Читать книгу Adler und Leopard Gesamtausgabe - Peter Urban - Страница 5
Kapitel 3 Der Weser-Ems Feldzug
ОглавлениеArthur hatte kaum die Zeit gefunden, einen klaren Gedanken zu fassen. Zwei Wochen waren mit den Vorbereitungen für die Expedition nach Hamburg wie im Flug vergangen. Er hatte sich seine Brigade angesehen, war acht Tage nicht in London gewesen und hatte nebenbei noch einen Operationsplan zu Papier gebracht, um den Schein einer militärischen Absicht gegenüber der Besatzungstruppe von Marschall Bernadotte aufrechtzuerhalten. Das Kriegsministerium gab sich viel Mühe, diese Aktivitäten nicht geheim zu halten, um so eindeutige Signale an die Verbündeten Englands zu senden. Arthur machte gute Miene zum bösen Spiel. Er hatte seinen Offizieren natürlich strengstens verboten Details über die Expedition auszuplaudern, wohl wissend, dass dies der einfachste Weg war, die gesamte Presse des Königreiches innerhalb kürzester Zeit zu informieren. Und die Presse berichtete eifrig. Am 1.Dezember sollte seine Brigade von Plymouth nach Hamburg übersetzen. Nur achtundvierzig Stunden vor dem Auslaufen der Transportschiffe war Arthurs alter Sergeant John Dunn überraschend in Richmond Palace aufgetaucht. Die Presse hatte so fleißig über die Vorbereitungen für die Operation im Hannoverschen berichtet, dass John seine friedliche Rente auf Wellesleys kleinem Gut Kildare in Irland nicht mehr ausgehalten hatte. Er wollte seinen General unbedingt begleiten.
Auch der Herzog von Richmond und Arthurs Bruder William Wellesley-Pole waren aus Dublin nach London zurückgekehrt. Arthur freute sich, William wiederzusehen. Trotzdem zog er es vor dessen Einladung abzulehnen und weiterhin bei den Richmonds zu wohnen. William Wellesley-Pole war der jüngste der fünf Wellesley-Brüder und derjenige, der Arthur immer am Nächsten gestanden hatte. Er hatte dank glücklicher Umstände von einem entfernten Verwandten der Familie, der keine eigenen Kinder hatte, Titel und Vermögen geerbt. Beim Tode des alten Lord Mornington war William kaum drei Jahre alt gewesen. Seine Mutter hatte an diesem jüngsten Kind noch weniger Interesse gehabt, als an Arthur. Es war ihr nicht schwer gefallen, die unerwünschte Last nach England abzuschieben und sie einem Cousin anzuvertrauen, den sie kaum kannte. Nur Arthur hatte den Kontakt zum Nesthäkchen nie abreißen lassen. Sogar während seiner langen Jahre in Indien hatten sie einander geschrieben. William hatte nach dem Abschluss seines Studiums an der Universität von Oxford die diplomatische Laufbahn eingeschlagen: "Darf ich raten, warum Du nicht umziehen willst, Arthur?", strahlte er seinen älteren Bruder an, "Ich vermute, der Grund ist groß, schlank und braunhaarig und sitzt gerade am Flügel. Nur voran! Sarah ist genau die Richtige für Dich. Sie ist das unkomplizierteste weibliche Wesen, das ich je kennengelernt habe. Außer meiner Frau Kathy natürlich. Ich glaube, Richmond wäre durchaus geneigt, Dir die Hand seiner Tochter zu gewähren. Hast Du Sarah eigentlich schon gefragt?" Arthur schüttelte den Kopf: "Ich muss ehrlich zugeben, William; mir fehlt der Mut. Sie hat Temperament und ihren eigenen Kopf und ich habe einen Heidenrespekt vor ihr. Außerdem erzählt mir jeder, der mir über den Weg läuft, wie sie die letzten Herren, die es gewagt haben, ihr diese Frage zu stellen aus dem Haus gejagt hat."
"Hat man Dir auch gesagt, wer diese Herren waren?" Arthur schüttelte den Kopf. "Also, großer Bruder, ich an Deiner Stelle, würde mein Glück einfach versuchen und mich nicht von diesen wilden Gerüchten abschrecken lassen." William umarmte ihn herzlich und verabschiedete sich. Arthur blieb alleine auf der Terrasse zurück und beobachtete durch das Fenster Sarah, die am Flügel saß und spielte, während die Sonne in der Themse versank und die Dunkelheit London einzuhüllen begann. Das Licht der Kerzen ließ ihr Haar, wie Kupfer leuchten. Ihre Finger glitten leicht über die Tastatur und leise klang ein Mozart-Menuett zu ihm hinaus. Sonst war es in dem großen Haus still. Die Richmonds waren mit William Wellesley-Pole zu irgendeinem Diner bei irgendwelchen gemeinsamen Bekannten verschwunden, die jüngeren Kinder hatte man schon lange schlafen gelegt und die Dienstboten und sein alter John waren in ihren eigenen Räumen, im Ostflügel des Hauses. Am nächsten Tag musste er nach Plymouth reiten und seine Truppen einschiffen. Er spürte, dass es ihm schwerfallen würde, die Richmonds zu verlassen. Sie waren alle so herzlich und er wurde bemuttert und verhätschelt, wie ein kleines Kind. Nach den langen, einsamen Jahren in Indien und der noch längeren Vernachlässigung durch seine eigene Familie, tat die menschliche Wärme, die in diesem Haus herrschte seiner Seele gut. Er bedauerte, dass seine eigene Mutter nie fähig gewesen war, ihm auch nur einen kleinen Teil der Zuneigung zu schenken, die er von Georgiana, der Gemahlin des Herzogs erfuhr. Sie behandelte ihn, wie einen eigenen Sohn. Für seine eigene Mutter Lady Mornington war er dagegen immer nur nutzloser, dummer Ballast gewesen. Als sie ihn nach Frankreich fortgeschickt hatte, hatte sie ihm zum Abschied lediglich gesagt, wie froh sie war ihn endlich loszuwerden. Er wäre sowieso nur Kanonenfutter, gerade gut genug, um sich für den König am anderen Ende der Welt totschießen zu lassen. Seine Mutter war immer viel zu sehr mit seinem extrovertierten Bruder Richard befasst gewesen, ihrem Liebling, dem großartigen und brillanten Richard! Arthur vermutete, dass er selbst sie zu sehr an seinen Vater erinnert haben musste: Garett Wesley, den Musikprofessor. Ihre anderen überlebenden Kinder Gerald, Henry und William waren Lady Mornington lediglich gleichgültig gewesen. Ihn dagegen hatte sie geradezu hingebungsvoll gehasst. Sie hatte ihn nach allen Regeln der Kunst tyrannisiert. Sie hatte auch seinen ältesten Bruder Richard nie gebremst, wenn dieser ihn geschlagen hatte. Er war immer und in jeder Beziehung zurückgestellt worden, hatte die schlechtesten Lehrer, die schlechteste Schulbildung bekommen. Sogar am Kindermädchen hatten sie bei ihm gespart. Draußen in Dungan hatte ihn die Köchin gehütet, zusammen mit ihrem eigenen Sohn. Arthur hatte seine Mutter zum letzten Mal gesehen, als er Dungan Castle verlassen hatte, um an die Militärakademie nach Angers zu gehen. An diesem Tag hatte er sich geschworen, niemals wieder, aus eigener Initiative einen Fuß in ihr Haus zu setzen.
Sarah unterbrach ihr Spiel, als Arthur den Salon betrat und sich neben sie auf die Bank setzte: "Ich muss morgen nach Plymouth!", sagte er. "Papa hat mir erzählt, dass Du den Auftrag hast, den alten Lord Cathcart davon abzuhalten, Dummheiten zu machen. Glaubst Du, ihr werdet Euch mit diesem Marschall Bernadotte schlagen müssen?“ Arthur schüttelte den Kopf: “Ich glaube nicht. Unser Expeditionskorps ist lediglich eine politische Farce, um den Kaiser von Österreich und den russischen Zaren bei Laune zu halten. Was könnten wir schon mit unseren sechstausenden Männern gegen Bernadotte ausrichten? Die Hannover-Armee besteht aus zwei vollständige Armeekorps und dreitausend Mann Kavallerie. Mein Bauchgefühl sagt mir außerdem, dass der Fuchs schon ganz weit weg sein wird, wenn wir endlich zur Jagd blasen können."
"Also muss ich mir keine Sorgen um Dich machen?" Arthur schüttelte den Kopf. Dann nahm er Sarahs Hand in die Seine. Er sah sie lange an. Er wollte sie fragen, ob sie seine Frau werden wollte, bevor er mit seinen Truppen wieder ins Feld zog. In den fast drei Monaten seit seiner Rückkehr aus Indien hatten sie viel Zeit miteinander verbracht. Alle Versuche der Herzogin von Richmond, ihm junge Damen aus der Gesellschaft vorzustellen, hatten unweigerlich damit geendet, dass er zusammen mit Sarah auf die Tanzfläche verschwand. Und wenn Sarah nicht mitkam, weil sie Dienst in ihrem Hospital hatte, steckte er mit Henry Paget, Frederick Ponsonby oder Charles Stewart die Köpfe zusammen und überlies die unverheirateten jungen Damen mit Freuden sämtlichen anderen unverheirateten Männern Londons.
"Du willst mir noch etwas sagen?" Sie legte den Kopf schief und sah ihn an.
"Ich möchte Dich fragen, ob Du nicht meine F...“ Sarah legte ihm einen schmalen Finger sanft auf die Lippen: " Bitte, sprich nicht weiter. Ich kann nicht, Arthur. Ich möchte meine Freiheit nicht verlieren. Du kennst die Gesetze Englands. Wenn ich dich jetzt ausreden lasse, dann werde ich in der Zukunft weder über mein Leben, noch über mein Vermögen selbstständig weiterentscheiden können. Wenn Du mich fragen möchtest, was ich befürchte, dann würde ich Dir die Antwort geben, auf die Du hoffst. Doch niemand kann mich in einen Käfig sperren und ich möchte mein Leben nicht damit verschwenden, zu Hause zu sitzen, nur um die Mutter irgendwelcher Kinder zu sein. Ich bin Arzt und Wissenschaftler! Das ist mein Schicksal."
"Darum geht es doch gar nicht, Sarah. Ich sperre niemanden ein und zwinge niemanden dazu, die Mutter meiner Kinder zu sein. Und falls es die Kinder sind, die Dich stören... dann werden wir eben dafür sorgen, dass uns ein solcher Ausrutscher nicht passiert. Ich brauche keine Erben gibt, nur Dich!" Sarah stand auf. Sie schlang ihre Arme um Wellesleys Schultern und barg ihr Gesicht in seinem kurzen Haar. Leise flüsterte sie ihm ins Ohr: “Arthur, ich habe Dich wirklich sehr gerne! Es ist sogar weit mehr als nur einfache Zuneigung. Und trotzdem; ich kann nicht! Deine Vertraute, Deine Freundin, Deine Geliebte! Ja. Aber nie Deine Frau vor dem Gesetz! Ich möchte frei sein."
"Und Du kannst mir nicht soweit vertrauen und mir glauben, dass ich nicht vorhabe mich aufzuführen wie im tiefsten Mittelalter?"
"Dir vertraue ich schon, Arthur. Doch was ist mit unserem sogenannten gesellschaftlichen Umfeld. Du weißt doch selbst, wie schlimm die Zwänge sein können, die eine Mehrheit auf eine Minderheit ausübt."
Wellesley drehte sich um und nahm Sarah in die Arme. Sie schmiegte sich eng an ihn und legte ihre Wange an die Seine: „Bitte, versuche mich zu verstehen.", flüsterte sie. Er sah sie traurig an. Er wusste, dass es ihm unermesslich schwerfallen würde, ihr nur diese Freundschaft zu schenken, nach der sie sich sehnte, denn sie war eine Frau, die ihn sehr glücklich hätte machen können: Sie war klug und verständnisvoll. Man konnte mit Sarah einfach plaudern, oder vernünftig über ernsthafte Dinge sprechen. Sie besaß Bildung und Weitsicht und eigene Interessen, die ihre Persönlichkeit weiterentwickelten. Die jungen Dinger, die man ihm vorgestellt hatte, waren neben ihr nur bleiche, langweilige Geschöpfe, mit denen eine Ehe schon nach kurzer Zeit zu absoluter Gleichgültigkeit führen würde. Seit seiner Rückkehr aus Indien hatte er viel über diese Frage nachgedacht. Eigentlich suchte er auch keine Ehefrau. Dieser Platz in seinem Herzen würde für immer Charlotte gehören. Doch er sehnte sich nach einer ebenbürtigen und gleichberechtigten Gefährtin, mit der er sein Leben teilen konnte:" Ich will versuchen, Dich zu verstehen, Sarah. Wenn es Dein Wunsch ist, werde ich mich beugen. Ich habe Dich sehr lieb gewonnen und möchte Dich nicht verlieren. Wenn Du nur Freundschaft willst..."
Sarah schob Arthur sanft aus dem Salon und die Treppe hinauf. Sie wusste, dass sie so schnell wie möglich Abstand zwischen sie bringen musste, wenn sie ihren Vorsatz und ihre Freiheit nicht aufgeben wollte:
Es wurde eine lange Nacht für Wellesley. Viele Stunden lag er wach auf dem Bett und zählte die Glockenschläge von Big Ben. Irgendwann schimmerte dann bleigrauer Morgen durch die Vorhänge. Eine Faust donnerte gegen seine Tür, und er schrak zusammen:" Melde gehorsamste, halb sechs, mein General!" John hatte die Satteltaschen und die Felduniform bereits gepackt. Eine halbe Stunde später saß Arthur alleine in einer schlichten, dunkelblauen Feldjacke ohne Ordensbänder, Rangabzeichen und Goldlitzen vor einer Tasse Kaffee. Sein schwerer, indischer ‚Tulwar‘ und Charlottes dunkelrote Seidenschärpe lagen quer über dem Mahagonitisch. Man pochte an die Haustür und er hörte Männerstimmen, Sporen klingeln und das Wiehern von Pferden. Sarah hatte es ihm wenigstens nicht schwer gemacht. Sie war bereits um fünf Uhr morgens in ihr Krankenhaus nach Lambeth geritten. Zum Abschied hatte sie ihm einen Brief auf den Tisch gelegt. " Verzeih mir bitte! Aber Du hättest so schwer mit den Vorurteilen der Anderen zu kämpfen, dass nicht nur Deine Karriere als Soldat, sondern eines Tages auch unsere Beziehung daran zerbrechen würde. Niemand hier würde es akzeptieren, dass Du mich als Deine Ehefrau einfach weiter machen lassen würdest, was ich will und mich dabei auch noch unterstützt! Du kennst die Spielregeln in diesem Land..." John Dunn riss die Tür des Salons auf: "Die Herren Ihres Stabes sind eingetroffen, Sir Arthur." Arthur war wieder nur Soldat. Ein kalter Schleier legte sich über seine Augen und verbarg sorgfältig die Trauer über Sarahs Entscheidung, die deutlich in ihnen geschrieben stand. Scharf befahl er den Offizieren einzutreten. Acht Männer schlugen mechanisch die Hacken zusammen und salutierten. Er stand auf, schlang Charlottes scharlachrote Schärpe um die Hüften und gürtete den orientalischen Krummsäbel um: "Wir können gehen, meine Herren!"
Termingemäß lief die H.M.S.Vanguard am 1.Dezember 1805 mit Arthur und seinen Offizieren an Bord aus Plymouth aus. Auf neun weiteren Schiffen folgte die Infanteriebrigade, die er befehligte. Das Wetter war grauenhaft. Ein übler Wintersturm wütete zehn Tage lang über dem Atlantik. Als sie endlich in Hamburg eintrafen, waren alle seekrank und leichenblass. Arthur war heilfroh, dass er seine Rotröcke nicht in einen Kampf führte. Kaum einer hatte während der stürmischen Überfahrt die Ration bei sich behalten. Die Meisten konnten sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten. Dann verging Tag um Tag und genauso, wie Arthur es zuvor prophezeit hatte geschah gar nichts: Kein Marschbefehl aus London und kein Marschbefehl von Lord Cathcart. Man hatte ihn zusammen mit seinen Männer scheinbar vergessen. Alles, was er unter dem ständigen Regen und in der beißenden Kälte tun konnte, war es, die Soldaten zu beschäftigen. Er ließ sie stundenlang exerzieren, denn eine gelangweilte Armee verwandelte sich schnell in einen unkontrollierbaren Haufen wilder Plünderer. Darum verging kein Tag an dem Arthur sie nicht immer und immer wieder die gleichen mechanischen Bewegungen wiederholen ließ, während er selbst regungslos und finster auf seinem Pferd saß und zusah. Abends, in seinem Quartier in einem Hamburger Gasthof schrieb er dann genauso mechanisch Depesche um Depesche nach London. Wie Pitt und Castlereagh ihm aufgetragen hatten, brachte er seine Ideen über eine zweite Front zu Papier. Jedes Detail für seine beiden imaginären Kriegsschauplätze schrieb er auf. Er war froh, dass er während dieser Arbeit wenigstens nicht dauernd an Sarah denken musste. Aber spät in der Nacht schrieb er ihr dann lange Briefe, obwohl er genau wusste, dass er am nächsten Morgen nicht den Mut haben würde, sie abzuschicken. Meist schlief er dann irgendwann am Schreibtisch ein, nur um gegen sechs Uhr morgens von John Dunn durch lautes Klopfen aus dem Schlaf gerissen zu werden.
Schließlich kam dann der Weihnachtstag in die Hansestadt. Arthur hatte inzwischen eine solch schlechte Laune entwickelt, dass nicht einmal John Dunn es wagte, ihn an dieses Detail zu erinnern. Auch bei den Soldaten im Felde war es guter Brauch das Fest der Geburt des Erlösers zu feiern. Die britischen Offiziere begaben sich gemeinsam zu einer Weihnachtsmesse, die ein Kaplan der Armee abhielt. Man hatte sich nicht die Mühe gemacht, Arthur abzuholen. Es war bekannt, dass der General mit Gott nicht viel im Sinn hatte. Sein eigenes Seelenheil und das seiner Soldaten waren ihm schon in Indien gleichgültig gewesen und es hieß, dass in seiner Armee gegen die Marattha zwar Hunderte von Ärzten und Feldscher gedient hätten, doch kaum ein Feldgeistlicher. Sein Stab hatte sich bereits in London und dann während der fast vier Wochen auf dem Kontinent ein eigenes Bild über den Sieger von Assaye gemacht. Sie bewunderten ihn, weil ihm der Ruf der Unbesiegbarkeit anhing. Sie achteten ihn, denn er besaß großes militärisches Talent, aber sie empfanden keine Zuneigung für Arthur. Er galt als ein harter, unnahbarer Mann, denn er duldete weder von der Truppe, noch von den Offizieren Fehler und Ungehorsam. Sie mieden ihn, wenn es sich irgendwie einrichten ließ. Rotröcke, die sich in Hamburg nicht an seine Befehle hielten oder sich verleiten ließen, die braven Bürger der Stadt zu belästigen oder zu bestehlen, wurden ohne mit der Wimper zu zucken, dem Provos überantwortet. Viele von ihnen hatten schon mit der neunschwänzigen Katze Bekanntschaft gemacht. Während sechstausend Rotröcke versuchten, so gut wie möglich einen verregneten Weihnachtsabend zu verbringen, brütete ihr Kommandeur in finsterer Stimmung über ein paar Bogen Papier. Der Kurier war kurz vor sieben Uhr abends in seinem Hauptquartier aufgetaucht. Der Brief kam von Robert Castlereagh. Bonaparte hatte am 2.Dezember bei Austerlitz die vereinigten russischen und österreichischen Armeen unter Kutuzov vernichtend geschlagen. Der Kriegsminister hatte seinen Brief damit beendet, dass er ihm in überschwänglicher Weise zu seiner Weitsicht gratulierte. Arthur lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fuhr sich mit der Hand über die müden Augen. Die Regierung musste völlig wahnsinnig geworden sein. Nun beglückwünschte man Männer schon, weil sie Furchtbares vorausahnten. Er starrte in die Nacht und in den Regen. Die Lektüre des langen Briefes aus London versetzte ihn in eine noch düsterere Stimmung, als die die ihn schon seit Tagen quälte. Alles was er vor ein paar Wochen noch prophezeit hatte, war inzwischen eingetroffen. Bis ins letzte Detail hatten die Franzosen so gehandelt, wie er es damals für Castlereagh und Pitt mit Hilfe einer guten Karte und ein paar Stücken bunter Kreide vorausgesagt hatte. Er fühlte sich elend, denn er begriff, dass die mühsam von Pitt geschmiedete dritte Koalition gegen Frankreich auf einem blutigen Schlachtfeld in Tschechien zu Grabe getragen worden war. England stand wieder einmal alleine. Und ihn hatte man ins kalte, verregnete Hamburg geschickt, damit man vorgeben konnte, er warte nur noch auf einen Befehl, um sich endlich auf den berüchtigten, französischen Marschall zu stürzen. Doch sein Gegner war ausgeflogen: Jean Baptiste Bernadotte befand sich schon seit Wochen Hunderte von Kilometern entfernt bei Bonaparte und der Grande Armée. Würde die britische Regierung nach dem blutigen Tag von Austerlitz je wieder den Mut aufbringen, ernsthaft darüber nachzudenken ein Expeditionskorps auf den Kontinent zu schicken, das ausreichend groß war, um für die Franzosen eine Bedrohung darzustellen? Diese zweite Front, die Arthur seit Tagen auf dem Papier beschrieb, war zu einem Hirngespinst geworden. Bonaparte hatte sich zum unangefochtenen Beherrscher Europas aufgeschwungen. Der Weser-Ems-Feldzug war eine Totgeburt unter den langen Schatten von Austerlitz. Nichts und niemand konnten die dritte Koalition noch retten. Russland und Österreich-Ungarn würden nun gewiss einen Sonderfrieden mit Napoleon schließen. Und Arthur saß in Hamburg fest, wo seine einzige Aufgabe darin bestand im strömenden Regen und mitten in einem harten Winter sechstausend britische Soldaten unter Kontrolle zu halten. Alles war so traurig, dass man darüber eigentlich nur noch lachen konnte.
Nach der Weihnachtsmesse hatten Wellesleys Offiziere beschlossen, gemeinsam zu Abend zu essen. Oberst Rowland Hill, der nicht zum Stab des Generals gehörte, sondern lediglich Lord Cathcarts Verbindungsoffizier in Hamburg war, schloss sich ihnen an. Auf dem Weg ins Hauptquartier verschwand er in einer kleinen Seitengasse am Fischmarkt, nur um einige Minuten später zufrieden mit einem großen, köstlich duftenden Paket wieder aufzutauchen. " Meine Herren“, schmunzelte er, “der Vorteil, hier schon seit zwei Monaten untätig im Regen zu sitzen liegt darin, dass man die Geheimnisse dieser Stadt kennenlernt. Eine fette, gefüllte Weihnachtsgans und herrlich heiß! Ich bin sicher, unsere Laune wird nach diesem Festschmaus besser sein, als nach der verregneten Messe." Die Männer eilten bis zum Gasthof Die Goldene Kugel zurück. Ein junger Hauptmann mit Namen Westmorland, der für gewöhnlich als Übersetzer für den Kommandeur arbeitete, ging in die Küche und bat den Wirt um Teller und Besteck. Dann bestellte er noch Bier, Wein und frisches Brot für alle.
Rowland Hill stammte aus Shropshire. Er war ein freundlicher, etwas dicklicher Mann mit kurzsichtigen Augen und spärlichem, rötlich-blondem Haarwuchs. Er war dreiunddreißig Jahre alt. Trotzdem hatten ihm seine Rotröcke aus dem 90.Infanterieregiment den Spitznamen „Daddy Hill“ gegeben, denn er kümmerte sich geradezu rührend um ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden. Hill hatte für jeden ein gutes Wort übrig. Auf den ersten Blick ähnelte er mehr einem braven Landpfarrer, als einem kampferprobten und furchtlosen Soldaten. Er hatte sich bei Toulon und auf dem Ägypten-Feldzug unter Abercrombie ausgezeichnet und war früh zum Obersten befördert worden. Nachdem er seine versammelten Kameraden im Gastzimmer der Goldenen Kugel zu Tisch gebeten hatte, öffnete Rowland Hill mit genießerischem Blick die Verpackung der Weihnachtsgans. Hauptmann Blygth, ein spindeldürrer, rothaariger Waliser, dessen Gesicht über und über von Sommersprossen bedeckt war, reichte ihm erwartungsvoll ein großes, scharfes Messer und saugte dabei tief den verführerischen Duft der Weihnachtsgans durch die überlange Nase ein. Die Wärme, das frisch gezapfte Bier und die Vorfreude auf ein opulentes Abendmahl hatte die Stimmung der kleinen Truppe sichtlich gehoben. Hill wollte gerade damit anfangen, die Gans aufzuteilen, als sein Gewissen ihm befahl innezuhalten. "Meine Herren, eigentlich sollten wir General Wellesley auch einladen, mit uns zu essen.", sagte er. Der junge Blygth sah ihn entgeistert an:"Rowland, bist Du verrückt geworden? Der Alte wird uns mit seiner üblen Laune den ganzen Abend verderben, falls er sich überhaupt dazu herab lässt Deine Einladung anzunehmen." Oberstleutnant Allan Elphinstone, der die 33.Infanterie kommandierte - Wellesleys eigenes Regiment - hob gar die Hände gen Himmel: “Ich bitte Dich, Rowland, nicht an Heilig Abend! Ansonsten köpft oder rädert Nosey noch einen von uns; sozusagen zur Feier des Tages.” Westmorland nickte zustimmend: "Wellesley ist so ungenießbar, dass ich ihm wenigstens am Weihnachtsabend nicht begegnen will. Jedes Mal wenn der einen ansieht, läuft einem ein eisiger Schauer über den Rücken. Ich glaube kaum, dass Du hier in unserer Mitte einen Freiwilligen findest, der in den ersten Stock hinaufgeht und an seine Tür klopft. Und der alte Johnny Dunn ist bestimmt schon unterwegs zur Christmesse. Der sitzt mindestens bis Mitternacht in der Kirche und preist den Herrn."
"Was habt Ihr eigentlich alle?“, fragte Hill, “Ich finde, Euer Kommandeur ist ganz vernünftig und umgänglich. Wenn ich die Verantwortung für sechstausend unbeschäftigte Rotröcke in einer so reichen und einladenden Stadt, wie Hamburg hätte, die noch dazu zu unseren Verbündeten zählt, würde mir das auch auf den Magen schlagen. Stellt Euch einfach vor, die Soldaten laufen Wellesley aus dem Ruder und nehmen die Stadt auseinander, weil sie vor lauter Langeweile übermütig werden. Die Horse Guards würde ihn zuerst kreuzigen und anschließend vierteilen. Wenn die Truppe sich nicht vor lauter Angst vor Sir Arthur in die Hose machen würde, hätten wir alle schon lange große Probleme.“ Westmorland legte Hill mit einem spitzbübischen Grinsen die Hand auf die Schulter: "Wenn Du Nosey für ein solch friedfertiges und sanftes Wesen hältst, dann geh doch nach oben und frag ihn, ob wir seiner erlauchten Gesellschaft würdig sind, Rowland. Wir werden zwischenzeitlich für Deine unsterbliche Seele beten."
“ Kindsköpfe!", schimpfte Hill und überlies die fette Gans vorerst ihrem Schicksal. Dann drehte er sich um und stieg entschlossen die Treppe in den ersten Stock hinauf. Er klopfte kräftig an die Tür des Generals. Doch nichts rührte sich. Er wollte schon kehrtmachen, um zu seinen Kameraden und der leckeren Gans zurückzukehren, als ihn eine Stimme zurückhielt: "Kommen Sie rein, Hill."
" Woher wissen Sie, wer an Ihre Tür klopft, Sir Arthur?"
" Da unten befinden sich die Herren meines Stabes, die hier nur heraufkommen, wenn ihnen jemand eine Pistole in den Rücken drückt. Bleiben also nur noch Sie übrig." Arthur grinste zufrieden. Er hatte den Kameraden Hill gründlich überrascht.
"Sir, es ist Weihnachten! Wollen Sie nicht endlich zu Arbeiten aufhören und mit uns allen zu Abend essen?"
"Mein lieber Hill, der Stab ist vermutlich herzlich zufrieden, wenn ich nicht nach unten komme, weil ich den jungen Herren mit meiner schlechten Laune den Abend verderben oder schlimmer noch, einem von ihnen den Kopf abreißen könnte."
"Na ja, ich verstehe die jungen Herren ein wenig!", Rowland Hill lächelte den fast gleichaltrigen General entwaffnend an. "Glauben Sie womöglich, es macht mir Spaß mit Friedhofsmiene und der neunschwänzigen Katze unter dem Arm im Regen zu sitzen und sechstausend Mann stramm stehen zu lassen?", Arthurs Ton war überhaupt nicht ruppig, sondern amüsiert. Seine graublauen Augen blitzten Hill vergnügt an. Er mochte den Mann aus Shropshire gut leiden, denn er stand mit beiden Beinen fest im Leben und hatte einen Kopf der denken konnte. Hill seufzte aus tiefstem Herzen. Er war eine ehrliche Haut: ”Sir Arthur, dieses ganze Expeditionskorps und der Weser-Ems-Feldzug sind doch völliger Unsinn! Ich verstehe nur nicht, wer sich das ausgedacht hat und warum man gerade Sie diese Suppe auslöffeln lässt?" Arthur zog die dunkelblaue Feldjacke aus und schmiss sie nachlässig aufs Bett. Dann schob er seinen Kollegen aus Shropshire vor sich durch die Tür: "Kommen Sie, Hill! Die Gans, die da unten so verführerisch duftet, ist ein erbaulicheres Gesprächsthema als britische Außenpolitik! Außerdem werden wir diese kalte, feuchte Stadt schon bald verlassen dürfen."
Die Offiziere aus Wellesleys Stab staunten nicht schlecht, als sie ihren Kommandeur hemdsärmelig und allen Anscheins nach, in bester Laune auftauchen sahen. Er griff sich einen Stuhl vom Nachbartisch und quetschte sich zwischen den jungen Blygth und Westmorland. "Keine Angst, meine Herren“, amüsierte er sich, “ich werde Sie heute Abend ausnahmsweise einmal nicht beißen:" Rowland Hill schnitt die Gans auf und verteilte großzügige Stücke auf die Teller. Der Wirt, der von der Küche aus gesehen hatte, dass der britische General sich zu seinen Offizieren gesellte, eilte mit einem weiteren Teller und Besteck an den Tisch. Seine Frau brachte eine große Schüssel mit Rotkraut und eine weitere mit heißen Knödeln.
Vierzehn Tage später erhielt Arthur endlich den heiß ersehnten Marschbefehl zurück nach Hause. Mit diesem Schreiben waren noch haufenweise Neuigkeiten angekommen. Sein ältester Bruder Mornington war wieder in England. Richard beklagte sich bitterlich, dass man ihn wegen seiner Verwaltung Britisch-Indiens vor einen Untersuchungsausschuss zerrte. Er drängelte Arthur, ebenfalls um Vorladung zu ersuchen. Sein väterlicher Freund Charles Lennox, der Herzog von Richmond, schrieb, dass Cornwallis, der Richard als Generalgouverneur in Kalkutta hätte ablösen sollen, seine Amtseinführung nur um wenige Wochen überlebt hatte und bereits seit ein paar Monaten sechs Fuß tief unter indischer Erde begraben lag. Damit hatte Arthur endgültig das 33. Infanterieregiment geerbt. Von Robert Castlereagh erfuhr er, dass William Pitt, Bonapartes Sieg bei Austerlitz und den Zusammenbruch der dritten Koalition nicht überlebt hatte. Er war Anfang Januar in seinem Haus am Hyde Park gestorben. Seine letzten Worte waren gewesen: "Oh mein Land! In welchem Zustand lasse ich mein Land zurück!“ Und ein Brief von Sarah lag in der Post. Sie wollte wissen, ob er ihr böse war, weil sie seinen Antrag abgelehnt hatte und sich deshalb nicht bei ihr meldete. Arthur strich mit der Hand traurig über einen dicken Stoß Briefe. Er hatte sie nicht abgesandt, denn in jedem Einzelnen hatte er ihr von seinen Gefühlen für sie erzählt und von den Träumen einer gemeinsamen Zukunft…
Sergeant Dunn war geschäftig dabei, die Dokumententruhen zu packen und alles für die bevorstehende Abreise nach England vorzubereiten. Er kannte seinen General schon so lange, dass er, ohne sich umzudrehen wusste, was Arthur gerade tat:" Mein Junge, Sie sollten sich das alles nicht so zu Herzen nehmen! Wissen Sie, ich verstehe Lady Lennox! Sie ist gebildet und hat sehr lange studiert. Sie ist eine beeindruckende Frau. Sie hat einfach Angst davor, alles zu verlieren, was ihr im Leben wichtig ist. Sie sieht doch jeden Tag, wie Ehen in Ihren Kreisen aussehen. Da wird oft geheiratet, nur um Grund und Boden zu vergrößern, oder um der Politik Willen und dann sind alle Betroffenen kreuzunglücklich. Doch eine Scheidung kommt natürlich nicht infrage, denn das würde ja den Ruf der Familie schädigen. Und so zwingt man dann Menschen zusammenzuleben und den Schein zu wahren, obwohl sie miteinander schrecklich unglücklich sind."
" Was Sie sagen ist natürlich richtig, John aber ich verwandle mich doch nicht gleich in ein Ungeheuer, nur weil ich heirate! Grund, Boden oder Politik interessieren mich nicht, genügend Geld um eine Familie anständig durchzubringen habe ich inzwischen selber und der Herzog von Richmond hat ein solch miserables Verhältnis zu unserem Oberkommandierenden, dass es mir als Offizier eher schaden, als nützen würde, wenn ich seine Tochter heirate! Also kann Sarah mir wirklich keinen einzigen Hintergedanken unterstellen!"
"Und woher soll Lady Sarah das wissen, Sir Arthur? Aus eigenem Antrieb machen Sie den Mund doch nie auf! Ich kenne Sie jetzt schon seit fast zwanzig Jahren. Ich habe die ganze Zeit über unter Ihnen gedient und Sie tagtäglich erlebt. Deswegen durchschaue ich Sie inzwischen, obwohl Sie verschlossen sind, wie eine Auster. Sie haben sich sehr verändert haben. Wenn ich mich an den jungen Major zurück erinnere und heute den General vor mir sehe, kommen sogar mir manchmal Bedenken. Vielleicht hat Lady Sarah ja ähnliche Vorbehalte. Sir, mit Verlaub gesagt, Sie machen den meisten Leuten Angst."
Arthur seufzte leise. Er wusste, dass der alte John Recht hatte. Sein Sergeant war der Einzige, der es wagte ihm offen und unverblümt ins Gesicht zu sagen, was er dachte. "Mein Junge“, fuhr John Dunn fort, “Sie sollten mit sich selbst nicht so streng sein und auch andere Menschen nicht ständig überfordern. Die jungen Herren Ihres Stabes zittern vor Ihnen, die Soldaten zittern vor Ihnen. Sie können so doch nicht weitermachen." Arthur nickte: "John, Sie haben wie immer Recht, aber leider gibt es in unserer Armee nicht nur brave und anständige Männer, wie Sie oder Zahlmeister Seward. Die meisten verstecken sich in der roten Uniform vor Unannehmlichkeiten mit der Justiz! Wenn diesen Spitzbuben nicht strengste Disziplin aufgezwungen wird, verwandelt sie sich innerhalb von fünf Minuten in einen unkontrollierbaren Haufen von Marodeuren. Erinnern Sie sich noch an die beiden Tage nach dem Sturm von Seringapatam? Und die jungen Herren Offiziere verstehen so wenig von ihrem Handwerk ..." Arthur seufzte. Er hoffte, dass die militärische Reform, die der Herzogs von York anstrebte, die Qualität der Landstreitkräfte verbessern würde. Sie brauchten ordentliche Offiziersschulen und Ausbildungslager für die einfachen Soldaten. Den Posten eines Oberkommandierenden der Streitkräfte hatte man erst vor wenigen Jahren eigens für den jüngeren Sohn des Königs geschaffen. Obwohl der fette Freddie sich als Kommandeur auf dem Schlachtfeld weder durch sein militärisches Genie, noch durch Kühnheit ausgezeichnet hatte, so war er doch ein begabter Verwalter. Aber seine Aufgabe war eine Schwierige. Neben all den Neuerungen existierten auch noch alle traditionellen Institutionen des britischen Militärwesens weiter. Dies führte häufig zu Kompetenzstreitereien. Das Staatsministerium für den Krieg, das Staatssekretariat für den Krieg, der Großmeister der Artillerie im Range eines Kabinettsmitgliedes, die Regionalverwaltungen der Home Forces und der Yeomanry und ein ganzes Sammelsurium anderer Behörden und Einrichtungen verfolgten scheinbar frei und völlig unabhängig von Frederick von York ihre eigenen Interessen. Weil die Militärreform ständig in der Parlamentsvorlage scheiterte, wurden die besten Kandidaten auch weiterhin von der Yeomanry aufgesaugt. Sie dienten nur auf englischem Boden, unweit ihrer Geburts-oder Wohnorte. Durch die fehlende Versorgung für die Soldatenfamilien und das ungelöste Problem der Pensionen für ausgediente Soldaten, ließen sich für die regulären Truppen meist nur verantwortungslose und verzweifelte Gesellen anwerben Ansonsten kamen die Rekruten aus den Gefängnissen, nachdem Richter sie vor die Wahl gestellt hatten, des Königs Schilling anzunehmen, oder ans andere Ende der Welt deportiert zu werden. Und Englands Offiziere rekrutierten sich hauptsächlich aus den Söhnen der Grundbesitzer und der großen Adelsfamilien. Sie konnten sich ihre Dienstränge in den von ihnen gewünschten Regimentern einfach kaufen, wenn sie genügend Geld für eine hübsche Uniform auf den Tisch legten. Es fehlte ihnen meist an einer gründlichen Ausbildung. Viele waren nicht daran interessiert, sich in Eigenregie die Grundlagen des Soldatenberufs anzueignen. Und fast alle Generäle waren irgendwann einmal aus Gefälligkeit von irgendwem befördert worden, meist einem guten Freund der Familie, der einen Freund hatte, der jemanden kannte der eine solche Beförderung arrangieren konnte. Männer wie Arthur selbst oder der Kavallerie-General Henry Paget, die auf dem europäischen Kontinent richtige Militärakademien besucht hatten und ihr Handwerk theoretisch und praktisch verstanden, waren eine verschwindend kleine Minderheit. Sie waren bei den Horse Guards wegen ihrer Jugend und ihrer unkonventionellen Art äußerst unbeliebt. Das verknöcherte Establishment der Salonsoldaten versuchte sie mit Sticheleien oder Intrigen aus der Armee zu vertreiben, nur um nicht tagtäglich durch ihre bloße Existenz an die eigenen Unzulänglichkeiten erinnert zu werden. Lediglich wenn England wirklich mit dem Rücken zur Wand stand, kam dieser neue Offizierstyp in der Hierarchie voran. Genauso, wie Paget ohne den Ägyptenfeldzug nie zum General befördert worden wäre, wäre Arthur ohne die massive Bedrohung der britischen Besitzungen in Indien durch die Marattha-Konföderation und ihre französischen Verbündeten immer noch ein frustrierter Oberst auf irgend einem verlorenen Außenposten in der Wildnis am anderen Ende der Welt.
Trotzdem verfügte England, in dem Augenblick in dem Wellesley Hamburg verließen, über ein stehendes Heer rund einhunderttausend Mann. Dazu kamen noch einmal einhundertsechzigtausend Mann der Miliz, Home Forces und Yeomanry. Allerdings ließ sich diese Menschenansammlung in Uniform nicht mit der französischen Armee vergleichen. Castlereaghs Nachricht mit den Informationen über die Schlacht von Austerlitz hatten Arthur zusammen mit seinen eigene Beobachtungen, während ihrer Zeit in Hamburg schließlich davon überzeugten, dass es vielleicht doch eine gute Idee war , wenn ein paar Berufssoldaten im Unterhaus saßen. Er beschloss, das Angebot der konservativen Partei anzunehmen und sich als Kandidat für einen Sitz im Unterhaus zur Wahl zu stellen. Vielleicht sollte er seinem Freund Henry Paget ins Gewissen reden. Wenn sie beide im Unterhaus saßen, dann konnten sie wenigstens ab und an zu militärischen Fragen am gleichen Strick ziehen. Natürlich würde er sich von den Konservativen nicht unter Druck setzen lassen: Er war in erster Linie Soldat und hatte vor es auch zu bleiben! Er hatte keine Probleme damit seinem Land treu zu dienen, egal ob die Konservativen oder die Liberalen gerade an der Macht waren. Er würde sich keinesfalls auf irgendwelche miesen, kleinen Ränkespiele einlassen, nur um mit Hilfe einer Partei auf der militärischen Karriereleiter nach oben zu fallen. Diese Unsitte, politisch bequeme Gesellen in der Hierarchie aufsteigen zu lassen, auch wenn sie weder den notwendigen Sachverstand, noch ausreichende militärische Qualifikationen hatten, missfiel ihm schon seit Jahren.