Читать книгу Der Mädchenfänger - Peter Schmidt - Страница 12

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Als er die Tür zum Keller aufschob, drückte er sie weit genug gegen die Wand zurück, um sicherzugehen, dass Franziska nicht dahinter stand. Sie war entweder im Bad oder in der Küche, und in solchen Fällen hatte er es sich angewöhnt, besonders vorsichtig zu sein.

Es gab Dinge in ihrem Apartment, die sich als "Waffen" eigneten: Messer, Scheren, gusseiserne Bratpfannen, Nagelfeilen – und manchmal wurden sie auch dazu gebraucht, das wusste er aus eigener böser Erfahrung.

Doch wenn man nicht alles beseitigen wollte, was in der Gefangenschaft ein halbwegs komfortables Leben ermöglichte, musste man dieses Risiko in Kauf nehmen.

Er hatte verschiedene Strategien entwickelt, um Frauen davon zu überzeugen, dass solche Versuche völlig sinnlos, ja sogar lebensgefährlich für sie waren.

In diesem Stadium allerdings würde es psychologisch noch verfrüht sein, sie derart vor den Kopf zu stoßen.

"Hallo, Franziska. Wo stecken Sie? Sind Sie unter der Dusche?" Er schob vorsichtig seinen Kopf ins Zimmer und horchte. Von nebenan erklang ein Geräusch, das sich wie laufendes Wasser anhörte. Aber man konnte nicht unterscheiden, ob es aus dem Badezimmer oder aus der Küche kam. Dann sah er, dass das Bad unter Wasser stand. Es lag eine Stufe tiefer als die anderen Räume, und das Wasser schwappte bereits über die Kante.

"Was, zum Teufel, haben Sie vor?“, fragte er. "Wollen Sie uns ertränken?"

Ein paar Seiten seines "Tagebuchs" waren herausgerissen und zerknüllt über den Teppich verstreut. Als sein Blick zur Küche wanderte, entdeckte er, dass sich auch dort eine große Wasserlache ausbreitete …

Er drehte den Hahn an der Spüle zu und zog den Stöpsel aus dem Becken. Auf der Anrichte stand ein ungeöffnetes Fertiggericht. Der tiefgefrorene Spinat hatte sich verflüssigt und sickerte als grüner Brei durch die Verpackung. Immerhin waren wenigstens der gekochte Schinken und das Brot angeschnitten. Und im Abfalleimer unter der Arbeitsplatte lagen zwei leere Joghurtbecher. Quant kehrte nach nebenan zurück und schob die Tür des Badezimmers gegen die Innenwand.

Dann beugte er sich vorsichtig durch die Türöffnung.

Franziska stand leichenblass an der gekachelten Wand neben dem Spiegelschrank, die Füße bis zu den Knöcheln im Wasser, und starrte ihn unbeweglich an. Ihr Gesicht wirkte ungewöhnlich abweisend – aber ihre geballten Fäuste sahen nicht so aus, als wenn sie noch genügend Kraft aufbringen würde, um gleich auf ihn einzuschlagen.

"Lieber Himmel, was ist los mit Ihnen? Spielen Sie hier Gespenst mit mir?"

Er zog seine Schuhe und Strümpfe aus, ging zur Dusche und drehte den Wasserhahn zu. Nachdem er den Gummistopfen aus dem Abfluss gezogen hatte und das Wasser gurgelnd abzulaufen begann, setzte er sich auf den Badezimmerhocker und verschränkte abwartend die Arme. "Also?"

"Sie waren nicht da …"

"Das klingt ja fast ein wenig hysterisch, Franziska. Als ich nachts nach Ihnen gesehen habe, hatten Sie schwere Fieberträume. Sie sind viel zu schwach auf den Beinen, um so verrückte Dinge zu tun."

"Wollten Sie mich nicht zur Bushaltestelle fahren?"

"Ja, natürlich. Aber in Ihrem Zustand?"

"Es muss irgend etwas im Essen gewesen sein. Mir wurde wieder schwindelig."

"Ich wollte Ihnen nicht zumuten, von diesen Pfuschern in den Notaufnahmen behandelt zu werden. Sonst hätte ich Sie sofort ins Krankenhaus gebracht."

"Dann bringen Sie mich bitte jetzt dorthin."

"Mitten in der Nacht? Warum wollen Sie denn nicht bis morgen warten?"

"Weil Sie mich schon einmal vertröstet haben."

"Ich Sie vertröstet? Aber davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich habe Ihnen nur angeboten, so lange mein Gast zu bleiben, bis Sie wieder in Ordnung sind."

"Also gut, vielen Dank für das Angebot. Ich möchte es nicht annehmen. Bitte bringen Sie mich jetzt nach draußen – sonst ersticke ich noch in diesem Loch."

"Wie Sie wollen", sagte er achselzuckend. "Ich kann Sie nicht zur Bushaltestelle bringen, weil ich einen dringenden Anruf erwarte. Dann müssen Sie eben sehen, wie Sie in Ihrem Zustand die Landstraße erreichen. Sie können meinen Schirm haben. Es hat nämlich angefangen zu regnen."

Als sie im Gang waren, bemerkte er, dass Franziska schwankte. Das Compremol wirkte stärker, als er erwartet hatte. Allerdings durfte man nicht mehr als dreißig Milligramm davon nehmen, wenn es wie ein Schwächeanfall aussehen sollte.

Er hatte alle Lebensmittel damit präpariert, weil ihm immer noch ein passendes Ventil für die Wasserleitung fehlte, um das Mittel dosieren zu können.

Die Schwierigkeit bestand darin, dass manche Mädchen in der Gefangenschaft regelrechte Fressanfälle bekamen und sich den Bauch mit allem voll stopften, was sie im Kühlschrank finden konnten. Anscheinend half ihnen das, besser mit ihrer Lage fertig zu werden.

Dann lagen sie plötzlich im Koma, weil die Dosis viel zu hoch war, und er hatte alle Hände voll damit zu tun, ihren Kreislauf wieder in Ordnung zu bringen. Dreißig Milligramm, über vierundzwanzig Stunden eingenommen, war das Optimum. Hundertzwanzig Milligramm wirkten bereits narkotisierend. Und bei zweihundertfünfzig oder dreihundert Milligramm brauchte man schon eine Herz-Lungenmaschine.

"Geht's?“, erkundigte er sich und blieb stehen.

"Bitte fragen Sie nicht – bringen Sie mich nach oben."

"Ich glaube, Sie haben einen Erstickungsanfall, Franziska. Sie sind ja ganz blau im Gesicht. Soll ich nicht lieber den Notarzt anrufen?"

"Meinetwegen. Wenn wir oben sind."

Kurz vor der Kellertreppe sackten ihr die Beine weg, und Quant hatte Mühe, sie aufzufangen. Er nahm an, dass sie doch mehr als nur drei Mahlzeiten am Tag gegessen hatte.

"Also so hat's keinen Zweck", sagte er. "Das kann ich nicht verantworten."

"Bitte, Robert …"

"Na gut, wie Sie wollen."

Er spürte, dass ihr Atem schneller wurde. Bei Kreislaufbelastungen wirkte Compremol so ähnlich wie Thyroxin, das in der Schilddrüse aus Jod gebildet wurde. Thyroxin diente als eine Art "Stoffwechseltreibstoff", und die Symptome bei einer Überdosierung von Compremol waren ganz ähnlich. Fliegender Atem, hervortretende Augen, Schweißausbrüche, Angstanfälle.

Mitten auf der Kellertreppe musste Franziska sich erst einmal hinsetzen. Sie schloss erschöpft die Augen, den Rücken an der Wand. Quant war sicher, dass sie es nicht weiter als bis zur Haustür geschafft hätte. Er trat vorsichtshalber einen Schritt zurück, denn nun kam das, was er erwartet hatte. Franziskas Organismus konnte die plötzliche Ruhe nicht verkraften, er machte einfach so weiter, als werde der Kreislauf immer noch zu stark belastet. Sie übergab sich …

"Oh Gott, mir wird schwarz vor Augen …"

"Hier ist ein Taschentuch. Warten Sie, ich helfe Ihnen hoch. Nehmen Sie meinen Arm."

"Danke."

"Sie müssen aufpassen, dass Sie in der Dunkelheit nicht versehentlich auf die Steilküste zulaufen", sagte er. "Das Meer ist schon sehr kalt um diese Jahreszeit, und im Wasser sind gefährliche Klippen."

"Ich glaube, ich bin gar nicht mehr fähig, in diesem Zustand bis zur Landstraße zu gehen, Robert. Wie weit ist es dorthin, sagten Sie?"

"Zwölf Kilometer. Der Bus kommt einmal am Tag. Immer um eins."

"Aber das wäre ja erst morgen Mittag."

"Wenn Sie meinen Schirm nehmen, könnte es gehen. Obwohl's wahrscheinlich etwas ungemütlich wird und eine überflüssige Strapaze für Sie darstellt. Leider gibt es dort keinen Unterstand. Die Gegend ist ziemlich abgelegen. Man hat sich das Geld für eine richtige Bushaltestelle gespart. In der Stadt wäre das was völlig anderes, aber mit uns Landbewohnern kann man's ja machen."

"Ich denke, ich sollte mich doch lieber wieder hinlegen, Robert."

"Sie wollen nicht zum Bus?"

"Doch, schon. Aber erst morgen."

"Gut, dann rufe ich jetzt den Notarzt."

"Nein, warten Sie bitte. Glauben sie wirklich, dass ich einen Arzt brauche? Ich meine, wenn ich mich etwas ausgeruht habe, wird's schon wieder gehen. Und Sie könnten mich morgen Mittag zum Bus bringen, oder?"

"Natürlich. Morgen Mittag passt mir ausgezeichnet, Franziska."

Der Mädchenfänger

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