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Vier Frauen

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„Wir haben inzwischen alle Opfer iden­ti­fi­zie­rt“, sag­te Ro­bert. „Das vierte erst dank deiner Hil­fe.

Die Frau mit den blauen Flecken am Kör­per, die ge­ra­de ver­stor­ben ist, war Non­ne in ei­nem Klos­ter bei Köln und nur zu Be­such in der Stadt. Ihr Name ist Eli­sa­beth Her­schel. Im Or­den wurde sie Beta ge­nannt. Es gibt kei­nen Hin­weis auf einen Lieb­ha­ber – was ja auch bei je­man­dem, der sein Le­ben Gott ge­weiht hat, eher nicht zu er­war­ten ist …

Manuela Winters, deine Kom­mi­lito­nin, dürf­te das erste der vier Op­fer ge­wesen sein, denn seit­dem sie ver­schwun­den ist, hat sie nach Aus­kunft von Stu­dien­kol­le­gen außer­or­dent­lich stark ab­ge­nom­men. So et­was wä­re nicht in ei­ner Wo­che mög­lich ge­we­sen. Sie ist das Opfer, das an­dau­ernd ob­szöne Sätze wie­der­holt, so­bald sie mit sich allein ist. Zwang­haft, wohl eine Art Tick.

Das dritte Op­fer ist eine Bür­ger- und Frau­en­recht­lerin na­mens Eri­ka Haard – du musst dir all die Na­men übri­gens nicht mer­ken, Ca­ro­lin, ich er­wähne sie nur der Voll­stän­dig­keit hal­ber. Sie hat ge­le­gent­lich in den Me­dien mit un­kon­ven­tio­nellen Äu­ße­run­gen über Men­schen­rechte Auf­merk­sam­keit er­regt.

Die vierte Frau ist, wie wir durch Hin­weise dank des Fotos in der Pres­se wis­sen, ein be­kann­tes Man­nequin na­mens Va­nes­sa Roth. Sie hat mit füh­ren­den Mo­de­schöp­fern zu­sam­men­ge­ar­bei­tet.“

„Ist Vanessa Roth die Frau, der man den Kopf ge­scho­ren hat?“

„Und nicht nur den Kopf“, sagte er. „Einer at­trakti­ven und auf ihr Äuße­res be­dach­ten Frau wie ihr muss das be­son­ders weh­getan ha­ben.“

„Gibt es denn Zeichen für sexu­el­len Miss­brauch?“

„Nein, bislang haben wir dafür keine Hin­wei­se ge­fun­den.“

Nonne, Studentin, Bürger­recht­le­rin und Man­ne­quin – schon merk­würdig, oder?“, fragte Caro­lin.

„Ja, es könnten zufällige Op­fer ge­we­sen sein, die nichts mit­einan­der ver­bin­det.“

„Außer dass es junge, gut aus­se­hen­de Frau­en sind?“

„Falls es sich immer um den­sel­ben Tä­ter han­delt – was ich we­gen ihres Ge­dächt­nis­ver­lustes ver­mute –, schei­den Frau­en in al­ler Re­gel aus. Es sei denn, als Mit­tä­terin­nen, die ih­rem Part­ner ver­fal­len sind.“

„Oder wesensverwandt?“

„Schau dir mal an, wie viel Zeit sie brau­chen, um auf Fra­gen zu ant­wor­ten“, sag­te Ro­bert. Er spulte den Film zu­rück, bis die Frau mit dem kah­len Kopf er­schien.

Va­nessa Roth trug ein ab­ge­trage­nes grau­es Kleid, vom Glanz eines Man­ne­quins war nicht mehr viel üb­rig. Um ihre Au­gen lag ein fah­ler Schat­ten und ihr Blick war selt­sam leer und un­stet. Sie schien Robert gar nicht wahr­zu­neh­men, ob­wohl er vor ihr stand.

„Ich habe dich etwas ge­fragt“, sagte er und griff blitz­schnell und un­er­war­tet nach ihrem Hals …

Sein Griff musste schmerz­haft sein, denn sie ver­zog das Ge­sicht.

Großer Gott, dachte Caro­lin ent­setzt.

„Wie ist dein Vor­name?“

„Ich … weiß nicht …“

„Vielleicht Vanes­sa?“

„Ja, Vanessa.“

„Und weiter?“

Sie schüttelte hilflos den Kopf.

„Wie oft hab ich dir schon ge­sagt, dass du Va­nes­sa Roth heißt? Du warst mal ein be­rühm­tes Man­ne­quin. Er­in­nerst du dich wie­der daran?“

„Ja.“

„Und wenn ich dich das in einer Stun­de noch ein­mal fra­ge? Wie lau­tet dann dein Na­me? Va­nes­sa Roth, oder?“

„Ja, ich …“

„Wo befandest du dich, bevor du dein Ge­dächt­nis ver­lo­ren hast? War je­mand bei dir? Viel­leicht ein Mann?“

„Ein Mann?“

„Ja, ein Mann, oder zwei oder meh­rere Män­ner. Wie sahen sie aus? Groß oder klein, alt oder jung?“

„Ich erinnere mich an kei­nen Mann …“

„Und wo genau ist das alles pas­siert? Viel­leicht in einem Haus? Falls ja, be­schreib mir, wie die Räume aus­sahen. Und ver­such dich an die Ad­res­se zu erin­nern.“

Vanessa schüttelte hilflos den Kopf. Dann brach sie unver­mit­telt in Trä­nen aus …

„Kein Problem, alles in Ord­nung“, sagte er und griff beru­hi­gend nach ih­rem Ober­arm. „Wir klä­ren schon noch, wer dich so zu­ge­rich­tet hat. Da­für sind wir da.“

Dabei blickte er kurz in die Ka­mera und schüt­telte un­merk­lich den Kopf.

Als Va­nessa sich abwenden wollte, drehte er sie blitz­schnell und uner­war­tet mit einer gro­ben Hand­bewe­gung in seine Rich­tung. „Und jetzt sag mir auf der Stel­le, wer der ver­damm­te Kerl war …“

„Geht das nicht zu weit?“, pro­tes­tierte Caro­lin. „Bitte schalte den Film ab, ich kann mir das nicht län­ger an­se­hen …“

Robert drückte achselzu­ckend ein paar Tas­ten und rief ein an­deres Vi­deo auf.

„So ging’s mir mit allen drei Frauen. Kei­n Fort­schritt, keine Indi­zien, keine Hin­weise. Wir fin­den nichts, das auf den Täter hin­weist. Wo­mög­lich gibt es gar kei­nen Täter und es kur­siert ge­rade nur so etwas wie ein Le­bens­mittel­virus in der Stadt, der ein paar Frauen­hirne durchein­an­der ge­bracht hat?“

„Unsinn …“, sagte Carolin.

„Also hab ich einen zwei­ten Ver­such ge­star­tet und sie alle drei al­lein in einem Raum zu­sam­men­ge­bracht, ohne Zeu­gen. Schau dir die Auf­nah­me mal ge­nau an …“

„Allein? Wozu denn allein?“, fragte Caro­lin.

„Wäre doch möglich gewe­sen, dass sie sich un­ter­ein­ander aus­tau­schen, wenn sie nicht ver­hört wer­den.“

„Du meinst, sie verheimli­chen dir et­was?“

„Unser Job ist es schließ­lich, allen denk­ba­ren Ver­mu­tun­gen nach­zuge­hen.“

„Ja, richtig, deine sogenannte Mög­lich­kei­ten­ana­lyse aus der Wis­sen­schafts­the­o­rie. Aber ob das auch beim Men­schen mit sei­nen un­end­lich vie­len Mo­tiva­tio­nen funk­tio­niert? Wenn das mal keine Illu­sion ist.“

Als erste betrat Carolins Kom­mi­li­tonin Ma­nuela Win­ters den Ver­hör­raum. Ro­bert ge­lei­tete sie an den Tisch und bat sie, sich zu set­zen. Er stellte ihr ein Glas Was­ser hin und bot ihr eine Zi­ga­rette an. Aber sie schien gar nicht wahr­zuneh­men, was er von ihr wollte.

Manuela sah erschreckend ab­ge­ma­gert aus. Ihre Be­we­gun­gen wa­ren fah­rig und ihr Blick wirkte ge­nauso leer wie der Va­nes­sas.

Die eine Hälfte ihres wei­ßen Kra­gens war abge­ris­sen und an ihrer rechten Schläfe be­fand sich ein blauer Fleck, der ge­rade alle Far­ben des Re­genbo­gens an­nahm.

Gro­ßer Gott!, dach­te Ca­rolin … oder lie­ber Him­mel. Er wird sie doch nicht beim Ver­hör ge­schla­gen ha­ben?

„Ich lasse sie erst mal eine halbe Stunde war­ten, um sie mür­be zu klop­fen, ehe die nächste in den Ver­hör­raum kommt“, erläu­terte Ro­bert. „Viel­leicht fan­gen sie ja ein­fach aus purer Lan­ge­weile an, mit­ein­ander zu plau­dern. Die Pau­sen ha­be ich natür­lich he­raus­ge­schnit­ten …

Nein, der blau­e Fleck an Ma­nu­ela Win­ters Schlä­fe stammt nicht von mir, falls du das denkst?“, fügte er grin­send hin­zu. „Den hatte sie schon, als sie un­ten am Fluss­ auf­ge­grif­fen wurde. Steht alles im Pro­tokoll des Be­am­ten, der sie beim mor­gend­li­chen Lauf­trai­ning ent­deckt hat.“

Als die Bür­ger­rechtle­rin Eri­ka Haard an die Reihe kam, er­innerte sich Ca­ro­lin, sie schon ein­mal in einer Fern­seh­dis­kus­sion ge­se­hen zu ha­ben.

Der Moderator zi­tierte damals Charles Bu­kowski, wohl um sie zu pro­vozie­ren:

„Femi­nis­mus exis­tiert doch nur, um häss­liche Frau­en in die Ge­sell­schaft zu in­te­grie­ren.“

Worauf sie ant­wor­tete: „Kluge Frauen wider­spre­chen häss­li­chen Män­nern nicht.“

Auffallend war, dass die bei­den Frauen kein Wort mit­einan­der spra­chen. Erika Haard nickte nur kurz, als sie den Raum betrat, blickte sich su­chend um und setzte sich dann an das ge­gen­über­lie­gende Ende des Tischs.

„Wieso sprechen die bei­den nicht mit­einan­der?“, fragte Caro­lin.

„Weil sie sich nicht kennen.“

„Aber Erika Haard weiß inzwi­schen, wer sie ist?“

„Wir haben es ihr gesagt, nach­dem sie durch Fo­tos iden­tifiziert wer­den konnte.“

„Hat sie denn jemanden, der sich um sie küm­mert?“

„Nein, sie lebt allein. Ihre Freun­din – es war wohl eine lesbi­sche Be­zie­hung – hat sie ver­las­sen. Dann ein Se­cond­hand-Shop in Pa­ris – viel­leicht als Flucht. Ge­schei­terte Be­zie­hung zu ei­nem Far­bi­gen. Alko­hol­pro­bleme. Spä­ter hat sie wie­der die Kur­ve ge­kriegt. Und dann zu­letzt diese üble Ge­schichte mit ihrem Ge­dächt­nis­ver­lust. Ohne frem­de Hilfe wäre sie mo­men­tan kaum le­bens­fä­hig.“

„Wie schrecklich …“

„Den anderen geht es auch nicht bes­ser.“

„Jetzt beugt sie sich vor und flüs­tert Ma­nuela et­was zu“, sagte Ca­ro­lin. „Aber es ist nicht zu ver­ste­hen …“

„Wir haben die Tonauf­nahme im La­bor ver­stärkt. Sie sagt nur: Scheiße, ich hab meine Ziga­retten ver­ges­sen …“

„Na, wenigstens daran kann sie sich noch erin­nern.“

„Mich wun­dert, wieso man wei­ter ganz nor­mal re­det, wenn man sein Ge­dächt­nis verlo­ren hat“, sag­te Ro­bert.

„Amnesie bedeutet nicht schon Sprach­ver­lust. Meis­t bleibt die Sprach­fä­hig­keit erhal­ten. An­dern­falls sind oft das Broca-Areal oder das Wer­nicke-Zent­rum im Ge­hirn be­schä­digt.“

„Erklärt das auch, wie­so die­ Frau­en ihr Ge­dächt­nis ver­lo­ren ha­ben?“

„Nein, wohl eher nicht. Aber ich könnte Pro­fes­sor Hol­lan­do da­nach fra­gen.“

„Hab mich mal kun­dig ge­macht. Der Mann war ja frü­her ein ziem­lich ange­sehe­ner Kri­mina­list, be­vor er ins Fach Hirn­for­schung wech­selte?“

„Ach, davon wusste ich nichts?“

„Versuch ihn doch mal zu über­re­den, uns in der Sa­che zu hel­fen.“

„Du meinst, als Profi­ler?“

„Wir nennen das ope­ra­tive Fall­ana­lyti­ker“, sagte Ro­bert. „Da­bei geht’s weni­ger um psy­cholo­gi­sche Täter­pro­file, son­dern was man aus den Fakten fol­gert. Non­ne, Stu­den­tin, Bür­ger­recht­lerin und Man­ne­quin – nach wel­chen Krite­rien hat er sei­ne Op­fer aus­ge­wählt? Und was be­deu­tet das her­aus­ope­rierte Auge über dem Al­tar?“

„Ich kann ihn ja mal fra­gen“, sagte Ca­ro­lin. „Aber ver­sprich dir nicht zu viel da­von.“

Als Va­nes­sa Roth den Raum betrat, blick­ten Erika und Ma­nuela nur kurz auf. Die drei Frau­en schie­nen sich nicht zu ken­nen. Va­nessa Roth trug im­mer noch das­selbe ab­ge­tra­ge­ne grau­e Kleid. Sie zog den Rock über den Knien zu­recht und fragte:

„Was will man von uns?“

„Keine Ahnung“, sagte Manu­ela. „Die­ser Kerl stellt mir dau­ernd Fra­gen, die ich nicht beant­wor­ten kann.“

„Geht mir genauso“, sagte Eri­ka Haard. „Er will wis­sen, wo ich wohne und ob ich mich an Paris erin­nere. Er fragt mich, mit wie vielen Niggern ich dort geschlafen habe.“

Carolin starrte ihren Bruder un­gläu­big an. „Um Got­tes wil­len, geht das nicht zu weit?“

Robert stoppte den Film und hob besch­wich­ti­gend die Hände.

„Das gehört zum Job, Caro­lin. Wir ha­ben beim Ver­hör­trai­ning ge­lernt, mög­lichst emo­tiona­le Fra­gen zu stel­len, um eben­so emo­tio­nale Ant­wor­ten zu pro­vo­zie­ren. Starke Ge­fühle wie Em­pö­rung könn­ten hel­fen, alte Er­inne­run­gen zu re­ak­tivie­ren.“

Eine Studentin

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