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6. Flug über den Pol

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In der ersten Klasse ist natürlich das Essen besser, die Sitze bequemer, die Getränke im Flugpreis inbegriffen. Nur die Stewardessen sind dieselben wie in der Klasse der namenlosen Normalreisenden. Für normale Rundfunkanstalten sind normale Mitarbeiter nun mal auch nur Normalreisende der Holzklasse.

Die Ausrüstung war im Laderaum verstaut. Eine Forderung der Fluggesellschaft. Sicherheitsgründe. Es war eine elektronische Einheit der Norm Beta SP, als Kamera das sogenannte Bügeleisen, das Feinste vom Feinen. Eine Norm, darauf hatte der Reporter gesteigerten Wert gelegt, damit die Story auch technisch qualitativ für einen Weiterverkauf geeignet war. An dieser Hürde sollte eine Verbreitung nicht scheitern, denn, könnte die Geschichte für den internationalen Markt geeignet sein, dann hatte der Autor zuerst einmal einen Stein im Brett seiner Oberen. Dann nämlich kostete der Beitrag seinem Auftraggeber letztlich nichts. Eine vage Hoffnung, von der jeder Reporter lebt.

Halbschlaf in der Maschine. Bei Nonstop Flügen über den Pol schläft der Geist und das Sitzfleisch rebelliert. Langweile als Stundenprogramm. Selbstverständlich läuft nach dem Essen ein Film, aber das Programm ist alt, wiederholt im Fernsehen gelaufen, abgelutscht schon im Kino. Kenner sehen konzentriert hin, versuchen die Schnitte durch die Fluggesellschaft zu finden. Denn alles, was dem wohlbefindlichen Zusammensein in der Kabine widerspricht, wird unerbittlich rausgeschmissen. Urheberrechte haben ihre Grenzen an den Toren zum Geschäft. Aber Vielreisenden, weil sie nicht hinsehen und Nichtcineasten, weil sie keine Ahnung haben, bleibt die Freude der Suche verschlossen.

Neben Fluggästen zu sitzen, die man nicht kennt, kann bisweilen recht unterhaltsam sein. Flugzeuge vom Typ Airbus oder Jumbojet sind nämlich langweilige Flugzeuge. In der Mitte sitzen viele Mitreisende, die nur trinken können, essen, Filme ansehen und sonst nichts. Rechts und links, jenseits des Ganges jeweils drei Sitzplätze, von denen aber nur einer aus den ohnehin kleinen Fenstern hinaussehen kann. Der Rest langweilt sich und alle zusammen ohnehin, wenn Nacht ist und die Aussicht sowieso begrenzt. Es war Nacht. Alle waren wach und alle langweilten sich. Mit Ausnahme der ersten Klasse natürlich, denn die hatte ja genug zu trinken und breitere Sitze.

Der Tontechniker hatte eine niedliche Asiatin gefunden, etwa gleichaltrig, Zielort Umgebung von Tokio. Perspektive: Aussichtslos, aber unterhaltsam. Der Kameramann ein französisches Kind auf dem Heimflug zu seinen Eltern, Mitgliedern der französischen Botschaft in Japan. Er hatte seine Vatergefühle wiederentdeckt, schließlich hatte er erwachsene Kinder, die auch einmal klein gewesen waren. Nur der Autor hatte Pech. Er saß neben einem schweigsamen Herrn, knapp vierzig Jahre alt und sehr langweilig. Zuerst versuchte der Herr zu schlafen. Aber das geht ja auf solchen Flügen kaum. Dann versuchte er zu essen, die Essenszeit war jedoch vorbei. Dann versuchte er zu trinken und da hatte er Glück. Die Zeit des Getränkeorderns war zwar ebenfalls vorbei, denn Schlafen war jetzt angesagt, aber sein Nachbar, eben jener Heinz Braun, Fernsehen, erfahren in Fernreisen, hatte vorgesorgt. Nicht nur, dass er bereits frühzeitig eine Flasche zollfreien, französischen Cognacs geordert hatte, in den schier unergründlichen Tiefen seiner Reisetasche fanden sich noch weitere Alkoholika. Zwar bestätigte sich damit ein Vorurteil gegenüber Journalisten bezüglich des Alkoholkonsums, bemerkenswert war aber, dass sich bereits zu Beginn des Gesprächs der Reporter in Enthaltsamkeit übte.

Das Gespräch entwickelte sich innerhalb von zwei Stunden zum Monolog. Lediglich ab und zu war eine Frage nach Einzelheiten dazu gedacht, den Redefluss weiterzuentwickeln. Sie waren ohne Hintergrund, ohne Fachwissen, aber sie waren zuhörend, interessiert, anteilnehmend, also auf einer Ebene, die selten Menschen begegnet. Die Fähigkeit so zu fragen, macht zwar im Grunde genommen den guten Journalisten aus, ist bei dieser Berufsgruppe aber ebenso wenig verbreitet wie unter anderen Zeitgenossen.

Ausschnitte:

„Wissen Sie, unsere Firma beschäftigt sich mit dem Erstellen von Holographien. Bisher war das nur einigen Künstlern, also nur gegen gutes Geld, möglich. Das Verfahren ist halt ziemlich kompliziert. In der Holographie stehen wir ja noch am Anfang. Wenn Sie aber annehmen, dieses Verfahren der dreidimensionalen Darstellung beschränke sich in Zukunft ausschließlich auf Scheckkarten oder Aktien, dann irren Sie. Denn, was machen wir tatsächlich? Wir reduzieren bei unseren Folien einen Raum, also drei Dimensionen, auf zwei.“

Das hatte Braun alles schon gesehen. Auf Messen, in Ausstellungen, auf seiner Scheckkarte. Nur der Hintergrund war ihm so noch nicht bewusstgeworden. Das alles war natürlich nur ein Bild, eine Metapher, aber die bekannten Grenzen waren damit bereits überschritten. Nur wussten es die Menschen, die mit ihrer Karte in die Banken gingen noch nicht. Wenn man aber, so schoss es ihm durch den Kopf, drei Dimensionen auch durch zwei Ebenen darstellen konnte, dann war die Anzahl der vermeintlichen Ebenen, auf denen irgendetwas stattfand, gar nicht so wichtig. Aber, und da kam der realistische Journalist wieder bei ihm durch, mit Philosophie konnte kein Hund hinter dem Ofen hervorgelockt werden. Wie ließ sich das, was dieser angetrunkene Techniker als Wahrheit verkaufen wollte, überhaupt darstellen. Die Zuschauer mussten, wenn ihr Interesse angeregt werden sollte, eine Verbindung zu ihrem täglichen Leben finden können, wenigstens aber zu ihren Vorurteilen.

Bilder, er brauchte Bilder. Während der Andere weiterredete suchte er Bilder für das, was er eben gehört hatte. Neu zu drehende, Bilder aus dem Archiv, Zeichnungen, Trickfilm, was auch immer. Dann kamen die Bilder in seinem Kopf:

Es war die Beschreibung eines Menschen, der Eckstein hieß, ein Fernsehportrait, noch in schwarz- weiß gedreht. Eckstein war ein Spinner unter den Physikern, der Unsichtbarkeit erklärbar machen und auch beweisen wollte. Dazu kam es nie, denn es fehlte das Geld. Aber Eckstein behauptete noch Jahre später, die Amerikaner hätten seine Ideen geklaut, hätten Versuche angestellt und seien zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen, die natürlich alle geheim gehalten würden.

In kleinen, einfachen Versuchen wusste er nachzuweisen, dass Lichtstrahlen durch elektromagnetische Felder abgelenkt werden konnten. Und dann, so Ecksteins Theorie, ließen sich Lichtstrahlen auch um Objekte herumleiten. Wenn nun das Licht um Objekte herum zu dirigieren war, dann war das Objekt unsichtbar, denn kein Bröckchen Licht wurde reflektiert. Nur am Objekt selbst könne man durch Berühren seine Existenz feststellen. Dort sei zwar überhaupt kein Licht, das absolute Dunkel, keine Reflexion, aber der Gegenstand sei dennoch ertastbar vorhanden.

Ecksteins Theorie war damit allerdings noch nicht erschöpft: Licht als elektromagnetische Welle, so behauptete er, stünde auch in unmittelbaren Zusammenhang mit der Zeit. Wenn Zeit ein wie auch immer geartetes Feld sei, und er habe Hinweise dafür, so ließe sich ebenso auch Zeit beeinflussen. Durch Gegenfelder, die noch gefunden werden müssten. Die vierte Dimension, also die Zeit, ließe sich dann als vierdimensionaler Raum ebenso verändern, wie der bekannte dreidimensionale Raum durch die zweidimensionale Malerei nach Entdeckung der Perspektive.

Die Entdeckung der Perspektive in der Malerei konnte also als Vehikel dazu herhalten, die Reduzierung von drei Dimensionen auf zwei in der Holographie zu erklären. Die Holographie als Weiterentwicklung feststehender Perspektiven in der Malerei. Ecksteins unbewiesene Theorie um Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit und Veränderung der Zeit, ließen dem Zuschauer zudem noch Spekulationsmöglichkeiten offen, sich weitere Entwicklungen vorzustellen. Eine wissenschaftliche Hypothese konnte somit herangezogen werden, das Vertrauen in die Allgemeingültigkeit unserer westlichen Naturwissenschaft zu erschüttern. Die Methode war zwar nicht ganz sauber, an ihr musste noch gefeilt werden, aber er brauchte Bilder aus der Naturwissenschaft, um auf Probleme der Simulation hinweisen zu können. Vielleicht war dies einfach der Strohhalm.

„Wir greifen also in die Dimensionen unserer Umgebung ein. Dann denken wir doch einfach mal weiter: Als Vorlage haben wir im Moment noch ein Objekt. Die Zukunft gehört aber der digitalisierten Elektronik. Das heißt: Wenn wir unsere Versuche weiter ausbauen, dann können wir Räume digital speichern und reproduzieren.“

Von der elektronisch-digitalen Speicherung hatte Braun eine gute Halbbildung: Schließlich arbeiteten sie mit einer teildigitalisierten Fernsehtechnik. Rechnergesteuert, auch wenn der Zuschauer das überhaupt nicht mitbekam. Flatterfernsehen nannte er das immer abschätzig, denn einem besseren Informationsfluss diente die Bilderschaukelei nicht. Nur dem sogenannten Augenkitzel. Dabei werden die einzelnen Bildpunkte des Fernsehens in digitalisierte Signale übersetzt. Ein Speicher lagert diese Informationen bis zum Abruf. Und dann kann man damit machen was man will, verzerren, verfremden, herumdrehen, von einem Rechner ganz anders verarbeiten lassen. Er konnte sich schon vorstellen, welche Möglichkeiten es gab.

Es konnten Bilder kombiniert werden, Reales und Gezeichnetes zusammengebracht. In der Reproduktion, und darin hatte der Vertreter der Firma mit Sicherheit recht, lag die Kunst. Wenn, dazu hatte im Moment der Reporter zwar keinen Beweis, lediglich Indizien, aber Fernsehbilder in Echtzeit, also in der Zeit in der sie tatsächlich abliefen, so zusammenzusetzen waren, wie das Programm es vorschrieb, dann konnten Fernsehbilder möglicherweise auch als die Grundlage von Hologrammen verwendet werden. Das Problem Simulation ließ sich somit auf das Problem der Geschwindigkeit und Kapazität eines elektronisch-digitalen Rechners reduzieren.

Er wusste, die Rechner der NASA, des amerikanischen Raumfahrtzentrums, verarbeiteten Millionen von Informationen in der Sekunde. Technisch war das Problem der Datenverarbeitung lösbar. Aber kein kommerzielles Unternehmen, das sein Geld in absehbarer Zeit wieder einspielen muss, könnte sich einen so großen Rechner leisten. Er hatte natürlich immer seinen eigenen, kleinen Computer im Kopf, der zu Hause seine Texte verarbeitete. Er versuchte sich vorzustellen, wie es denn sei, viele dieser kleinen Einheiten parallel zu schalten, hintereinander, miteinander kommunizierend. Warum sonst sollte der Verkauf auch von relativ kleinen Rechnern, die man bei uns in jedem besseren Laden bekommen kann, in den Ostblock verboten sein? Könnten durch Kombination bessere Ergebnisse erreicht werden? Er war noch immer auf der Suche nach Bildern und Beweisen für seine Theorie. Mehr war es im Moment noch nicht. Oder sollte alles nur Einbildung sein, eine fixe Idee, Mögliches, aber noch nicht Reales?

„Die Reproduktion ist die Beherrschung an sich. Wenn wir reproduzieren können, können wir auch verändern, wer verändern kann, der kann auch erschaffen. Sie sehen, wir begeben uns auf philosophische Ebenen. Der Naturwissenschaftler, also der Techniker, steht jedoch nicht alleine da. Was aus seinen Errungenschaften, seinen Entdeckungen gemacht wird, entscheidet nicht er alleine. Lesen Sie Dürrenmatt, oder Platon, wenn Ihnen die Alten lieber sind. Technik ist angewandte Philosophie, nur haben dies die meisten Techniker, auch die studierten, noch nicht begriffen.“

Er schwieg, musste wohl über das Gesagte selbst nachdenken, ließ vielleicht auch eigene Fehler und Versäumnisse an sich vorüber gleiten.

Langsam kroch Braun die Angst den Rücken herauf. Neben ihm saß ein Mann, dem zwar das Problem seiner Naturwissenschaft bewusst war, der es aber für sich, für seine Arbeit nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Da stellen sich Techniker und Kaufleute hin und benehmen sich wie der liebe Gott. Reproduktion, so hatte der Mann neben ihm eben gesagt, ist Beherrschung. Der Knall der ersten Atombombe dokumentierte den Herrschaftsanspruch der Vereinigten Staaten. Das erste Fernsehbild, den Eintritt von Fremden in das heimische Wohnzimmer. Einer der vielen Schritte zur Zerstörung von Familien. Simulation als Vortäuschung eines besseren Lebens, einer gesunden Umwelt. Nur die Nachbarn stören noch. Damit zieht sich ein jeder in seine eigene, kleine Schachtel zurück. In seine eigene, kleine Welt. Was draußen passiert, was andernorts mit Sachen, Pflanzen, Lebewesen gemacht wird, interessiert bald niemanden mehr. Keiner wird was merken. Es ist niemand dabei. Simulation als Voraussetzung zum ungehemmten Machtgebrauch. Ablenkungsmanöver hin zum Unwichtigen. Amüsement als Ermächtigungsgesetz. Die Soziologen werden darüber in zehn Jahren Bücher schreiben, die außer Soziologen keiner lesen wird. Vielleicht aber auch erst viel später. Der Plan war nicht neu, aber genial in seiner Einfachheit. Eine gesellschaftliche Innovation. Und das perfide war zudem, dass sich keiner beschweren konnte, hinterher, wenn das Chaos beschert war. Denn das, was im Kleinen, im versteckten draußen passierte, wurde in der Simulation, in seinem extremsten Ausmaß ununterbrochen vorgeführt. Als Unterhaltung. Der Schrecken der Realität reduziert auf die Bedürfnisse der Angstlust. Irgendwie würden sich alle wohl schon noch dran gewöhnen. Der Mann hatte Unrecht: Nicht die Reproduktion selbst ist Beherrschung an sich, sondern die Reduktion des Schreckens in erträgliche Bröckchen ist die Macht über Ängstliche. Auch Braun griff jetzt ernsthaft zum Alkohol.

„Sehen Sie, früher haben wir Hologramme auf Glasplatten geprägt und dann mit besonderem Licht in den Raum gebracht. Wenn Sie von dieser Glasplatte ein Stück abbrachen, dann fehlte nicht etwa ein Stück des Bildes. Das Bild war noch vollständig vorhanden. Nur die Schärfe, die Brillanz, also das Auflösungsvermögen des Trägers hatte sich verschlechtert. Was kann man daraus lernen? Es ist doch ebenso wie in der Philosophie. In jedem kleinen Stückchen steckt das Ganze. Wenn nur wenige Stückchen da sind, dann ist das Ganze zwar vorhanden, aber eben noch sehr undeutlich. Das führt leicht zu Missdeutungen, Misstrauen und so weiter. Dann wird vieles falsch verstanden, aus Unwissenheit oder auch aus Ignoranz. An diesem Punkt sind wir heute. Mit Technik können wir heute fast alles machen: Kraftwerke, zum Mond fliegen, warum also nicht auch eine bessere Welt.“

Eine bessere Welt! Braun konnte diesen Satz nicht mehr hören, denn er ist meistens gelogen, fast immer. Wodurch wird die Welt denn besser? Doch nicht dadurch, dass Technik Fortschritte macht, dadurch, dass Menschen sich ablenken lassen von Wichtigem. Auch er gehörte zu den Misstrauischen, den Unwissenden, den sogenannten Ignoranten. Er hatte dazu auch Gründe. Fast jede technische Neuerung die als heilsbringend für die Menschheit verkauft worden war, brachte Reichtum für Wenige, oft Bequemlichkeit für Viele, aber auch Untergang für Gewachsenes.

Industrie, Politiker, Interessengruppen und natürlich auch Zuschauer waren von solchen Meckerern wie ihm, Fernsehmann mit Zuschaltquoten, nicht begeistert. Er störte das normale Geschäft. Es war ein alter Spruch Brauns wenn er mit Kollegen in der Kneipe saß: „Auch die alten Monarchen hielten sich ihre Hofnarren. Sie durften die Wahrheit sagen, mussten unterhaltsam sein, ändern durften sie nichts. Alibifunktion heißt das heute. Und wir sind die bezahlten Hofnarren!“

Er hatte vergleichbare Erlebnisse schon selbst gehabt. Da war der große Chemiekonzern, der inmitten eines Wohngebietes mit giftigen Stoffen hantierte und Störungen im Betrieb immer als unbedeutende Zwischenfälle hinstellte. Das dauerte an, bis eines Tages ein Brand ausbrach und zwei Fässer mit Phosgen nicht mehr aus der Halle herausgebracht werden konnten. Die Feuerwehr kühlte die Fässer von außen mit Wasser, versuchte verzweifelt das Gebäude mit Schaum zu löschen. Die Katastrophe blieb aus. Die Leute der Umgebung husteten nur tagelang, zwei Feuerwehrleute mussten ins Krankenhaus. Der angrenzende Bach war vom Löschwasser verseucht. Der Tod für viele war jedoch nicht eingetreten. Danach ging die Firma in sich, stellte endlich die Gefährlichkeit der Stoffe fest und schloss den Produktionsbereich. Fünfzig Leute wurden entlassen. Unterschwellig wurde behauptet, die Presse sei schuld am Wegfall der Arbeitsplätze. aber gegen die Vertreter der Öffentlichkeit und der Presse könne sich keine Firma wehren.

Wenige Wochen später las Braun durch Zufall in einer Wirtschaftszeitung: Der Betrieb wurde im Ausland, in einem afrikanischen Entwicklungsland wiedereröffnet. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Billigere Löhne und weniger Umweltauflagen. Zur Einweihung war der Staatspräsident des Landes erschienen, einschließlich Leibgarde.

„Seitdem wir mit Lasern arbeiten, bringen wir holographische Abbilder in jeden beliebigen Raum. Wenn Sie wollen, können wir Abbilder der Hölle auf dem Petersplatz entstehen lassen, oder in Ihrem Wohnzimmer. Technisch ist das fast egal. Jetzt kommen die phänomenalen Entwicklungen der Computertechnik noch dazu. Wir machen Hologramme beweglich, machen sie farbig, stellen den Betrachter mitten hinein. Vergegenwärtigen Sie sich doch mal den Fortschritt: Sie gehen zu einem Architekten und wollen sich ein Haus bauen lassen. Weil Sie die Zeichnung nicht verstehen, macht der Ihnen ein Computerprogramm, schiebt es in den Rechner und Sie stehen mitten in Ihrer neuen Hütte, gehen umher, treppauf, treppab, fühlen sich wohl und kennen Ihr Haus, ohne dass es das Gebäude gibt. Sie glauben aber, dass es existiert, schließlich stehen Sie ja mitten drin. Vielleicht wollen Sie danach auch gar kein Haus mehr haben, sondern nehmen mit dem Computerprogramm vorlieb.“

Er lachte, zeichnete wohl vor seinem inneren Auge das Bild einer neuen Welt.

„Der Umbau ist dann später auch viel leichter! Neuen Chip in den Rechner und schon haben Sie ein neues Heim, eine neue Umgebung!“ Sein Blick schweifte in die Weite. „Aber da werden wir auch noch Lösungen finden.“

Es war gut, dass er eine Pause einlegte. Auch sein Zuhörer brauchte jetzt Zeit zum Nachdenken. Wieviel dieser Entwicklung war bereits Wirklichkeit? Was war bekannt, was noch geheim, oder einfach zu unauffällig in der Anwendung? Wer denkt heute noch an die Kuh, wenn er Milch trinkt, an Abfallberge, wenn er Flaschen fortwirft, beim elektrischen Rasieren an Verschwendung von Rohstoffen? Wer kennt überhaupt noch Ursachen und Wirkung? Gründe auch für eigenes Handeln?

Erklärungen bedürfen der Frage. Wird keine Frage gestellt, existiert auch keine Erklärung. Was hatte der verrückte Berliner noch vor wenigen Stunden auf dem Frankfurter Flughafen gemeint? Als Markoni die Radiowellen noch nicht entdeckt hatte, konnte auch niemand danach fragen. Wie aber könnten Erklärungen verlangt werden für Phänomene, die der Frager nicht kennen kann?

Die sanfte Stimme aus dem Lautsprecher teilte mit, dass soeben der Pol überflogen werde. Einige Passagiere sahen aus den Fenstern. Zu sehen war nichts. Wolken versperrten den Blick, eingetaucht in fahles Licht. Auch hier war der Überblick über das Ganze versperrt. Keine Möglichkeit Zusammenhänge erkennen zu können. Der Fluggast schlief. Alkohol und Anspannung hatten ihre Wirkung getan. Er schlief unruhig, zuckte, drehte sich, murmelte. „Alpträume reinigen die Seele“. So hatte eines der Yellow-Press-Blätter einmal einen Hellseher zitiert. Aber parapsychologische Themen waren offiziell für anerkannte Journalisten tabu. Handfest mussten die Fakten schon sein, und beweisbar.

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