Читать книгу Glashütte - Peter Vogler - Страница 9

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Nachdem die Putzfrau Bogdana Matijovic das gesammelte vertrauliche Altpapier im Container für die Vernichtung untergebracht hatte war auch ihr Arbeitstag zu Ende. Beim Umziehen in der Garderobe fiel ihr wieder der Umschlag mit dem harten Gegenstand in die Hand, auf den sie schon vergessen hatte. Aha, eine Uhr! Sieht ja nett aus, kann aber nicht viel wert sein, wenn sie jemand mit dem Altpapier entsorgen wollte. Dachte zumindest Bogdana. Der nächste Gedanke war, dass ihr Neffe Ivko doch heute Geburtstag hatte, ein Wink des Schicksals, der würde sich sicher über eine hübsche Uhr freuen. Auch wenn sie nicht viel wert sein sollte. Aber egal, mangels eigener Kinder hing Bogdana an ihrem Neffen und wann immer sie ihm eine Freude machen konnte, tat sie es. Nicht dass dieser ihr es auch je gedankt hätte, aber das fiel ihr auch gar nicht auf.

Man sollte das nicht so negativ sehen. Es ist ja kein Einzelfall. Da kommt ein Mann vom Balkan nach Wien. Auf der Suche nach Arbeit und weil es ihm und seiner Familie besser gehen soll. Dann lässt er seine Familie nachkommen, auch die Frau arbeitet brav, der kleine Sohn wird in die Schule geschickt, er ist der ganze Stolz der Familie. Ja, er wird es einmal besser haben! Alle verhätscheln ihn. Aber leider geht da irgendwie die Erziehung unter.

Ivko Stojadinovic freute sich wirklich. Auch wenn er sicher war, dass seine Tante keine Ahnung hatte, was sie da verschenkt hatte. Aber Ivko hatte einen Blick dafür. Als geübter Kleinkrimineller konnte er ganz gut den Wert der Dinge einschätzen. Aber halt! Lassen wir dem guten Mann Gerechtigkeit angedeihen. Immerhin war er noch nie im Gefängnis gewesen. Nicht, dass er es nicht verdient hätte. Aber bei dem einzigen Taschendiebstahl, bei dem er bisher erwischt worden war, hatte ihn ein milder Richter mit einer Entschuldigung und Schadenswiedergutmachung davonkommen lassen. Seither war er bei seinen fast schon gewohnheitsmäßigen gesetzwidrigen Aktionen erheblich vorsichtiger gewesen und auch nie mehr ertappt worden.

Das Gold der Uhr schien ihm echt zu sein und die Nummerierung war ebenso ein Hinweis auf Echtheit und größeren Wert. Und natürlich, wer sich mit Uhren auskennt dem ist die Marke „Glashütte“ nicht fremd. Sicherheitshalber unterließ er es, seine Tante zu fragen, woher sie das gute Stück hatte. Erstens weil er sie nicht beunruhigen wollte und zweitens war es auf jeden Fall besser, nichts zu wissen, sollte sich je die Polizei dafür interessieren.

Trotz seiner reichen Erfahrung – ja, es waren bisher nicht nur Taschendiebstähle gewesen, im Rahmen seiner beruflichen Weiterentwicklung waren es nun mehrheitlich Einsteigdiebstähle gewesen. Einbrüche eher nicht, abgesehen von unbewohnten Sommerhäusern, davon aber nur wenige – hatte der gute Ivko aber doch seine Zweifel. Entweder war das vielleicht doch eine asiatische Fälschung und daher eher wertlos oder die Uhr war wirklich echt. Aber dann in einer Preisklasse, in die seine bisherigen Aktivitäten noch nie vorgedrungen waren. Diese offene Frage sollte allerdings auch kein Problem sein, Ivko hatte sich ein Netz an offiziellen und inoffiziellen Händlern für die verschiedenen Arten seines Beutegutes aufgebaut. Unter anderem Gezim Hajdari, ein Albaner, der in einem der stark von Zuwanderern durchsetztem Außenbezirke einen Schmuck- oder Altwarenladen betrieb. Nicht Ivkos bevorzugter Abnehmer, weil Gezim in seinen Augen sehr knausrig war. Unbestritten jedoch ein Fachmann für Schmuck und Uhren. Morgen würde er ihm die Uhr zeigen und er konnte sicher sein, dass diese mindestens das doppelte von dem wert war, was Gezim ihm bieten würde.

Auch an dieser Stelle ist ein wienerischer Exkurs notwendig:

Wien hatte um 1500 etwa zwanzigtausend Einwohner. Seither sind immer wieder, oft in Wellen, Menschen – Migranten – in diese Stadt eingewandert. Wien war ja immerhin lange Reichshaupt- und Residenzstadt eines großen Reiches, fast ein vereintes Europa. Und immer haben sich die Neuankömmlinge in bestimmten Stadtteilen konzentriert und wurden nach und nach, oft über Generationen, „echte“ Wienerinnen und Wiener. Halten wir also fest, mindestens achtundneunzig Prozent der Wiener haben Migrationshintergrund. Auch wenn die erste Generation der Zuwanderung schon ein wenig länger zurückliegen mag.

Aber es ist das Dilemma des Wieners, dass er sich in Wien immer als Fremder unter Fremden fühlt. Das ändert sich erst, wenn er im Urlaub beispielsweise am Strand von Lignano oder Thailand oder Mallorca auf andere Wiener trifft. Dann erst sind Wiener unter sich, auch wenn sie sich in Wien selbst vielleicht nicht ausstehen könnten.

Ende des wienerischen Exkurses.

Ivko Stojadinovic fühlte sich trotz der weit gefächerten Ansichten über Migration und Migranten in Wien in seinem Wohnbezirk wie ein Fisch im Wasser. Sein Deutsch war zwar fehlerfrei, wenn man das durch Lokalkolorit geprägte Vokabular außer Acht lässt, als zwar österreichischer Staatsbürger aber Migrant in der zweiten Generation hatte er allerdings noch einen hörbaren Dialekteinschlag. Sozusagen spezielles Wienerisch. Was jedoch in seinem Wohnbezirk keine Rolle spielte. Dort war das sozusagen ohnehin der Standard. Nicht nur beim Großteil der Wohnbevölkerung, auch bei seinen Geschäftspartnern.

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