Читать книгу Hinausgeboren - Peter Schroeder - Страница 14
Ein Familienfoto
ОглавлениеWenn ich in der Schule Mist gebaut oder besonders schlechte Noten bekommen hatte, gab mir Klassenlehrer Fritz einen Brief, den ich von Mutter unterschrieben zu-rückbringen musste. Natürlich öffnete ich ihn jedes Mal und las, worum es darin ging.
Diesmal war es Mathe. Mit der Leistung, so drohte er, würde ich nicht versetzt werden und überhaupt sei ich stinkend faul. Ich trug das böse Ding mit mir herum, wartete auf eine günstige Gelegenheit für die Unterschrift.
Vielleicht heute? Mutter und ich saßen beim Mittagessen. Es gab Hühnerfrikassee. „Teil‘s dir ein!“ sagte sie, „mehr gibt‘s nicht!“
Ich sollte auch Salat nehmen und den langweiligen Reis. Gesund essen! Sie stellte auch immer eine Schale frisches Obst für mich hin, obwohl sie wusste, dass ich Obst nicht mochte. Süßigkeiten bekam ich nur von Oskar.
Jetzt fügte ich mich, nahm Salat und Reis und schluckte alles tapfer runter. Sie war zufrieden, und als sie mich lobte, zeigte ich den Brief.
„Bitte sag aber Oskar nichts davon“, flüsterte ich, als könnte er es hören. Ich hatte keine Angst vor ihm, nur Angst, dass er mich für einen dummen Schüler halten würde.
„Oskar, Oskar, was geht das Oskar an?“
„Er ist mein Vater“, sagte ich.
„Ach, du hast einen ganz anderen Vater. Das spielt jetzt keine Rolle. Du bleibst heute Nachmittag hier und wir üben Mathe!“
„Ich bin mit Albert zum Schwimmen verabredet!“
„Schwimmen? So lange du in Mathe schwimmst, schwimmst du mir nicht mit Albert. Pack dein Heft aus, wir üben!“
Sie brachte mir den Dreisatz bei, sie war ungewohnt geduldig. Ich versuchte zu folgen und war doch immer wieder abgelenkt.
„Was bedeutet: ich habe einen ganz anderen Vater?“
„Komm mal mit!“
Sie ging mit mir zum Radio, über dem Familienfotos hingen.
„Das ist Bela“, sagte sie und zeigte auf den dunkelhaarigen Mann links außen. Er ist Ungar, Kinderarzt, und ich habe ihn geliebt. Er ist dein Vater.“
„Und wo ist er jetzt?“
„Im Krieg vermisst, verschollen, wahrscheinlich tot. Ich weiß es nicht. Ich habe die Suche aufgegeben.“
„Oskar ist nicht mein Vater, nicht ein bisschen?“
„Oskar ist mehr. Oskar ist der, der für dich sorgt, der sich kümmert, dich beschützt. Oskar ist dein Freund.“
Tage später sprach Lehrer Fritz Mutter auf der Straße an: „Ihr Peter ist stinkend faul! Er wird die nächste Klasse auf keinen Fall schaffen!“
Mutter versprach ihm, noch mehr mit mir zu üben, fühlte aber seine feindliche Haltung und schlich ohne Widerworte mit ihrem Einkaufsnetz nach Hause, wo sie mit Oskar über alles redete.
Als der dem Lehrer das nächste Mal begegnete, sagte er freundlich: „Sollte mein Junge sitzen bleiben, stehst du auch nicht mehr auf!“
So hätte ich die nächste Klasse vielleicht auch erreicht, doch Lehrer Fritz empfahl der Mutter, mich in das 70 km entfernten Salesianer-Kloster zu schicken.