Читать книгу Altes Wissen - Neuer Tod - Petra Mehnert - Страница 6
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Оглавление„Ist deine blöde Katze immer noch nicht aufgetaucht?“, fragte Bettina Bockmeyer ihren Mann, der gedankenverloren über den Lieblingsplatz seiner Karthäuserkatze strich und dabei traurig aus dem Fenster sah. Langsam drehte er sich zu seiner Frau um, die mit ihren fünfzig Jahren noch strahlend schön war (was man von ihrem Charakter nicht mehr behaupten konnte). Seit sie den Posten als Chefärztin in der Notfallambulanz der Alb Fils Kliniken in Göppingen angetreten hatte, war sie nur noch gereizt und nervlich am Ende. Nun spitzte sich auch noch die Corona-Krise seit Anfang Februar zweitausendzwanzig immer mehr zu. Was in China in der Stadt Wuhan begonnen hatte, breitete sich durch die globale Vernetzung rasend schnell über die ganze Welt aus. Jetzt Mitte März hatte es das Nachbarland Italien von den europäischen Staaten am schlimmsten erwischt. Zwar hatte Deutschland fast die dreifache Menge an Intensivbetten als zum Beispiel Italien, aber dennoch graute Bettina Bockmeyer davor, in kürzester Zeit viele Kranke auf einmal intensivmedizinisch versorgen zu müssen. Darauf waren die meisten Kliniken, zumindest noch nicht, eingerichtet und die Personaldecke zu dünn für solche Ausnahmesituationen. Nun hatte sie heute auch noch erfahren müssen, dass Toilettenpapier und Desinfektionsmittel aus der Klinik gestohlen worden waren! Auch Mundschutzmasken und Schutzanzüge wurden knapp - das durfte echt nicht wahr sein - wie egoistisch waren die Menschen denn? Insgeheim wünschte sie sich, einen von diesen Typen mal auf dem Operationstisch liegen zu haben und ihn ohne sich die Hände zu desinfizieren und ohne Schutzmaske zu operieren! Das machte sie alles so wütend und sie schaffte es nicht mehr, Arbeit und Privates zu trennen. Sie ließ ihren ganzen Frust an ihrem Mann und ihrem Sohn Luca aus. Ihr Mann Harald - im gleichen Alter wie sie, aber mit seinen kurzen grauen Haaren und dem kleinen Bauchansatz deutlich unattraktiver als seine Frau, flüchtete sich deshalb immer mehr zu seinen Tieren. Als ausgebildeter Jäger konnte er sich zu den unmöglichsten Zeiten in den Wald verkrümeln und sich der Ruhe dort hingeben. Daneben kümmerte er sich noch um das Rehgehege des Landratsamtes und hatte zuhause auf ihrem kleinen Hof am Ortsrand von Ottenbach noch Hühner, Hasen, Meerschweinchen und einen Jagdhund, sowie seine schöne graue Katze, die nun schon seit zwei Wochen verschwunden war. Das Hobby Jagen und die vielen Tiere hatte er sich erst angeschafft, als er seine Videothek hatte schließen müssen. Heutzutage lieh kaum mehr jemand Filme aus – es wurde meist nur noch „gestreamt“ - und das hatte ihn seine Existenz als Firmeninhaber gekostet. Seine Frau hatte daraufhin einen neuen, besser bezahlten Vollzeitjob bei der Klinik angenommen, damit sie ihren gewohnten Lebensstandard halten konnten. Obwohl er nichts für die Entwicklung auf dem Videomarkt konnte, nahm es ihm seine Frau übel, dass sie jetzt ganz alleine für den Unterhalt der Familie sorgen musste. Ihren gemeinsamen dreißigjährigen Sohn Luca musste sie auch weiterhin mit durchfüttern - er lebte immer noch bei seinen Eltern, war introvertiert und eigenbrötlerisch und hatte inzwischen bereits sein drittes Studium angefangen, ohne die vorhergehenden abgeschlossen zu haben.
„Nein, meine Mathilda ist noch nicht zurückgekommen, wie du siehst“, konnte sich Harald nicht verkneifen. „Und meinen Meerschweinchen geht es auch nicht gut. Sie haben Durchfall und fressen kaum noch was“, fügte er hinzu, obwohl er wusste, dass Bettina es nicht sonderlich interessieren würde. Sie sagte dann immer:
„Was interessiert mich das, ich bin doch kein Tierarzt!“
So also auch heute – hätte er sich ja denken können. Wortlos drehte er sich um und rief nach seinem kleinen Jagdhund Benno, während er im Flur nach der Leine griff.
„Kochst du heute nichts?“, rief seine Frau ihm hinterher, doch er antwortete nicht und hastete regelrecht mit offenem Mantel und ungeschnürten Stiefeln nach draußen in die kalte Frühlingsluft. An diesem Sonntagnachmittag war es jetzt schon so düster, dass man denken konnte, es wäre bereits Abend.
„Was machst du da, Luca?“, rief Harald schon von Weitem, als er seinen Sohn im Verschlag seiner Meerschweinchen und Hasen sah. Der kümmerte sich doch sonst auch nie um die Tiere! Außer vielleicht um seine Katze Mathilda, die sich auf jeden verfügbaren Schoß setzte, wenn sie gestreichelt werden wollte. Da konnte dann selbst sein eigenwilliger Sohn nicht widerstehen.
„Nichts!“, rief der junge Mann leicht panisch. In den Ohren seines Vaters musste es geklungen haben, als hätte der ihn bei etwas Verbotenem erwischt. Hastig fügte er hinzu: „Deine Tierchen benehmen sich irgendwie anders als sonst und da wollte ich bloß mal nachsehen.“
„Seit wann interessierst du dich für meine Tiere?“, fragte sein Vater übellaunig und bedeutete seinem Sohn, aus dem Gehege rauszukommen. Dieser ließ sich jedoch Zeit damit und schloss nur langsam das Gatter hinter sich. Er brauchte Zeit zum Überlegen, was er antworten sollte, denn es stimmte ja - bis vor ein paar Wochen waren ihm die Tiere seines Vaters wirklich vollkommen egal gewesen. Doch dann hatten seine Tante Linda und ihr behinderter Bruder Hugo ihn in eine verrückte Sache mit hineingezogen, die ihn zunächst sehr fasziniert hatte. Doch inzwischen war er sich nicht mehr so sicher, was er davon halten sollte ...
„Jetzt reg dich net so auf Alter!“, schnappte Luca und freute sich über das zornige Gesicht seines Vaters. Natürlich hasste der es, wenn man ihn „Alter“ nannte, aber Luca war gerade auch auf Krawall gebürstet. Dabei war er eigentlich auf seine Tante wütend, die ihm diese blöde Sache hier überhaupt erst eingebrockt hatte. Beim Hinausgehen rempelte er seinen Vater dann auch heftig an, was ihm eine gewisse Genugtuung verschaffte. Sollte sich sein Alter doch in Zukunft wieder alleine um seine Viecher kümmern, ihm war die Lust daran sowieso vergangen. Oder Linda und Hugo sollten zusehen, wie sie die Tiere wieder hinbekamen. Er war sich wirklich nicht mehr sicher, ob das, was Linda als Medizin für die Tiere gedacht hatte, denen auch tatsächlich gut getan hatte. Sein Gefühl sagte ihm ehrlicherweise genau das Gegenteil, aber warum sollte sie das tun? Sie war doch, soweit er wusste, sehr tierlieb und er konnte sich nicht vorstellen, dass Linda den Tieren absichtlich hatte schaden wollen. Vielleicht hatte sie nur das falsche Rezept ausgewählt? Egal, er war mit dieser Sache durch und würde sich heute nur noch seiner einzigen Aufgabe widmen, die ihm seine Familie aufgebrummt hatte. Danach konnte er endlich wieder in seinem Zimmer seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen - Online-Computer-Spiele und Serien gucken!
Nach all den Jahren war ich wieder zurück auf dem alten Bockmeyer-Hof - ich, der „Ostfriese“, wie sie mich damals immer genannt hatten. Schön war es hier, so hatte ich das Ottenbacher Tal gar nicht mehr in Erinnerung. Eingebettet in bewaldete Hügel, auf der einen Seite mit dem Hohenstaufen und seiner kleinen Ortschaft, die sich wie ein Gürtel um den wie ein Vulkan aussehenden Berg wand. Auf der anderen Seite der Hohenrechberg mit der imposanten Burgruine und mittendrin das kleine Örtchen mit der schönen weißen Kirche im Mittelpunkt. Es hatte sich einiges verändert, seit ich vor über dreißig Jahren weggegangen war. Vor allem die Ortsmitte war neu gestaltet worden. Statt der alten Häuser, die teilweise leer gestanden hatten oder ziemlich verfallen waren, stand nun ein stattliches neues Rathaus, daneben ein großes Mehrfamilienhaus, darunter ein neuer Bäcker inklusive Kreissparkasse und dahinter ein weiteres neues Wohngebäude. Das alles hatte ich gleich als Erstes, als ich hier hergekommen war, auf mich wirken lassen, und hinter dem Rathaus auf dem schönen Platz dem Wasserspiel dort zugeschaut.
Ich konnte kaum glauben, dass ich seit der Geburt meines zweiten Sohnes, diesem behinderten Hugo, nicht mehr hier gewesen war. Als gebürtiger Ostfriese - bin auf Norderney geboren - hatte ich mich hier im Schwabenland nie richtig wohlgefühlt. Meine Ausbildung zum Zimmermann hatte mich hierher verschlagen und durch einen One-Night-Stand war ich an der vier Jahre älteren Edith hängengeblieben, die schwanger geworden war. Ich hatte mich der Verantwortung gestellt und sie geheiratet, doch es war einfach nicht richtig. Die Arbeit auf ihrem Hof hatte mir keinen Spaß gemacht, die Liebe zu Edith war nur vorgetäuscht und von Verantwortungsbewusstsein dem kleinen Harald gegenüber geprägt. Auch vermisste ich meine alte Heimat jeden Tag mehr. Vor allem das Meer hatte mir gefehlt und meine Mutter, die mich mit einer Putzstelle im Hotel „Seesteg“ alleine durchgebracht hat, hatte ich schmerzlich vermisst. Wir hatten schon immer ein sehr enges Verhältnis und die Trennung von ihr tat mir die ganzen Jahre über weh. Auch das war ein Grund, warum ich damals zurück in die Heimat geflohen war und natürlich die Geburt des behinderten Hugo.
Ich weiß, ich bin ein beschissener Vater, aber mit der Behinderung des kleinen Jungen bin ich einfach nicht zurechtgekommen - ich konnte von Anfang an nicht damit umgehen. Auch mit der adoptierten Linda war es immer schon schwierig gewesen - also bin ich damals Hals über Kopf abgehauen. Doch nun war meine Mutter längst tot und ich pleite und deshalb war ich zu meiner Frau zurückgekehrt. Wäre sie nur hartnäckiger geblieben bei der Scheidung damals, denn nun war ich hier, um mir meinen Anteil am Hof zu sichern. Edith hatte versäumt, die Scheidungsunterlagen zu unterzeichnen und so waren wir nach wie vor verheiratet. Kontakt hatten wir seither keinen mehr gehabt, doch nun war ich wieder da ...