Читать книгу Im Licht der Horen - Petra E. Jörns - Страница 4

1. Kapitel

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Das Pad neben ihrem Bett weckte sie viel zu früh. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen.

Heute war der große Tag.

Vorfreude und ein Hauch von Nervosität erfasste sie. Wie lange war sie nicht mehr an Bord eines Schiffes gewesen? Sechs Jahre? Ganz automatisch ging sie die Rangabzeichen noch einmal durch, rief sich die Namen der Personen in Erinnerung, die mit ihr gemeinsam auf der Nyx dienen würden.

Captain Coulthard, Commander De Sutton, Doktor Tipton, Lieutenant Hawk, Lieutenant Watanabe, Junior Lieutenant Nayiga.

Und ihre Leute, die Crew im Maschinenraum: Chief Petty Officer Riley, Petty Officer Peres ...

Aufhören! Sie machte sich damit nur nervös.

Um sich zu beschäftigen, duschte sie, putzte sich die Zähne und ging zu ihrem Koffer. Die dunkelgraue Uniform nach all den Jahren wieder anzuziehen, jagte einen Schauer über ihren Rücken. Nun, da sie wieder Dienst auf einem Kriegsschiff haben würde, durfte sie sie wieder tragen. Mit Stolz. Sie war keine Angestellte im Forschungslabor mehr. Sie gehörte wieder dazu. Zu jenen Männern und Frauen, die tagtäglich im seit Jahrhunderten währenden Krieg gegen die Erdregierung ihr Leben für die Kolonien riskierten. Zu denen die Bürger der Kolonien zu Recht mit Stolz aufsahen.

Die Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, war ihr fremd. Sie studierte ihr Gesicht, die dunklen, glänzenden Haare, die es umrahmten, die blauen Augen, die wach und neugierig wirkten. Nicht wirklich hübsch, aber auch nicht unattraktiv. Zu wenig Brust; die Uniform betonte den Mangel noch. Paul konnte sich darüber nicht mehr beschweren.

Sie packte ihre Sachen zusammen, schloss den Hartschalenkoffer und trat ein letztes Mal auf den kleinen Balkon hinaus, berauschte sich noch einmal am Anblick des Blaus und der Weite.

Weshalb verkaufte sie die Wohnung in der City eigentlich nicht, um sich hier etwas zu suchen?

Wenn sie zurückkehrte, würde sie sich darum kümmern. Jetzt war die Zeit, einen neuen Anfang zu wagen.

Als sie die knarrende Holztreppe hinunterging, näherte sich das Geräusch klappernder Absätze. Dee unterdrückte ein Seufzen.

»Aah, Mistress MacNiall! Einen wunderbaren guten Morgen!« Im Morgenlicht, das durch die bunten Scheiben des Eingangsbereichs gefärbt wurde, kam ihr Mistress Kiriakidis entgegen. Graue Strähnen wanden sich durch die pechschwarzen Haare, die sich in einer Hochsteckfrisur auf ihrem Kopf türmten. Sie trug ein billiges geblümtes Kleid, das die Hälfte ihrer trotz des Alters immer noch schlanken Oberschenkel freiließ, und dazu viel zu hochhackige Pantoletten, die in Dee die Angst weckten, sie könne sich bei jedem Schritt den Knöchel brechen.

»Haben Sie gut geschlafen?« Sie lächelte und entblößte dabei eine Reihe ebenmäßiger Zähne, die eine Spur zu weiß waren.

»Ich möchte bezahlen.« Dee reichte ihr die Magnetkarte ihres Zimmers.

Die Magnetkarte wie eine Trophäe in die Höhe gehalten, klackerte Mistress Kiriakidis Richtung Theke.

»Es war wieder in den Nachrichten, dass ein Botschafter der Erdregierung hier ist. Hier. Auf Persephone! Ein Botschafter der Erde!« Mistress Kiriakidis schüttelte den Kopf. »Glauben die wirklich, wir könnten so einfach Frieden schließen? Nach ... wie lange dauert jetzt schon dieser unselige Krieg?«

Zweihundertelf Jahre. Eigentlich wollte Dee nur die Magnetkarte für das Zimmer abgeben und die Rechnung begleichen.

»Was denken die sich eigentlich? Nichts, möchte ich wetten. Erst schicken sie uns ihre Mutanten, um uns kleinzukriegen. Und dann schießen sie auf uns, weil wir diese Leute angeblich beschützen. Dabei wären wir selber froh, sie wieder loszuwerden. Wenn Sie mich fragen, ist dieses ganze Gerede vom Frieden doch auch nur wieder eine Masche, um uns reinzulegen. Damit wir uns in Sicherheit wiegen, während sie in Ruhe den nächsten Angriff planen.«

Mistress Kiriakidis hatte die Theke erreicht und begann Zahlen in den Geldkartenautomaten einzugeben. »So ist es doch, oder nicht?«

Wortlos reichte Dee ihr ihre Geldkarte.

»Was sagen Sie dazu?«, tönte Mistress Kiriakidis, während sie die Karte in den Schlitz des Automaten steckte. »Sie sind doch bei der Flotte. Sie müssen doch wissen, was die vorhaben.«

Fast hätte Dee gelacht. Das wünschte sie sich selber – zu wissen, was der Senat plante. Aber wer wusste das schon?

»Es geht um ein Waffenstillstandsabkommen. Und ich wette, dass die Erde als Preis die Auslieferung aller hoch eingestuften Mutanten verlangt.«

»Dann sollte der Senat zustimmen. Das würde viele Probleme beseitigen. Wenn Sie mich fragen.«

Dee dankte Gott im Stillen dafür, dass Mistress Kiriakidis nicht gefragt wurde. Auch wenn sie selber schon einige Male diesen Gedanken gehabt hatte. Sie war nur ein unbedeutender Klasse-fünf-Mutant. Ihre Auslieferung würde die Erdregierung bestimmt nicht verlangen. Hoffte sie. Mit Bestimmtheit aber die von etwa hundert Mutanten der Klasse eins und zwei.

Der Gedanke, auf sie zu verzichten, war verführerisch. Ohne sie wäre es sicherer in den Kolonien. Nur hieße das, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Und das gehörte sich nicht. Und es bedeutete auch, dass es niemanden mehr geben würde, der Schiffe mit der neuen Gelmatrix fliegen und warten konnte. Und das war fast noch wichtiger. Nur würden Menschen wie Mistress Kiriakidis das alles nie verstehen.

Dee seufzte. »So einfach ist das nicht. Was, wenn die Erdregierung sie tötet? Glauben Sie, die Untergrundbewegung ließe das so einfach zu?«

Das war das einzige Argument, das Mistress Kiriakidis vielleicht überzeugen konnte. Vor der Untergrundbewegung der Mutanten hatten alle Angst.

Mistress Kiriakidis zuckte mit den Schultern und zog die Karte wieder aus dem Schlitz. »Eben. Ausliefern. Alle miteinander. Soll die Erdregierung sich doch mit ihnen herumschlagen.« Mit einem Lächeln reichte sie Dee die Karte zurück. »Einen guten Flug wünsche ich Ihnen.«

Dankbar darüber, dem Wortschwall der Frau endlich entkommen zu können, steckte Dee die Karte ein und nahm ihren Koffer. »Auf Wiedersehen«, sagte sie im Gehen.

Doch Mistress Kiriakidis klapperte bereits wieder Richtung Speisezimmer.

So groß hatte sie den Raumhafen gar nicht in Erinnerung. Sie frühstückte in der Kantine, zwischen all den fremden Männern und Frauen in Uniform, mit Blick auf das Startfeld mit den Raumfähren. Folgte mit ihrem Blick den silbernen Gebilden, die im Blau des Himmels verschwanden.

Mit einem Frösteln erinnerte sie sich an den Traum der letzten Nacht. Sie nahm einen Schluck Kaffee, ließ den Becher stehen und griff nach dem Koffer, um sich auf den Weg zu machen, bevor aus dem mulmigen Gefühl mehr werden konnte.

Noch eine Viertelstunde. Sie hatte gedacht, dass es kein Problem sein konnte, die Fähre in dieser Zeit zu finden. Doch die Zahlen der vielen Gates brachten sie durcheinander, sodass sie am Ende doch in Eile geriet. Völlig außer Atem kam sie zwei Minuten zu spät am Gateway an.

Ein junger Mann erwartete sie. Groß, breitschultrig, braun gebrannt und gut aussehend, das Klischee eines Piloten. Er lächelte sie breit an, während er pflichtschuldig, wenn auch ein wenig nachlässig salutierte. »Lieutenant Hawk, zu Ihren Diensten, Ma’m!«

Ma’m. Dee schauderte bei der Anrede. »Verzeihen Sie die Verspätung. Ich habe mich verlaufen.«

Er lachte und griff nach ihrem Koffer. »Das passiert allen hier, Ma’m.« Aus der Nähe wirkte er indianischer, als das Bild in seiner Akte es hatte vermuten lassen. »Folgen Sie mir.« Ganz selbstverständlich, als wäre er hier zu Hause, ging er voraus.

Dees Blick irrte durch die Fenster des Gateways auf die Fähre. Ihre Hände wurden feucht.

Nur ein Albtraum. Es war nur ein Albtraum. Mehr nicht.

»Hier entlang. Alles in Ordnung, Ma’m?«

Sie zuckte zusammen. »Ja, ja.« Einen Herzschlag lang starrte sie ihn verwirrt an, ehe sie ihm endlich ins Innere der Fähre folgte und sich auf den Sitz setzte, den er ihr zuwies.

Elegant ließ Hawk sich danach vor ihr in den Pilotensessel gleiten. Seine Finger betätigten verschiedene Schalter und die Luke schloss sich mit einem Zischen. Dann konnte Dee das statische Rauschen hören, das aus dem Komm drang. Ihre Finger verknoteten sich.

»Schließen Sie den Gurt, Ma’m«, sagte er, bevor er eine Anfrage aus dem Komm beantwortete.

Sie gehorchte, ertappte sich dabei, dass ihre Hände zitterten, und verschränkte sie wieder ineinander. Sie waren eiskalt.

Raus hier! Raus, solange noch Zeit war!

Wie in Watte gepackt, lauschte sie dem Gespräch zwischen dem Lieutenant und der Flugüberwachung. Es war, als würde sie einem Dialog in einer fremden Sprache folgen, so wenig verstand sie. Die Worte ergaben einfach keinen Sinn, bis Hawk sagte: »Bestätige: Starterlaubnis erteilt.« An Dee gewandt setzte er hinzu: »Wir starten, Ma’m!«

Ihr war, als habe Hawk damit ihr Todesurteil gesprochen. Aber bevor sie etwas erwidern konnte, zeigte ihr das leichte Heben ihres Magens, dass die Fähre bereits abgehoben hatte.

Das Blau des Himmels wich der Schwärze des Alls. Langsam, kaum merklich, bis es nicht mehr zu leugnen war. Hinter ihnen fiel der blaue Ball Persephone zurück.

Dee fühlte, wie Hawk die Fähre in eine Umlaufbahn schwenkte. Jetzt. Jetzt, war es passiert. Unwillkürlich schloss sie die Augen.

»Da ist sie!« Der Stolz, der aus Hawks Stimme sprach, brachte Dee dazu, die Lider zu öffnen. Die silberne Silhouette eines Raumschiffs hob sich vor dem Samtschwarz des Weltalls ab. Unwillkürlich entwich Dee ein leises Seufzen, während sie sich vorbeugte, um besser sehen zu können. Ihre Finger umklammerten die Lehne von Hawks Sessel.

Zu nah, rief eine Stimme in ihrem Kopf. Aber sie ignorierte sie. Vergaß alles. Sogar die Angst, die sie eben noch im Griff gehalten hatte.

Ihr Blick folgte den eleganten Linien. Verliebte sich in Details, fand endlich die Anordnung der Triebwerke. Suchte die Zeichnungen auf ihrem Schreibtisch mit dem vollendeten Werk in Übereinstimmung zu bringen. Und scheiterte. Versagte kläglich angesichts dieses Wunderwerks aus Menschenhand.

»Kleiner Rundflug?«, fragte Hawk mit einem Grinsen auf dem Gesicht.

Sie wollte »Nein« sagen, doch Hawk hatte seinen Vorschlag bereits in die Tat umgesetzt. Eigentlich war das einen Tadel wert. Aber immer neue Ansichten der Nyx versetzten Dee in Staunen, ließen ihr keine Zeit für eine Rüge.

Da! Hätten die Gurte sie nicht gehalten, wäre sie von ihrem Sitz aufgesprungen. Oh ja, so sollte es sein! Die nahe Anordnung der Konvektions- und der Sprungtriebwerke zueinander musste die Energieausbeute und damit die Wendigkeit und Schnelligkeit des Schiffes immens erhöhen. Zusammen mit der neuen Gelmatrix würde sich kein herkömmliches Schiff mit diesem messen können.

Das musste den Wendepunkt in diesem leidigen Krieg markieren. Zugunsten der Kolonien. Die Erdregierung konnte nicht mehr behaupten, sie wüsste von nichts, wenn koloniale Schiffe einfach verschwanden. Dann würden sie es der Erdflotte heimzahlen. Schiff für Schiff. Was kümmerten da noch Waffenstillstandsabkommen?

Jetzt verstand sie Hawks Stolz. Er gehörte dazu, zur handverlesenen Crew dieses außergewöhnlichen Schiffes auf seiner Jungfernfahrt.

Auch Hawk war nicht durch Zufall hier. Sie erinnerte sich daran, dass er die Bellerophon geflogen hatte, das Schiff mit der Testmatrix, nachdem dieser andere Pilot – wie hieß er doch gleich? – einen Teil der Forschungsdaten für den Widerstand gestohlen hatte. Demnach musste Hawk ein Mutant sein. Denn nur Mutanten konnten eine Gelmatrix fliegen.

»Schönes Schiff, nicht wahr?«, fragte Hawk, ohne sich umzudrehen.

Ob er wusste, dass sie an der Entwicklung der Gelmatrix mitgearbeitet hatte? »Ja, das ist sie.« Sie versteckte den Stolz in ihrer Stimme nicht.

Als sei es das Signal für ihn gewesen, den Rundflug zu beenden, steuerte Hawk eine dunkle Öffnung an, hinter der ein Hangar liegen musste. In einem Bogen flog er durch die offenen Luken und setzte sacht auf dem Stahlboden auf. Die Hangartore schlossen sich hinter ihnen wie das Maul eines großen Fisches.

In Sicherheit. Es war nichts passiert.

Dee begriff es erst, als ihr Blick auf eine Anzeige der Konsole fiel. Sie zeigte an, dass Atemluft in den Hangar gepumpt wurde, der sich den Blicken durch die Frontscheibe als hoher, kahler Raum darbot. Ihnen direkt gegenüber durchbrach ein Schott das Grau der Wände. Hinter einer Glasscheibe befand sich die Beobachtungskabine für den Hangar, in der in sterilem Licht die Silhouette einer Frau auszumachen war.

Als die Konsolenanzeige für die Atemluft das Skalenende erreichte, öffnete die Frau das Schott der Beobachtungskabine und kam auf sie zu. Sie trug die dunkelgraue Uniform der Flotte mit Selbstbewusstsein, als wäre sie damit auf die Welt gekommen. Breitbeinig blieb sie vor der Fähre stehen.

Hawk stand auf und öffnete die Luke. »Nach Ihnen, Ma’m.« Mit einem Grinsen ließ er Dee den Vortritt.

»Ich danke Ihnen für den Flug.« Nach einem Nicken in Hawks Richtung kletterte Dee nach draußen.

Ozongeruch stach ihr in die Nase. Hoch aufgerichtet schritt sie auf die Frau mit den Rangabzeichen eines Captains zu, die im Hangar wartete. Vor ihr salutierte Dee so zackig, wie sie es nach den Jahren in den Forschungslabors noch zuwege brachte. »Chefingenieurin Lieutenant Commander Deirdre MacNiall meldet sich zum Dienst, Ma’m.« Die so lange nicht mehr benutzten Worte hörten sich aus ihrem Mund fremd an.

Das dunkle, kinnlange Haar der Frau vor Dee wurde von ersten grauen Strähnen durchzogen. Sie bot ihr eine sehnige Hand. Das Lächeln auf dem energischen Gesicht wirkte fehl am Platz, dem Blick der eisblauen Augen schien nichts zu entgehen. »Captain Penelope Coulthard. Ich freue mich, Sie als meinen Zweiten Offizier an Bord zu begrüßen.«

Wieder erinnerte sich Dee an ihren Traum.

Wenn es nicht ihre Fähre gewesen war, die sie gesehen hatte, wessen Fähre war es dann?

Im Licht der Horen

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