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3. Recherchen an der Oberfläche

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1. Drehtag, Pfingstdienstag Frankfurt, Waldstück gegenüber dem Stadion: ‚Wäldchestag‘

„...und nicht die Wirklichkeit entspricht dem Zeitgeist, sondern die Simulation. Denn seit Hegel gilt als Definition: Zeitgeist ist die Summe der einer Zeitepoche eigentümlichen, sie beherrschenden Ideen. Heute simulieren wir alles: chemische Vorgänge, Mechanik, eheliche Beziehungen und auch

Katastrophen.

Sogar unsere Sucht wird simuliert. Geltungssucht, Gewinnsucht, Arbeitssucht und jetzt auch Angstsucht. Eine neue Form der Droge ist erfunden, und auch der Apparat dazu. Die Abenteuersimulationsanlage. Alkohol, Nikotin und harte Drogen können gesellschaftlich nicht akzeptiert werden. Sie hinterlassen Schäden bei der Arbeitskraft der Konsumenten. Da ist es dem Zeitgeist entsprechend Sucht zu simulieren. Ganz nach dem Lustprinzip, systemerhaltend, modern, und ein gutes Geschäft zudem. Steuerbegünstigt zur Not.“

Braun, der Reporter vor der Kamera entspannte sich wieder und verlor den wichtigen, den offiziellen Gesichtsausdruck. „War das brauchbar? Mein Gott, wir basteln uns wieder mal eine Story! Johannes? Warum sagst Du nichts, Du bist heute so richtig friedlich. Bist Du krank? Passt Dir was nicht?“

Johannes, der Kameramann kam missmutig hinter seinem Arbeitsgerät hervor:

„Heinz, glaubst Du wirklich was Du hier erzählst? Ist da wirklich was dran oder geht's nach der alten Leier: Große Wortblase versteckt mickerige Story?“

„Weiß ich selbst nicht! Aber nachher haben wir keine Zeit mehr für Aufsager. War der Kerl von der Anlage übrigens schon da? Nein? Dann lass uns einen trinken, aber keinen Apfelwein! Ich hasse heute Apfelwein. Klaus, auf zum Bierfassen!“

Der Tonmann grinste und packte das Gerät zusammen.

„Ich habe zwar nichts verstanden, aber es war brillant formuliert. PAUSE!“

Der Kameramann stand nachdenklich neben seiner Kamera. Zu trinken gab es am Wäldchestag genug, das aber war nicht das Problem, das ihn beschäftigte.

Der Knabe von der Firma kam noch zur rechten Zeit. Noch würden sie mit dem Schnitt nicht in Verzug geraten. Der Vertreter war ihnen allen ein wenig unangenehm. Ein young urban professional, ein Yuppi, ein typischer Vertreter des Zeitgeistes: Profitorientiert, leistungsbewusst, die Karriere im Sinn. Alles andere durfte ruhig ein wenig teurer sein. Restaurants, Mädchen und was sonst noch so Spaß macht. Ein erster Eindruck.

Aber sie wollten den Kerl ja nicht heiraten.

Gesprächspartner kann man sich nicht aussuchen. Außerdem unterscheiden sie sich in vielen Bereichen kaum. Die Feigen werden Zuhälter, die Dreisten gehen in die Industrie. Hier hatten sie einen aus der Industrie. Mit Sicherheit hatte er studiert. Betriebswirtschaft oder Jura schätzte Heinz Braun. Dann folgte dem Studium wohl ein Auslandsaufenthalt, und irgendwann war er dann das, was er heute war: Gehobener Vertreter auf Abruf. Entsprechend war auch sein erstes Statement.

„Ausgangspunkt für unsere Investitionen war die sich verbreitende Angstlust. Sehen Sie mal: Immer mehr Videos mit schrecklichen, zum Teil auch ekelerregenden Szenen finden ihren Absatz. Der Markt, wenn ich so sagen darf, entwickelt sich ganz ungeheuer. Für ein Unternehmen in der Elektronik- bzw. der Unterhaltungsindustrie ist das natürlich eine Herausforderung. Wir wollen natürlich nicht in die Gewalt- und Pornoindustrie einsteigen. Das würde unserem internationalen Ansehen schaden. Aber die Nachfrage nach Nervenkitzel ist schon eine Marktmöglichkeit. Wir haben uns deshalb überlegt, wie wir da tätig werden könnten. Zuerst bauten wir stationäre Erlebnisparks. Die neuesten Entwicklungen in der Holographie kamen uns entgegen, und in der nächsten Ausbaustufe waren dann fahrbare Anlagen dran. Heute arbeiten Autoren, Psychologen und Techniker zusammen. Die Programme, gesteuert von sehr leistungsfähigen Computern, sind variabel. Wir können also die Anforderungen und die Umgebungen ganz einfach umprogrammieren. Der Anwender ruft ab was er will, also das, was er verkaufen kann. Selbstverständlich sind die stationären Anlagen wesentlich leistungsfähiger als die fahrbaren. Sie müssen berücksichtigen, dass Millionen von Einzeldaten in Echtzeit verarbeitet werden müssen. Da gibt es dann zwangsläufig Grenzen in der Computerleistungsfähigkeit.“

Wenn den Reporter Leute nicht interessieren fragt er erst hinterher nach dem Namen. Heute wurde der Name Rolf Meister ziemlich spät bekannt, obwohl er sich zu Beginn natürlich vorstellte. Aber wer hört bei Vorstellungen schon so genau hin? Der Kameramann schätzte ihn auf rund 32 Jahre. Auf der Visitenkarte, eine Formalität mit sozialwertigem Hintergrund, war zu lesen, dass er Verkaufsleiter für Europa der TEC.TO.N war. Aus dem Buch "Wer gehört Wem" einer großen deutschen Bank, wusste Braun, dass die TEC.TO.N zu einem japanischen Konzern gehörte. A.SI.AN, die Abenteuer-Simulations-Anlage stand in Europa für eine Untergruppierung des Konzerns. Mehr war zurzeit nicht bekannt. Das japanische "Wer gehört Wem" war gerade eben nicht greifbar. Warum auch?

Übrigens Visitenkarten: Sie sind eine Erfindung des mittleren Managements. Die Großen im Geschäft verteilen keine. Ihre Namen kennt man. Sie haben das nicht nötig. Ruft ein Pressemensch nämlich zum Beispiel die Telefonzentrale der Firma an, dann kennt die Telefonistin die Nummern der Chefs. Die ganz Kleinen bekommen überhaupt keine Visitenkarten, sie sind zu vernachlässigen, sie brauchen nicht bekannt zu sein. Nur das untere und mittlere Management braucht sie, sie müssen angerufen werden können. Sie brauchen Kontakte, besonders, wenn sich in der Firma noch nicht herumgesprochen hat wer sie sind. Das wollen sie ändern, wollen sich einen bekannten Namen machen. Deshalb also Visitenkarten. Meister hatte sie in Fülle. Ein Indiz gegen seinen Wert.

Er zeigte sich begeistert von dem Produkt seiner Firma, ohne eigentlich zu begreifen, um was es wirklich ging. Der Vertreter sah in seinen Projekten technische Phänomene und ein gigantisches Geschäft. Eines seiner liebsten Worte, wohl gelernt in Fortbildungskursen für Hilfsmanager, war ‚Innovation‘. Die Abenteuersimulationsanlage war ihm anscheinend die liebste Innovation seines Verkaufsprogramms. Klaus Mullmann, der Tontechniker, meinte denn auch treffend: „Als Kind hat der wohl kein Spielzeug gehabt, sonst würde der sich jetzt nicht so an der Anlage festhalten. Das Abenteuer des kleinen Mannes und morgens wieder pünktlich bei der Maloche. Hervorragende Aussichten.“ Und nach einer Pause: „Ob die auch Abenteuer mit Mädchen simulieren können?“ Klaus war einer der vielen Verbalerotiker im Sender. Ansonsten war er harmlos.

Natürlich bekamen sie die Anlage gezeigt. Ganz im Sinne der Verkaufsförderung versteht sich. Grundelement war ein Tieflader, auf dem die technischen Voraussetzungen für die hydraulischen Bewegungen des Publikumsraumes, die Laser und die Projektionseinrichtungen installiert waren. Darauf wurde ein zeltähnlicher Aufbau errichtet, dessen Innenwände weiß beschichtet waren, von außen aber kein Licht durchließen. Die ausklappbare Grundfläche ließ sich mit den Hydraulikpressen bewegen. Ein Container, angehoben auf die Höhe der Zeltdecke, enthielt, fest installiert, die gesamte Computertechnik.

„Mit der Hardware haben wir immer große Schwierigkeiten.“ Rolf Meister sah die große Chance, sich öffentlich und bei seiner Firma gut zu verkaufen. „Deshalb mussten wir den ganzen Computerkram auch klimatisiert in einen festen Container packen. Unsere Kunden verlangen von uns, dass der Rechner funktioniert. Stellen Sie sich mal den Ausfall vor, wenn die Anlage stehen bleibt. Oder noch viel schlimmer: Der Computer spinnt. Wenn das Programm abstürzt, ist das ja noch das geringere Übel, aber wenn es ein Eigenleben entwickelt und die greifbaren Programme durcheinanderwirft, dann verunsichern wir nicht nur das Publikum, wir machen die Mechanik kaputt. Das wären Millionenverluste, deshalb muss der Rechner als anfälligster, als empfindlichster Teil besonders geschützt werden. Vergessen dürfen wir auch nicht Einflüsse von außen. Schon jetzt werden wir von einigen Spinnern angefeindet. Die befürchten, wir wollten die Welt verändern, dabei haben wir überhaupt noch nicht angefangen die Möglichkeiten auszuschöpfen. Aber irgendwann werden wir auch das tun. Dann können wir entscheiden welche Programme die Leute sehen. Das erste Programm bereitet die Leute auf das nächste vor, und so geht das weiter. Die erste Genehmigung ist wie ein Ermächtigungsgesetz, und außerdem, es ist wie die Erlaubnis zum Gelddrucken. Ein tolles Geschäft.“

Er hatte völlig vergessen, dass die Kamera lief, hatte sich in Rage geredet, mehr von seinen Wünschen gesprochen als von Realitäten. Draußen aber lief bereits die andere Realität. Der Einlass für Erwachsene und Kinder hatte begonnen, Eintritt fünfzehn Mark, Kinder acht. Qualität hatte auch 1996 ihren Preis, Attraktionen besonders.

Während sich das Licht im Zelt verdunkelte, stiegen sie die Treppe zum Kontrollcontainer hinauf. Sie müssten sich nicht hetzten, meinte der Vertreter der TEC.TO.N, heute sei das Fernsehteam Hauptperson. Das war beruhigend, denn es braucht halt seine Zeit die Gerätschaft aufzubauen.

Im Rechner war ‚Katastrophe‘ programmiert. Bombenkrieg live. Im großen Raum unten, zwischen Sitzgelegenheiten, umgeben von Projektionswänden für computergesteuerte Videobilder, versammelte sich das abenteuerlustige Publikum. Erwachsene und Kinder, Reiche und Arme, Männer, Frauen. Noch war das Programm nicht in Gang gesetzt. Die Vorstellung hatte noch nicht begonnen. Oben, unter der Zeltdecke, abgeschlossen von schallschluckenden Fenstern, die Zentrale: „Dies hier ist quasi der Kommandostand des Schiffes. Von hier aus werden die Programme gesteuert. Außerdem müssen wir auch das Publikum beobachten, denn wir machen Katastrophen so lebensecht, dass bisweilen schon mal jemand umfällt. Das darf allerdings nicht zu häufig vorkommen, sonst bleiben uns die Leute weg.

Sehen Sie hier auf den Kontrollmonitoren: An diesen Daten können Sie ersehen wie stark der Krieg gleich werden soll. Nachmittags und am frühen Abend, also, wenn Kinder und Familienväter da sind, fahren wir natürlich nur ein kleines Programm. Alles wird von uns ein bisschen harmloser gemacht. Außerdem schont das die Hydraulik unter dem Boden. Damit können wir die Besucher so richtig schön durchschütteln. Sie kennen das bestimmt von Flugsimulatoren: Das Programm ist ganz lebensecht. Abends geht natürlich die Post ab, da fahren wir unsere Möglichkeiten voll aus. Und jetzt passen Sie auf. Wir starten den Rechner!“

Auf den Monitoren waren zunächst nur Zahlen zu sehen. Der Operator lächelte sie milde an und meinte danach, „Mathematik ist fürs Fernsehen wohl zu abstrakt.“ Er könne auch Kurven liefern: Spannungskurven, Lautstärkekurven, Bewegungskurven der Hydraulik. Zum Nachmittagsprogramm läge die Einstellung zwischen 30 und 40 Prozent. Die harmlose Fassung.

Auch graphische Darstellungen des Geschehens waren in der Kontrolle zu finden. Auf extra Monitoren wurden immer die folgenden Bilder schematisch angezeigt. Die Kontrollinstrumente für Stromversorgung, Mechanik, Holographie und Laser waren übersichtlich in die Wand eingebaut. Vorausgesetzt, man kannte die Anlage. Das Kontrollpanel hätte auch in einem Kraftwerk stehen können oder in einem Raumfahrtzentrum. Technisch kühl, ergonomisch geordnet. In der Mitte der Notschalter, das ‚Sofortaus‘, Entsprechend den Vorschriften der technischen Überwachung.

Die Autoren des Schreckens hatten ihr Handwerk beherrscht.

Auf den Projektionswänden zeigen sich die Bilder einer großen Stadt. London ist es. Aber die Bilder sind bereits älter, zeigen die Metropole in den vierziger Jahren. 1943 schätzte der Kameramann, er war der Älteste im Team. Merkwürdig braun/ weiße Farbtöne, erinnerten an vergilbte Fotografien. Eine beruhigende Stimme rät den Besuchern in der Mitte Platz zu nehmen, weiche Polsterquader laden zum Sitzen ein. Dann, langsam gleitet die projizierte Umgebung in die Nacht, umgibt den inneren Raum ein abschwellendes Licht mit einem Käfig, Halluzination aus Licht, Holographie. Und die Besucher mitten drin. Die Szene gleicht jetzt der Fahrt mit einem Autobus durch das nächtliche London des zweiten Weltkrieges. Der Boden beginnt im Rhythmus der Fahrt zu holpern, Fahrgeräusche schwellen an, die Illusion wird perfekt. Ein leibhaftiger Schaffner geht durch den vermeintlichen Bus und fragt, wer noch Fahrkarten benötige. Auf Englisch, mit Cogny-Akzent. Er ruft Stationen aus. Der Bus hält, fährt wieder an. Oxford Circus, rechts gleitet die Hannover Street vorbei. Passanten huschen durch abgedunkelte Straßen, draußen, um den Bus herum. Maddox Street. Die Fahrt geht durch die Innenstadt, zum Piccadilly Circus. Die Stecke der Bakerloo-Line, einer Buslinie Londons. Vorne eine Verkehrsstockung, Taxis stehen quer, eine Bobby pfeift, Leute schimpfen draußen. Rechts die New Burlington Street. Links eine Kirche. Das Tor ist geöffnet. Gläubige strömen auf die Straße. Erst jetzt fällt auf, dass die Bilder farbig geworden sind, fahl im leichten Londoner Nebel. Dunst unter den Laternen, reflektiert im Scheinwerferlicht der Automobile. Links geht die Glasshouse Street ab zum feudalen Regent Palace Hotel. Jeder kann die vorfahrenden Taxen sehen, Menschen, die ein und aussteigen, uniformierte Portiers, die Wagenschläge aufreißen. Die Regent Street hat hier eine Biegung nach links, dann kommt der Piccadilly Circus, der aufregendste Ort Londons. Links auch die große, haushohe Coca-Cola Leuchtreklame. In der Mitte der Brunnen. Drumherum der Linksverkehr. U-Bahn Schilder.

Mit der Luftschutzsirene hatte keiner gerechnet. Sie heult unvermittelt los. Der Bus stoppt abrupt. Der Schaffner schreit Unverständliches und stürzt sich aus dem Wagen aus Holographie. Draußen rennen Menschen in U Bahnschächte, Hauseingänge. Das Sirenengeheul vermischt sich mit dem dumpfen, drohenden Brummen propellergetriebener Bomber. Niemandem ist aufgefallen, dass der Bus verschwunden ist. Oder sind alle ausgestiegen? Bomben fallen. Zuerst hört man nur ihr Pfeifen. Ein ekelhaftes, drohendes, zynisches Geräusch. „Wir kommen, wir kommen!“ Rechts und links Detonationen. Steinbrocken fliegen über die Köpfe. Schlagen irgendwo auf. Spritzen Schrapnells über das Pflaster. Leute schreien in Panik. Rufen um Hilfe. Zeigen Angst. Stimmen der Illusion oder die Eigene? Gegenüber ist ein Feuer ausgebrochen, die Hitze strahlt herüber, Brandbomben, es stinkt nach Qualm, nach Pulver, nach Phosphor. Die Erde erzittert unter Detonationen, die Luft ist erschüttert vom Krachen zusammenstürzender Mauern. Und die Luftschutzsirene zersägt das Inferno mit kreischendem Laut.

„Die perfekte Illusion.Teuer, aber perfekt.“

Was hatte der alerte Vertreter der Unterhaltungsfirma zu Beginn des Interviews doch gesagt? "

„Angstlust!“ „Ein Markt mit Zukunft!“ „Ein elektronisch- optisch- psychologisch zu meisterndes Phänomen!“

Krieg im Erlebnispark. Tötung als Massenschauspiel. Völkermord auf dem Abenteuerspielplatz. Freigegeben für Kinder und Erwachsene.

Aber wie war das doch? Braun denkt nach: „Senden wir, die wir Fernsehen machen, jedem Kind zwischen dem dritten und dem sechzehnten Lebensjahr nicht rund achtzigtausend Morde ins Wohnzimmer? Nur damit sich unsere Werbung besser verkauft? Ein Zyniker, der da wehklagend den Finger heben will.“ Sein Honorar, der monatliche Scheck ist abhängig auch vom Tod auf der Mattscheibe. Der Reporter ist sich seiner Rolle nicht mehr sicher. Und wie viele Kunden erreicht schon eine noch so perfekte Abenteuersimulationsanlage?

„Dreihundertsechzigtausend im Jahr, zumindest peilen wir dies mit dieser Anlage an. Aber sie ist erst der Prototyp. Später müssen es schon mehr sein. Allein wegen der Rendite.“

Der Verkaufsleiter lacht.

„Die Zielgruppe ist im Moment noch etwas diffus. Im Ausland, ja im Ausland sind wir da schon wesentlich weiter. In England, in Japan, in Südamerika. Da sind die Ressentiments gegen solche Erlebnisanlagen bei weitem nicht so groß.“

Die Leute stolpern aus dem Zelt. Fragen an die Besucher: Sie sind begeistert: Alles sei so realistisch, fast lebensecht. Wenn sie nicht gewusst hätten es sei nur ein Spiel, sie hätten tatsächlich Angst bekommen. Fragen an die Kinder: Hattet ihr Angst? Die Großmäuligen antworten mit „Nein“, spreizen stämmig die Beine, schielen zu ihren Eltern. Mutige Kinder. Viel besser als im Fernsehen sei es, wegen des Qualms und der Erschütterungen. Und wie fein die Bomben auf den Platz gekracht seien. So richtig stark, geil eben.

Aber da sind auch Erschreckte, Erschütterte, die, die Angst hatten, die, die nicht mehr unterscheiden konnten zwischen Spiel und Wirklichkeit. Und dann noch die alte Frau, die den tatsächlichen Krieg mitgemacht hatte, in stickigen Bunkern, feuchten Kellern, in Gräben, draußen auf dem Feld. Differenziert ist ihre Meinung, gut für die Story. Vielleicht könnten die jungen Leute, also die, die keinen Krieg erleben mussten, den Schrecken von damals jetzt ermessen, vielleicht könnten sie weitere Kriege verhindern. Möglicherweise könne man Schrecken ja erlernen, Angst davor aufbauen. Oder würden sie allein Lust dabei empfinden? Die Frau dreht sich von der Kamera ab.

Was sagte noch der Firmenvertreter? Angstlust als Verkaufsargument. Angstlust zur Gewinnmaximierung. Die alte Frau wird schlechte Karten haben mit ihrer Hoffnung.

Das Team ist erschreckt vom Erlebten, fasziniert von der Technik, begeistert von den gedrehten Bildern. Nur schade, dass das Erlebnis auf dem Bildschirm nicht so richtig rüberkommt. Dreidimensionales Fernsehen müsste man haben. 16 Kanal Ton sollte man übertragen können. Die Illusion wäre perfekt. Hatte nicht auch so der Firmenvertreter gesprochen? Sicher, er kommt aus der gleichen Branche. Unterhaltung für Alle.

Er hat zum Essen gebeten. PR Gespräche nennt man das. Kommt so eine Pilotanlage nämlich ins falsche Licht, dann kann die Firma mit diesem Produkt auf Jahre hinaus einpacken. Die Macht des Fernsehens beschränkt sich zwar im Wesentlichen auf Unwesentliches, für einen schlechten Ruf aber ist sie allemal gut genug. Rippchen, Spießbraten und der unvermeidliche Apfelwein, und ja natürlich: „Die Frau Rauscher aus der Klappergass...“

„Natürlich könnten wir auch positive Programme eingeben!“ Er betont es als etwas Besonders. „Aber dann haben wir Schwierigkeiten am Markt. Vielleicht kennen Sie den Film ‚Soylent Green‘ von Richard Fleischer. Die Geschichte eines Polizisten und seines personifizierten Gedächtnisses in einer zukünftigen Welt. Alles ist hinüber, die Umwelt ist umgekippt, die Nahrungsmittelkette zusammengebrochen. Da werden Leichen zu Lebensmitteln verarbeitet, eben ‚Soylent Green‘. Und um den Alten und Kranken das Sterben attraktiver zu machen, bekommen sie Bilder einer heilen, für sie völlig unbekannten Welt vorgespielt. Aufgenommen in besonderen, geschützten, abgesperrten Reservaten. Sehen Sie, solche Bilder können auch wir machen, aber dazu brauchen wir kein Reservat, keinen abgesperrten Bereich. Wir können das elektronisch, artifiziell, wenn Sie so wollen. Wenn wir dieses Programm aber herausbrächten, dann machten wir uns ebenso angreifbar wie mit unseren Kriegsprogrammen. Beides entspricht nicht unserer unmittelbaren, erlebten Umwelt. Immer, wenn wir unseren direkten Erlebnisbereich verlassen machen wir uns verdächtig. Ob schöne Bilder oder hässliche, ob allein Vorstellbares oder Fiktives, es ist verdächtig. Natürlich ist es auch interessant. Nervenkitzel, verstehen Sie?

Unsere Psychologen haben die Informationstheorie genau begriffen. Sie machen als Fernsehmann doch genau das Gleiche, vorausgesetzt Sie beherrschen Ihren Job. Sie erzeugen bei Ihrem Zuschauer Spannung, unabhängig, ob Sie Unterhaltung machen oder Dokumentationen. Das Volk will gekitzelt sein. Ob der Krieg gespielt wird oder Sie realen Krieg zeigen, interessiert doch eigentlich keine Sau. Im Wohnzimmer hat Ruhe zu herrschen, also ist jeder Krieg gespielt. Gleichgültig welcher. Der echte Krieg aber beginnt im Schlafzimmer, oder auf dem Klo, wenn Sie so wollen. Wir, und zwar wir alle hier am Tisch, haben unsere Unschuld doch schon lange verloren.

Kennen Sie Platon? Das Höhlengleichnis? Natürlich kennen Sie es! Da sitzt ein Mensch in einer Höhle und sieht die Schatten von Menschen und Gegenständen an der Höhlenwand im Lichte eines Feuers. Weit weg von ihm ist der Eingang, die wirkliche Welt draußen. Er glaubt, der Schatten allein sei bereits Wirklichkeit. Wenn er allerdings aufstünde, hinausginge, zu sehen, was da draußen wirklich los ist, dann könnte er die Wahrheit, oder was auch immer er dafür hielte, erkennen. Und was würde er dann machen? Der arme Tropf? Er rennt natürlich wieder in die Höhle zurück und erzählt seinen Genossen, dass alles, was bisher für sie Wahrheit war allein eine Illusion ist. Ein Stück Dreck, ohne Inhalt und Sinn. Das war's dann. Pause. Ende der Fahnenstange. Er allein weiß natürlich jetzt was die wahre Wahrheit ist. Ein hervorragendes Gefühl für ihn. Und die anderen? Und dann?

Was meinen Sie, was dann passiert? Totschlagen werden sie ihn. Er stört nämlich die öffentliche Ordnung. Keiner will eine x- beliebige Wahrheit hören, wenn er von seiner eigenen überzeugt ist. Keiner will eine fremde hören. Mit einer glaubhaften Lüge lebt sich's halt kommoder, als mit einer belastenden Wahrheit.

Nun mal Hand aufs Herz: Was machen Sie als der Journalist Heinz Braun? Sie reduzieren die Wahrheit doch auch nur auf ein erträgliches Maß, und nennen dann das Ergebnis ‚Nachrichten‘ oder ‚Dokumentation‘ oder sonst noch was. Wahrheit, Gerechtigkeit, Realität, den Überblick über die Zusammenhänge, die mögen Sie als Reporter vielleicht erkennen, dem gemeinen Volk verraten werden Sie ihr Wissen allerdings nicht. Oder Sie sind schlicht verrückt. Ein Weltverbesserer! Die aber leben nicht lange.“

Er machte eine Pause, eine lange Pause. Mit steigendem Alkoholkonsum entpuppte sich der alerte Vertreter als ein Mensch, der über Dinge nachdachte. Er konnte richtig sympathisch sein, wenn er nicht an seine Karriere dachte und sich so selbst der Beschränktheit aussetzte.

„Wissen Sie, vor Jahren, damals war ich noch jung, na ja, so alt bin ich jetzt auch wieder nicht, aber damals wollte ich mal Journalist werden. Einer, der aus der Höhle herauskommt. Aber, na ja, egal.

Sie können selbstverständlich die Anlage zur Sau machen. Sie können auch sagen ‚hier werden Aggressionen abgebaut‘, ‚hier können Schrecken erfahren werden‘, ‚daraus kann jeder lernen!‘ Das wäre uns natürlich viel lieber.

Machen Sie einfach eine spannende Story daraus. Seien Sie das, was Sie sind. Seien Sie Reporter. Berichten Sie über die Möglichkeiten von Abenteuersimulationsanlagen. Nennen Sie sie A.SI.AN, Abenteuersimulationsanlagen. Die Verbindungen kann ich Ihnen machen. Gehen Sie in unsere Zentrale. Gehen Sie nach Japan. Ein kleines Land mit vielen Menschen. Lernen Sie dort, wie Aggressionen abgebaut werden können. Lernen, nein, zeigen Sie wie der Schrecken, das persönliche Erleben der Katastrophe Katastrophen verhindern kann. Gehen Sie nach Japan.“

Es war schon merkwürdig, sie redeten von Computertechnik, von Japan, und es roch nach Grillwürstchen, verschüttetem Apfelwein und ein wenig nach Toilettenanlagen. Hauptsächlich eigentlich nach Toilettenanlagen.

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