Читать книгу Im Licht der Horen - Petra E. Jörns - Страница 5

2. Kapitel

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Auf den Plänen hatte alles viel größer gewirkt. Die Kommandozentrale war winzig. Alle Räume in der Nyx waren winzig, als hätte man versucht, alles zu verdichten, um so viel Platz wie möglich zu sparen. Und alles war grau, als hätte man auch bei der Farbauswahl Sparsamkeit walten lassen. Wenigstens war das allgegenwärtige Grau der Schiffswände deutlich heller als das der Uniformen, sonst wäre die Mannschaft Gefahr gelaufen, zu Schatten zu verblassen.

Captain Coulthard öffnete ein weiteres Schott. »Der Maschinenraum!«

Zögernd trat Dee hindurch. Ein wenig fürchtete sie, auch der Maschinenraum könne ähnlich vollgestopft wie der Rest des Schiffes sein.

Es war noch schlimmer, als sie erwartet hatte. Gleich hinter dem Zugang befanden sich auf der rechten Seite zwei Terminals für die Diagnose. Direkt dahinter lagen die Hyperspulen und der Konverter, der ein sonores Brummen verströmte. Auf der linken Seite fand sie zwei Konsolen für die Überwachung der Lebenserhaltungssysteme. Hier schloss sich unmittelbar die Wasseraufbereitungsanlage an, die von der Atemluftaufbereitung durchbrochen wurde.

Na, herzlichen Dank! Da hatte sich ja jemand außerordentliche Mühe gegeben, ihr die Arbeit zu erschweren. Wie sollte man denn hier etwas reparieren oder warten?

»Darf ich vorstellen?«, sagte Coulthard und wies auf einen Mann und eine Frau in der dunkelgrauen Uniform der Flotte. »CPO Riley und PO Peres. Die zehn Crewmen, die Ihnen ebenfalls unterstehen, werden Ihnen Ihre beiden Unteroffiziere bekannt machen.«

Coulthard deutete bei ihren Worten zuerst auf den Mann, dann auf die Frau und anschließend auf Dee. »Ihre neue Chefin. Lieutenant Commander Deirdre MacNiall.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Ma’m.« Der blonde, gut aussehende Riley trat vor und salutierte forsch. Seine Ähnlichkeit mit Paul war fast ein wenig unheimlich.

»Freut mich ebenso, CPO Riley.« Dee nickte knapp. Insgeheim wurde ihr allein bei der Aussicht mulmig, nun täglich mit diesem Mann zusammenarbeiten zu müssen.

»Sie haben an der Entwicklung der Gelmatrix mitgearbeitet?«, fragte Riley mit glänzenden Augen.

»Das ist richtig.« Die Verehrung, die Dee in Rileys Augen zu erkennen glaubte, behagte ihr nicht. »PO Peres?«

Peres grüßte mit Verspätung. »Chief.« Auch auf ihrem flächigen Gesicht glaubte Dee, Ehrfurcht zu erkennen. Peres’ graue Haare waren kurz geschoren, kürzer als Rileys, dem eine blonde Strähne ins Gesicht hing. Trotzdem trug Peres ein rotes Stirnband. Sie war klein, aber reichlich kompakt, und Dee stellte sich lieber nicht vor, wie sie durch einen Wartungsschacht robbte.

»Angenehm«, sagte Dee.

Um den Blicken von Peres und Riley auszuweichen, trat sie an die Hyperspulen heran und versuchte, dem Verlauf der Plasmaleitung zu folgen.

Als hätte Peres Dees Gedanken erraten, zeigte sie nach oben. »Das Sanktum ist da oben, Chief. Aber das wissen Sie sicherlich.«

Eine Galerie zog sich auf der nächsten Deckebene um den Maschinenraum. Gegenüber dem Eingang auf der unteren Ebene war oben ein Schott zu erkennen.

Langsam fand sich Dee zurecht und schaffte es, die Pläne aus ihrem Kopf mit der Realität in Einklang zu bringen. Da war es also, das Herz des Schiffes. Dee glaubte fast, es fühlen zu können. Ein riesiges Pulsieren, das versuchte, ihr seinen Rhythmus aufzudrängen.

»Können wir es uns ansehen?«

Coulthard zeigte auf Riley. »Riley!«

Riley schenkte Dee ein freundliches Lächeln. »Wenn Sie mir folgen wollen, Ma’m?«

Plötzlich hatte Dee die Vision einer Hand, die ihren Hintern tätschelte. Paul hatte das getan. Nicht nur bei ihr, sondern bei jeder Frau, die in sein Beuteschema fiel.

Aber Paul war weit weg. Er schleppte jetzt Akten für die Admiralität und konnte tun und lassen, was er wollte.

Riley hatte schon die schmale Stahltreppe erreicht, die sich über den Hyperspulen zur Galerie zog. Bevor er die erste Stufe nahm, drehte er sich um und wartete, bis sie zu ihm aufschloss. »Nach Ihnen, Ma’m.«

Die Vision der Hand auf ihrem Hintern wurde übermächtig. Aber sie schaffte es, sich nichts von ihrer Aversion anmerken zu lassen, obwohl Riley ihr viel zu dicht folgte.

Als sie die Galerie erreichten, überholte er sie und streifte dabei mit seiner Hand ihren Oberschenkel. Dee zuckte zusammen.

Als sei nichts geschehen, blieb Riley neben dem oberen Schott stehen und betätigte den Öffnungsmechanismus. »Das Allerheiligste«, sagte er und trat hinein.

Dees Nackenhaare sträubten sich. Ob wegen des blauen Leuchtens, das durch das Schott drang, oder Rileys Berührung, wusste sie nicht. Sie brauchte einen Augenblick, bevor sie es über sich brachte, ihm zu folgen.

Riley stand in der Mitte des kleinen Raums. In der Mitte der Wand gegenüber lag der Zugang zu einem Wartungsschacht, links und rechts transparente Plastscheiben.

Dee gruselte es bei dem Gedanken, diesen Schacht jemals betreten zu müssen. Das Schild, das darauf prangte, war wohl nicht ohne Grund angebracht: »Bryson-Strahlung! Todesgefahr! Max. eine Stunde mit Strahlungsschutzanzug.«

Die Strahlung war das blaue Leuchten, das durch die Scheibe zur Rechten drang. Blau und gefährlich. Wie gebannt trat Dee näher, um das obere Ende des Fusionsreaktors zu betrachten, der sich an dieser Stelle durch den Kern des Schiffes bohrte.

Riley trat hinter sie. »Ist es nicht immer wieder berauschend, wie schön der Tod sein kann?« Seine Stimme klang ehrfürchtig.

Dee konnte seinen Atem in ihrem Nacken spüren. Zu nah. Viel zu nah.

Wortlos trat sie an die andere Scheibe. Ein riesiger Tank befand sich dahinter, der von dem blauen Leuchten gespeist wurde und in einem überirdischen Licht schimmerte. Er war das Interface, mit dessen Hilfe der Pilot die Strings manipulierte, an denen das Schiff entlangglitt. Der Anblick war atemberaubend. »Ist sie das?«

»Die erste Gelmatrix in einem Serienschiff. Ja, Ma’m. Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, ob ich den Piloten, der dieses Geschoss beherrschen will, beneiden oder bemitleiden soll.«

Mit einem Mal stand Riley wieder so nah, dass Dee glaubte, seine Körperwärme fühlen zu können. Mit einem Ruck drehte sie sich zu Riley um.

»Sie sollten hoffen, dass er es beherrschen kann. Sonst enden wir als Hackfleisch im All. Und ich rate Ihnen, künftig Abstand zu mir zu halten. Zwei Schritte. Verstanden?«

Als habe sie ihn geschlagen, wich Riley zurück. »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin, Ma’m. Nehmen Sie meine Entschuldigung an?«

Kein guter Einstieg! »Akzeptiert«, hörte sie sich sagen. »Dieses eine Mal.«

»Ich verspreche, dass es nicht wieder vorkommen wird.« Riley salutierte.

»Das hoffe ich für Sie.« Ohne einen Gruß ließ Dee ihn stehen.

»... und hier ist Ihre Kabine«, beendete Captain Coulthard den Schiffsrundgang. Mit einer Berührung des Bedienpanels öffnete sie das Schott und gab den Blick auf eine Kabine frei, für die die Bezeichnung Verschlag passender gewesen wäre.

Dees Blick sah ihren Koffer, den jemand dort deponiert hatte, und das Stockbett, auf dem eine Frau saß. Gute Güte, sie musste die Kabine doch nicht etwa teilen?

»Darf ich Ihnen Junior Lieutenant Nayiga vorstellen?« Coulthard deutete auf die dunkelhäutige Schönheit auf dem Bett.

Elegant schob Nayiga ihre langen, schlanken Beine über den oberen Bettrand und ließ sich zu Boden gleiten. Schlanke Taille, beeindruckende Brust.

»Und das ist Lieutenant Commander MacNiall«, setzte Coulthard die Vorstellungsrunde fort.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen.« Nayigas Stimme war ein samtiger Alt. Mit einem Lächeln bot sie Dee die Hand. »Ich habe Ihnen aufgrund Ihres Ranges und Ihres Alters selbstverständlich das untere Bett überlassen.« Eine Reihe ebenmäßiger weißer Zähne wurde sichtbar, als sie lächelte. Die schwarzen Haare waren im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Dee schüttelte die angebotene Hand. Sie war nicht alt!

»Entschuldigen Sie mich.« Coulthard deutete ein Nicken an, bevor sie sich entfernte. »Einsatzbesprechung ist um sechzehn fünfzehn.«

Nayiga lächelte noch etwas breiter. »Ich lasse Sie am besten allein, damit Sie sich in Ruhe umziehen und frisch machen können.«

Sie musste sich nicht frisch machen! Aber Hauptsache, die Andere verschwand endlich. Trotzdem sagte sie: »Danke.«

Immer noch lächelnd überließ Nayiga ihr die Kabine. Das Schott schloss sich hinter ihr. Dee war allein. Endlich. Mit einem Seufzen ließ sie sich auf das untere Bett sinken.

Wunderbar! Nayiga war genau die Art von Frau, auf die Paul flog. Große Brüste, wohl gerundete Körperformen, lange Haare und einen guten Kopf kleiner als Dee. Sexy. Nicht so langweilig und knabenhaft wie sie.

»Vergiss ihn«, rief sie sich einmal mehr Siobhans Worte in Erinnerung. Ihre Schwägerin und beste Freundin hatte recht. Es gab wichtigere Dinge, auf die sich jetzt konzentrieren musste.

Sie war auf diesem Schiff. Weil sie die meiste Erfahrung mit der neuen Gelmatrix mit sich brachte. Weil sie bei ihrer Erforschung und Entwicklung mitgearbeitet hatte.

Weil sie etwas Besonderes war.

So besonders wie dieser Pilot, der dazu in der Lage war, dieses Geschoss zu fliegen.

Mutanten eben.

Sie konnten von Glück reden, dass der Senat die Angst vor den Mutanten nicht wie die Erdregierung schürte. Dabei lagen die Mutantenkriege auf der Erde bereits Jahrhunderte zurück – und auch in den Kolonien gab es einen guten Grund, die Mutanten zu fürchten. Dafür sorgten die terroristischen Aktivitäten der Untergrundbewegung. Da konnte selbst sie als Klasse-fünf-Mutantin froh sein, dass der Senat Mutanten nicht internierte und auslöschte – wie die Erdregierung das einst getan hatte.

Oder gab sich der Senat nur deshalb so liberal, weil die Koloniale Flotte neuerdings auf Gelmatrizen setzte, statt auf die herkömmlichen bioneuronalen Sprunginterfaces der Erdflottenschiffe, die jeder ausgebildete Nichtmutant bedienen und warten konnte? Die Gelmatrix konnte nur durch Mutanten manipuliert und gewartet werden.

Nun gut. Wenn der Senat die Mutanten nur deshalb brauchte, um den Krieg zu gewinnen – umso besser! Dann würde sie ihnen zeigen, dass sie recht daran taten. Bevor vielleicht doch irgendjemand auf den Gedanken kam, die Mutanten einem Friedensabkommen mit der Erdregierung zu opfern.

»Unsere Mission hat sich geändert.« Coulthard blickte sich im Konferenzraum um, als wolle sie sich vergewissern, dass ihr alle Anwesenden zuhörten. Sie hätte die Einsatzbesprechung nicht effektiver beginnen können.

»Aber ...«, wandte der Erste Offizier De Sutton, der rechts neben Coulthard saß, mit gerunzelter Stirn ein.

Kurz hatte Dee die Vision des Juraprofessors der Akademie, der mit blasierter Miene eine Litanei von möglichen Bedenken gegen eine abweichende Auslegung der Flottenstatuten deklamierte. Genau wie bei diesem Juraprofessor, prägte De Suttons Gesicht ein sauber getrimmter Vollbart. Nur war De Suttons Bart dunkelbraun, nicht grau überhaucht wie der des Professors damals.

Auf Coulthards missbilligenden Blick glättete sich De Suttons Stirn, sein Gesichtsausdruck wurde hochnäsig. »Ma’m, mit Verlaub. Ich muss Sie daran erinnern, dass unser Schiff bisher nicht erprobt wurde und zudem mit einer unerfahrenen Crew bestückt ist. Es wäre ausgesprochen waghalsig ...«

»Ich bin über diese Fakten sehr wohl im Bilde«, erwiderte Coulthard. »Nichtsdestotrotz werden wir mit sofortiger Wirkung von der Admiralität einberufen, um einen Kurierdienst von höchster Priorität zu übernehmen.«

De Sutton runzelte nun doch wieder die Stirn. »Gemäß Paragraf acht der Einsatzstatuten darf ein Prototyp nicht für Kurierdienste der obersten Priorität eingesetzt werden. Es wäre natürlich zu diskutieren, ob das erste Schiff einer geplanten Serie als Prototyp zu werten ist. Nichtsdestotrotz müsste zuerst überprüft werden, ob alle Crewmitglieder die entsprechende Freigabe besitzen.«

»Zur Kenntnis genommen, De Sutton. Dann erledigen Sie das. – Watanabe!« Ohne weitere Umschweife wandte Coulthard sich dem Leiter der Einsatztruppen neben Dee zu.

»Sir?« Der große Japaner hatte bisher keine Miene verzogen. Dee war sicher, seinen Namen im Zusammenhang mit einer Tapferkeitsmedaille gehört zu haben. Sie wunderte sich, dass Watanabe trotz seines Alters immer noch Lieutenant war. Entweder war er geschickt darin, seinen Vorgesetzten auf die Füße zu treten oder er war zwischenzeitlich für längere Zeit beurlaubt gewesen.

De Suttons Mund war leicht geöffnet, als wolle er noch etwas sagen. Aber außer Dee schien das niemand zu bemerken. Als Coulthard sich an Watanabe wandte, klappte er langsam den Mund wieder zu.

»Rüsten Sie das Quartier von De Sutton mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen für den Aufenthalt eines Gastes der höchsten Sicherheitsstufe aus. De Sutton wird sich für die Dauer unseres Auftrags das Quartier mit Hawk teilen. Das Einverständnis der beiden Herren vorausgesetzt.« Coulthard hob fragend die Augenbrauen.

»Aye, Ma’m«, antwortete Hawk sofort.

»Ma’m, ich muss Sie nicht daran erinnern, dass nach Paragraf hundertfünfundzwanzig höherrangige Offiziere ein Recht auf Privatsphäre haben!« Mit hoch erhobenem Kinn sah De Sutton Coulthard an.

»Doktor Tipton, wären Sie dazu bereit, das Quartier mit Lieutenant Hawk zu teilen?« Mit erhobener Augenbraue sah Coulthard den Doktor an, der bisher schweigend zugehört hatte.

Tiptons Miene wurde noch eine Spur griesgrämiger. Graue Bartstoppeln zierten sein hageres Gesicht. »Es tut mir leid, Captain. Aber ohne ein Quartier direkt benachbart zur Krankenstation kann ich keine einwandfreie, medizinische Versorgung garantieren.«

»Nun denn! De Sutton, da Lieutenant Hawk als höherrangiger Offizier ein Recht auf Privatsphäre hat, verbietet sich selbstverständlich der Vorschlag, ihn bei den niederen Dienstgraden unterzubringen. Aber ich bin sicher, dass Sie eine Möglichkeit finden werden, auch Ihre Privatsphäre zu wahren.« Coulthard lächelte De Sutton unverbindlich an. »Zu den Daten.«

»Ma’m!«, unterbrach De Sutton den Captain. »Ich muss pro ...«

»Commander De Sutton, ich bin sicher, dass Sie eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung finden werden. Ich verlasse mich darauf – und nun zu den Fakten.«

Coulthard ließ den Blick über die versammelten Offiziere schweifen. Die eisblauen Augen musterten zuerst De Sutton, Doktor Tipton und Hawk zu ihrer Rechten und dann Nayiga, Watanabe und Dee zu ihrer Linken.

Dee straffte sich. Sie kam sich mit einem Mal wie ein Schulmädchen vor. Den anderen Anwesenden schien es nicht anders zu gehen. Selbst De Sutton wagte keine Widerworte mehr.

Coulthard drückte einen Knopf am Besprechungstisch und auf dem Bildschirm an der gegenüberliegenden Wand wurde das Bild eines Mannes sichtbar. Dee erkannte ihn sofort. Es handelte sich um Clark Duras, den Botschafter der Erdregierung, der zurzeit auf Persephone weilte.

Botschafter war eigentlich das falsche Wort. Sowohl der Botschafter der Erdregierung, als auch der der Kolonien konnte eigenständige Entscheidungen treffen, ohne sich zuvor mit der Regierung abstimmen zu müssen. Der Botschafter der Erde war nur seinem Präsidenten verpflichtet, und der Botschafter der Kolonien dem Senat. Aber Dee wusste nicht, ob der Botschafter der Erde ebenso innerhalb einer Flottenhierarchie stand wie der Botschafter der Kolonien.

»Ich bin sicher, dass jeder hier im Raum diesen Mann kennt. Unser Auftrag lautet, Clark Duras zur waffenfreien Zone zu bringen, um ihn dort in die Obhut eines Schiffes der Erdregierung zu übergeben. Unsere Botschafterin Fay Hagen wird uns auf dieser diplomatischen Mission begleiten. Ich habe für sie bereits mein Quartier geräumt und Commander MacNialls Kabine bezogen, die freundlicherweise dazu bereit war, ein Quartier mit Junior Lieutenant Nayiga zu teilen.«

Nayiga warf Dee einen vielsagenden Blick zu.

Aha. So wurden hier an Bord also Entscheidungen gefällt. Captain Coulthard beschloss etwas und alle nickten. Und De Sutton hatte die Arschkarte gezogen. »Es war mir ein Vergnügen, Ma’m.« Dee bemerkte, wie De Sutton sie bei diesen Worten musterte.

Natürlich musste der sofort nachlegen. »Ma’m, unter diesen Voraussetzungen werde ich Ihrem Ansinnen selbstverständlich entsprechen. Darf ich dennoch darauf hinweisen, dass es angebracht wäre, dass wir unseren Status als Quasiprototyp gegenüber Herrn Duras als Vertreter der Erdregierung verschweigen.«

Coulthards Miene wurde frostig. »Commander De Sutton, Sie dürfen annehmen, dass die Admiralität Ihre Einwände bedacht und den Befehl in Kenntnis aller zu erwägenden Details getroffen hat. Setzen Sie sich bitte mit dem Problem der Unterbringung auseinander. Der Leibwächter des Botschafters wird ebenfalls eine Unterkunft benötigen. – Watanabe! Sorgen Sie für die erforderlichen Sicherheitsprotokolle und unterbreiten Sie mir bis zwanzighundert Ihre Vorschläge. Hawk, MacNiall, der Botschafter erwartet morgen um null achthundert auf dem Gelände der Admiralität seine Abholung. Prüfen Sie die Fähre und machen Sie sich mit den Sicherheitsstandards vertraut, die Ihnen Watanabe übermitteln wird. Nayiga, ich erwarte Vorschläge, um den Botschafter adäquat zu unterhalten. Und Doktor Tipton ...«

»... überprüfen Sie die medizinische Datenbank nach entsprechenden Einträgen«, brummte Tipton. Sein ohnehin faltiges Gesicht wirkte noch zerknautschter als zu Beginn der Einsatzbesprechung.

»Sie sagen es.« Coulthard lächelte. »Ich empfehle mich.« Bei diesen Worten erlosch das Bild des Botschafters und Coulthard verließ den Raum.

Dees Blick blieb an dem antiken Breitschwert hängen, das an der Wand des Besprechungsraums hinter Coulthards Sitz hing. Es war der einzige persönliche Gegenstand im Raum. Warum nur musste sie bei seinem Anblick an das berühmte Damoklesschwert denken?

Nayigas leises Atmen im Bett über ihr störte Dee beim Einschlafen.

Die Fähre war überprüft. Es gab nichts, worüber sie sich Sorgen machen musste.

Außer diesem Traum, der nichts zu sagen hatte. Wenn morgen etwas schieflief, dann war es Hawks Schuld und nicht die ihre. Und Hawk wirkte nicht so, als würden ihm Fehler unterlaufen. So selbstsicher waren alle Piloten. Warum sollte er eine Ausnahme sein?

Sie sollten also den Botschafter der Erdregierung befördern. Die CFF Nyx! Ein Quasiprototyp mit einer Crew, die noch nie zusammengearbeitet hatte. Was dachte sich die Admiralität dabei? Das war doch Irrsinn! War Coulthard so karrieregeil, dass sie sich um den Job geprügelt hatte?

Coulthard, Coulthard ... Woher kannte sie den Namen?

In Dees Hirn regte sich nichts. Bis auf die Gewissheit, den Namen schon gehört zu haben.

Oder gab es einen guten Grund, ausgerechnet die Nyx mit diesem Auftrag zu betrauen? Dee rieb sich die Stirn. Abschreckung. Würde die Erdregierung davon ausgehen, dass der Botschafter auf einem Prototyp befördert wurde? Niemals. Gesetzt den Fall, die Erdregierung käme zu dem Schluss, die Koloniale Flotte hätte eine ganze Flotte dieser Schiffe, könnte das dazu führen, einen geplanten Angriff zu verzögern?

Ja, das wäre denkbar. Aber nur, wenn sie es schafften, dem Botschafter eine reibungslos funktionierende Crew und ein ebenso reibungslos funktionierendes Schiff zu präsentieren. Aber Coulthard schaffte das – falls De Sutton den Mund hielt.

Dee wurde kalt. War das etwa die Coulthard? Die Frau, die die CFF Argos in der Schlacht um Hekate befehligt hatte? Ein Mitglied der Schattenabteilung des Geheimdienstes, hieß es damals. Niemand hatte das Gerücht bestätigt. Aber nur ein Mitglied der Schattenabteilung hätte die entsprechenden Informationen und Befehlsgewalt innegehabt, um Coulthards eigenmächtige Entscheidungen in der Schlacht um Hekate zu rechtfertigen. Und wie sonst wäre zu erklären gewesen, dass Admiral Nikolajewa Coulthards Entscheidungen nachträglich in aller Öffentlichkeit gutgeheißen hatte?

Das erklärte einiges. Wo war sie da nur hineingeraten? Und das alles nur, um Paul zu vergessen! Er würde sich totlachen, wenn er davon erführe.

Dee schlang die Arme um den Oberkörper und drehte sich auf die andere Seite, den Blick der Wand zugekehrt.

Paul war fort. Sie war allein. Endgültig.

Nein, sie vermisste Paul nicht.

Sie vermisste nur jemanden an ihrer Seite.

Siobhans Gesicht erstand in ihrer Erinnerung. Dee sah sie lächeln. Fast glaubte sie, ihre Stimme zu hören. »Warte einfach ein Weilchen. Auch du wirst einen Mann finden, der dich liebt. So wie Seanan mich liebt.«

Siobhans Gesicht verblasste, machte Dunkelheit Platz.

Aus der Schwärze schälten sich die Konturen der Kommandozentrale. Dee fand sich an ihrer Konsole wieder. Ihr Blick war auf die Kontrollen der Fähre gerichtet, in der sich Hawk und ein Passagier befanden. Es war nicht der Botschafter. Aber der Name wollte ihr nicht einfallen.

Was machte Hawk da? Der Kurs der Fähre wich vom vorgegebenen ab.

»Ma’m, die Fähre weicht vom Kurs ab.«

»Auf den Schirm.« Das war Coulthard.

Dee gehorchte. Im nächsten Augenblick sah sie das zweite Flugobjekt, das sich der Fähre näherte. »Kollisionsalarm.«

»Ausweichkurs«, blaffte Coulthard.

Dees Finger drückte den Kommunikationsknopf. »Hawk, ausweichen! Ausweichkurs! Sofort!«

Aus dem Komm drang statisches Rauschen.

Zu spät.

Auf dem Bildschirm erblühte eine Feuerblume, als die beiden Flugkörper miteinander kollidierten.

Während Dee noch entsetzt auf den Monitor starrte, wurde er schwarz. Bis langsam ein blaues Leuchten die Dunkelheit ersetzte.

Dee sah sich um. Sie kniete in einem engen Raum, in dem sie sich kaum rühren konnte. Die Gestalt eines Mannes versperrte ihr den Weg.

Nach kurzem Zögern kroch sie weiter. Nach einem halben Meter hielt sie inne und spähte, entdeckte blonde, kurze Haare und die Uniform der Flotte.

Paul! Dee wurde übel.

In diesem Augenblick bewegte sich der Mann und wandte sich ächzend zu ihr. Das war nicht Paul. Paul war stets makellos rasiert. Goldblonde Bartstoppeln zierten die aschfahlen Wangen des Fremden. Sein Atem ging flach und angestrengt. Das kantige Gesicht war hohlwangig und schweißig und trotzdem schön. So unpassend die Bezeichnung auch schien, eine andere fiel ihr nicht ein.

Er blinzelte. Die dunklen Augen richteten sich auf sie. Dann flatterten seine Lider und mit einem leisen Stöhnen schloss er sie.

Dee riss die Augen auf und begriff erst in diesem Augenblick, dass sie sie gemeinsam mit ihrem Gegenüber geschlossen hatte.

Sie stand wieder auf der Brücke. Auf dem Hauptbildschirm sah sie einen Fächer von Geschossen auf die Nyx zuschießen. Wie versteinert starrte sie auf den Monitor, hörte die Entsetzensschreie der anderen Crewmitglieder, fühlte, wie die Nyx sich aufbäumte und mit einem ohrenbetäubenden Donnern zerbarst.

Dee erstickte ein Wimmern und schreckte hoch. Schweiß stand auf ihrer Stirn.

Über ihr regte sich ein Körper. Eine schlaftrunkene Stimme meldete sich. »Commander? Stimmt etwas nicht?«

»Alles in Ordnung«, erwiderte Dee mechanisch.

Aber nichts war in Ordnung. Rein gar nichts.

Im Licht der Horen

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