachte er ärgerlich.

Obwohl der Anbau keine Kellerfenster besaß, fürchtete er immer, man könnte vielleicht Franziskas Rufen hören. Er hatte zwar einen Versuch mit dem Tonband gemacht, ob laute Stimmen durch das Gitter des Lüftungsschachts auf dem Dach zu hören waren, und danach sogar die "Dobermänner" bellen lassen.

Die Stimme vom Tonband im Keller war so leise gewesen, dass nicht einmal ein Schornsteinfeger, der sich in den Kamin beugte, etwas davon wahrgenommen hätte.

Aber wenn man gereizt und übermüdet war, verschoben sich manchmal die Dimensionen, und man hielt Dinge für möglich, die einem im ausgeruhten Zustand nur ein Lächeln abnötigten.

In der Dunkelheit des Gartens schienen die Lichter auf der anderen Straßenseite noch weiter entfernt zu sein als am Tage; über der Treppe am Eingang brannte nur eine trübe Laterne, die mehr Finsternis als Licht verbreitete. Als er schon den Schlüssel in die Haustür gesteckt hatte, musste er noch einmal über Berge alten Laubs und dunkle Beete steigen, um Angela schnell vom Garagentor wegzuziehen. Sie machte sich gerade daran zu schaffen, und

Quant war plötzlich bewusst geworden, dass der Lieferwagen unverschlossen in der Garage stand, weil er gestern seinen englischen Sprachführer gesucht hatte. Er verwahrte seine Reisetasche als "Notgepäck" im Wagen, um immer für eine plötzliche Flucht gewappnet zu sein. Vermutlich lag sogar noch das Spritzbesteck im Laderaum.

"Was ist denn …?“, fragte sie aufgebracht, als er ihre Hand nahm und sie wegzog.

"Wollen wir nicht lieber Sighcore hören?"

"Du hast …? Etwa für mich?"

"Na ja, wenn ich ganz ehrlich bin, wollte ich mir nur mal anhören, was du an dem Burschen findest."

Er zeigte ihr, wo sie schlafen würde, und es schien sie zu verstimmen, dass ihr Zimmer so weit entfernt von seinem eigenen im Anbau lag. Sie sagte, der alte Teil des Hauses sei viel schöner als der moderne. Aber das war wohl nur eine nachträgliche Erklärung dafür, dass sie lieber mit ihm ins Bett gegangen wäre. Bevor er sich mit seinen Magazinen in den Salon setzte, ging er noch einmal hinunter, um nach Franziska zu sehen.

Er blickte durch den Türspion. Sie war im Sessel eingenickt.

Auf dem Fußboden neben ihr lag sein aufgeschlagenes "Tagebuch". Es hätte ihn interessiert, ob Franziska schon ein Stück über die Stelle hinausgekommen war, wo er für einen Hungerlohn im Altenheim gearbeitet hatte, aushilfsweise sogar als Clown und Conférencier.

Danach kam nämlich eine Passage, wo er angeblich sein Vermögen fast vollständig einer Stiftung für behinderte Kinder übertragen hatte. Das war vielleicht etwas dick aufgetragen, entsprach aber dem Seelenleben vieler Frauen.

Man brauchte sich nur die Schmonzetten der Romanheftchen anzusehen, um zu verstehen, welche Träume Frauen hatten und wie bereitwillig sie glaubten, das Leben sei doch gegen allen äußeren Anschein eine Idylle mit ehrlichen, treuen Männern.

Angela sah beim Frühstück in ihrem locker geschnittenen weißen Leinenhemd und den dunkelgrauen Jeans verführerischer denn je aus. Trotzdem machte sie einen bedrückten Eindruck. Sie aß lustlos an ihrem Croissant.

Quant legte den Löffel beiseite, mit dem er gerade sein Frühstücksei anschlagen wollte. "Schlecht geschlafen?"

"Na, jedenfalls nicht so gut, wie man erwarten könnte. Mal im Ernst, Robert, ist irgendwas los mit dir? Ich meine, weil du nicht den kleinsten Versuch gemacht hast, mit mir ins Bett zu gehen. Hattest du vielleicht mal einen Unfall oder so was ähnliches?"

"Einen Unfall? Nein, da kann ich dich beruhigen. Ich bin vollkommen intakt. Ich habe alles, was ein Kerl dazu braucht. Und es funktioniert auch", fügte er hinzu, ohne sich seinen Ärger anmerken zu lassen. "Ich habe einfach meine Prinzipien."

"Prinzipien … aha."

"Klingt etwas altmodisch, oder?"

"Ziemlich altmodisch, ja."

"Und du bist eine moderne Frau, die auf so was wie Prinzipien keinen Wert legt?"

"Ehrlich gesagt ist mir scheißegal, was die Leute denken. Ich muss keinen Leistungskurs in Philosophie belegen, um herauszufinden, dass die kleinen Spießer immer noch genauso lustfeindlich sind wie vor hundert Jahren."

"Ja, das kann ich gut verstehen."

"Dann ist mir schleierhaft, warum du so prüde bist."

"Sex ist nun mal eines der größten Geheimnisse. Man darf seinen Nimbus nicht durch plumpe Manöver zerstören. Meiner Meinung nach dreht sich alles im Leben um die Schönheit, um erotische Schönheit. Sie hält alles zusammen. Das Universum würde zu Staub zerfallen, wenn es keine Schönheit gäbe. Dann wäre es nicht mehr als ein Haufen Dreck."

"Du meinst die Frauen? Aber davon merkt man gar nichts bei dir, Robert."

"Nicht nur die Frauen. Schönheit ist in allen Dingen. Mein Vater fuhr oft vor Morgengrauen durch die Stadt, um irgendwo andächtig versunken in den Anblick einer architektonisch interessanten Fassade die wechselnden Lichtverhältnisse zu beobachten – wie ein Fotograf, der geduldig den Augenblick abwartet, bis die Sonne im günstigsten Winkel steht.

Er züchtete Tauben einer besonders schönen Art – sie waren für ihn die Verkörperung der Schönheit – und Falken, die er eigentlich nicht leiden konnte, und irgendwann kam der Tag, an dem er die Falken die Tauben jagen ließ und zusah, wie ihre Körper von ihnen zerrissen wurden."

"Was denn, er sah zu, wie sie getötet wurden?" Angela legte entgeistert ihr Croissant weg.

"Na ja, er brauchte es, um sich vor ihnen zu schützen. Vor der Faszination, die sie auf ihn ausübten. Er war der Schönheit verfallen, und irgendwann kam der Zeitpunkt, wo er keinen anderen Ausweg mehr sah, als sie zu zerstören."

"Was für ein schrecklicher Gedanke."

"Und doch nichts weiter als Selbstschutz."

"Wenn es nach mir ginge, würden solche Menschen als Geisteskranke eingesperrt."

"Aber warum denn?“, fragte er. "Wir hängen doch alle an irgend etwas. Am Leben, am Geld, an der Bequemlichkeit. Wir sind alle von irgend etwas besessen. Vom Gedanken, zu versagen, von unserer eigenen Minderwertigkeit. Selbst Buddha war auf seine Weise besessen – vom Nichts! Vom Ende des 'Hungers' oder 'Durstes' nach den Dingen, also dem Verlöschen der Lebensgier. Vom Gedanken, nicht mehr leiden zu müssen. Man kann auch vom Negativen besessen sein. Aber dann sind mir doch die schönen Dinge des Lebens lieber.

Man darf nur nicht zu ihrem Sklaven werden, man muss einen Weg finden, um sich von ihnen befreien zu können, wenn es soweit ist."

"Wie dein Vater?"

"Ja, wie mein Vater."

Während sie gemeinsam ihre Sachen vom Trockenboden holten, versuchte Angela gute Miene zum bösen Spiel zu machen und ihn sogar ein wenig aufzumuntern wegen ihrer kleinen Meinungsverschiedenheit. Nachdem sie ihr Zeug eingepackt hatte, hörte sie sich noch einmal Sighcores neue Platte an und fand, dass seine Stimme inzwischen ein wenig zu "rauchig", ja fast schon "krächzend oder senil" klang.

Quant mochte Sighcore nicht besonders, von einigen eher instrumentalen Stücken abgesehen. Aber Angelas plötzliches Einlenken zielte offensichtlich darauf ab, ihn für seine Einladung zur Kirmes zu entschädigen und sich auf irgendeine Weise dankbar zu zeigen. Er war unschlüssig, ob sie sich noch einmal wiedersehen würden. Trotzdem lud er sie zu einem Film mit Jack Nicholson ein, der nächste Woche im Metropol laufen würde, ein Privatdetektivfilm als Fortsetzung von "Chinatown". Sie sagte so schnell zu, ohne die kleinste Frage über den Film zu stellen, dass er noch deutlicher das Gefühl hatte, nach dieser Nacht sei er erst einmal erledigt für sie.

"Ruf mich an, falls Angelo wieder lästig wird", sagte er, während er sie zum Gartentor brachte.

Den Rest des Vormittags verbrachte er damit, alle Spuren aus der Garage und dem Lieferwagen zu beseitigen. Er schrubbte sogar den Innenraum des Chevrolets mit einem starken Scheuermittel, wie er es in "Horwells Führer für Anwärter des gehobenen Polizeidienstes" gelesen hatte, und nahm seine Reisetasche heraus, weil sie vielleicht Verdacht erregen würde. Erst als er sicher war, dass es keine Haare oder Flusen von Franziskas Kleidung mehr im Wagen gab, warf er einen staubigen Sack Torf in den Laderaum, bewegte ihn ein paar Mal hin und her, damit der Blechboden wieder schmutzig wurde, und brachte den Sack in den Gartenschuppen zurück.

Dann ging er ans Telefon, um die Polizei anzurufen und sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Nein, er hatte nicht das Geringste bemerkt. Er war Freitag oder Samstag in der Bibliothek gewesen. Ja, vielleicht auch am Montag, das konnte er – "ehrlich gesagt" – nicht mehr so genau rekonstruieren, da er sich oft dort aufhielt, ohne Bücher auszuleihen, an deren Ausleihdatum man den Tag hätte feststellen können.

"Nein, warten Sie mal – wenn ich länger darüber nachdenke, glaube ich, es war doch Montag", sagte er schließlich. "Ja, jetzt bin ich ziemlich sicher. Aber ich war sehr in Eile. Ich hatte keinen Blick für meine Umgebung, ich könnte Ihnen nicht einmal sagen, ob die Buchausgabe besetzt war, geschweige denn, wer mir in der Bibliothek begegnet ist."

Dieses freiwillige Eingehen auf die tatsächliche "Tatzeit", so hoffte er, würde die Polizei endgültig davon überzeugen, dass er nichts zu verbergen hatte.

Danach wurde seine Adresse notiert. Ein zeitraubendes Unternehmen, das größte Sorgfalt erforderte.

"Vielen Dank für Ihre Auskunft", sagte der Beamte. "Wir möchten Sie bitten, sich innerhalb der nächsten drei Tage noch einmal zu einem klärenden Gespräch auf dem Kommissariat einzufinden."

"Zu einem 'klärenden Gespräch'? Aber was kann ich Ihnen denn noch sagen?"

"Oh, es kommt oft vor, dass Zeugen gewisse Beobachtungen für unwichtig halten, die sich später als entscheidend herausstellen."

Er hatte nicht damit gerechnet, dass man nach seinem "freiwilligen" Vorpreschen so hartnäckig blieb. Was brachte die Polizei darauf, zu glauben, ein Zeuge, der sich mühsam an den Tag seines Bibliotheksbesuchs erinnerte, könnte etwas über das verschwundene Mädchen aussagen?

Aber er wagte es nicht, den Beamten danach zu fragen, warum Franziska ausgerechnet im Parkhaus entführt worden sein sollte.

Wahrscheinlich würde man ihm das auch irgendwann von ganz allein mitteilen. Um die Sache schnell hinter sich zu bringen, beschloss er, schon am nächsten Morgen zum Kommissariat zu fahren.

Und je nachdem, wie spät es nach dem Verhör war, würde er als Entschädigung für dieses lästige Zwischenspiel in Ballys Restaurant am Polizeipräsidium entweder ein spätes zweites Frühstück oder sein Mittagessen einnehmen.

Der Mädchenfänger

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