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Es war eine dieser so häufigen Feiern, an denen nichts stimmte. Es wurden Reden gehalten, die von Anfang bis Ende erstunken und erlogen waren. Vielleicht mit Ausnahme des Namens des Angesprochenen. Man machte sich gegenseitig Komplimente und behielt die Beschimpfungen, die man stattdessen gerne ausgesprochen hätte, diskret im Hinterkopf. Es gab ein großzügiges Geschenk und den heimlichen Ärger darüber, dass so viel Geld sinnlos hinausgeschmissen wurde. Besonders deshalb, weil niemand den Beschenkten so schätzte, dass er ihm mehr als beispielsweise ein Karamellbonbon geschenkt hätte. Nicht, dass man mit dem aufgewendeten Geld vielleicht besser eine gute soziale Tat hätte setzen können. Der Ärger – oder war es Neid? – blühte deswegen, weil der eigene Bonus dafür umso höher ausfallen hätte können. Da aber alle Beteiligten ihre bösen Gedanken gekonnt verbargen – das hatte man ja jahrzehntelang geübt – und die zur Schau getragenen Mienen freundlich und fröhlich – ebenfalls lange trainiert – waren, wurde es eine nette Feier. Sehr nett! Bis ...

Aber von Anfang an!

Dramatis personae:

Honorarkonsul Dr. Ferdinand Klein, hinter seinem Rücken respektlos der „kleine Ferdl“ oder auch „kurze Ferdl“ genannt. Kurz und klein sozusagen. Was nicht nur eine Anspielung auf seinen Namen, sondern auch auf seine Größe beziehungsweise Kleinheit von schlappen 165 cm war. Seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Amicus-Versicherung AG. Zumindest noch bis zu seinem Pensionierungstermin in drei Tagen. Jahrelang hatte er sich erfolgreich gegen diesen ihm nun aufgezwungenen Schritt gewehrt, lästigen Möchtegern-Nachfolgern elegant das Bein gestellt, sich mit den Aufsichtsräten und vor allem dem Vorsitzenden dieses wichtigen Gremiums ebenso häufig wie regelmäßig zu vertraulichen Mittagessen getroffen (natürlich auf Kosten der Amicus-Versicherung, da ging es ja nicht um Privates!) und Intrigen nicht nur abgewehrt, sondern auch selbst fein gesponnen. Der Riss in dem fein gewebten Netz war entstanden, als vor einem halben Jahr sein alter Freund und Kampfgefährte Alfons Erhard als Aufsichtsratsvorsitzender überraschend zurückgetreten war. Mit der lächerlichen Begründung, mit seinen 76 Jahren noch etwas vom Leben haben zu wollen. Das war vermutlich eine Idee seiner Frau gewesen! Und was hatte er gehabt? Drei Monate später hatte ihn ein Herzinfarkt dahingerafft. Wahrscheinlich hatte dem Herzen die tägliche Herausforderung gefehlt. Wäre ihm sicher nicht passiert, hätte er sein erfülltes Leben als Mitglied mehrerer Aufsichtsräte und davon einigen Vorsitzen weitergeführt. Klein hatte den gleichaltrigen Erhard in der Jugendorganisation der Partei kennengelernt, in die sie noch als Schüler ungefähr zur selben Zeit eingetreten waren. Sie waren von Beginn an ein Herz und eine Seele gewesen und hatten über viele Jahrzehnte ein berühmt-berüchtigtes Duo gebildet, immer bereit, etwas Unruhe in die Parteistrukturen zu bringen. Vor allem dann, wenn es dadurch etwas abzusahnen gab. Das war aber nur das, was man ihnen böswillig nachsagte. Selbstverständlich war ihr Handeln immer nur vom Wohle der Partei diktiert. Denn wenn die Klügeren immer nachgeben regieren irgendwann die Dummen die Welt. Und ganz selbstverständlich hatten beide ihre Karrieren nur, und zwar ausschließlich, ihren Fähigkeiten und ihrer Tüchtigkeit zu verdanken.

Wo waren wir gerade? Ach ja, bei den Teilnehmern an der netten Feier, deren Hauptperson also der kleine beziehungsweise kurze Ferdl, pardon, Honorarkonsul Dr. Ferdinand Klein war.

Dann war da Alfons Aichberger, Nachfolger des Alfred Erhard als Aufsichtsratsvorsitzender und demgemäß der Lobredner bei dieser Feier. Das sonst übliche lateinische Wort „Laudator“ wäre in diesem Fall eher unpassend. Aichbergers schulische Laufbahn beschränkte sich auf das Minimum der zu absolvierenden Schulpflicht. Lerneifer und Wissensdurst waren weder in der Volksschule noch in der Hauptschule seine herausragenden Eigenschaften gewesen. Was ihm an Schulbildung abging (und das entsprach auch einem nicht unbeträchtlichen Teil der durchschnittlichen Allgemeinbildung) machten seine Bauernschläue und die ihm angeborene Fähigkeit, Menschen zu durchschauen und daher bei Bedarf auch manipulieren zu können, mehr als wett. Klein hielt diesen Aichberger übrigens für einen der schweren Fehler in seinem Leben. So ein Fehler, für den man sich in den Hintern beißen könnte vor Wut! Vor Jahrzehnten hatte er diesen ungebildeten, aber nichtsdestoweniger geschickten (und daher vielleicht einmal brauchbaren) Parteifreund gefördert und bei erster Gelegenheit hatte dieser Ausbund an Charakterlosigkeit die Hand gebissen, die ihn fütterte. Ausgesprochen dumm gelaufen!

Zwanglos nach der mühsam erkämpften Rangordnung war der nächste Teilnehmer an diesem geselligen Beisammensein Kurt Sichrovsky. Designierter Nachfolger von Klein. Zwar auch Parteimitglied hatte er sich dort vornehm im Hintergrund gehalten und sich darauf konzentriert, als Vorstandsmitglied für Finanzen und Personal seine Machtbasis in der Amicus AG zu zimmern. Bei passenden Gelegenheiten vergaß er auch nie zu erwähnen, dass er im Gegensatz zu Klein mit dessen 76 und Aichberger mit auch nicht mehr taufrischen 63 Jahren als 56-Jähriger die neue Managergeneration verkörpere. Zwar parteinahe, aber eben Manager. Also nicht wie früher einmal einer der großen (zumindest breiten) Vorsitzenden gesagt hatte „Ohne Partei bin ich nichts!“, sondern eben ein Mann mit Fähigkeiten. Zumindest im sehr positiv gesehenen Selbstbild. Das Fremdbild interessierte ihn sowieso nicht im Mindesten.

Weiters Dr. Paul Breiteneder, Absolvent der Wirtschaftsuniversität, Vorstandsdirektor für Vertrieb und Organisation. Zwar auch Parteimitglied, aber in dieser eher eine Randfigur. Mitläufer. Vielleicht hätte er Aichberger gegenüber auch nicht durchblicken lassen sollen, dass er ihn für einen ungebildeten Trottel hielt. Sehr ungeschickt! Aber passiert ist eben passiert. Und Wahrheit zu verkünden mag zwar edel sein, kommt aber nicht immer so wirklich gut an.

Das wären die wichtigsten Teilnehmer der Feier. Doch halt! Den guten Geist des Generaldirektors sollten wir noch erwähnen. Da war noch Frau Barbara Richter, seit vielen Jahren Sekretärin bei Dr. Klein. Böse Zungen hatten des Öfteren behauptet, Klein wäre ohne die Richter sowieso hilflos. Dass sie den großen Überblick hatte konnte man ihr jedenfalls nicht absprechen. Zu ihrem Leidwesen fühlte sie sich zwar mit 49 nicht mehr ganz jung, war aber doch nicht alt genug, um gleichzeitig mit Klein in Pension zu gehen und die Aussicht, Sichrovsky als neuen Chef zu haben, bereitete ihr jetzt schon Magenschmerzen.

Der geschwätzige Rest ist zwar nicht Schweigen aber unbedeutend. Einige Aufsichtsräte, welche die Gelegenheit eines guten Buffets nutzten, Präsenz zu zeigen. Ein paar wenige Abteilungsleiter, treue Vasallen teils von Klein teils von Sichrovsky und schließlich zwei nett anzusehende junge Damen, die Getränketabletts durch den Raum tragen sollten, sobald das Buffet eröffnet war.

Soweit also der Kreis des Laienensembles im Stück „Verabschiedung des Vorstandsvorsitzenden“.

Kommen wir nun zur Veranstaltung selbst. Oder vielleicht noch ein bisschen davor. Um 14:45 Uhr – der Beginn der Feierstunde war mit 15:00 Uhr angesetzt – betrat Barbara Richter das Zimmer von Dr. Klein. Ohne anzuklopfen, das war eines ihrer Privilegien. Der Herr Generaldirektor schien in irgendwelche Unterlagen vertieft, aber Richter wusste, dass es sich nur um unwesentliche Papiere handelte. Immerhin hatte sie ihm diese selbst am Vormittag auf den Schreibtisch gelegt.

„Herr Doktor, wollen Sie sich nicht noch ein wenig entspannen? Ihre Verabschiedungsfeier beginnt in einer Viertelstunde, die ersten Gäste werden bald erscheinen.“

Klein zuckte zusammen als hätte ihn eine Ohrfeige getroffen. Seine Gesichtsfarbe, normalerweise ohnehin von der Tönung eines ausgebleichten Pergaments, tendierte heute zum Aussehen von gelblichem Altpapier. Nicht nur farblich, auch von den Knittern her.

„Ist es schon so weit?“ Trotz aller Bemühung um Contenance war ein leicht weinerlicher Unterton nicht zu überhören.

„Darf ich Sie etwas fragen, Frau Richter? Ich meine, etwas Persönliches.“

„Natürlich, Herr Doktor! Ich weiß nur nicht im Vorhinein, ob ich darauf antworten kann.“

„Wie war ich als Chef? Haben Sie mich geschätzt? Haben Sie zu mir aufblicken können?“

Barbara Richter musste sich ein Lachen verbeißen. Mit ihrer Größe von 175 cm hatte sie auf den 165 cm kurzen Klein immer herabgesehen. Und Führungspersönlichkeit war er nie gewesen. Wenn sie es recht bedachte, hatte viele Entscheidungen eigentlich sie selbst vorbereitet oder in Wirklichkeit getroffen. Eigentlich ein Wunder, dass Klein‘s Halswirbelsäule vom vielen Abnicken keinen ernsten Schaden genommen hatte.

„Ich habe es gut getroffen“, lautete ihre diplomatische Antwort, mit der sich Dr. Klein zufrieden gab.

Wieder wurde die Tür ohne Anklopfen geöffnet. Sehr zum Missfallen von Frau Richter. Kein Mensch hat heute mehr Manieren! Alfons Aichberger, Aufsichtsratsvorsitzender und im Hauptberuf Finanzstadtrat betrat das Zimmer. Oder war sein Hauptberuf Politiker? Rechnen war nämlich in den acht Jahren seiner Schulbildung nicht gerade sein Favorit gewesen. Aber dafür hatte er ja jetzt seine Beamten. Gut, also halten wir abseits von der Berufsfrage fest, Aichberger war Aufsichtsratsvorsitzender, Politiker und Stadtrat für Finanzen in der Bundeshauptstadt Wien. Zustand, seine Tätigkeiten – oder auch was er vielleicht hätte tun sollen, es aber aus welchen Gründen auch immer unterließ – interessieren uns im Moment nicht.

„Servas Ferdl!“, röhrte er mit seiner kräftigen, wahlredenerprobten Stimme. „Host scho nochdenkt, wos’d in Zukunft mit deiner reichlichen Togesfreizeit mochen wirst?“

Nichts mit Entspannung, dachte Frau Richter beim Anblick des sich deutlich verkrampfenden Klein. Vor allem, weil sie schon vor längerer Zeit die Frau ihres Chefs kennengelernt hatte. Eine füllige Matrone, einen Kopf größer als ihr Mann und ihm gegenüber genauso dominierend wie das Verhältnis der beiden in Größe und Gewicht. Die Verwendung seiner Tagesfreizeit würde der Entscheidung des armen Ferdinand zweifellos entzogen werden.

Aichberger wartete keine Antwort ab und ignorierte die messerscharfen Blicke des Dr. Klein. Was heißt messerscharf, diese Blicke hatten schon die Qualität eines atomaren Erstschlages!

„Frau Richter, der gute Geist und die Seele dieses Ladens hier! Küss die Hand!“, wandte sich Aichberger der Sekretärin zu. „Sie bleiben uns ja erhalten! Ham sich mit ihrem neuen Chef scho vertraut gmocht? In allen Ehren, natürlich! Ah, do kummt er jo.“

Barbara Richter war froh, nicht antworten zu müssen. Dr. Klein und sie hatten unterschiedliche Gründe, aber sie waren einer Meinung, dass Aichberger ein widerlicher Kerl war.

Kurt Sichrovsky betrat soeben den Raum und lenkte damit Aichbergers Aufmerksamkeit auf sich.

„Kurtl, no wie fühlt ma si so am Sprung vom ersten Bootsmann zum Käpt’n? Blosen host jo imma scho gnua, wird do jetzt a a frischer Wind wahn?“. Mit seinem röhrenden Lachen begleitete Aichberger den in seinen Augen grandiosen Scherz. Dass niemand mitlachte entging ihm entweder oder es war ihm egal. Wurscht, wie man in Wien so sagt. Herzlich wurscht!

Auf ein Klopfen an der Tür öffnete Barbara Richter, zwei junge Damen in adretter Serviererinnen Adjustierung schoben zwei fahrbare Tische mit Brötchentabletts und Getränken herein.

Es fehlten nur mehr wenige Minuten bis 15:00 Uhr. Dr. Klein schloss resigniert die Mappe mit den ohnehin unwichtigen Papieren, deren Inhalt er sowieso schon vergessen oder erst gar nicht geistig aufgenommen hatte. Aichberger betrachtete angelegentlich das Buffet und bot alles an Selbstbeherrschung auf, sich nicht schon jetzt ein Brötchen in den Mund zu schieben. Barbara Richter nahm ihrem Noch-Chef die Mappe ab, verließ den Raum und ging zu ihrem Schreibtisch, in dem sie das Geschenk für Dr. Klein verwahrt hatte. Versonnen öffnete sie die würfelförmige Holzkassette. Aichberger und Sichrovsky hatten sich – selbstverständlich auf Kosten der Amicus AG – nicht lumpen und eine außergewöhnliche Uhr für den zukünftigen Pensionisten einkaufen lassen. Die massiv goldene „Senator“ aus der berühmten Uhrenfabrik Glashütte trug die Produktionsnummer 0047 und lag dekorativ um ein kleines Polster in der Holzkassette. Samt Echtheitszertifikat, wie es sich für ein solch wertvolles Stück schon gehört.

„Lassen Sie mich das gute Stück mal näher anschauen!“

Barbara Richter schrak zusammen. Von ihr unbemerkt war ihr Sichrovsky gefolgt und stand nun hinter ihr. Kommentarlos hob sie die Holzkassette in seine Richtung, aber so genau schien die Uhr Sichrovsky doch nicht zu interessieren.

„Was halten Sie von unserem hochgeschätzten Aufsichtsratsvorsitzenden? Mit dem werden wir noch viel Freude haben!“

„Wenn, dann Sie, Herr Sichrovsky“, versuchte Barbara Richter dieser Situation zu entkommen. „Ich bin da nur ein kleines Rädchen im Getriebe.“

„Frau Richter, ich bitte Sie! Stellen Sie ihr Licht nicht so unter den Scheffel! Ich bin absoluter Anhänger des Teamgedankens und wir beide werden ein gutes Team bilden, davon bin ich überzeugt. Jeder in seiner Rolle!“. Ein Kommunikationsberater hätte Sichrovsky sagen können, dass es ihm grandios gelungen war, mit dem letzten kurzen Satz aus vier Worten alles vorher vielleicht positiv Gemeinte zu zertrümmern. Aber sein Selbstbewusstsein war von jeher mit einer gewissen Beratungsresistenz Hand in Hand gegangen.

„Wissen Sie was, wir werden dem famosen Herrn Aichberger einen kleinen Streich spielen. Nehmen Sie die Uhr heraus und nehmen Sie nur die leere Kassette mit hinein. Wollen wir doch schauen, wie er bei der Übergabe reagiert, wenn die Kassette leer ist!“

„Aber …“

„Nichts da, machen Sie nur, wir müssen sowieso hinein. Es beginnt gleich.“

Barbara Richter war nicht leicht zu schockieren, jetzt war es fast so weit. Sie hielt Sichrovskys Idee für einen ausgemachten Unsinn. Aber jetzt schon deswegen einen Konflikt anzetteln?

Offen wollte sie die wertvolle Uhr nicht herumliegen lassen, also nahm sie vom Altpapierkorb ein großes Kuvert, steckte die Uhr hinein und legte das Kuvert wieder zurück. In den Altpapierkorb. Immerhin drängte die Zeit, Sichrovsky verschwand soeben im Zimmer des Generaldirektors und Barbara Richter bemühte sich, nicht zurückzubleiben.

Eine der Servierdamen hatte, wie es ihr aufgetragen worden war, die auf den Gang führende Türe des Allerheiligsten, also des Zimmers des Vorstandsvorsitzenden geöffnet und den Hinweisständer auf diese wichtige Veranstaltung aufgestellt. Diesem Hinweis folgend waren inzwischen mehrere honorige Herren am Ort der Feier eingetroffen. Aus unterschiedlichen Motiven. Zwei Mitglieder des Aufsichtsrates, die sich das Buffet nicht entgehen lassen wollten. Vier Abteilungsleiter. Einer davon, weil er Dr. Klein wirklich schätzte. Warum auch immer. Die anderen drei, weil sie die Gelegenheit nutzen wollten, mit dem neuen obersten Chef näher in Kontakt zu kommen. Karrierearbeit ist eben nicht einfach.

Wenn auch für die Brötchen noch eine gewisse Wartezeit angebracht war hatte Aichberger doch veranlasst, dass jede im Raum anwesende Person mit einem Glas Sekt versehen war. Schließlich wollte man doch mit Dr. Klein auf seinen Freudentag anstoßen. Pünktlich um 15:00 Uhr begann der Vorstandsvorsitzende mit seiner Rede. Für seine Verhältnisse fiel sie übrigens mit 17 Minuten Dauer geradezu extrem kurz aus.

Natürlich gibt es bei einer solchen Rede keine Bewertung, aber wenn wir einmal einen Blick in die Köpfe der Anwesenden werfen ergibt sich ein interessantes Bild. Eine Person (Aichberger selbst) empfand die Rede als launig und nett. Etwa ein Drittel der Zuhörer vergab die Einstufung „blabla“, ein weiters Drittel wertete sie als primitiv und das restliche Drittel als peinlich.

Na ja, so interessant ist das Bild auch wieder nicht, schaut eher nach weit verbreitetem Standard aus.

Während einer Rede eines Vorstandsvorsitzenden steht die Welt ja nun wirklich nicht still und der Betrieb in der Amicus AG schon gar nicht. Und da gehört viel dazu. Viel Wichtiges, aber auch viel Routine. Eine dieser regelmäßigen Aktivitäten oblag der Putzfrau Bogdana Matijovic, die einmal wöchentlich das vertrauliche Altpapier einzusammeln und zur geordneten Vernichtung zu bringen hatte. Pflichtbewusst betrat sie also während der Rede Aichbergers das Sekretariatszimmer und leerte den Altpapierkorb. Dabei fiel ihr auf, dass in einem Kuvert ein harter Gegenstand steckte. Eingedenk ihrer Einschulung, dass nur Papier zur Vernichtung gelangen durfte steckte sie das Kuvert in die Tasche ihres Arbeitsmantels, verließ das ohnehin verwaiste Sekretariat und setzte ihre Runde fort.

Aichberger hatte also seine Rede beendet. Launig wie immer griff er zu der hölzernen Uhrenkassette. „So, Herr Jungpensionist! Dass du immer weißt, was die Stunde geschlagen hat haben wir dir einen netten Zeitmesser als Erinnerung gekauft.“

Mit diesen Worten öffnete er die Kassette. „Oha, do is jo gor ka Uhr drin!“

Barbara Richter war schon ins Sekretariat gegangen, um die Uhr zu holen. Nun kam sie mit kreidebleichem Gesicht zurück, flüsterte Sichrovsky ein paar Worte ins Ohr und stürzte dann mit einem Aufschluchzen wieder hinaus.

Sichrovsky war nur ganz kurz verlegen. „Herr Aichberger, Frau Richter hat die Uhr aus Sicherheitsgründen getrennt von der Kassette aufbewahrt und hat mir gerade mitgeteilt, dass sie jetzt verschwunden ist. Ich schlage also vor, dass sie im Moment die Uhr nur symbolisch in Form der Kassette übergeben. Wir werden das Verschwinden der Uhr aufklären und sie dann nachreichen.“

„Jo, so moch ma des, oba wissts eh, ohne Aufsehen und ohne Polizei und so weiter. Sichrovsky, mir wern jo irgendwem do im Haus hobn, der si um des kümmern kann! Oder net?“

„Genau das habe ich mir auch gedacht, Herr Aichberger. Ich denke da an Herrn Sagmeister, unseren Leiter der Innenrevision, ein tüchtiger Mann!“

„Na gut, hätt ma des auch besprochen. Aber jetzt, Alles Gute Ferdl! Auf viele schöne Jahre in deiner Pension! Prost!“

Allgemeines Anstoßen. Dr. Klein schien von der Bedeutung des Augenblickes ergriffen. Oder verärgert? Jedenfalls verzichtete er darauf, irgendetwas Passendes oder Unpassendes zu sagen. Aber eigentlich kam er auch gar nicht dazu, denn mit einem fröhlichen „Das Buffet ist eröffnet“ leitete Aichberger zu dem Teil über, der ihm ohnehin mehr am Herzen lag. Er zögerte daher nicht lange, griff sich einen Teller und belud diesen mit einigen Brötchen. Also, was man eben auf so einem kleinen Teller gut geschlichtet unterbringt.

Sichrovsky hätte gerne Frau Richter angewiesen, Herrn Sagmeister kommen zu lassen. Da diese aber nirgends zu sehen war beauftragte er einen der dienstbeflissenen Abteilungsleiter, sich darum zu kümmern.

Sichrovsky war mit dem Ablauf der Ereignisse einigermaßen zufrieden. Die Richter würde ihm noch erklären müssen, wie es dazu kommen konnte. Lächerlich, eine Uhr nicht ein paar Minuten so aufzubewahren, dass sie nicht abhandenkommen konnte. Und wo war sie selbst eigentlich? Immerhin hatte er diese leidige Sache der verschwundenen Uhr mit Aichberger halbwegs elegant hingekriegt, die Feier war ganz gut verlaufen, seine Rolle als neuer Generaldirektor kam sichtlich in den Hirnen der Leute an und den Erbsenzähler von der Innenrevision würde er sich in den nächsten Tagen noch speziell zur Brust nehmen.

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