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Kapitel 7 Das indische Pulverfass

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Kitty kam morgens einfach nicht mehr aus dem Bett. Jedes Mal, wenn sie versuchte aufzustehen, knickten ihre Beine unter dem Körper weg. Arthur zog die Decke über sie und strich ihr sanft die langen Haare aus dem Gesicht. Dann öffnete er das Fenster, damit frische Frühlingsluft ins Schlafzimmer kam. "Du solltest vielleicht mehr Spazierengehen oder draußen im Garten arbeiten, anstatt Dich dauernd im Haus zu vergraben, Katherine." Sie seufzte:" Ich traue mich kaum noch einen Meter von einem Stuhl oder Sessel weg, Arthur. Mir ist dauernd schwindelig."

"Warte. Ich werde Dir Deinen Tee und Toast nach oben bringen. Wir werden hier gemeinsam frühstücken, bevor ich ins War Office muss. Ich werde heute Abend eine gute Freundin mitbringen. Lady Sarah Lennox ist nicht nur die Tochter meines alten Freundes Richmond, sondern auch ein ausgezeichneter Arzt. Vielleicht weiß sie ja, was mit Dir los ist." Arthur sorgte sich um seine Frau. Er fühlte sich ein wenig mitschuldig an ihrem geschwächten Zustand. Seit sie in London angekommen waren, zog er sie jeden Abend mit; auf Bälle, in die Oper, ins Theater, zu Essen mit Freunden oder zu gesellschaftlichen Verpflichtungen, die er als hoher Offizier wahrnehmen musste. Selbst am Wochenende schleppte er sie zu Bootsfahrten auf die Themse oder zu Jagdgesellschaften nach Kent. Es kam selten vor, dass sie einmal vor zwei Uhr morgens ins Bett gingen. Und ans Schlafen dachten sie dann auch nur ganz selten. Er hatte die gute Absicht gehabt, sie abzulenken und zu amüsieren und ihre Lebensgeister zu wecken. Dabei hatte er sie vielleicht einfach körperlich überanstrengt. Wellesley hatte plötzlich solche Angst um seine Frau, dass er an diesem Tag dem War Office und seine Pflichten früher den Rücken kehrte, als sonst. Auf direktem Wege begab er sich zur Universität von London im Stadtteil Bloomsbury. Die Mitarbeiter des Lehrstuhls von Prof. Dr. James McGrigor kannten ihn schon seit Langem und Dr.Hume, ein junger Mediziner aus Schottland holte Sarah Lennox aus dem Laboratorium. Sie umarmte Arthur herzlich: " Die Ehe bekommt Dir, alter Freund. Du siehst ausgezeichnet aus! "

" Und trotzdem habe ich Sorgen, Sarah. Kitty fühlt sich seit ein paar Tagen gar nicht gut. Ihr ist dauernd schwindelig. Sie kann nicht essen, ohne dass ihr dabei fürchterlich schlecht wird. Mir wäre wohler, wenn Du sie Dir einmal ansehen könntest!" Sarah schmunzelte schelmisch. Dann schloss sie die Tür ihres Büros. "Kommt ihr beide gut miteinander aus, Arthur?", fragte sie ihn gespielt streng. Wellesley nickte brav. " In jeder Beziehung?" Wieder nickte er. "Das Gefühlsleben?" Er errötete leicht. "Was meinst Du damit, Sarah?" "Habt ihr getrennte Schlafzimmer?" Arthur schüttelte den Kopf. Seine Wangen waren feuerrot angelaufen. "Meine Ferndiagnose ist in diesem Fall: Du wirst Vater! Ich vermute, ihr spielt nicht nur eine Runde Whist miteinander, bevor Ihr einschlaft!” Sarah schüttelte den Kopf. Das Grinsen war breit und schlitzohrig. ”Ich komme aber trotzdem mit und sehe mir Deine Frau einmal an. Aber ich habe das Gefühl, dass Du ganz beruhigt sein kannst: Ihr habt im April geheiratet und wir haben jetzt August. Kitty geht es den Umständen entsprechend sicher glänzend." Der Offizier war verwirrt und stotterte." Glaubst Du wirklich, Sarah? Sie ist zart und eher von kränklicher Natur. Außerdem ist Katherine schon Mitte Dreißig. Soweit ich weiß, ist das kein gutes Alter mehr, um Kinder zu bekommen." Sarah Lennox schlug Arthur kräftig auf die Schulter: "Na so schlimm steht es jetzt auch wieder nicht um Kitty. Und die Sache mit dem Alter ist ein Gerücht… Als erfahrener Arzt bin ich mir allerdings ganz sicher. Die Symptome, die Du beschreibst, sind sozusagen klassisch."

Kurze Zeit später schneite ein überaus nervöser Arthur Wellesley bereits um fünf Uhr nachmittags in der Harley Street N°11 herein. Im Schlepptau hatte er Sarah Lennox, im strengen, schwarzen Kleid, mit ihrer großen Arzttasche und der Nickelbrille auf der Nase. Bei Sarahs Anblick in dieser beruflichen Verkleidung fühlte Katherine sich sichtlich unwohl. Dr.Lennox mutmaßte, dass Wellesleys Frau Schlimmes befürchtete. Das Vertrauen der Bevölkerung in Bader, Quacksalber und andere Ärzte war sehr begrenzt. Zuerst schickte sie Arthur aus dem Haus in den Garten, um mit seiner Frau ungestört zu sein. " Ihnen ist also schwindlig, Katherine! Und Sie können nichts essen! Sie haben weiche Knie! Sie sind frisch verheiratet! Ich würde sagen, Sie werden Mutter, meine Liebe!" Kitty strahlte Sarah an:" Wirklich?"

"Wenn ich Sie untersuchen darf, sage ich es Ihnen mit Sicherheit! Seit ich Sie zum letzten Mal gesehen habe, haben Sie außerdem ein wenig zugenommen. Ein verhältnismäßig sicheres Zeichen für Nachwuchs!"

Eine Stunde später holte Sarah Arthur aus dem Garten. Mit einem entwaffnenden Lächeln erklärte sie ihm, dass im Dezember oder spätestens Januar mit einem Baby zu rechnen sei. "Katherine, wenn Sie vielleicht ein paar Wochen an der See verbrächten, in angenehmer Gesellschaft und so weiter...mit frischer Luft, Sonne und viel Bewegung! Lange Strandspaziergänge sind genau das Richtige für eine werdende Mutter… Also, Sie sind kerngesund und brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen." Sie legte Arthurs Frau die Hand auf den Bauch. " Das Baby hat es da drinnen ruhig und gemütlich. Nur Ihr Körper muss sich noch daran gewöhnen, dass er jetzt zwei Menschen zu versorgen hat. In ein paar Wochen vergeht das Schwindelgefühl. Im Regelfall dann, wenn Sie anfangen, richtig rundlich zu werden, meine Liebe. Ich gratuliere Euch beiden von ganzem Herzen!" Resolut schloss die junge Frau ihre schwarze Arzttasche und verabschiedete sich. An der Tür drehte sie sich noch einmal zu Arthur:"Amüsiert Euch gut weiter. Getrennte Schlafzimmer empfehle ich erst vierzehn Tage vor der Geburt. Außerdem werde ich regelmäßig nach Kitty sehen. Du kannst beruhigt sein. Wir werden den oder die kleine Wellesley schon sicher auf die Welt bringen!"

Auf dem Heimweg von der Harley Street nach Richmond Palace begegnete Sarah Lennox im St.James Park Freddy Ponsonby. Obwohl sie üblicher Weise ein diskreter Mensch war, musste sie ihm einfach von dem anstehenden, freudigen Ereignis im Hause ihres gemeinsamen Freundes Arthur Wellesley erzählen. Die liebste Aufgabe, die Sarah als Arzt übernahm, war es Kindern auf die Welt zu helfen. Ihre Begeisterung steckte Ponsonby sofort an. Er wusste, dass Arthur in Indien eine geliebte Frau und ein ungeborenes Kind hatte begraben müssen. Am nächsten Tag wusste bereits der gesamte Freundeskreis der Wellesleys Bescheid und eine der Ponsonby-Schwestern, die vier Kindern das Leben geschenkt hatte und als Expertin in Nachwuchsfragen galt, wurde kurzerhand abkommandiert, um mit Kitty nach Brighton an die See zu fahren. Obwohl Arthur sich in diesen Tagen als der glücklichste Mann von ganz England fühlte, war er insgeheim ganz froh darüber, dass seine Frau der Brighton-Variante zugestimmt hatte. Da er eigentlich ganz gerne mit Kitty zusammen war, hatte er seit der Hochzeit sowohl seine Pflichten im Kriegsministerium, als auch im Unterhaus ein wenig vernachlässigt. Doch durch Napoleons neu erwachte Aktivität auf dem Kontinent stand viel Arbeit an. Man hatte ihn beauftragt, für das War Office einen Einsatzplan für ein britisches Expeditionskorps auf dem Kontinent und einen Zweiten für eine mögliche Operation in Übersee auszuarbeiten. Von seiner Hinterbank im Parlament aus, bemühte er sich außerdem redlich, den liberalen Abgeordneten und der Regierung unter Lord Grenville klarzumachen, dass Englands Politik der Isolation vom Kontinent für die Zukunft des Landes schwerwiegende Konsequenzen haben könnte. Trotz der verheerenden Niederlage der Alliierten bei Austerlitz und der Besetzung von Wien durch Napoleons Truppen, waren sowohl England, als auch Russland weiterhin im Krieg mit Frankreich. Die dritte Koalition war zwar am Tod William Pitts zerbrochen, doch an Friedensverhandlungen dachten nicht einmal die amtierenden Whigs und Premierminister Grenville. Den beiden Konservativen Castlereagh und George Canning war es sogar gelungen, den liberalen Außenminister Charles Fox davon zu überzeugen, mit den Verbündeten auf dem Kontinent über eine vierte Koalition gegen Frankreich zu verhandeln. Und Arthur hatte es , dank der Mithilfe von Lord Ponsonby und Lord Uxbridge fertiggebracht, den liberalen Kriegsminister Windham zu überzeugen, dass auf jeden Fall ein vernünftiger Einsatzplan für englische Truppen ausgearbeitet werden musste, falls die Regierung sich zu weiteren Schritten entschloss.

Während Charles Fox versuchte, verschiedene deutsche Kleinstaaten, die nicht in die Rheinföderation Bonapartes hineingezwungen worden waren und Preußens König Friedrich Wilhelm III erneut an England und Russland zu binden, hatte der französische Kaiser Marie-Louise, eine Tochter des österreichischen Kaisers zur Frau genommen. Damit hatte der ehemalige Jakobinergeneral aus Korsika erfolgreich in eines der ältesten Herrscherhäuser des Kontinents eingeheiratet. Seine Stellung in Europa wurde dadurch erheblich verstärkt. Napoleon zog immer neue Soldaten für den Dienst in den Streitkräften ein. Seine Offiziere durchkämmten Frankreich und die Länder der französischen Alliierten, um Pferde zu requirieren. Alles deutete darauf hin, dass der Kaiser einen neuen Feldzug plante. Nur mit einem großen Problem hatte er zu kämpfen: Sein Land besaß noch immer keine ernst zu nehmende Flotte. Frankreich hatte sich nie von Admiral Horatio Nelsons Sieg bei Kap Trafalgar erholt. Im Februar 1806 hatte der britische Admiral Sir John Ducksworth dann auch noch eine große Flotte französischer Kriegsschiffe unter Konteradmiral Corentin de Leissegues vor Santo Domingo zerstört und diese Insel und Martinique von ihren Kommunikations- und Nachschublinien mit Europa abgeschnitten. Anfang Juli 1806 hatte Sir John Stuart von Gibraltar aus Kalabrien überfallen und in einem wahren Husarenstück die Truppen des französischen Generals Reynier bei Maida geschlagen. England arbeitete gegen Napoleon mit einer erfolgreichen Politik der kleinen Nadelstiche. All diese Erfolge konnte auch Arthur sich ein wenig auf die Fahne schreiben. Er war im Großen und Ganzen zufrieden, den Schritt in die Parteipolitik gewagt zu haben. Die Konservativen respektierten ihn und mit einer ganzen Reihe von Liberalen hatte er ein sehr zufriedenstellendes Arbeitsklima etabliert. Nur die Radikalen um John Cobbett, den Verleger des Political Register hatten es sich in den Kopf gesetzt, zu einem Kreuzzug gegen die ganze Familie Wellesley aufzurufen. Anlass hierfür war wie üblich ihr ältester Bruder Richard. Lord Mornington hatte seit seiner Rückkehr aus Indien all seine politischen Freunde vor den Kopf gestoßen. Es war nur Arthur und dem jüngsten Wellesley, Henry, zu verdanken, dass man den überheblichen und selbstgefälligen Aristokraten nicht aus der konservativen Partei ausgeschlossen hatte. Doch während Kitty sich noch gemeinsam mit Henry Pagets Schwester in Brighton vergnügte und Arthur zu einer Inspektion seiner Truppen in Hastings aufgebrochen war, explodierte eine wahre Bombe im Unterhaus. Es war dem boshaften Journalisten John Cobbett irgendwie gelungen, einen pensionierten Händler aus Indien aufzuspüren und dieser Mann brachte in die Affäre um Arthurs ältesten Bruder Verwirrung und eine gehörige Portion Zwietracht: Der Händler, ein gewisser James Paull, hatte ein Kontor in der Provinzstadt Oudh verwaltet. Dort hatte er im Lauf der Jahre ein ansehnliches Vermögen erwirtschaftet. Doch immer wieder war seine Niederlassung von Marattha-Banditen geplündert und niedergebrannt worden. Aus diesem Grunde hatte James Paull schließlich den General-Gouverneur in Kalkutta um Hilfe ersucht. Richard Lord Mornington hatte daraufhin seinem jüngeren Bruder, General Arthur Wellesley befohlen, die Marattha-Banditen zur Strecke zu bringen. In Oudh kehrte wieder Frieden ein. Um diese Situation auch für die Zukunft zu sichern, wurde der dritte Wellesley-Bruder Henry beauftragt, einen entsprechenden Vertrag mit dem Nabob auszuhandeln. Nach erfolgreichem Abschluss dieses Vertrages sah sich James Paull allerdings mit einer teuflischen Situation konfrontiert: Einerseits war er gezwungen, Steuern sowohl an die britische Verwaltung als auch an den Nabob abzuführen. Darüber hinaus wurden weitere Handelsniederlassungen in Oudh eröffnet. Angezogen durch den Frieden und die Sicherheit in dieser Region, strömten immer mehr britische und indische Händler in die Provinzstadt, um ihr Glück an der Grenze des Maharashtra zu versuchen. Am Ende verlor James Paull nicht nur seine Monopolstellung. Er sah sich sogar gezwungen, sein Kontor schließen, da er mit den Neuankömmlingen nicht konkurrieren konnte. Voller Hass gegen die drei Wellesley-Brüder, die er für seinen Bankrott verantwortlich machte, kehrte Paull nach England zurück. Als der Händler von der Untersuchungskommission gegen Lord Mornington hörte, setzte er alles daran, vorgeladen zu werden, um den ehemaligen Gouverneur und seine beiden Brüder anzuklagen. Doch niemand wollte ihm so richtig zuhören. Schließlich wandte er sich an den Journalisten und Parlamentarier Cobbett. Vor dem Unterhaus in Westminster erklärte Paull, Mornington habe von den Geldern der britischen Regierung und der Ostindischen Kompanie nur zu seinem eigenen Nutzen Gebrauch gemacht, ja sie gar verschwendet. Bestärkt durch ein Urteil aus dem Jahre 1805 gegen den Ersten Lord der Admiralität, Lord Melville, der Gelder der Marine bei der Coutts-Bank investiert hatte und dadurch indirekt persönlichen Profit erwirtschaften konnte, waren Cobbett und sein ganzer radikaler Flügel ins Gefecht gegen die Wellesleys gezogen. Mornington reagierte auf diese Anklagen in einer sehr undiplomatischen Art und entzündete damit ein wahres Pulverfass. Henry Paget hatte von seiner Hinterbank aus erfolglos versucht, gemeinsam mit anderen politischen Freunden von Arthur, den Skandal abzuwiegeln. Doch Arthurs ältester Bruder war heißblütig und überheblich. Es kam zu einer peinlichen, öffentlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und Cobett. Im allgemeinen Tumult am Ende der lautstarken Parlamentssitzung, nahm Henry Paget, Robert Castlereagh zur Seite. "Wir müssen unbedingt Arthur aus Hastings zurückholen. Mornington und dieser James Paull sind auf dem besten Weg mit ihrer Privatfehde größtes Unheil anzurichten. Der fette Freddie wartet doch im Augenblick nur auf irgendeinen Vorwand, um mit den Wellesleys abzurechnen. Doch an Mornington kommt er nicht heran. Ich befürchte, unser nachtragender Oberkommandierender der Streitkräfte wird sich deshalb mit unserem gemeinsamen Freund Arthur anlegen." Castlereagh nickte besorgt. Er warf seinem Parteikollegen George Canning einen fragenden Blick zu. Der kahle Journalist aus Devon machte auf den Hacken kehrt und eilte in den Sitzungssaal zurück.

" Canning wird versuchen, noch einmal mit Cobbett zu reden. Doch wir sollten hier nicht auf Einsicht hoffen. Du kennst Cobbett und weißt, wie sehr der Mann nach Schlagzeilen auf der Titelseite giert, Henry! "

"Robert, jemand sollte nach Hastings reiten und Arthur nach London zurückrufen, aber diskret. Wenn der Sepoy-General angerannt kommt, wie ein Jagdhund, wird Cobbett versuchen, dies als Schuldeingeständnis auslegen."

"Wer könnte reiten?“

"Keiner von uns! Wenn wir morgen nicht im Parlament sitzen und übermorgen plötzlich Arthur mit gezogenem Schwert und in voller Rüstung auftaucht, dann ist dies nicht sehr diplomatisch. John Dunn ist leider zusammen mit ihm in Hastings … ich werde mit Lady Sarah Lennox reden." Castlereagh legte Paget die Hand um die Schulter: "Beeile Dich, Henry! Cobett ist eine Viper und Mornington ein Vollidiot. Ich werde versuchen ihn so gut, wie möglich auszubremsen. Richmond und der alte Bucky weigern sich ja seit dem letzten großen Streit, überhaupt noch mit diesem Hitzkopf zu reden." Die Männer trennten sich und Paget überquerte die Themse. Kurz erklärte er Sarahs Mutter die Situation. Georgiana schüttelte bedauernd den Kopf: "Henry, meine Tochter ist in ihrem Krankenhaus in Lambeth. Ich habe keine Ahnung, wann sie nach Hause kommt!"

"Mylady, lassen Sie bitte eine kleine Reisetasche für ihre Tochter packen. Ich werde Sarah schon finden und mit Ihrer Erlaubnis auf den Weg nach Hastings schicken."

Paget überquerte im scharfen Trab die Westminster Brücke und ritt vorbei an Lambeth Palace in die Lambeth Road. Über Southwark kam er in den Stadtbezirk Lambeth. Dort hielt er einen Botenjungen auf: " Kleiner, bringst Du mich für einen Schilling auf dem schnellsten Weg zum Lambeth Charities Hospital des Malteserordens?"

"Gerne, Sir! Wenn Sie mir gestatten, auf Ihrem Handpferd zu reiten, sind wir in fünf Minuten am Ziel." Paget stieg ab und hob den kleinen Burschen in den Sattel von Sarahs Stute. Bereits eine Stunde nach dem Skandal im Unterhaus war er mit dem zweiten Pferd und Sarahs Reisekleidern in Lambeth angekommen. Er drückte dem Botenjungen den versprochenen Schilling in die Hand und dankte ihm. Dann bat er den einbeinigen Wächter an der Tür, die Pferde zu halten und eilte in den zweiten Stock.

"Henry, hast Du Dein Herz für die Armen entdeckt?" Sarah eilte dem Kavallerieoffizier entgegen. "Wo können wir hier kurz ungestört reden? Ich muss Dich um einen Gefallen bitten. Kannst Du heute noch nach Hastings reiten und Arthur zurück nach London holen. Cobbett hat eine Bombe im Unterhaus explodieren lassen. Wir befürchten, dass sein Bruder Mornington und die Radikalen sich jetzt so gewaltig in die Haare geraten werden, dass dies auch unerwünschte Auswirkungen auf seine militärische Karriere haben könnte." Paget erklärte der jungen Frau, was im Unterhaus geschehen war und welche Anschuldigungen Cobetts Marionette Paull hervorbrachte. Sarah nickte." Kein Problem. Ich brauche nur mein anderes Pferd mit einem vernünftigen Reitsattel und muss mich zuhause kurz umziehen!" Paget stellte die Reisetasche vor der jungen Frau auf den Tisch:" Alles hier drinnen! Dein Pferd steht gesattelt unten." Nach einem scharfen Ritt erreichte Sarah kurz nach Mitternacht Hastings. Ein Wachposten nahm ihr das völlig verschwitzte Tier ab und man brachte sie zu Arthur, der sich gerade schlafen legen wollte. " Du brauchst Dich nicht weiter auszuziehen, mein Freund. Cobbett stiftet Unfrieden im Unterhaus und Dein Bruder macht alles nur noch schlimmer. Castlereagh und Paget haben mich losgeschickt um Dich zu bitten, auf dem schnellsten Weg nach London zurück zu kommen." Arthur knöpfte sein Hemd wieder zu und griff nach Uniformjacke und Reitmantel. " Du kannst morgen mit John zurückreiten. Leg Dich erst einmal schlafen, Sarah." Dankbar ließ die junge Frau sich auf das angebotene Bett fallen und zog ihre Reitstiefel aus.

Arthur erreichte London im Morgengrauen. Für die fünfundvierzig Meilen von Hastings in die Hauptstadt hatte er, trotz der Dunkelheit weniger als sechs Stunden gebraucht. Er dankte dem Himmel dafür, in einem Anfall von Wahnsinn die Unsumme von zweihundert Pfund Sterling in seinen dunkelbraunen Vollbluthengst investiert zu haben. Das Tier war trittsicher und absolut unerschrocken. Er hatte gerade noch Zeit, den verschwitzten Elmore gegen ein frisches Pferd zu tauschen und sich umzuziehen. Um halb acht Uhr morgens stand er vor der Tür von Robert Castlereagh. Überaus nervös empfing ihn sein Freund im Esszimmer. Ein junger Bediensteter in schwarzer Livree und mit gestreifter Weste servierte das Frühstück.

"Du musst Deinen Bruder unbedingt zur Vernunft bringen, Arthur! Wenn die James Paull-Affaire sich ausweitet, wird die Untersuchungskommission der Ostindienkompanie versucht sein, das Kapitel ebenfalls aufzugreifen und der Prozess gegen Deinen Bruder wird nie zu einem Ende kommen. Außerdem hat Paull Dich gestern in seiner kleinen Rede vor dem Unterhaus auch angeklagt. Er behauptet, Mornington habe Dir aus der Truhe der Ostindischen Kompanie dreißigtausend Rupien zugesteckt und Du hättest dieses Geld in die eigene Tasche gesteckt." Der General schenkte sich Kaffee nach und leerte andachtsvoll Milch in die Tasse: " Sicher Robert! Ich unterschlage dreißigtausend Rupien! Ist ganz meine Art. Wer würde einen solchen Unsinn bloß glauben?"

"Der fette Freddie! Der Oberkommandierende der Streitkräfte wartet doch nur auf eine Gelegenheit, um Dir das Fell über die Ohren zu ziehen, weil er an Richard nicht herankommt. Und für den Herzog von York ist es unerheblich, welchen Wellesley er in die Finger kriegt. Der macht sich nichts aus Details! Außerdem kann er bei Dir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Du bist nicht nur Morningtons Bruder, sondern gleich auch noch der Protegé des Herzogs von Richmond! Der fette Freddie hat Charles Lennox die uralte Geschichte mit dem Duell auf Battersea Commons nie verziehen." Arthur reagierte immer noch nicht in Robert Castlereaghs Sinne. Er strich sich gedankenverloren eine Scheibe Toast. Dann erkundigte er sich höflich beim Butler seines Freundes, ob in der kleinen Kristallschüssel Erdbeer- oder Himbeerkonfitüre sei. "Oh Arthur ! Du machst mich mit Deiner Gleichmut wieder einmal wahnsinnig!" Wellesley sah kurz von seinem Toast auf und strahlte Robert Castlereagh an. "Mein Freund, etwas Besseres als die Geschichte um die dreißig tausend Rupien hätte uns gar nicht passieren können. Wir werden heute erst einmal kräftig Wasser auf Cobbetts und Paulls Feuer gießen. Damit beweisen wir, dass Mr.James Paull ein Schwarzer Peter für die Radikalen ist und keine Trumpfkarte!"

"Erkläre mir das bitte, Arthur! "

"Ich habe in der Tat ein Darlehen über dreißig tausend Rupien erhalten. Dieses Geld wurde verwendet, um eine eingeborene Schutztruppe für Oudh aufzustellen und auszurüsten. Paull weiß dies auch ganz genau. Doch er wollte uns die Gewehre, Sättel, Trensen, Stiefel und die restliche Ausrüstung so teuer verkaufen, dass ich damals Colin Campbell und den jungen Alderton nach Madras geschickt habe, um die Sachen zu besorgen."

"Kannst Du das beweisen, Arthur?" Wellesley schmunzelte und griff erneut nach der silbernen Kaffeekanne: "Natürlich! Damals in Indien habe ich von jedem Schnipsel Papier, den ich fortschickte oder erhielt Kopien aufbewahrt. Die Beweisführung ist unproblematisch. Ich kann Dir sogar die Rechnungsnummern sagen, unter denen diese Ausrüstungsgegenstände mit der Verwaltung des General-Gouverneurs in Kalkutta abgerechnet wurden. Eine Kopie hiervon müsste auch im Colonial Office in London, in der Registratur liegen, wenn die Buchhalter ordentlich arbeiten." Castlereagh trat ans Fenster: "Wir werden auf dem Weg nach Westminster also einen kurzen Halt in der Harley Street machen?" Wellesley nickte und beendete sein Frühstück.

Vor der Eröffnung der Parlamentssitzung ergriff George Canning, William Cobbetts Arm und zog ihn in eine der zahlreichen, diskreten Fensternische von Westminster. Er zeigte ihm triumphierend Wellesleys Kopien der Bestellung von Ausrüstungsgegenständen für eine Schutztruppe in Oudh im Werte von exakt dreißig tausend Rupien. Dann händigte er dem Radikalen eine Liste der Registraturnummer für sämtliche Abrechnung im Archiv des Colonial Office aus. Castlereagh, Paget und Wellesley beobachteten aus der Ferne, wie sich das Gesicht des radikalen Abgeordneten schmerzhaft verzog. "Für dieses Mal wäre das Problem wohl erledigt, Arthur! Trotzdem wirst Du ernsthaft mit Deinem Bruder sprechen müssen, damit er sich in Zukunft nicht mehr in ähnliche Situationen hineinmanövriert. Es gehen schon genügend Gerücht um. Sein großzügiger Lebensstil in Kalkutta, die spektakulären Kleider und Juwelen, die Lady Mornington austrug, die Umbauten am Gouverneurspalast, der enormen Stab von Bediensteten, den er sich gehalten hat und …seine Gefälligkeit gegenüber verschiedenen Personen.....“ Arthur versprach Castlereagh, mit seinem Bruder zu sprechen, obwohl er wusste, dass ein solches Gespräch sinnlos war. Richard war verblendet und vom Ehrgeiz zerfressen. Seine Gier nach Geld und sein Streben nach Macht kannten keine Grenzen. Er war noch nie in seinem ganzen Leben von irgendjemandem in die Schranken gewiesen worden.


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