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Kapitel 6 Kitty

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Die Parlamentswahlen verliefen, wie von Buckingham und Lord Uxbridge im Carlton prophezeit ganz in Arthurs Sinn. Er durfte sich über einen Sitz im Unterhaus freuen. Anfang März 1806 zog er für den Wahlkreises Rye in die ehrwürdige Versammlung ein. Rye lag direkt an der Kanalküste und nur wenige Kilometer von Hastings entfernt, wohin die Horse Guards ihn abgeschoben hatten um eine Garnison zu kommandieren. Es war ein echter Außenposten am Ende der Welt. Da die Eröffnung des neuen Parlaments allerdings erst für Anfang Mai anstand, fand er endlich die Zeit, nach Irland zu reisen um sich seinen familiären Angelegenheiten zu widmen. Er hatte einen Monat Urlaub von der Armee genommen und sich mit Hilfe seiner Freunde in London nach einem kleinen Haus umgesehen. So gut wie täglich kamen Briefe aus Irland an und Arthur schickte Post an Miss Pakenham. Wenigstens auf dem Papier, schien ihre Beziehung zueinander nicht unter der dreizehnjährigen Trennung gelitten zu haben. Selbst Sarahs Bedenken, die vor allem auf dem ersten, von Katherines Bruder Robert verfassten Brief beruhten, zerstreuten sich, wenn Arthur ihr abends manche Passagen aus Kittys Briefen laut vorlas. Sein Unbehagen war fast vollständig verflogen. Er spürte sogar eine leise Ungeduld und freute sich darauf, seine Jugendliebe wiederzusehen. Mit der Idee sie heiraten zu müssen, hatte er sich in seinem Inneren inzwischen irgendwie abgefunden.

Die Tür des großen Salons von Richmond Palace tat sich auf und Henry Paget stolzierte in voller Uniform und mit einem großen Paket unter dem Arm herein. Er spähte erst, wie ein Verschwörer zu Sarah und zu ihrer Mutter Georgiana hin. Dann wandte er sich Arthur zu: "Also, wenn Du morgen in die Postkutsche steigst, um endlich mit Deinem süßen Junggesellendasein zu brechen, dann solltest Du dieses Paket auf jeden Fall mitnehmen. "Er machte einen großen Bogen um den Sessel seines Freundes und legte das geheimnisvolle Paket vorsichtig auf einen Ecktisch. Dann ließ er sich neben Sarah aufs Kanapee fallen: "Wenn ich nicht sofort ein großes Glass Whisky bekomme, falle ich tot um. Meine Frau Charlotte hat mich wegen diesem Ding regelrecht verrückt gemacht und dabei durch ganz London gehetzt!" Der Butler der Richmonds reichte Paget ein Kristallglas auf einem silbernen Tablett. Alle sahen Arthur neugierig an.

" Willst Du denn nicht endlich auspacken?“, brummte Paget. Arthur stand auf und ging, gefolgt von allen Augen, zum Ecktisch." Was habt ihr ausgeheckt? "

Die Herzogin von Richmond sah ihn strafend an: “Mein Junge, Du möchtest heiraten und hast das Allerwichtigste vergessen. Wenn Henry und Charlotte nicht in allerletzter Minute daran gedacht hätten: eine Katastrophe! Bei einer irischen Hochzeitsfeier ist es wichtig, die Traditionen zu achten."

"Der Brautschleier und das Familienband. ", Arthur schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

"Der Brautschleier und das Familienband, alter Junge! Um innerhalb von nur zwei Tagen die beiden Familienwappen sticken zu lassen, haben wir Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt", Paget hatte Sarahs Arm ergriffen und grinste breit“, und er hat die gute Uniform eingepackt und einen hübschen Ring für seine Zukünftige besorgt. Jetzt müssen wir ihn morgen nur noch in die Postkutsche setzen!"

Arthur hielt das Geschenk in Händen. Vor lauter Rührung wusste er nicht mehr, was er seinen Freunden sagen sollte.

Eine Woche später betrat er zum ersten Mal seit fast fünfzehn Jahren wieder irischen Boden. Ohne sich lange aufzuhalten, ritt er vom Hafen nach Dublin. Sein älterer Bruder Gerald Wellesley erwartete ihn bereits. Er war Geistlicher. Gerald sollte Arthur und Katherine Pakenham auch traue, denn das Stadthaus der Familie Longford befand sich in seiner Gemeinde St.George zu Dublin. Arthur warf Satteltaschen und Reitmantel auf ein Sofa und ließ sich in einen Stuhl fallen. Gerald war ein freundlicher Mann, den sein ruhiges und ereignisloses Leben behäbig und ausgesprochen rundlich gemacht hatte. Seine leicht gerötete Nase zeugte vom Geschmack am Wein und seine gesunden, roten Backen von vielen Spaziergängen an der frischen Luft. Während drei seiner Brüder in Indien Karriere gemacht hatten und das Nesthäkchen William sein englisches Erbe angetreten hatte, war Gerald in Dublin geblieben, hatte Theologie studiert und eine Familie gegründet.

"Hast Du Katherine Pakenham und Lord Longford gesehen?", fragte Arthur, Gerald neugierig.

" Sie ist eine gottesfürchtige Frau, Bruder. Ein wahres Beispiel für die Gemeinde. Ich kann über Miss Katherine nur Gutes berichten und hoffe, Du wirst mit ihr sehr glücklich werden.", Geralds Stimme war nicht so fest und überzeugt, wie in den Momenten, in denen er von der Kanzel von St.George zu seiner Gemeinde sprach. Arthur seufzte leise: "Hat sie sich seit 1793 sehr verändert?“ Der Geistliche sah ihn verlegen an. Seine Wangen schienen rot zu leuchten: " Nun, mein lieber Arthur, die Jahre sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Doch ich möchte noch einmal unterstreichen, dass Miss Katherine einer der Pfeiler von St.George ist."

"Wann kann ich mir die Stütze Deiner Gemeinde denn endlich ansehen?", erkundigte Arthur sich zwischenzeitlich leicht beunruhigt. Sein Bruder schilderte ihm seine künftige Ehefrau als ein bigottes, altes Mädchen, das sich die Zeit damit vertrieb, dem Herrgott die Füße zu küssen und in die Messe zu rennen. "Ich werde einen Bediensteten losschicken und Lord Longford über Deine Ankunft in Dublin unterrichten.“, bot Gerald an. Dann fragte der Geistliche: „ Wie lange hast Du Urlaub?“

" Ich muss Ende April wieder bei meinem Regiment sein und das Parlament soll am 1.Mai zum ersten Mal zusammentreffen."

Am nächsten Morgen um elf Uhr standen Arthur und sein Bruder Gerald vor einem großen Haus am Rutland Square. Arthur versuchte, so ruhig wie möglich zu wirken, doch innerlich war er aufgerüttelt. Fast fünfzehn Jahre lagen zwischen diesem und seinem letzten Treffen mit Katherine. Gerald hatte seine Jugendliebe am letzten Abend ständig als Pfeiler der Gemeinde und als sehr gottesfürchtige Frau beschrieben und ansonsten nicht viel über sie erzählen wollen. Zwischen Arthurs Erinnerungen an ein bildhübsches, lebhaftes und unternehmungslustiges, junges Mädchen mit zahlreichen Interessen und überschäumender Energie und Geralds Schilderung lagen Welten. Ein Bediensteter von Lord Longford öffnete die Tür und bat die beiden Männer ins Haus. Gehorsam folgten sie ihm in ein frostiges, in düsteren Farben gehaltenes Empfangszimmer mit sauberen Schonbezügen und sorgfältig arrangierten Blumensträußen, die vermutlich speziell für den Anlass bereitgehalten worden waren. Man ließ Gerald und Arthur alleine. Wenige Minuten später tat sich die Tür auf, und Lord Longford kam herein. Er wurde von einer spindeldürren alten Frau mit einem bitteren Zug um den Mund begleitet. Kaum hatte Arthur das Haus am Rutland Square betreten, kehrten seine früheren Empfindungen zurück, wie Flutwellen. Da war diese seltsame Mischung aus Misstrauen und tiefer Abneigung. und die innere Überzeugung, dass Katherines ältester Bruder, Lord Longford immer noch genauso skrupellos, gerissen, unberechenbar, zynisch und spitzzüngig war, wie damals, als er einen jungen Narren im roten Rock verjagt hatte, wie einen räudigen Köter.. Die alte Frau in Longfords Begleitung trieb Arthur den kalten Schweiß auf die Stirn. Er erinnerte sich plötzlich wieder gut an sie, obwohl die Jahre sie nicht verschont hatten: Katherines Großtante Elizabeth! Ihre Augen waren erschreckend durchdringend und ein unheimliches Feuer schien in ihnen zu brennen. Sie war ihm offensichtlich immer noch genauso feindlich gesinnt, wie damals, denn sie betrachtete ihn unter ihrem biederen Witwenhäubchen und den grauen Korkenzieherlocken, wie ein besonders ekelhaftes Insekt, dass sie am liebsten zertreten würde.

"General Wellesley.“ Longford begrüßte ihn nicht mit Handschlag sondern mit einem herablassenden Kopfnicken. Dann kam er ohne Umschweife zur Sache: “ Seit unserem letzten Zusammentreffen hat Ihre Situation sich in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht eher gebessert. Aus diesem Grund ist meine jüngere Schwester erfreut darüber, dass Sie nach fast eineinhalb Jahrzehnten endlich in der Lage sind, ordentlich und in aller Form um ihre Hand anzuhalten."

Arthur wich entsetzt einen Schritt zurück: "Sir, ich würde Ihre Schwester gerne persönlich fragen, ob Sie nach einer so langen Zeit der Trennung sicher ist, dass sie meine Frau werden möchte."

Longford wimmelte Arthur ab und überrollte ihn: "General, meine Schwester ist sicher und was wesentlich wichtiger ist, ich bin mir sicher, dass diese Ehe die beste Lösung für unsere beiden Familien ist." Arthur fing an, leise zu kochen: "Bei allem nötigen Respekt, Longford“ sagte er, “Ihre Schwester Katherine und ich, wir sind beide erwachsene Menschen! Ich möchte sie gerne sehen und alleine mit ihr sprechen." Arthur war höflich geblieben, doch der Unterton seiner Stimme bedeutete dem Gegenüber, dass kein Widerspruch geduldet wurde. Robert Lord Longford erkannte, dass er keinen verschüchterten Jungen mehr vor sich hatte, wie im Jahr 1793 sondern einen harten, unbeugsamen Mann, der gewohnt war, zu befehlen. Sein übergroßer Mund wurde schmal. Longford war leicht erregbarer Mensch und anderen Menschen gegenüber für gewöhnlich rücksichtslos und rüpelhaft Sowohl in der Politik, als auch im gesellschaftlichen Leben verfolgte der irische Aristokrat ehrgeizige Ziele. Er besaß sehr viel Land und noch mehr Geld. Doch seine unverheiratete Schwester Katherine behinderte ihn schon seit vielen Jahren an der Umsetzung seiner Pläne. Er versuchte schon seit ewigen Zeiten, sie an irgendjemanden zu verheiraten, der drüben in England und vor allem in der Londoner politischen Szene Einfluss hatte, um endlich selbst den Sprung nach London machen zu können. Doch niemand der Longfords Anforderungsprofil entsprach wollte Kitty. Nicht einmal die opulenteste Mitgift konnte sie wenigstens halbwegs attraktiv machen. Seine jüngere Schwester war ein echtes Problem. Als er zufällig von der Rückkehr der drei Wellesley-Brüder aus Indien hörte, erinnerte sich Longford plötzlich an den erfolglosen Heiratsantrag zurück, den ein bettelarmer, abgerissener Soldat Kitty im Jahr 1793 gemacht hatte. Wenn es ihm gelang, diesen Mann so in die Ecke zu drängen, dass er seinen uralten Antrag wiederholte, dann konnte er endlich den Schleider des Vergessens über einen gewaltigen Haufen Ärger, Sorgen und ungute Gefühle werfen. Aus dem abgerissenen Rotrock von 1793 war zwischenzeitlich ein akzeptabler General geworden…und Sir Arthur Wellesley war seine allerletzte Chance, Kitty loszuwerden. Sobald sein Mühlstein Sir Arthurs Mühlstein geworden war, würde er mit dessen lebhaften und hoch ambitionierten ältesten Bruder Lord Mornington ins Geschäft kommen können. Er hatte die finanziellen Mittel, während Mornington die Kontakte in London und in entsprechenden politischen Kreisen hatte…: "Tante Elisabeth“, sagte er plötzlich mit honigsüßer Stimme, “ wären Sie so freundlich, meine Schwester zu holen.“

Die alte Frau kehrte kurze Zeit später mit ihrer Nichte zurück. Als Arthur seine ehemalige Jugendliebe wiedersah, konnte er nur mit größter Mühe die herbe Enttäuschung verbergen. Vor ihm stand eine verblichene, scheue Kreatur, die kein Wort sagte und ihm nach all den langen Jahren der Trennung nicht einmal ein Lächeln schenkte. Ein unmögliches, cremefarbenes Kleid aus Musselinen schlotterte formlos um ihren mageren Körper. Sie hatte die langen Haare nachlässig hochgesteckt. An den Schläfen hatte sie feine, graue Strähnen. Ihre Haut wirkte ungesund, ja leichenhaft blass. Kitty machte auf Arthur den Eindruck eines Lamms, dass man zur Schlachtbank führte und das nicht wusste, wie es sich wehren sollte. "Ich möchte jetzt alleine mit Miss Pakenham sprechen!", er sah ihren Bruder Longford kalt an. Gerald und Kittys Tante blickten flehend zu ihm hinüber. Endlich verzog er ungehalten den Mund und nickte: "Also gut, Wellesley…falls meine Schwester damit einverstanden ist." Auch Katherine sah ihren Bruder jetzt bittend an. "Robert, ich möchte gerne alleine mit General Wellesley sprechen." Endlich verließen Gerald und Kittys ungemütliche Verwandte den Salon und eine unsichtbare Hand schloss die Tür.

Wellesley ging auf Katherine zu und nahm ihre Hand in die Seine. Der kalte Schleier über seinen Augen hatte sich gehoben. Seine Stimme war sanft geworden. Das Mädchen tat ihm ehrlich leid. " Ich habe Dir vor langer Zeit einmal ein Versprechen gegeben, Katherine. Ich bin immer noch bereit, es einzuhalten. Doch nur wenn Du es auch möchtest…aus eigener, innerer Überzeugung und nicht nur weil Deine Familie Dich zwingt!" Unter der fahlen Haut der Frau zeigte sich eine leichte Röte: "Gefalle ich Dir immer noch? Ich habe mich so schrecklich verändert. Ich bin alt geworden. Ich bin nicht mehr hübsch." Arthur seufzte leise. Dann zog er die schmale Gestalt vorsichtig an sich und legte seine Wange an die Ihre. Leise flüsterte er ihr ins Ohr. "Du bist so zerbrechlich und verschreckt. Was ist nur mit Dir geschehen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben? Ich erkenne Dich nicht wieder! Warum drängelt Dein Bruder so, damit wir heiraten?"

"Arthur, er drängelt nicht und er zwingt mich nicht. Ich habe all die langen Jahre so auf Dich gewartet. Mein Bruder ist nur furchtbar verärgert, weil ich fünfzehn Jahre lang jeden anderen Antrag zurückgewiesen habe! Als Vater starb, hat Robert mir verboten, Dir nach Indien zu schreiben. Er sagte immer, Du wärst nur ein mittelloser Taugenichts ohne Zukunft und Potential. Er war felsenfest überzeugt, Du würdest mich unglücklich machen. Doch ich habe nie nachgegeben. Wenn Du mich also noch willst...? "

"Wollen?", ging es Arthur durch den Kopf. Die Alarmglocken läuteten sturm. Wenn er seinem Verstand folgte und nicht seinem guten Herzen und dem Mitgefühl, das er für die Frau verspürte, die vor ihm stand, dann müsste er Kitty jetzt eigentlich offen und ehrlich ins Gesicht sagen, dass zwischen ihnen Welten lagen. Sie stand nicht mehr vor dem Jungen von 1793 gegenüber, sondern vor einem Mann, denn sie nicht kannte und von dem sie sich ganz offensichtlich ein völlig falsches Bild machte. Andererseits, was hatte er schon zu verlieren: Sein Herz lag zusammen mit Charlotte und dem Kind in Seringapatam begraben. Sarah wollte ihre Freiheit nicht verlieren…und er war Berufssoldat. Er würde gehen, sobald die Trommeln wieder anfingen zu schlagen. Napoleon Bonaparte wurde immer gefährlicher, seine Macht in Europa immer grösser. Wenn es Krieg gab, dann waren seine Chancen den vierzigsten Geburtstag zu feiern verschwindend gering. Generäle im aktiven Dienst starben nur ganz selten an Altersschwäche in ihren Betten. Er hatte in dieser Beziehung in Indien schon mehr Glück, als Verstand gehabt, doch Glück hielt nicht ewig…Natürlich hatte die gute Kitty in ihrem Zustand nicht viel zu bieten. Doch was konnte er einer Frau geben, außer einem Namen, einer gesellschaftlichen Stellung und einem gewissen Mass an finanzieller Sicherheit. Für Kitty war er außerdem noch einer realistische Möglichkeit schnell aus einer deprimierenden Umgebung zu fliehen. Arthur hatte ihren Bruder Longford und ihre Tante Elisabeth Pakenham nur kurz getroffen. Bereits diese kurze Bekanntschaft hatte ausgereicht, ihn zu überzeugen, dass so gut wie alles im Leben einer Frau besser war, als eine Zukunft in diesem düsteren, freudlosen Haus: "Katherine, “ sagte er ernst, “es geht nicht darum, ob ich Dich noch will. Ich habe Dir vor sehr langer Zeit und unter völlig anderen Umständen einmal einen Heiratsantrag gemacht. Damals wurde ich abgewiesen. Ein grausames Schicksal wollte es, das ich alleine aus Indien zurückgekehrt bin. Ich habe dort eine Frau, die ich über alles geliebt habebegraben …und unser gemeinsames Kind. In den Jahren nach ihrem Tod …“,er schüttelte den Kopf. Der Krieg und seine persönlichen Gespenster gehörten nicht zu diesem Gespräch, “Meine indische Vergangenheit hat an sich nichts mit dieser ganzen Geschichte hier zu tut und ich möchte hier und jetzt auch nicht darüber reden. Im Augenblick stellt sich lediglich eine Frage: Bist Du überzeugt, dass Du die richtige Entscheidung triffst? Ich habe nichts mehr mit dem jungen Mann gemein, in den Du Dich mit fünfzehn oder sechzehn Jahren verliebt hast.“ Kitty schlug die Augen nieder und nickte: “Ich bin mir darüber im Klaren, doch ich kann mich nicht anders entscheiden. Es ist der letzte Ausweg für mich.“ Arthur seufzte leise: “Gut, dann soll es so sein. Das Einzige, was ich Dir in diesem Augenblick geben kann, außer meinem Namen und finanzieller Absicherung, ist das Versprechen, dass ich mich redlich bemühen werde, in Eintracht und Freundschaft mit Dir zu leben.“

Am 10.April 1806 wurden Kitty und Arthur in der St.George-Kirche in Dublin im engsten Familienkreis getraut. An diesem Frühlingsmorgen im April schien hell die Sonne, unter ihren Strahlen glänzten die Türme der kleinen Kirche und die schmalen, gotischen Fenster. Henry Lord Paget hatte es gerade noch geschafft, im letzten Moment gemeinsam mit Rowland Hill aus London nach Dublin zu kommen. Damit hatte auch Arthur seine Trauzeugen. Für alle Außenstehenden schien es, als ob diese Hochzeit das glückliche Ende einer langen, traurigen Geschichte war. Nach der Trauung ging es zu einem traditionellen, irischen Frühstück in den Garten von Geralds Pfarrhaus. Das Frühstück verlängerte sich nach alter Sitte bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages und verdarb damit den Neuvermählten ebenso traditionell die Hochzeitsnacht. Robert Lord Longford war erleichtert gewesen, als seine Schwester ihre Unterschrift neben die von Sir Arthur Wellesley ins Kirchenregister gesetzt hatte. Arthur selbst stellte sich in dem Augenblick, in dem er die selbstzufriedene Miene seines brandneuen Schwagers bemerkte in seinem Inneren die Frage, ob er gerade die größte Dummheit seines Lebens begangen hatte, oder ob es richtig gewesen war, sein im jugendlichen Leichtsinn gegebenes Verspechen zu halten. Er hatte aus reinem Pflichtgefühl heraus eine Frau geheiratet, die er nicht mehr kannte, von der er nichts wusste und für die er, außer Mitleid nichts empfand. Sie war nicht mehr dieselbe umtriebige, fröhliche und lebenslustige Katherine Pakenham, der er im jugendlichen Übermut, mit neunzehn Jahren einen Antrag gemacht hatte und die er als junger Mann geliebt hatte. Und er war nicht mehr dieser weltfremde, verträumte und unerfahrene Junge, der im Mondschein an einem See Gedichte vorlas oder händchenhaltend in einer Gartenlaube sein Mädchen anschmachtete. Arthur hatte in zehn Jahren Krieg ausreichend Gespenster gesammelt, um selbst dem Henker von London Angst zu machen. Vieles, was er in Indien gesehen und getan hatte, hatte er nicht verdaute. Er vermied er es, sogar mit Menschen denen er vollkommen vertraute, über diese Dinge zu reden. Sie waren sein Geheimnis und würden es bleiben. Doch sein Verstand sagte ihm, dass er in dieser ganzen seltsamen Geschichte um die Heirat mit Kitty nicht der Einzige war, der Dinge verschwieg und er fühlte, dass die Geheimniskrämerei der Longfords oder auch die seines Bruders Gerald nicht durch Albträume und das berüchtigte „Soldatenherz“ erklärt wurden.

Da sein Urlaub bald zu Ende ging und Arthur auch wegen der Parlamentseröffnung nach England zurück musste, schlug er Kitty vor, gleich aus Irland aufzubrechen. In London blieben ihnen dann noch genügend freie Tage, um sich gemeinsam eine schöne Zeit zu machen und vielleicht, um das Haus in der Harley Street einzurichten. Sie stimmte sofort zu und schien erleichtert, schneller als erwartet, ihrer Familie, Dublin und der grünen Insel den Rücken zu kehren. Zwei Tage später standen beide, zusammen mit Paget und Hill, an der Reling des Postschiffes von Dublin nach Liverpool. Der Wind kam von Achtern, so dass die Überfahrt schnell verlief. Kitty schien noch völlig ihren Emotionen hingegeben und Arthur hatte das Gefühl, dass wenigstens sie voll und ganz hinter ihrer Verbindung stand. Mit der Unterschrift in das Dubliner Kirchenregister, hatte sie die Vormundschaft ihres Bruders endlich abgeschüttelt. Sie lächelte, war unbeschwert und freute sich so auf das gemeinsame Haus in London, dass Arthur die grauen Strähnen im Haar seiner Frau plötzlich nicht mehr bemerkte. "Warum hast Du mir während all dieser langen Jahre eigentlich nie nach Indien geschrieben, Katherine?", fragte er sie. Er hatte einen Arm um Kittys Schultern gelegt und beide sahen zusammen auf die See hinaus. "Ich habe jeden Tag in diesen langen Jahren an Dich gedacht, Arthur! Als mein Vater damals verbot, dass wir heiraten und man Dich aus Pakenham Hall fortgejagte hatte, bin ich sehr krank geworden. Danach fand ich einfach keine Kraft mehr, mit meiner Familie zu streiten. Ich konnte nur noch im Gedanken bei Dir sein und alle anderen Heiratskandidaten, die man mir vorstellte vergraulen, indem ich mich in eine graue Maus verwandelte und sie zu Tode langweilte."

"Warum hat Dein Bruder dann den ersten Brief an mich geschrieben und nicht Du selbst, als nach meiner Rückkehr aus Indien klar war, dass ich vielleicht doch kein hoffnungsloser Nichtsnutz war?"

" Arthur, ich wusste überhaupt nicht, dass Du aus Indien zurückgekehrt bist. Ich habe die letzten dreizehn Jahre draußen in Coolure und Pakenham Hall gelebt. Außer meiner Mutter, meiner Tante, den Nachbarn und dem Pfarrer habe ich niemanden gesehen. Mein Bruder Robert hat es durch Zufall von Deinem Bruder Mornington erfahren, als dieser Ende letzten Jahres in Dublin war. Ich hatte keine Ahnung…" Wellesley lächelte seine Frau an. Sie hatte sich heute mit großer Sorgfalt gekleidet und schien ihre unmöglichen, formlosen Musseline-Kleider zusammen mit ihrer boshaften, alten Tante, ihrem hinterhältigen Bruder und ihrer tristen Vergangenheit in Dublin zurückgelassen zu haben. Sie trug einen schmalen orangefarbenen Samtrock und eine enge, bestickte Weste in der gleichen Farbe. Ihre Haare hatte sie locker geflochten und ein gleichfarbiges Band hielt den schweren Zopf zusammen. Sein Blick ruhte lange auf ihr und sie überstand seine Musterung mit Anstand und mehr Selbstbewusstsein, als er ihr eigentlich zugetraut hatte. "Ich bin sehr glücklich, dass Du doch noch zurückgekommen bist. Du hast mir schrecklich gefehlt, Arthur! ", sagte sie.

" Ich hoffe für Dich, dass Du keinen Fremden geheiratet hast, Kitty! Es war eine endlos lange Zeit. Wir haben uns beide sehr verändert. Vielleicht bin ich ja inzwischen ein eingefleischter, alter Junggeselle, mit dem nicht mehr viel anzufangen ist und der jeden Abend über seiner Ausgabe der Times einschläft." Kitty schüttelte energisch den Kopf: "Solche unwichtigen Kleinigkeiten zählen überhaupt nicht, mein Lieber. Ich spüre genau, dass Du in Deinem Inneren immer noch genau Derselbe bist, wie damals im Garten von Onkel Tom. Du hast mir immer so wunderbare Gedichte vorgelesen und für mich so schöne Melodien auf Deiner Geige gespielt...Oh, ich hoffe, dass wir uns nie wieder trennen müssen!"

"Du bist Dir aber darüber im Klaren, dass Du einen Berufssoldaten geheiratet hast, Kitty." Arthur wusste, dass er nichts mehr mit dem verträumten romantischen, jungen Hauptmann gemein hatte, der unbeschwert im einem Garten, an einem See Gedichte vorlas oder seine Zeit mit Geigespielen verschwendete. Seine Augen hatten zu viel gesehen. Er hatte zu viel erlebt. Grauen, Angst, Tod, Verwüstung, Gewalt, Blut und Schmerzen! Er hatte Männern das Leben genommen, um sein Eigenes zu retten und manchmal auch nur, weil es opportun war, oder leichter, als sie zu verschonen. Um an den Schrecken des Krieges nicht zu zerbrechen, hatte er um sein Innerstes einen hohen Schutzwall errichtet.

"Aber Du hast doch nur ein Kommando in Hastings“, wiegelte Kitty das Problem ab, „ und Hastings ist wirklich nicht weit weg von London. Ein oder zwei Tage werde ich schon ohne Dich zurechtkommen…auch wenn es sicher schwer sein wird. Dein Krieg ist doch vorbei, jetzt wo dieser verrückte Pitt tot ist und die Russen und Österreicher endlich mit Frankreich Frieden geschlossen haben!" Arthur beschloss Kitty vorerst nicht zu widersprechen und das Thema erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Er war sich sicher, dass sie mit der Zeit begreifen würde, dass Soldaten oftmals lange von zuhause fort waren und manche von ihnen nie wieder zurückkehrten. Doch Napoleon Bonaparte und Frankreichs expansive Politik waren kein angebrachtes Gesprächsthema während einer Hochzeitsreise. Darum erzählte er ihr lieber von dem kleinen Haus in London, das er für sie gekauft hatte: " Unser Haus steht mitten in dem Viertel Londons, in dem auch die meisten der französischen Emigranten leben. Es ist dort viel bunter und die Menschen sind lebendiger und herzlicher, als im West End. Wenn Du morgens in den Garten gehst, hast Du das Gefühl mitten in Paris zu stehen“, dank seiner glücklichen Zeit an der Militärakademie von Angers hatte Arthur trotz der etwas schwierigen politischen Situation eine große Schwäche für alles Französische,“ und sämtliche Nachbarn schnattern auf Französisch miteinander. Sogar der Bäcker an der Ecke verkauft französisches Brot und Croissants. Im Garten stehen große, alte Rosenstöcke und ein Kirschbaum. Aber alles ist innen noch leer, damit Du Dich ganz nach Deinem Geschmack einrichten kannst."

Eine Woche später waren beide in London. Obwohl das kleine Haus außer seinem blühenden Garten und einem vorerst notdürftig eingerichteten Schlafzimmer nicht viel zu bieten hatte, schien Kitty glücklich. Sie hatte Arthurs Vorschlag, ein paar Tage noch bei Freunden oder den Wellesley-Poles zu wohnen geradeheraus abgelehnt. Zu Fuß eilte sie in einen kleinen Laden am Ende der Harley Street um Brot, Obst und Schinken zu kaufen und schickte Arthur los, um eine Flasche Wein zu besorgen. Über die große Dokumententruhe des Generals, hatte sie ein weißes Leintuch gelegt und im Garten Rosen abgeschnitten und zu einem kleinen Strauß gebunden. Irgendwo fand sie sogar ein paar Kerzen. Sie aßen auf dem Boden sitzend zu Abend: " Arthur, ich bin ja so froh, endlich mit Dir alleine zu sein. Paget und Hill sind wirklich nett, aber auch furchtbar anstrengend.", aus Kittys Augen strahlte dem General ein offenes, freies Lächeln entgegen. Im Kerzenschein sah er fast wieder das junge Mädchen vor sich, dem er vor so langer Zeit den Hof gemacht und das ihn verzaubert hatte. Er stand auf und bot ihr seine Hand an. Leicht zog er die federleichte Gestalt vom Boden in seine Arme: "Wir haben noch etwas nachzuholen, mein Kleines!", seine Hände glitten sanft über ihren Rücken. Vorsichtig machte er die Perlmuttknöpfe ihres Kleides auf. Er spürte ihr leichtes Maiglöckchen-Parfüm. Sie schien überhaupt nicht ängstlich.


Arthurs letzte freie Tage vergingen damit, dass er Kitty seinen restlichen Freunden in London vorstellte und ihr die Stadt zeigte. Alle schienen glücklich, dass er endlich verheiratet war und das junge Paar wurde mit Einladungen überhäuft. Lady Bessborough und die Herzogin von Richmond boten ihm an, Kitty unter ihre Fittiche zu nehmen. Henry Pagets Frau Charlotte zog mit ihr und dem gutmütig leidenden General durch London, um beim Einrichten des Hauses zu helfen. Arthur war zwischenzeitlich davon überzeugt, dass Kitty in dieser lebhaften Gesellschaft schnell wieder ein normales Selbstbewusstsein entwickeln und das irische Trübsal Blasen vergessen würde. Dreizehn Jahre unter dem Einfluss einer altjüngferlichen, bitteren und bigotten Tante hatten ihn stärker beunruhigt, als alle sonstigen Probleme, die möglicherweise durch die langen Jahre der Trennung geschaffen worden waren. Er hatte Kitty aus diesem Grunde auch ausführlich erklärt, welche Ehephilosophie er hatte und sie schien es im Großen und Ganzen zu verstehen. Es lag nicht in seinen Absichten, sie zu bevormunden oder an ihrer Stelle alle Entscheidungen zu treffen. Arthur schätzte selbstständige Frauen, die eigenverantwortlich durchs Leben gingen.

An seinem letzten, freien Tag nahm er Kitty dann noch mit zu seinem Bankier Mr.Redcliff. Im ehrwürdigen Bankhaus Coutts in der City unterschrieb er eine Vollmacht, damit sie im Falle seiner Abwesenheit über die Konten verfügen konnte. Kitty reagierte entsetzt. Als beide wieder auf der Straße waren, flüsterte sie ihm zu. " Ich habe mich noch nie um solche Dinge kümmern müssen. Ich weiß nicht, ob ich das alleine schaffe."

"Katherine, Du wirst alles ganz schnell lernen. Du hast ein hübsches Haus, Du hast schon eine Hausangestellte. Tue, was Dir Freude bereitet. Besuche nette Leute, lade Bekannte ein…die finanziellen Schwierigkeiten, die uns den ersten Heiratsversuch verdorben haben, sindjetzt ja behoben. Wir sind zwar nicht reich, aber die zehn Jahre Indien haben sich doch ganz positiv auf unseren Konten ausgewirkt."

" Du sagst dauernd ‘uns’, Arthur?"

"Natürlich! Was soll ich sonst sagen. Wir sind miteinander verheiratet. Komm, Du hast den ganzen Tag noch nichts gegessen und bist leichenblass. Außerdem habe ich eine Überraschung für Dich und wir müssen nachher noch ein paar Sachen besorgen." Sie suchten sich ein kleines, französisches Restaurant unweit der Coutts Bank. Kitty war immer dann am Glücklichsten, wenn sie ganz alleine mit ihrem Mann war. Sie war nicht sehr gesellig und fühlte sich in größeren Gesellschaften eher unsicher. Doch sie hatte Besserung gelobt und versprochen, sich wenigstens Mühe zu geben und ihn bei gesellschaftlichen Pflichten zu begleiten. "Du kannst die Geselligkeit gleich üben, Katherine“, erklärte er ihr schmunzelnd beim Kaffee, “ich werde Dich morgen nämlich offiziell Königin Charlotte vorstellen."

" Oh Arthur, ich kann doch nicht...", antwortete sie erschrocken. Er presste fest die Hand seiner Frau: "Natürlich kannst Du! Du hast keinen einfachen Hauptmann irgendwo in der finsteren irischen Provinz geheiratet. Du brauchst Dich hier in London vor niemandem zu schämen oder Dich zu verstecken, Lady Wellesley. Und da ich nicht viel hermache, sollten wir nach dem Essen gleich zum Schneider, damit Dein neues Kleid Dir morgen auch richtig passt." Dann legte Arthur eine ovale Schatulle vor Kitty auf den Tisch. Ein ermunterndes Lächeln und sie öffnete das Geschenk. Ein Paar Kameen-Ohrringe mit kleinen Perlen und die passende zarte Halskette lagen auf dunkelblauen Samt. " Sie sind wunderschön. Ich danke Dir, mein Lieber!" Alle Förmlichkeiten außer Acht lassend umarmte sie den General. Obwohl Arthur eigentlich eine Abneigung gegen öffentliche Gefühlsausbrüchen jeder Art hatte, ließ er sich diese Dinge von seiner Frau seit ihrer Hochzeit gefallen: "Irgendwann werde ich Dir vielleicht einmal Diamanten schenken können, Katherine", flüsterte er ihr zu. Dann legte er den Kopf schief, " wenn Herr Bonaparte und seine Marschälle weiterhin Unfug machen, werden wir möglicherweise... Und die Preisgelder sind immer eine ganz nette Sache!"

"Oh, Arthur! Sage nicht so etwas! Ich brauche keine Diamanten. Und ich möchte nicht die Witwe eines gefallenen Helden sein!"

"Du bist ein gutes Mädchen, Kitty ! Komm, wir müssen zum Schneider. Das Kleid ist fast fertig, aber jetzt braucht er Dich um alles ordentlich anzupassen. Die Königin soll morgen die schönste Frau Londons kennenlernen!"

"Arthur, warum hast Du mich eigentlich bis heute weder Deiner Mutter, noch Deinem Bruder, Lord Mornington vorgestellt?", Kitty hatte sich untergehakt und sie durchquerten die City zu Fuß auf dem Weg zu einem Schneider in der High Street. "Ich habe zu beiden kein gutes Verhältnis und möchte so wenig, wie möglich mit ihnen zu tun haben. Es gibt einen guten Grund, warum ich jeden Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen habe. Und Mornington ist ein altes Ekel. Mit ihm gibt es dauernd nur Streit. Lass gut sein! Wir werden unsere eigene Familie haben. Gerald kennst Du ja aus Dublin, Henry und William sind ganz erträglich und wir haben einen wirklich liebenswerten Freundeskreis hier in London."



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