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3 Problem-Desensibilisierung

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Hier erfahren Sie, wie Sie sich ebenso wirksam von Sorgen, Problemen und Ängsten befreien können. Kapitel 16 in Teil B vermittelt Ihnen Tipps, Kniffe und wichtiges Hintergrundwissen, um Ihre Technik zu perfektionieren.

In derselben Weise, wie Sie sich desensibilisieren, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf negative Gefühle im Körper lenken, können Sie auch negative Gefühle beeinflussen, die mit Gedanken, Ereignissen und Situationen verbunden sind, also das, was man gemeinhin als „Problem“ bezeichnet.

Sich von solchen negativen Gefühlen zu befreien wirkt um so sicherer und nachhaltiger, je entspannter wir bei dieser Übung sind. Deshalb ist es zweckmäßig, der Problem-Desensibilisierung eine starke Entspannungsphase vorzuschalten.

Lernen Sie gegebenenfalls zunächst einige Tage lang eine Entspannungstechnik, z.B. Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung, Zen, Yoga-Meditation oder Wortklangmeditation, wie sie in Kapitel 9, „Entspannung als Grundlage mentaler Techniken“ empfohlen wird.

Merksatz: Entspannung ist ein sehr wirksamer Verstärker mentaler Techniken.

Wählen Sie wieder wie beschrieben einen bequemen Sessel, am besten an einem ruhigen, abgedunkelten Ort, und schließen Sie die Augen. Lassen Sie nach der vorgeschalteten Entspannungsübung etwa eine halbe Minute lang alle Wahrnehmungen zu. Dazu gehören sowohl angenehme wie unangenehme Gefühle und Gedanken, also auch Unlust und störende Geräusche. Richten Sie dann Ihre Aufmerksamkeit eine Zeit lang oder wiederholt auf den negativen Gefühlsaspekt der Vorstellung.

Wenn Sie zum Beispiel an Lampenfieber leiden, ist der negative Gefühlsaspekt jenes unangenehme, schmerzhafte, unlustbetonte „Gefühlslicht“, das sich mit der Vorstellung oder realen Situation verbunden zeigt, vor Menschen aufzutreten.

ZUSATZREGEL:

Betrachten Sie gegebenenfalls die verschiedenen Aspekte des Problems, falls das Problem komplex ist und aus mehreren Perspektiven betrachtet werden kann. Gemeint ist nicht ein Problem, das auch sachlich zu lösen wäre – sachliche Probleme werden weiterhin sachlich gelöst. In dieser Übung denken wir nicht über sachliche Lösungen nach!

Suchen auch in diesen zusätzliche Aspekten oder Varianten des Problems immer das Unangenehmsein des Fühlen auf, denn dies ist entscheiden für den Vorhang des Verlernens einer erlernten emotionalen Reaktion.

HINWEIS:

In der klassischen Verhaltenstherapie wird die Wahrnehmung des problematischen Objekts mit einer Entspannungsreaktion, meist durch Progressive Muskelentspannung, gekoppelt. Da z.B. Angst und Entspannung sich gegenseitig ausschließen, leitet das einen Verlernprozess ein.

Wie zahlreiche Versuch gezeigt haben, lässt sich diese Form des Verlernens jedoch deutlich beschleunigen – auch weil sie einfach zu praktizieren es –, wenn wir stattdessen auf das Unangenehmsein des Fühlens fokussieren

(„Aversio Fokussierung“. Vergl. dazu Peter Schmidt: Mythos Emotionale Intelligenz. 2010. Scanning. Neue Mentaltechniken gegen emotionalen Stress. 2006).

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie an das Problem denken? Ist das Gefühl körperlich oder geistig? Welche Stimmung erzeugt es in Ihnen? Suchen Sie keine verbalen Antworten! Betrachten Sie nur das Gefühl. Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf jenen Aspekt des Gefühls oder der Stimmung, der unangenehm ist.

Bei dieser Gelegenheit: Können Sie erkennen, dass das Unangenehmsein der entscheidende Faktor des Problems ist?

Würde man aus dem Problemgefühl oder auch aus dem ganzen Problem das Moment des Unangenehmseins entfernen können – sagen wir: durch „neurologischen Knopfdruck“, z.B. durch Eingriff in unsere Mandelkerne –, dann verlöre das Problem auf der Stelle seinen eigentlichen Leidenscharakter für uns. Es wäre nicht mehr emotional bedrängend. Einen solchen neurologischen Schalter gibt es leider nicht.

Wir erfassen Negativität offenbar auf zweierlei Weise: kognitiv oder emotional. Gedanklich erfasste Negativität tut aber nicht weh, dazu bedarf es der ergänzenden emotionalen Komponente. Diese ist jedoch variabel, verändert sich, lässt sich verlernen. Die zulassende Betrachtung des negativen Gefühls, seine mentale Isolierung, führt jedoch nach und nach zu ähnlichen Ergebnissen wie ein neurologischer Schalter, vorausgesetzt, Sie wenden folgende Regel an:

Auch in dieser Übung bewerten wir weder das negative Gefühl noch versuchen wir zu erklären, welche Gründe es hat. Wir heißen es nicht gut oder schlecht, idealisieren es nicht oder versuchen nicht, es zu vertreiben. Wir müssen unser negatives Gefühl auch nicht „lieben“. Das Leben tut schließlich schon genug weh, oder? Wir nehmen es lediglich als neutraler Beobachter wahr, ohne weitere Absicht.

Bei der Problem-Desensibilisierung sagen wir nicht etwa:

„Ich habe demnächst kein Lampenfieber mehr!“ Wir reden uns nichts ein.

Wir setzen auch nicht unseren Willen ein. Wir spannen uns nicht an.

Wir konzentrieren uns nicht.

Wir haben keine Erleichterungserwartung. Wir klammern unsere Zielvorstellungen für die Zeit der Übung aus. (Im Prinzip wünschen wir uns zwar, dass unser Problem verschwindet, sonst würden wir ja nicht üben, aber während der Übung stellen wir unsere Absicht sozusagen in Parenthese.)

Wir müssen uns auch nichts einbilden! Wir brauchen uns nichts zu suggerieren. Der Vorgang der Desensibilisierung ist ein automatischer Prozess ohne weiteres Zutun, ohne Absicht oder Erwartungshaltungen. Absichten und Ziele behindern ihn eher. Er beruht auf einfachen mentalen Prinzipien, die uns nicht einmal bekannt sein müssen.

Lassen Sie das negative Gefühl in entspannter Haltung zu, so wie es sich von allein einstellt. Kämpfen Sie nicht. Ihr eigener Beitrag ist Leichtigkeit, unkonzentrative Zuwendung der Aufmerksamkeit. Negative Gefühle mögen stark oder schwach sein, Ihr Umgang mit ihnen ist Leichtigkeit.

Das ist möglich, weil Sie zwar nicht unbedingt völlig Herr Ihrer Gefühle sind, wohl aber steuern können, wie Sie dann mit Ihren Gefühlen umgehen!

Nehmen Sie sich selbst und das Gefühl wiederholt in ihrer Dualität wahr: sich selbst als entspannt – das negative, unangenehme Gefühl in authentisch zulassender Haltung – also nicht mehr weiter vermeidend!

Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den tiefen Entspannungszustand Ihres Körpers, wenn das Gefühl zu stark wird. Fühlen Sie in diesem Fall Ihre Entspannung. Pendeln Sie, wenn Ihnen die duale Wahrnehmung schwierig erscheint, so lange zwischen der Wahrnehmung des negativen Gefühls und der Betrachtung Ihrer Entspannung hin und her, bis das negative Gefühl nachlässt, d.h. verschwindet oder blasser wird.

Vermeidenwollen des negativen Gefühls – und hier vor allem der Angst – verstärkt das Gefühl. Vermeiden gehört wesentlich mit zur negativen Konditionierung: Bei Phobien beispielsweise führt unbedingtes Vermeidenwollen überhaupt erst dazu, dass Angstreaktionen erlernt und fixiert werden.

Bei Angst sollte erst der Höhepunkt der Angst in entspannter Haltung zugelassen werden. Sie dürfen nicht zu früh abbrechen. Warten Sie ab, bis sich die Emotion erschöpft hat. Andernfalls droht sich die Angst in weiteren Angstsituationen zu verstärken.

WICHTIG: Konsultieren Sie einen Therapeuten, falls Ihnen eine Phobie oder ein Problem zu mächtig erscheint und Sie Ihre Angst auf gar keinen Fall in entspannter Haltung wahrnehmen können.

Der Bereich, in dem sich die Technik der Problem-Desensibilisierung erfolgreich einsetzen lässt, ist deshalb so groß, weil viele Probleme – und eben nicht nur Ängste! – einen negativen Gefühlsaspekt besitzen. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf dieses „Gefühlslicht“ und nicht – wie Sie das normalerweise tun – auf die Situation insgesamt oder ihren sachlichen Gehalt. Dann ist der erste entscheidende Schritt zu mentalen Bewältigung des Problems getan!

Lernen Sie mit diesem Verfahren nach und nach durch ausreichend viele Versuche immer besser, ihre Aufmerksamkeit auf das Gefühlslicht zu richten, in dem Ihnen Ihre Vorstellungen erscheinen.

Beispiel: Sie haben ein Problem am Arbeitsplatz. Sie mögen einen Mitarbeiter, Untergebenen oder Vorgesetzten nicht. Gleichgültig, ob man Ihre Aversion nun als sachlich begründet oder eher als irrational bezeichnen würde: Es kann vorkommen, dass Sie diese gefühlsmäßige Abneigung als lästig und hinderlich für Ihre Arbeit empfinden. Mit der Desensibilisierung lässt sich das Problem gezielt angehen!

Ob Sie ein Problem mental bearbeiten oder sachlich, hängt von den weiteren Umständen ab. Es könnte ja sein, dass viele ähnliche emotionale bzw. sachliche Probleme Sie veranlassen, sich eine andere Arbeit zu suchen. Dann ist eine Desensibilisierung vielleicht entbehrlich.

Um es noch einmal zu wiederholen: Ein Problem, das sachlich bewältigt werden kann, bedarf keiner mentalen Beeinflussung. Ein Problem, das sachlich schwer oder nur durch Flucht (z.B. „innere Kündigung“) zu bereinigen ist, lässt sich auf diesem Wege sehr oft lindern oder beseitigen.

Leiden Sie an mangelnder Selbstmotivation, dann hat auch dieses Problem einen – oft nicht bewussten – Gefühlsaspekt. Sie denken nicht nur „sachlich“:

Ich habe keine Kraft, dies oder das zu tun. Sondern es sind mitunter auch sehr subtile unangenehme oder angenehme Gefühle zu spüren bei dem Gedanken, aktiv zu werden oder nicht aktiv zu werden. Ein Problem, dessen negatives Gefühlslicht Sie isoliert wahrzunehmen vermögen, verliert damit bereits einen Teil seiner psychischen Dynamik, es wird beherrschbarer. Sie können es zulassen, ignorieren, umgehen oder durch Üben automatisch verlernen.

Unerwünschte positive Gefühle sind ebenfalls veränderbar, weil durch ihre neutrale, zulassende Betrachtung eine Distanzierung stattfindet, durch die wir größeren Handlungsspielraum gewinnen. Wenden Sie dazu dieselbe Technik an! In ähnlicher Weise, wie man sich durch Desensibilisierung von unangenehmen Gefühlen befreit, verschafft uns die desensibilisierende Betrachtung unerwünschter positiver Gefühle (z.B. bei Sucht, sexueller Abhängigkeit, Bequemlichkeit) deutlich mehr innere Freiheit und Distanz.

Richten Sie dazu Ihre Aufmerksamkeit wiederholt auf die problematische positive Gefühlsauszeichnung Ihrer Gedanken, bis ein klares Evidenzgefühl auftritt, dass die Intensität des problematischen Gefühls nachgelassen hat. Manche Probleme sind sehr vielgestaltig. Manchmal liegt das emotionale Problem darin, dass wir beides haben, positive und negative Gefühle. Wandern Sie gegebenenfalls durch die vollständige emotionale „Landschaft“ des Problems, falls es sehr vielgestaltig ist und verschiedene Aspekte hat. Fühlen Sie dabei sowohl unangenehme wie auch angenehme Gefühlseindrücke in der gleichen zulassenden Haltung aus.

Sollten Sie den Eindruck haben, Sie können Ihr Problemgefühl trotz der vorausgegangenen Entspannungsübung nicht in entspannter Haltung wahrnehmen, weil es Ihnen zu unerträglich (oder zu verlockend) erscheint, dann schalten Sie, bevor Sie das Problem aufnehmen, zunächst die Körper-Desensibilisierung vor, denn diese Technik wirkt ebenfalls stark entspannend und zudem noch desensibilisierend.

Sie werden unempfindlicher und bekommen mehr inneren Handlungsspielraum. Wagen Sie sich immer erst an stärkere Gefühle, die mit einem Problem verbunden sind, wenn Sie sich genügend entspannen können.

Sollte ein negatives Gefühl aus seelischen Gründen wie Stress, Lernvorgängen, negativen Bewertungen wie z.B. fehlerhaften Interpretationen – also kein lediglich physisch bedingtes Unangenehmsein – auch nach der Körper-Desensibilisierung noch immer unannehmbar für Sie sein, dann setzen Sie als Zusatztechnik die sogenannte „Paradoxe Intention“ des österreichischen Psychiaters und Therapeuten Viktor E. Frankl ein. Dazu reicht es nicht mehr aus, das negative Gefühl in der Haltung des neutralen Zeugen zu betrachten, sondern Sie werden aktiv, Sie bejahen:

Stellen Sie sich dabei vor, das negative Gefühl würde bis an Ihr Lebensende andauern, und zwar augenblicklich, und sogar vielfach so stark. Sie wünschten sich sogar, dass es für immer andauert. Genau das bejahen Sie für einige Augenblicke ernsthaft und aufrichtig – auch wenn Ihnen diese Absicht verständlicherweise absurd erscheint!

Sie wissen natürlich, dass Sie Ihre Haltung als Instrument einsetzen, um sich von dem negativen Gefühl zu befreien – und es mag deshalb widersinnig, ja, „schizophren“ erscheinen, sich zugleich dafür zu entscheiden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass diese mentale Haltung möglich ist und Wirkung hat, sofern es sich nicht um eine unaufrichtige So-tun-als-ob-Haltung handelt. Wiederholen Sie diese Bejahung einige Male, bis Sie das Gefühl (oder was davon übriggeblieben ist) ohne größere Anstrengung anschauen können.

Wie verfahren Sie, wenn Sie kein Problemgefühl erkennen, sondern das Problem nur rein sachlich als solches wahrnehmen – aber wissen, dass es sich letztlich eigentlich um ein mentales Problem handelt?

Betrachten Sie das Problem trotzdem in der beschriebenen Weise als neutraler Betrachter, ohne jede weitere Absicht. Wir können gedanklich „umgreifen“, dass ein Problem ein Problem ist, ob nun mit oder ohne negativen Gefühlsaspekt, weil wir das wissen, weil wir uns erinnern oder weil wir das Problem vorwegnehmen können. Oder aber wir fühlen das negative Gefühl. In beiden Fällen gehen wir gleich vor und desensibilisieren uns durch die neutrale, zulassende Betrachtung des Problems.

Richten Sie im ersten Fall Ihre Aufmerksamkeit eine Zeit lang – vielleicht fünf- bis zehnmal oder auch öfter – auf die Bedeutung des Problems, auf den sachlichen Zusammenhang, ohne emotionale Einfärbung. Betrachten Sie gegebenenfalls die verschiedenen Aspekte des Problems.

Nehmen wir an, Sie leiden an der Marotte, mehrmals nachzusehen, ob Sie Ihre Tür abgeschlossen haben.

Ein solches Problem muss nicht sehr stark gefühlsmäßig besetzt sein – obwohl Sie, wenn Sie mehr Übung besitzen, vermutlich immer deutlicher die subtilsten Gefühlsauszeichnungen von Gedanken und Vorstellungen erkennen werden.

Wie verfahren Sie, wenn Sie zwar zunächst ein Problemgefühl wahrnehmen, aber nach einiger desensibilisierender Betrachtung innerhalb derselben Übung plötzlich nicht mehr? Gehen Sie genauso vor wie bei Problemen ohne erkennbares Problemgefühl.

Geben Sie durch wiederholte Betrachtung Ihrem Nervensystem Gelegenheit, sich mit dieser Betrachtungsweise vertraut zu machen, sie als normal anzusehen – mithin zu lernen, wie es ist, wenn Sie das Problem nicht durch eine negative Gefühlsbrille betrachten.

Selbst wenn das Problem sehr undeutlich ist und Sie sagen könnten, Sie wüssten nur noch sehr vage, dass Sie überhaupt daran denken, ist auch dies ein durchaus geeignetes Objekt für die Desensibilisierung!

Wie verfahren Sie, wenn negative Gefühle plötzlich sehr stark werden? Ursprünglich geistige Gefühle – Gefühle, die mit Vorstellungen und Erinnerungen verknüpft sind – werden während der Übung möglicherweise körperlich und verwandeln sich in Schmerz. Vielleicht spüren Sie eine Nackenverspannung oder Kopfschmerzen oder negative Gefühle anderer Art im Körper. Manchmal handelt es sich auch um Kribbeln, Hautjucken oder Unruhe.

Es scheint dann, als könne das negative Gefühl, nachdem es zunächst Ihr Problem „besetzt gehalten“ hatte, seinen Ort verändern und als Äquivalent in ganz verschiedenen Bereichen auftreten.

Wechseln Sie in die einfache Desensibilisierung als Körperfühlen, wenn Gefühle sehr stark werden. Behandeln Sie solche Gefühlsverwandlungen immer in der dort beschriebenen Weise, indem Sie eine Zeit lang, zwei Minuten oder länger, dieses stärkste momentan wahrnehmbare Gefühl, ohne es gutzuheißen oder negativ zu bewerten, neutral betrachtend, ohne Anstrengung oder Erwartungshaltung „ausfühlen“.

Wenn Sie diese zulassende Haltung aufrichtig einnehmen, impliziert dies auch bereits die erforderliche tiefe Entspannung – denn echtes Zulassen ist Entspannung! Finden Sie selbst heraus, wie viel Sie sich dabei zumuten können. Werfen Sie aber nicht zu früh die Flinte ins Korn. Wir neigen dazu, den leichteren Weg zu wählen.

Lassen Sie die Übung wie bei allen weiteren Techniken mit einer Ruhephase von etwa zwei Minuten ausklingen, bei der Sie die Augen geschlossen halten und nichts tun. Stehen Sie nicht unmittelbar danach auf. Reden Sie nicht, werden Sie nicht sofort aktiv, denn das könnte die Wirksamkeit beeinträchtigen. Bleiben Sie noch einige Zeit mit geöffneten Augen sitzen, bis sich der innere Vorgang „gesetzt“ hat. Finden Sie selbst heraus, wie sich das anfühlt.

Damit ist nicht der Eindruck gemeint, dass Ihr Problem bereits gelöst ist, sondern jetzt sei der rechte Zeitpunkt, wieder Ihren Tagesaktivitäten nachzugehen.

Diese Verfahrensweise übt ganz nebenher ein meditatives Bewusstsein ein, bei dem Sie sich mehr Raum für Ihre inneren Stimmen gestatten.

Wiederholen Sie die Übung gegebenenfalls an mehreren Tagen, bis sich ein deutliches Evidenzgefühl einstellt, dass das Problem gelöst ist. Dazu gehören auch die verschiedenen Aspekte, die emotional relevant sein können.

Sollte die Problem-Desensibilisierung nicht sofort zufriedenstellend gelingen, dann setzen Sie sich deswegen nicht unnötig unter Leistungsdruck. Akzeptieren Sie gegebenenfalls auch eine vorübergehende Verschlimmerung des Symptoms durch falsches Üben. Sie kennen ja nun den Weg und wissen, dass korrektes Desensibilisieren über kurz oder lang zum Ziel führt.

Merksatz: Die Wirksamkeit der Desensibilisierung ist sehr stark von der Aufrichtigkeit Ihres Zulassens und dem Grad abhängig, mit dem Sie sich als entspannt wahrnehmen.

Man kann sich leicht etwas vormachen, gerade auch nonverbal, also ohne Worte. Setzen Sie Ihr Gespür ein. Achten Sie vor allem auf Ihre feinsten, unmerklichsten Regungen:

Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die „Quelle Ihrer Gedanken“ – selbst wenn Sie nicht sofort wissen, was damit gemeint ist.

Optional: War die Desensibilisierung sehr belastend, d.h., haben Sie das Gefühl, dass das Betrachten negativer Gefühle trotz Ihrer entspannten Einstellung nun seinerseits zu Stress geworden ist, dann bietet es sich auch hier wie bei der Körper-Desensibilisierung an, als Kontrapunkt und Ausgleich mit zehn Minuten Wortklangmeditation in extrem sanfter, leichter Weise abzuschließen.

Lesen sie im Kapitel 9, „Entspannung als Grundlage mentaler Techniken“ nach, wie diese Technik angewendet wird. Fahren Sie danach mit den beiden oben beschriebenen Ausklangphasen fort.

Kurzform Problem-Desensibilisierung:

1. In der ersten Phase schalten wir mit geschlossenen Augen eine Entspannungstechnik vor, z.B. einige Minuten Wortklangmeditation, am besten im Sitzen (abgedunkelter, ruhiger Raum). Dabei lassen wir – wie auch in der gesamten weiteren Übung – alle Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle zu, gleichgültig ob angenehm oder unangenehm.

2. In der zweiten Phase lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf das Problem. Wir müssen uns das Problem lediglich kurz so vergegenwärtigen, wie es uns ganz natürlich und ohne Anstrengung in den Sinn kommt. Das kann ein Bild sein oder auch nur ein abstrakter Gedanke. Wir müssen lediglich „Kontakt“ mit dem Problem aufnehmen ( dass es sich um dieses und kein anderes Problem handelt).

4. Während und nach der Vergegenwärtigung des Problems schauen wir nach, ob wir irgendwelche unangenehmen Gefühle bemerken, die durch den Gedanken an das Problem ausgelöst worden zu sein scheinen, gleichgültig, ob subtil oder stark – oder stärker werdend, z.B. „Angst“. Dabei kann es sich auch um körperliche Gefühle, z.B. Unbehagen, oder sogar Schmerzen handeln.

5. In dieser Übung weichen wir keinem unangenehmen Gefühl aus. Wir lassen es einfach zu, selbst wenn es dadurch stärker wird. Wir schauen es an, ohne weitere Absicht, Erwartung, nur neutral betrachtend. Oder lassen es einfach „mitlaufen“ wie z.B. Straßenlärm oder irgendwelche „Störungen“, wenn uns das besser gefällt.

6. Sollte sich beim Gedanken, bei der Vorstellung des Problems kein Gefühl einstellen (manchmal sind Gefühle sehr fein, sozusagen an der Grenze zum Wahrnehmbaren), dann ist dies auch in Ordnung. Dann nehmen wir den Zustand der „Neutralität“ wahr. Es ist wichtig, dass wir

a) entweder das Gefühl anschauen, es nicht zu vermeiden suchen wie in der normalen Alltagshaltung, oder

b) wahrnehmen, dass kein Gefühl auftaucht!

ANMERKUNG 1: Der Umlernprozess findet automatisch – „mechanisch“ statt, wir müssen nichts glauben, erwarten, denken oder uns irgendetwas zusätzlich vornehmen. Die Wirkung zeigt sich erst später in der realen problematischen Situation. Sie „passiert“ uns einfach, wir finden uns darin wieder.

Man weiß nicht schon vorher, dass das Problem verschwunden ist. Die problematischen Gefühle werden nicht mehr reproduziert, weil durch das Verfahren der „innere Autopilot“ umprogrammiert worden ist.

7. Bei starken emotionalen Reaktionen wie Angst erst den Höhepunkt der Angst in entspannter Haltung „abwettern“. Nicht zu früh beenden, sondern abwarten, bis sich die Emotion erschöpft hat. In aller Regeln ist dies nicht zu unangenehm. (Brechen Sie die Technik ab und wenden Sie sich notfalls an einen Therapeuten, falls Sie – wider Erwarten – untypisch starke Erfahrungen machen.)

8. In dieser Übung wie gerade beschrieben etwa acht bis zwölf Mal Kontakt mit dem Problem aufnehmen, oder nach Belieben.

9. Danach Ausklangphase I: mindestens zwei Minuten ruhiges Dasitzen mit geschlossenen Augen.

10. Dann Ausklangphase II: ca. 1 Minute noch ruhiges Dasitzen mit geöffneten Augen.

Übung an etwa fünf bis acht Tagen ein- oder zweimal täglich wiederholen. Manchmal reicht auch weniger.

Was bedeutet in dieser Übung „Problem“?

Es kann sich um alle Art von mentalen, „seelischen“ Alltagsproblemen, um psychischen Stress, um Sorgen oder traumatische Erfahrungen, um Ängste und negative Gedanken handeln, soweit sie dem Anschein nach nicht rein oder überwiegend physisch, sondern durch Erwartungshaltung, durch Fehlhaltungen, durch Gewohnheiten, Überlastungen, erlernte emotionale Reaktionen und Bewertungen ausgelöst werden.

Beispiel für ein physisch verursachtes Problem: Eine Schilddrüsenfehlfunktion durch Mangel am Hormon Thyroxin kann durch Problem-Desensibilisierung weniger effektiv beeinflusst werden – wohl aber deren mentale Folgeerscheinungen, z.B. „Ängstlichkeit“.

Was bedeutet in der Übung „Gefühl“?

Es ist wichtig, zwischen Gefühlen und Gedanken zu unterscheiden. Gefühle können sich mit Gedanken verbunden zeigen, Gefühle können durch Gedanken – z.B. Bewertungen – ausgelöst werden, sind aber nicht einfach mit Gedanken gleichzusetzen.

In dieser Übung wird der entscheidende Faktor, der überhaupt erst Leiden ermöglich, als Unangenehmsein des Fühlens verstanden. Dem steht das Angenehmsein als positives Gefühl gegenüber. Für die Wirksamkeit der Übung ist es entscheidend, in den verschiedensten seelischen Problemen das „Identische im Verschiedenen“ zu erkennen. Denn dann gelingt es viel leichter, seine Aufmerksamkeit auf das eigentliche seelische Probleme zu lenken, das uns belastet – eben das Unangenehmsein des Fühlens.

ANMERKUNG 2: Wie bei der Körper-Desensibilisierung und anderen Mentaltechniken gilt auch hier: Wenn Sie momentan an starken Schmerzen physischer Art leiden, z.B. durch Verletzung, Infektion, Vergiftung, kann es unmöglich sein, diese Übung wirksam durchzuführen.

Denn solche Schmerzen hindern Sie an der Betrachtung negativer Gefühle (z.B. auch andersgearteter Schmerzen), die seelisch, durch Verspannung, Fehlhaltung, negative Lernmuster, traumatische Erfahrungen und unbekannte psychosomatische oder auch physische Ursachen bedingt sind.

In vielen Fällen hilft hier jedoch die extrem sanfte Wortklangmeditation, eine Umschaltung zu bewirken, wie sie in Kapitel 9, „Entspannung als Grundlage mentaler Techniken“ geübt wird.

Finden Sie selbst heraus, wann die Desensibilisierung wirkt. Ziehen Sie sich nicht aus Bequemlichkeit oder Empfindlichkeit auf den Standpunkt zurück, Sie fühlten sich zu schlecht!

Wirkung

Mit dieser Technik lassen sich sehr wirksam verschiedenste mentale Probleme behandeln wie Angst (z.B. Flugangst, Fahrstuhlangst, Klaustrophobie, Examensangst), Antriebsarmut, Schuldgefühle, Zwangsvorstellungen, Zwangshandlungen, unerklärliche Müdigkeit, Eifersucht, Impulsivität, Hass, Minderwertigkeitsgefühle.

Negative Gefühle werden nach dem aus der Verhaltenstherapie bekannten Prinzip der „reziproken Hemmung“ wieder verlernt und ausgeschliffen, wenn Sie genügend oft üben. Dies geschieht automatisch, auch ohne explizite Absicht.

Wie bei der Körper-Desensibilisierung üben Sie auch mit der Problem-Desensibilisierung den „desensibilisierenden Blick“ und können ihn je nach Bedarf in Alltagssituationen einsetzen.

Sie werden nach und nach unabhängig von der erlernten Angst oder Ängstlichkeit und anderen unangenehmen Gefühlen. Ihr Handlungsspielraum wächst. Sie müssen Situationen, in denen negative Gefühle auftauchten, nicht mehr meiden.

Oft sind Sie nicht nur frei von Ihrem alten Problemgefühl, d.h. Sie nehmen die Situation nun auf neutrale Weise wahr, sondern was früher problematisch war, kann sich nach erfolgreicher Desensibilisierung sogar angenehm anfühlen und Wohlbehagen verursachen.

Auch diese Übung macht Sie nicht nur von individuellen Problemen unabhängiger, sondern übt zugleich das Muster für die Behandlung anderer Probleme ein.

Von der aktuellen Desensibilisierung ist es dann nur noch ein Schritt bis zu einer Haltung, in der Sie insgesamt autonomer sind – und das um so mehr, je bewusster Sie sich für diese neue Haltung entscheiden. Sie sind dann weniger auf übertriebene Perfektion ausgerichtet. Diese Einstellung ist nicht etwa weltverneinend, sondern ermöglicht Ihnen erst ein Leben ohne übertriebenen Stress.

Zu starkes Anhaften, zu großes Habenwollen, zu großer Perfektionismus – die sogenannte „Muss-Haltung“ – ist nach Meinung vieler Therapeuten für unser Leiden mitverantwortlich.

Deshalb sehen auch östliche Weisheitssysteme einen wichtigen Schritt in der nicht-anhaftenden Haltung. Zulassen, Desensibilisieren, Loslassen üben diese Haltung, indem sie direkt ins Zentrum des Problems gehen: zum negativen und positiven Gefühl, seinem Angenehm- und Unangenehmsein (Attraktivsein, Unattraktivsein). Bei dieser Übung betrachten Sie nicht die argumentative Seite des Problems, sondern seine emotionale.

Darüber hinaus eignet sich die Methode auch hervorragend zur Leistungssteigerung, Selbstentfaltung und Selbstmotivation. Der Grund dafür liegt darin, dass Sie sich genau hinsichtlich jener Gefühle desensibilisieren können, die Ihren Zielen entgegenstehen.

Lesen Sie in Kapitel 16, „Problem-Desensibilisierung B“, welche Geschichte diese Technik hat und auf welche Punkte zu achten ist. Informieren Sie sich dort auch, welche Zusatztechnik Sie einsetzen können, um subtile negative und positive Gefühle besser zu identifizieren.

Die Kraft der positiven Gefühle

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