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Peter Sagmeister war seit knapp drei Jahren Leiter der Innenrevision. Vor seiner Zeit war „Erbsenzählerverein“ unter den Mitarbeitern der Amicus AG der gängige Sprachgebrauch für diese wichtige Einrichtung gewesen. Wiewohl die Versicherungsbranche relativ wenig mit Hülsenfrüchten zu tun hat. Ja, schon, die Ernteversicherungen der Bauern, aber da werden auch nicht einzelne Erbsen gezählt.

Von Beginn an hatte Sagmeister unermüdlich gepredigt, dass er die Rolle der Innenrevision anders als üblich sehe, was ihn bei vielen in den oberen Rängen der Hierarchie gleich mal verdächtig erscheinen ließ. Nicht die des Beckmessers, der Fehler zählt, sondern eine helfende, eine Rolle einer Art unternehmensinternen Unternehmensberatung. Oha, was ganz Neues!

Viel Überzeugungsarbeit erst einmal bei seinen vier Mitarbeitern. Ist ja nicht so einfach, vom „Auf die Finger klopfen“ wegzugehen und auf einmal argumentieren zu müssen, wie es vernünftiger geht. Wo kommt man denn da hin?! Na gut, zwei ließen sich davon nicht überzeugen und wanderten in andere Abteilungen ab. Dafür hatte er Ersatz bekommen, Magistra Elisabeth Olbrich, eine „frisch Gfangte“ – wie man in Wien zu sagen pflegt, wenn jemand nach Abschluss einer Ausbildung ins Berufsleben eintritt – Absolventin der Wirtschaftsuniversität und einen männlichen Kollegen namens Roderich Hagenmüller, bisher Schadensreferent. Beide jung, 24 die Dame und 26 der Herr, engagiert und ganz auf Sagmeisters Linie.

Auch in den anderen Abteilungen der Amicus AG hatte seine Philosophie Anklang gefunden. Macht ja schon was her, wenn da einer nicht sozusagen von Amts wegen recht hat, sondern auf das eingeht, was man selbst denkt. Am wenigsten positiv war das noch beim obersten Chef Dr. Klein angekommen, der ihm sogar einmal empfohlen hatte, seinen Job ordentlich zu machen. Ohne dieses ordentlich irgendwie zu konkretisieren. Oder vielleicht überhaupt konkretisieren zu können? Aber der kurze Ferdl war ja ohnehin so gut wie Geschichte.

Peter Sagmeister war also mit dem Leben und seiner Arbeit durchaus zufrieden. Überdies sah er heute einem Heurigenabend mit zwei alten Freunden entgegen und war soeben dabei, seinen Arbeitstag zu beenden und sich gebührend auf diesen erfreulichen Abend einzustimmen. Wozu nicht ganz das Läuten des Telefons passte. Fast reflexartig hob Sagmeister ab und verfluchte sich umgehend für diesen Fehler. Am Apparat war Engelbert Weiss, der Abteilungsleiter der Buchhaltung, ein begnadeter Pedant, staubtrocken wie Saharasand, hundertprozentig humorbefreit, ein Mensch, der Sagmeister immer schon unsympathisch gewesen war. Was nebenbei gesagt intensiv auf Gegenseitigkeit beruhte. Und von einem Engel hatte der schon gar nichts! Eher etwas von einem Türsteher zur Vorhölle. Viel weiter hätte es wahrscheinlich da unten auch nicht gereicht, da es ja in der Hölle angeblich lustig zugehen soll. Und zum Lustig sein fehlten ihm, wie schon erwähnt, die wichtigsten Anlagen.

„Gehn’s Herr Sagmeister, kommen’s auf Weisung von Herrn Generaldirektor Sichrovsky schnell mal ins Büro vom Generaldirektor! Wir haben da was für Sie. Und es ist wichtig und dringend!“. Muss wirklich ganz dringend sein, dachte Sagmeister, wenn Weiss nicht einmal die Zeit zu grüßen fand. Oder war das nur ein Ausfluss seiner schlechten Manieren?

„Ihnen auch einen guten Tag, Herr Weiss!“ Zu mehr kam er nicht, da hatte dieser schon aufgelegt.

Wenn Kleins Nachfolger Sichrovsky ‚dringend und wichtig‘ nach ihm verlangte konnte das nur Unangenehmes bedeuten.

Trotzdem räumte er noch in aller Ruhe seinen Schreibtisch auf und begab sich dann gemächlich um zwei Stockwerke tiefer. So viel Zeit zum Überlegen durfte er sich schon nehmen. Vielleicht könnte er sich noch schnell von Kleins Sekretärin Barbara Richter ein paar Hintergrundinformationen holen, mit ihr hatte er sich immer gut verstanden.

Aber im Sekretariat wartete schon Engelbert Weiss und keine Frau Richter war zu sehen. Aus dem Zimmer von Klein, jetzt bald das von Sichrovsky drang Stimmengewirr. Ach ja, die Abschiedsfeier! Peter Sagmeister war zwar auch eingeladen gewesen, hatte sich aber entschuldigt. Der Heurigentermin mit seinen Freunden war da eindeutig die angenehmere Veranstaltung gewesen.

Mit den Worten „Warten Sie, ich hole Sichrovsky heraus, er will mit Ihnen allein sprechen“, verschwand Weiss und wenig später kam Sichrovsky aus dem Generaldirektorzimmer in das Sekretariat und überschüttete, ebenfalls grußlos, den hierher Zitierten mit seiner Geschichte.

Unangenehme Situation, das Abschiedsgeschenk für Dr. Klein sei verschwunden, Frau Richter übrigens auch. Die Sache solle in Absprache mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden diskret untersucht und nach Möglichkeit das Abschiedsgeschenk wiedergefunden werden. Frau Richter übrigens auch. Ach ja, es handle sich um eine wertvolle Uhr der Marke Glashütte, die Rechnung und das Echtheitszertifikät liegen ja noch da auf Frau Richters Schreibtisch, die Schatulle dazu habe Dr. Klein symbolisch für die Uhr bekommen. Und, bitte, keine Polizei! Sollte sich die Uhr nicht wieder finden lassen sei abgesprochen, dass sie von der Amicus AG ersetzt werde.

Geneigter Leser! Dieser Roman spielt in Wien und es scheint daher angebracht, einen kurzen Ausflug in die wienerische Sprachlehre zu machen. In der Wiener Umgangssprache gibt es die Vorsilbe Scheiß-, die nicht unbedingt ordinär ist. Ja gut, manchmal schon. Sie drückt aus, dass das beigefügte Wort zwar eine grundsätzliche Bedeutung hat, aber eher das Gegenteil wahr ist. Im „Wörterbuch des Wiener Dialekts“ von Julius Jakob (herausgegeben – und das möge man sich auf der Zunge zergehen lassen – in der Editrice „Casa del Libro“ des Dott. Gustavo Brenner, Cosenza1961. Für Leser, deren Geographieunterricht schon länger zurückliegt: Cosenza liegt in Kalabrien, also relativ weit weg von Wien.) werden übrigens ganze 15 Worte mit dieser Vorsilbe angeführt. Mag für 1961 stimmen, inzwischen sind es gefühlt mindestens doppelt so viele.

Ist also beispielsweise jemandem etwas scheißegal so ist dies mitnichten unbedeutend. Sonst würde derjenige einfach sagen „Das ist mir egal“.

Ein anderer, geradezu klassischer Ausdruck ist, jemand ist scheißfreundlich. In vorher erwähntem Wörterbuch liest man dazu:

„scheißfreundlich – überfreundlich, oft in Verbindung mit Falschheit“

Ein anderes wichtiges Wort aus der Wiener Umgangssprache im Zusammenhang mit der Erzählung der aktuellen Gegebenheiten ist „Krätzn“. Abgeleitet von der Krätze, also einer unangenehmen und durchaus verzichtbaren Hautkrankheit bezeichnet es in Wien einen unangenehmen Menschen. Eben unangenehm wie die Krätze.

Ende des sprachlichen Exkurses

Sichrovsky erläuterte also Peter Sagmeister die Situation, der sich sofort dachte:

„Die Krätzn ist scheißfreundlich!“

Ostösterreicher werden das verstehen, für andere: „Der Ungustl macht auf liebenswert!“

Für unsere deutschen Freunde: „Dieser schlimme Mensch heuchelt ja nur!“

Auf die Übersetzungen bei den internationalen Ausgaben dieses Romans ist der Autor schon gespannt.

Für Peter Sagmeister war also klar, dass da etwas faul an der Sache war. Wenn Sichrovsky sich so freundlich gab – was seinem Wesen diametral widersprach – war anzunehmen, dass er selbst in irgendeiner Form am Problem beteiligt war. Ihn zu fragen in welcher Art war aber sicher sinnlos. Der erste Ansatz war wohl, Barbara Richter zu finden. Sagmeister konnte sich nicht vorstellen, dass sie die Uhr gestohlen hatte und sich auf der Flucht befand. Dazu kannte er diese immer korrekte Frau zu gut. Aber wo war sie?

Sichrovsky hatte ihn längst stehen gelassen und sich wieder in die Feier integriert. Nun gut, es war fast 17:00 Uhr, bei näherer Überlegung war heute ohnehin nichts mehr auszurichten. Der beste Zeitpunkt, seine Freunde beim Heurigen zu treffen.

Obwohl, der Abend war ihm irgendwie verdorben und auch seinen Freunden fiel auf, dass Peter erstens eher schweigsam war und sich noch dazu auch relativ früh verabschiedete. Anlass für ausgedehnte Spekulationen, wer wohl die neue Freundin sein mochte und wann man sie kennenlernen würde.

Als Peter Sagmeister seine Wohnungstüre aufsperrte saß dahinter sein langhaariger Kater Julio. Rassekater, Britisch-Kurzhaar. Nun ja, da war ein bisschen Zuchtfehler dabei, die langen Haare waren in der Rasse, Kurzhaar eben, nicht so richtig vorgesehen. Da aber bei der Zucht wegen der Fellqualität immer wieder mal Perser eingekreuzt werden schlägt halt gelegentlich der Perser durch. Was Peter aber egal war, auf Ausstellungen und zu Wettbewerben wollte er mit Julio sowieso nicht gehen, für ihn war Julio ein angenehmer Hausgenosse und oft auch guter Zuhörer, wenn Peter über irgendwelche Probleme sinnierte.

Heute, im Moment, aber nicht. Julio maunzte empört und sein Blick hätte eine Maus oder sonstiges Beutetier zur sofortigen bedingungslosen Aufgabe, wenn nicht Selbsttötung veranlasst. Mist, über die ganze Glashütten-Uhren-Richter-Geschichte hatte Peter vergessen, am Weg zum Heurigen kurze Station zu Hause zu Julios Abendfütterung zu machen.

Zwanzig Minuten später war der Friede wiederhergestellt. Julio lag eingeringelt neben Peter auf der Couch, der ihm, einen letzten Gespritzten vor sich, von der verschwundenen Uhr und den Begleitumständen erzählte. Vom CD-Player her klang die erste Symphonie von Gustav Mahler. Klassische Musik war ein fester Teil des Abendrituals Peter Sagmeisters.

Ob das Schnurren des Katers in irgendeinem Zusammenhang mit der Erzählung stand kann nicht sicher beantwortet werden. Vermutlich lassen sich aber seine Gedankengänge in etwa so zusammenfassen: ‚Ein wenig vergesslich war er ja schon immer wieder einmal, aber wenigstens lässt er mich nicht wirklich verhungern. Geschmeckt hat es heute auch wieder. Und offenbar hat er wieder irgendwelche Probleme, na hören wir es uns einmal an.‘

Sichrovsky beendete seinen Tag in Zufriedenheit und auch Peter Sagmeister fand den Tagesabschluss angenehm. Der Heurigenbesuch mit seinen Freunden war zwar weniger positiv verlaufen, aber im Zwiegespräch mit Kater Julio hatte er über die verschwundene Uhr, die an der Sache Beteiligten und seine nächsten Schritte einiges mehr an Klarheit gewonnen.

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