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8. Dezember, Karolinska-Institut Stockholm
ОглавлениеAls sie Cesare Hollando zum ersten Mal sah, war es wie ein befreiender Gewitterregen – oder als stürzten Regenfluten von den Bergen und rissen alles gleichermaßen in die Tiefe, Mensch und Tier, Haus und Hof, Gut und Böse – wie um endlich reinen Tisch zu machen …
Professor Hollando schrieb gerade Medizingeschichte. Er stand am Rednerpult, den Zeigestock auf einer Tabelle aus der Hirnforschung. Auf der Videoleinwand hinter ihm war überlebensgroß sein Gesicht zu sehen: eine Mischung aus wachem Intellektuellen, braungebranntem Skilehrer – und verschlagenem Pokerspieler.
Laut Statuten hielten Nobelpreisträger vor der eigentlichen Preisverleihung im Karolinska-Institut eine Vorlesung über ihre Arbeit.
Carolin war ihm bis nach Stockholm gefolgt, und sie würde alles daran setzen, an seinen weiteren Forschungen mitzuarbeiten, selbst wenn sie dafür den Rest ihrer weiblichen Konkurrentinnen umbringen musste.
Schon bei der Antrittsvorlesung in Deutschland sollte der Saal voller Studentinnen gewesen sein, die ihn anhimmelten wie einen neuen Gott im Olymp der Wissenschaften, Cesare Hollando, der mit gerade einmal vierundvierzig Jahren den Nobelpreis für Medizin erhielt.
Eine eigentümliche Faszination ging von ihm aus. Es war die Art, wie er sprach. Als sei ihm das Interesse der Medien eher lästig, als gehe ihn das Theater um seine Person nichts an. Manchmal verharrte sein Zeigestock sekundenlang auf den Daten der Tabelle, wie versunken in seine Forschungen, als arbeite er selbst hier noch weiter.
Komm wieder auf den Boden der Tatsachen zurück!, ermahnte sie sich. Es ist auch nur ein ganz gewöhnlicher Kerl. Vermutlich ist er im Bett genauso langweilig wie alle anderen …
Trotzdem konnte sie kaum den Blick von ihm lassen. Es waren seine Augen, die ihm den Ruf eingetragen hatten, ein Frauenversteher zu sein, was auch immer das genau bedeuten sollte.
„Professor Hollando“, meldete sich ein Journalist im Saal. „Erlauben Sie vorab eine Frage zur Person?“
„Gern, wenn sie nicht zu intim ist?“
„Sie lehren als Deutscher an einer deutschen Universität, aber Ihr Name klingt eher italienisch?“
„Oh, deswegen bin ich noch keineswegs italienischer Abstammung“, erklärte Hollando lächelnd. „Es scheint, dass einer meiner Großväter in ferner Vergangenheit uns diesen Namen vererbt hat. Ich spreche übrigens weder Italienisch noch war ich jemals in Italien. Meine verstorbene Mutter – eine Deutsche – muss dann wohl geglaubt haben, dass Cesare gut zu unserem italienischen Nachnamen passe.“
„Und könnten Sie uns“ – dabei blickte sich der Journalist fragend im Saal um – „eine auch für Laien verständliche Erläuterung geben, was im Kern Ihren Fortschritt in der Hirnforschung ausmacht?“
„Gern, dazu sind wir ja heute hier zusammengekommen?
Wie wir alle nur zu oft leidvoll erfahren müssen, ist es vor allem der Schmerz, der uns zu schaffen macht, Schmerz im weitesten Sinne verstanden. Denn schmerzvoll sind auch Trauer, Depression, Traumata. Lange Zeit glaubte man, für gewöhnlichen Schmerz seien allein die Schmerzrezeptoren des Körpers zuständig.
Meine Entdeckung besteht nun darin, dass es so etwas wie einen genetischen Schalter im Gehirn gibt, den sogenannten Aversio-Genetic-Toggle-Switch –, der sowohl für körperliche Schmerzen wie auch das ganze Spektrum seelischer Belastungen zuständig ist. Lassen Sie mich dazu kurz ein wenig in Fachchinesisch verfallen …
Schmerzrezeptoren, Mandelkerne, unser gesamtes Gefühlssystem, werden ohne einen solchen genetischen Schalter gar nicht aktiv. Es bietet sich also an, ihn durch gezielte Beeinflussung ein- oder abzuschalten. Versuche im Research Department of Neuroscience (RDN) – so der Name meines Instituts – sind äußerst vielversprechend.“
„Was dann wohl eine der preiswürdigsten Entdeckungen in der Geschichte des Nobelpreises wäre?
Handelt es sich bei Ihrer Entdeckung um einen ähnlichen Mechanismus wie beim sogenannten Dream-Gen, das kanadische Forscher unlängst bei Mäusen gefunden haben?“
„Mit dem entscheidenden Unterschied, dass dabei lediglich ein Gen entfernt wurde, wodurch es zu erhöhter Dynorphin-Produktion kam. Dynorphin ist ein vom Körper erzeugtes Opioid, vergleichbar dem Opium. Es wurde also nicht der eigentliche Schmerz ein- oder abgeschaltet, sondern lediglich ein Betäubungsmittel aktiviert.“
„Nehmen Sie mit Ihrer Entdeckung den Schmerzmittelproduzenten nicht die Geschäftsbasis?“
„In gewissem Sinne, ja. Wahrscheinlich wird die Pharmaindustrie demnächst einen Killer auf mich ansetzen, wenn ihre Geschäfte in den Keller gehen …“
„Bedeuten Ihre Forschungen, Professor Hollando, wir Menschen werden demnächst ein völlig schmerzfreies Leben führen?“
„Oh, nein …“, wehrte Hollando lächelnd ab. „Ganz ohne Schmerzen dürften wir auch in Zukunft nicht auskommen. Stellen Sie sich nur mal vor, was passiert, wenn sich Ihre volle Blase nicht mehr meldet?“
Lacher im Saal …
„Negative Gefühle werden für eine Vielzahl von Lebensvorgängen benötigt, wie Flucht und Kampf oder als Hinweis auf Erkrankungen. Und ohne Trauer würden wir uns beim Tod naher Verwandter auch nicht ganz intakt fühlen, oder?
Da halten wir es doch lieber mit der alten östlichen Weisheit: Selbst Buddha hatte Schmerzen …“
Nach Hollandos Vorlesung kehrte Carolin ohne Umweg zum Flughafen zurück.
Für die eigentliche Preisverleihung durch den schwedischen König würde es wegen des begrenzten Platzes im Konserthuset kaum freie Karten geben. Die meisten Plätze waren für ehemalige Preisträger und die Mitglieder des Nobelpreis-Komitees reserviert.
Als sie in Düsseldorf landete, stand ihr Bruder am Ausgang neben der Zolltheke und winkte ihr mit einer Zeitung zu.
Robert war überzeugter Junggeselle und gerade zum Hauptkommissar befördert worden – zur Überraschung seiner Kollegen, die geglaubt hatten es werde Paul Broder, für den es dann nur zum Stellvertreter reichte.
Nach dem Tod ihrer Eltern liebte Robert es immer noch, sich an den gedeckten Tisch zu setzen. Vielleicht war Carolin ja jetzt so etwas wie ein Mutterersatz für ihn …
So jung und schlaksig – mageres Gesicht und schelmische Augen – war es schwer, sich Robert als Kommissar vorzustellen. Aber der harmlose Schein trog. Eigentlich sah er ein wenig schwindsüchtig aus. Vielleicht, weil er zu viele Jahre in dunklen Büros verbracht hatte.
Draußen schien es, als wenn der Himmel auf die Landebahnen stürzte. Laternenmasten wackelten im Wind und von den fernen Hügeln Richtung Rhein breitete sich eine dunkle Wolkendecke aus.
„Lass uns erst mal ins Flughafen-Café gehen“, schlug Robert vor. „Bei dem Wetter bleiben wir noch im Stau stecken.“
Er bestellte wie immer nur einen Espresso.
„Sieh dir das mal an“, sagte er und reichte ihr die Zeitung. „Etwas Seltsames geht momentan in der Stadt vor. Es werden immer mehr Frauen aufgegriffen, die ihr Gedächtnis verloren haben …“
Carolin erinnerte sich, dass Robert vor ihrem Abflug eine junge Frau erwähnt hatte, die nur mit einem blauen Unterrock und dünner Bluse bekleidet am Flussufer unterhalb der Universität aufgegriffen worden war – bei Frost, während auf dem Wasser Eisschollen trieben. Ein Polizeibeamter hatte sie beim morgendlichen Lauftraining entdeckt.
„Schon der dritte Fall, seit du nach Stockholm geflogen bist“, sagte Robert. “Und jetzt auch noch ein vierter. Grauenhaft, diese Sache mit dem Auge …“
Die erste Frau war etwa zwanzig Jahre alt. Als Carolin ihr Bild in der Zeitung sah, erstarrte sie. Es war Manuela, eine Kommilitonin …
Sie studierte Theaterwissenschaften und Medizin – anscheinend, ohne sich für ein Fach entscheiden zu können.
Einmal hatte Manuela sich von Carolin ein paar Euro geliehen, um in der Cafeteria bezahlen zu können. Angeblich, weil ihr Portemonnaie im Handschuhfach des Wagens lag. Carolin erinnerte sich nicht, das Geld jemals zurückbekommen zu haben.
Auf dem Foto sah Manuela stark abgemagert aus. Doch das eigentlich Verstörende war die Schlagzeile:
JUNGE FRAU OHNE GEDÄCHTNIS AN
FLUSSUFER AUFGEFUNDEN
Sie konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wo sie wohnte und wie sie hieß.
Amnesie, das wusste Carolin aus dem Studium, konnte durch einen Unfall, zum Beispiel ein Hirn-Schädel-Trauma, aber auch durch Schlaganfall oder verschiedene andere Krankheiten ausgelöst werden. Manchmal blieben die Ursachen auch völlig unbekannt.
Das ist Manuela Winter – nein, Winters“, berichtigte sie. Sie hat dasselbe Seminar belegt wie ich.“
„Dann solltest du unbedingt deine Angaben zu Protokoll geben. Bisher tappen wir nämlich noch völlig im Dunkeln. Von Seiten ihrer Universität – kann sein, aus dem Universitätssekretariat – gibt es einen Hinweis, sie könnte sich momentan irgendwo in den USA aufhalten“
„Heißt das, man hat dir den Fall übertragen, Robert? Gratuliere …“
„Nicht mir allein, ein ganzer Stab arbeitet daran. Also bitte keine Vorschusslorbeeren.“
„Na, wenn das kein Karrieresprung ist …“
„Die Presse läuft Sturm wegen der rätselhaften Vorfälle. Unsere Telefone klingeln Tag und Nacht.“
„Dann zieh einfach den Stecker aus der Wand …“
„Leichter gesagt als getan. Es gibt da ein paar Politiker, die uns genau auf die Finger schauen, schon wegen des Echos in den Medien. Diese Frauen haben nicht nur ihr Gedächtnis verloren. Der Körper der einen ist voller blauer Flecke. Eine andere war bei der Vernehmung kahlköpfig und am ganzen Körper rasiert.“
„Rasiert, wozu?“
„Keine Ahnung. Eine andere macht dauernd obszöne Bemerkungen.“
„Vielleicht, weil sie etwas Schreckliches erlebt hat?“
„Eine Vergewaltigung?“
„Oder so was Ähnliches.“
„Dafür haben wir bisher keinerlei Hinweise gefunden. Wenn man die Frauen anspricht, hat man den Eindruck, sie verstehen einen gar nicht. Es dauert immer eine Zeitlang, bis man eine halbwegs plausible Antwort bekommt.“
„Aber dann reden sie wieder normal?“
„Nein. Sie wirken eher geistesabwesend.“
Woran erinnert mich das aus meinen Seminaren?, überlegte Carolin. Beim Studium von Krankenberichten hatte sie schon viel mit seltsamem Verhalten zu tun gehabt. Das gehörte zur Ausbildung. Aber was bedeuteten in der Neurologie verzögerte Reaktionen beim Sprechen?
„Wir haben jetzt vier Fälle ohne jeden Anhaltspunkt“, sagte Robert.
Sie sah sich noch einmal die Fotos in der Zeitung an.
„Was ist mit der vierten Frau? Sieht aus, als wenn ihr … ein Auge fehlt?“
Carolin hob die Zeitung ins Licht, um besser sehen zu können. Oder lag es nur am schlechten Druck? Nein, es war kein Fehler. Es war eindeutig eine leere Augenhöhle.
„Robert …?“
Keine Antwort.
„Gibt es etwas, über das du nicht mit mir reden willst?“
„Ihr fehlt ein Auge, ja …“
„Was bedeutet das?“
„Ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, darüber zu reden – so kurz nach deiner Rückkehr.“
„Heißt das, du willst mich schonen? Schon mal was von Resilienz gehört?“
„Mentale Abhärtung … oder so ähnlich.“
„Resilienz ist in unserem Fach besonders wichtig, weil ständig ziemlich üble Dinge auf uns zukommen. Einige brechen deswegen sogar ihr Studium ab. Und ein geöffnetes Gehirn, wenn wir im Limbischen System mit dem Skalpell Teile des Cerebrums oder des Fornix cerebri freilegen, ist auch nicht gerade appetitlich.“
Robert nickte nur unmerklich und schwieg.
„Irgendwas nicht in Ordnung?“
„Ihr rechtes Auge hängt an einer Angelschnur – Miniaturhaken Größe 24, so die Bezeichnung im Katalog für Zubehör – über einem Kirchenaltar.“
„Ihr Auge hängt … wo?“, fragte sie.
Ihr Bruder gab keine Antwort.
„Robert …?
„Spielt es denn eine Rolle, wo?“
„Ja, wieso nicht …“
„Es hängt über dem Kruzifix am Altar St. Maria Magdalena, das ist eine Kirche hier in der Nähe. Das Auge darf erst nach der Spurensicherung abgenommen werden. Die Sicherung von genetischem Material erfordert immer besondere Vorkehrungen, deshalb ist der Zutritt bis auf Weiteres gesperrt.“
„Aber wer hängt denn ein Auge über einen Kirchenaltar – und wozu?“
„Keine Ahnung.“
„Hört sich das nicht nach durchgeknalltem Psychopathen an?“
„Wir haben noch nicht den geringsten Hinweis, was dahintersteckt.“
Als sie das Café verließen, winkte Robert einem vorüberfahrenden Wagen zu …
Carolin konnte nicht erkennen, wer am Steuer saß – vielleicht eine seiner zahllosen Freundinnen. Ihr Bruder war trotz seines schwächlichen Aussehens eine Art Frauenheld. Was denn auch sonst bei einem Kerl, der jede Nacht mit einer großkalibrigen Waffe ins Bett ging?
Auf dem Parkplatz öffnete er das Handschuhfach und nahm ein Farbfoto heraus.
„Sind deine Nerven stark genug, dir das hier anzusehen?“
„Was?“, fragte sie argwöhnisch.
„Na, das Auge …“
Sie musste sich übergeben, als sie das Foto sah. Es kam so plötzlich und war ein so starker Reflex, dass sie nur noch die Wagentür aufstoßen konnte und sich auf den Parkplatz erbrach. Robert reichte ihr ein Taschentuch …
Aber da stolperte sie auch schon mit weichen Knien auf ein Gesträuch nahe der Landebahn zu. Sie streckte tastend ihre Arme aus, als sei sie plötzlich erblindet …
Der Sturm hatte nachgelassen, doch die röhrenförmigen Windanzeiger aus rot-weißen Stoffhüllen flatterten immer noch waagerecht in der Luft. Hinter dem Drahtzaun weit draußen landete mit wiegenden Tragflächen ein Langstreckenflieger.
Großer Gott! – das Bild mit dem am Perlonfaden hängenden Auge war sofort wieder da, als sie die Augen schloss …
Aus der Pupille bog sich die winzige Spitze eines Angelhakens bis in den weißen Augapfel hinein, ohne irgendeine Blutspur zu hinterlassen, chirurgisch sauber durchtrennt. Und dahinter – unscharf wegen der Einstellung des Objektivs und wie malerisch arrangiert – war schemenhaft das Bildnis des Gekreuzigten zu erkennen.
Sie kannte die Kirche von früher, weil dort ein historischer Pilgerweg verlief und sie oft mit ihren Eltern hier gewesen war. Das Kreuz im Chorraum von St. Maria Magdalena war um 1300 in den Pyrenäen entstanden.
Robert stieg aus und legte den Arm um ihre Schultern.
„Geht’s wieder …?“, fragte er.
„Professor Hollando gründet einen Arbeitskreis ausgewählter Studenten“, sagte Carolin während der Rückfahrt. Sie war froh, das Thema wechseln zu können. „In den muss ich unbedingt aufgenommen werden.“
„Deshalb bist du zur Preisverleihung nach Stockholm geflogen?“, fragte Robert. „Um ihn darauf anzusprechen?“
Sie hatte kaum Zeit, zu antworten …
Er beschleunigte so stark, dass sie den Rahmen der Rückenlehne im Schaumstoff spürte. Ihr Bruder liebte schnelles Fahren. Der Antrieb seines Zweisitzers war mit 12-Zylindern und 800 PS kein normaler Motor, sondern eher ein Raketentriebwerk.
Dann kam eine enge Kurve und sie holte tief Luft …
„Nein, man hat mir schon vor Abflug einen Vorstellungstermin gegeben. Ich wollte einfach dabei sein und sehen, wie Hollando auf mich wirkt.“
„Und – wie wirkt er auf dich?“
Sie gab keine Antwort.
„Carolin …?“
„Geht dich das was an?“
„Na, ich will doch, dass meine kleine Schwester glücklich wird.“
„Beeindruckend, mehr oder weniger.“
„Du willst einen Nobelpreisträger, hab ich recht?“
„Und du wirst bald Polizeipräsident.“
„Ausgezeichnete Idee …“ Robert lachte. „Glaubst du denn, dass dein Charme ausreicht, ihn um den Finger zu wickeln?“
„Hollando ist ziemlich schwierig, ein harter Brocken. Intellektuell und in jeder Hinsicht. Keine Ahnung, ob er mich akzeptiert.“
„Akzeptiert als Studentin? Oder als Frau?“
„Kommt drauf an.“
„Du bist gerade dabei, das herauszufinden?“
„Ich habe noch keinen Menschen kennengelernt, der ihm intellektuell das Wasser reichen könnte, Robert. Mit so einem Mann ins Bett zu gehen, ist noch mal eine völlig andere Sache. Darüber denke ich erst gar nicht nach. Ich muss höllisch aufpassen, dass ich bei meinem Vorstellungsgespräch kein dummes Zeug rede.“
„War der Kerl nicht ursprünglich Dominikaner? Und ist erst neuerdings zu den Zisterziensern übergelaufen?“
„Er ist immer noch Mönch und Dominikaner und zu niemandem übergelaufen. Cesare wohnt nur vorübergehend in der Zisterzienserabtei, wo er übrigens sehr gastfreundlich aufgenommen wurde. Davor lebte er im Dominikanerkloster St. Albert in Leipzig.“
„Im Kloster, aha. Das heißt, ohne Frauen? Und Cesare … du nennst ihn also schon beim Vornamen?“
„Es ist wichtig für mich, den Job zu bekommen.“
„Wird doch wohl nicht wieder eine deiner berüchtigten Schicksalsphantasien sein?“
Carolin winkte verächtlich ab. „Mach dich ruhig lustig über mich. Ich sehe eben manchmal Zeichen und Hinweise – echte Anzeichen als Ratschläge für mein künftiges Leben, keine Hirngespinste.“
„So? Welche Zeichen sind es denn diesmal?“, fragte Robert und legte grinsend seinen Arm um ihre Schultern.
„Ein Dreieck zwischen den Hochhaustürmen der Universität, dem alten Zisterzienserkloster einen Hügel weiter und dem Haus unserer Eltern.“
„Das meinst du nicht im Ernst?“
„Es ist ein Dreieck“, wiederholte sie. „Luftlinie wenige hundert Meter. Sieh es dir mal auf der Karte an. Die Schenkel aller Linien sind gleich lang. Glaubst du, so was ist Zufall?“
„Lieber Himmel …“ Robert schüttelte ungläubig den Kopf. „Bei deiner Neigung zum Aberglauben könntest du auch im Kaffeesatz lesen.“
Er stoppte an einer dunklen Hausfassade, über deren Schaufenster eine defekte Neonreklame flackerte.
„Was ist los?“, fragte sie.
„Du sprichst doch fließend Italienisch. Geh mal in die Pizzeria und besorg uns was zum Abendessen.“
„Wieso, weil es besser schmeckt, wenn man auf Italienisch bestellt?“
„Wäre ja möglich, dass der Pizzabäcker deinem Charme erliegt…“
„Du meinst das Lokal da drüben? Sieh dir die Bruchbude doch mal an. Die Schaufensterscheibe ist mit einem Tuch verhängt.
„Vielleicht heißt der Pizzabäcker ja Cesare wie dein Professor …“
Das Haus ihrer verstorbenen Eltern war ein massiver Felssteinbau aus dem siebzehnten Jahrhundert. Im Garten standen alte Apfelbäume.
Sie liebten diesen Ort über alles, auch wenn sie aus einem unbestimmten Gefühl ungern darüber sprachen. Vielleicht war es so etwas wie Respekt vor der Vergangenheit.
Durch die Dachfenster sah man den Stausee und etwas weiter seitlich auf den Hügeln die Hochhaustürme der Universität. Kurze Zeit vor dem Tod ihrer Eltern hatte man das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt.
Aber Robert wusste, wie man sich über Vorschriften hinwegsetzte. Anders als sein Stellvertreter Paul Broder, der so etwas kaum gewagt hätte, ließ er es einfach in Nacht- und Nebelaktionen von einem befreundeten Bauunternehmer sanieren.
Das hätte ihn zwar seine Beförderung zum Hauptkommissar kosten können, doch in der Beziehung war er kaum weniger skrupellos als die Verbrecher, die er jagte.