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5. Berliner mit Schuss

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Verrückte gibt es überall, warum also nicht auch im Flughafen Frankfurt.

Das Team sitzt in einem der Restaurants und wartet auf den Abflug. Die Plätze sind fast alle besetzt, freie Tische gibt es nicht mehr. Deshalb kam der Betrunkene auch an ihren Tisch, fragte kurz und setzte sich sogleich hin, ohne eine Antwort abzuwarten. Dass er Berliner ist, lässt sich nicht überhören. Er selbst bezeichnet sich in der kurzen Vorstellung als Magier. Zuerst nehmen sie an, er sei Zauberer. Aber so meint er das nicht. Er beschäftige sich mit Magie und die sei schließlich überall zu finden. Der Kameramann sieht hoch zur Decke, der Tonmann sucht nach Mädchen, und der Reporter ist von seinem uneingeladenen Gast genervt. Tischnachbarn kann man sich nicht immer aussuchen. Das Team hatte noch eine Stunde Zeit und der bestellte Kaffee war noch nicht gebracht worden. Es fange ja gut an, meinte der Tonmann. Dabei war es unklar, ob er fehlende Mädchen oder den anwesenden Verrückten meinte.

„Ich fliege heute nach Los Angeles,“ verkündete stolz der Künstler in Unerklärlichem. „In Los Angeles ist die New Age Tagung. Wie in jedem Jahr. Ich fahre immer hin. Es gibt so viele unerklärbare Phänomene, wie die Naturwissenschaftler sagen, damit muss man sich beschäftigen. Außerdem ist das auch ein gutes Geschäft. Ich schreibe Bücher darüber und die Leute kaufen sie wie verrückt. Sehen Sie, wenn in Cornwall, in Südengland, auf unerklärbare Weise kreisförmige Gebilde in den Getreidefeldern gefunden werden, dann schreit das doch förmlich nach Erklärungen. Und das Fernsehen, die Zeitungen, die sind doch so richtig angenehm verkaufsfördernd. Da wird lediglich berichtet, dass Erklärungen noch nicht gefunden wurden. Der Leser meiner Bücher aber bekommt sie geliefert.

Denn was ist der Sinn von Erklärungen? Der Mensch glaubt gerne an etwas, was er nachvollziehen kann. Nichts ist für ihn schlimmer als irgendwas nicht erklären zu können. Nun gibt’s aber Dinge, da gehen uns die Argumente aus. Dann müssen wir halt an das glauben, was uns übrigbleibt. Stellen Sie sich mal vor, Ihnen begegnet etwas, für das Sie sich seit langem eine Erklärung zurechtgebastelt hatten und dann kommt jemand daher und erzählt Ihnen, er hätte eine ganz andere, oder vielleicht auch überhaupt keine. Den erklären Sie doch dann für verrückt. Ein Spinner, der Sie nicht überzeugen kann. Für den würden Sie doch keine müde Mark ausgeben.

Es gibt natürlich auch den Fall, dass der Mensch überhaupt keine Erklärung haben will für das, was er sieht oder erlebt. Gehen Sie zum Beispiel ins Kino, ins Theater. Ich war vor kurzem im Walt-Disney-Erlebnispark, drüben in den Staaten. Die haben da komplette Studios aufgebaut und darin agieren Androide, künstliche Menschen. Die tun so, als würde dort ein Film entstehen. ‚Erdbeben‘ zum Beispiel. Wenn die Techniker erklären würden, wie die Anlage funktioniert, dass in der Halle Mechanik und Elektronik zusammenspielen, dann wäre der Reiz zerstört. Und warum ist das so? Der Mensch will sich sein eigenes Bild machen, und dieses Bild ist für ihn ausreichend. Früher bezeichnete man das als Illusion. Und die großen Zauberer, die Illusionisten, konnten mit diesen Mitteln arbeiten. Aber das können heute nur noch Wenige. Deshalb schreibe ich Bücher. Zum Illusionisten hat es nicht gereicht. Weder finanziell, noch von meinem Einfallsreichtum. Der Illusionist ist Techniker, Künstler und Psychologe zugleich. Ich bin, wenn Sie so wollen, lediglich Psychologe. Das habe ich auch mal eine Zeitlang studiert. Aber heute besteht Psychologie ja nur noch aus Statistik und Couch. Also Mathematik und Zuhören.

Das war mir zu langweilig, ich wollte mit den Leuten direkt zu tun haben. Heute ist es so, dass ich angerufen werde, wenn Erklärungen nicht aufzutreiben sind und wenn die Leute gerne eine Erklärung hätten. Unsere Naturwissenschaften haben bekanntermaßen ihre Grenzen. Da endet dann manche Erklärmöglichkeit damit, dass behauptet wird, dieses und jenes sei eine Glaubensfrage. Nicht beantwortet wird allerdings, was zu glauben ist. Ich sage natürlich nie, dies oder jenes ist so oder so. Ich sage immer: Ich erkläre mir persönlich bestimmte Phänomene mit bestimmten persönlichen Erfahrungen. Die liegen dann halt auf anderer Ebene als bei Wissenschaftlern.

Herr Ober, bitte noch einen Kaffee und einen Cognac.

Jetzt fahre ich nach Los Angeles. New Age Kongress. New Age ist ja keine neue Angelegenheit. Aber heute haben die Leute wieder den Mut, vorbei an der tradierten Naturwissenschaft, an Phänomene zu glauben, ohne mit Erklärungen aufwarten zu müssen. Sehen Sie: Als Markoni die Funkwellen noch nicht entdeckt hatte, wäre ein jeder für verrückt erklärt worden, der behauptet hätte, man könne Radio machen. Was nicht entdeckt ist, kann man nicht erklären. Wir nehmen bestimmte Phänomene als gegeben hin und suchen nicht nach wissenschaftlichen Erklärungen. Ich weiß nicht, welchen Beruf Sie haben, an was Sie glauben, aber ich bin sicher, auch Sie tragen Probleme mit sich herum, bei denen Ihnen Erklärungen fehlen. Sie sehen zwar nicht wie ein Weltverbesserer aus, aber ein wenig steckt das ja in uns allen. Der Missionar ist in unserer Seele fest verankert.“

Ein wenig hatte ihn seine Rede doch wohl erschöpft, denn er brauchte kurze Zeit um Luft zu holen und zu trinken. Cognak.

„Da ist zum Beispiel das Gebiet der Isomorphie. Iso von gleich, Morphie von Gestalt, von Form, verstehen Sie. Sie wissen nicht was das ist? Sie wissen es nicht!“

Er stierte kurz auf den Fußboden. So etwas passierte ihm, dem Fachmann selten.

„Hab ich mir gedacht, weiß nämlich kaum jemand. Sehen Sie, Sie können, nur so als Beispiel, Musik durch mathematische Formeln ausdrücken. Graphik und Malerei theoretisch natürlich auch. So bekommt Kunst, wie gesagt nur so als Beispiel, eine gleiche Struktur, steht also lediglich in einem anderen Aggregatzustand als, sagen wir mal, Weltraumtechnik. Und kann sich dann natürlich auch verändern. Mozart ist gleich van Gogh, Beethoven ist Picasso, Bach Rubens, Vivaldi Mondrakete. Und so weiter, überall und auf allen Ebenen.“

Braun sah sich von einem neuen Problem konfrontiert. Was wollte der Kerl. Isomorphie, er wusste noch nicht einmal ob es so etwas gab. Später erst würde es sich bestätigen und es sollte auch nicht ganz unwichtig sein. Von Aggregatzuständen der Kunst hatte er auch noch nichts gehört. Der Berliner musste wirklich einen Schuss haben.

„Denken Sie doch zum Beispiel mal an die Wahrheit...“

Um Gottes Willen, Braun hätte es fast gesagt, nur die Reste seiner Erziehung hinderten ihn daran. Wenn Betrunkenen nichts mehr einfällt, dann fangen sie an zu philosophieren. Dem Berliner schien der Gesprächsstoff auszugehen.

„...Wahrheit ist ein seltsam Ding!“

Braun überlegte, ob das bereits vielleicht Goethe gesagt haben könnte.

„Auch die Wahrheit ist isomorph. Sie hat immer die gleiche Struktur, die gleiche Form und letztlich auch den gleichen Inhalt. Deshalb ist auch die Wahrheit mit der Mathematik verwandt. Das sagen zumindest unsere Naturwissenschaftler. Der unterschiedliche Aggregatzustand erscheint uns natürlich als etwas Unterschiedenes. Und darin liegt das Problem. Isomorphie aber ist das verbindende Glied. Musik, Malerei, Mathematik, alles eins. Nur die Religion passt da nicht so recht rein. Aber das mag auch daran liegen, dass wir uns immer nur oberflächlich mit der Religion beschäftigen. Sie kennen das! Am Stammtisch zum Beispiel fängt das im nüchternen Zustand bei den Mädels an,“ - er lachte süffisant und der Tontechniker schenkte ihm aufgrund des Stichwortes kurz seine Aufmerksamkeit, - „dann kommt der Sport. Der ist bereits irrational und passt nicht mehr in die Isomorphie.“

Braun gab ihm recht, aber nur innerlich. Betrunkene soll man nicht in ihrer Argumentation bestätigen, sonst dauern die Gespräche zu lang.

„Mit fortschreitender Trunkenheit geht es dann über die Politik zur Philosophie und danach in die Religion. An diesem Punkt hat der Wirt des Stammtisches sein Geschäft bereits gemacht.“

Die Geschäfte des Flughafenwirts konnten also noch gesteigert werden, denn sie befanden sich in ihrem Gespräch erst an der Schwelle zwischen der Philosophie und der Religion. Steigerungen waren also noch möglich.

„Sie werden also lernen müssen, dass wir viele Gegebenheiten, also alltägliche, noch nicht entdeckt haben. Hören Sie Beethoven und sehen Sie sich den Flughafen an. Betrachten Sie den Krieg nebenan und die Beeinflussung der Menschen durch das Fernsehen. Hören Sie die Gesänge der Wale und die in Töne umgesetzten Programme unserer Computer. Alles gleich. Weil es aber so schwierig und so unangenehm ist sich mit Problemen auseinanderzusetzen, haben wir den Hang zum Seichten, zur Unterhaltung, zur Berieselung, zum Null- Denken. Auf seine Art aber ist selbst das Null- Denken isomorph."

Er war ganz aus der Puste gekommen, der arme, kleine, betrunkene Berliner, der so gerne ein großer Magier geworden wäre. Begeistert über seine eigenen Worte blickte er sich begeistert um. Dabei sah er gedankenverloren einigen Stewardessen einer bekannten amerikanischen Fluglinie nach, die mit der Schönheit ihres Personals gerade eine Werbekampagne gestartet hatte. Ausnahmsweise war hier eine Werbung mal zutreffend. Die Aussicht gefiel ihm. Dieses Gefallen verband ihn mit dem Tontechniker. Braun sah den Mädchen nach, das ganze Team sah den Mädchen nach. Die Tischnachbarn übrigens auch. Es ist halt erfreulich in dieser dumpfen Welt mal etwas Schönes zu sehen.

Der Berliner schwieg. Braun gewann den Eindruck als hätte sich der Kerl nüchtern geredet. Das soll es geben. Die Mädchen waren inzwischen außer Sichtweite. Hektische Eltern und genervte Kinder versperrten den Ausblick. „Schönheit ist auch nicht mehr von Dauer,“ dachte der Reporter und erschrak sich darüber, dass er es laut gesagt hatte.

Der Berliner nippt an seinem Kaffee und stürzt den Cognac hinunter. Braun weiß nicht, was er mit dem Kerl anfangen soll. Sicher ist er ein wenig verrückt, sehr betrunken und voll von missionarischem Drang. Mit großer Wahrscheinlichkeit aber ist er ein unsicherer Mensch auf der Suche nach Erklärungen. Die Suche brachte ihm zwar Geld ein, aber das hatte er mit dem Reporter gemeinsam.

Das Team hat seinen Kaffee ausgetrunken und verabschiedet sich in gelinder Hast von seinem Gast. Unterwegs auf der Rollstraße fragt der immer nachdenkliche Kameramann, was denn von dem Kerl zu halten sei. Heinz zuckt mit den Schultern. An Zufälle sollte man nicht glauben, die Vorsehung war in Deutschland bereits früher in Verruf geraten und nicht jeder Verrückte sagt die Wahrheit. Er war froh, einfach weggekommen zu sein. Erklärungen sind furchtbar, wenn man sie nicht hat.

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