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„Es gibt eine weibliche Leiche in Ottenbach. Möchtest du den Fall übernehmen, Joska? Kurze Wege - du verstehst?“, grinste die Kriminalkommissarin Magdalena Müller-Harnisch am nächsten Morgen ihren jungen Kollegen Joska Kiss an. Dieser konnte nicht glauben, dass es in seinem verträumten Heimatort schon wieder einen Mordfall geben sollte. Die neue Woche ging ja gut los ...

„Was wissen wir?“, fragte er wenig begeistert, denn momentan steckte er mitten in einer Fortbildung, auf die er sich eigentlich voll hatte konzentrieren wollen. Selbstverständlich war ihm klar, dass er als Ottenbacher (immerhin lebte er seit ein paar Monaten mit seiner Freundin Nora Angerer zusammen dort auf dem Hof ihrer Eltern), den Fall übertragen bekam. Da kam er wohl nicht drum herum und so zückte er seinen angenagten Bleistift und kramte auf seinem übervollen Schreibtisch nach einem Block, um sich gleich Notizen machen zu können.

„Leider noch nicht viel. Ihr Enkel Luca Bockmeyer fand seine Großmutter tot in ihrem Bett, als er wie immer nach dem Abendessen noch mal nach ihr schaute. Die Frau heißt Edith Bockmeyer, ist - beziehungsweise - war siebzig Jahre alt und Alkoholikerin, wie ihr Hausarzt, der auch den Totenschein ausgestellt hat, mir soeben verraten hat. Dennoch hat er ein paar Dinge entdeckt, die ihm seltsam vorkamen und uns kontaktiert. Was das genau ist, hat er noch nicht gesagt. Die Kollegen der Streife waren schon vor Ort und haben die Leiche inspiziert, konnten aber keine äußeren Verletzungen feststellen. Man hat daraufhin veranlasst, dass der Leichnam in die Gerichtsmedizin nach Ulm gebracht wird. Die Spurensicherung war auch schon dort, hat aber nichts Relevantes gefunden. Ihr solltet euch trotzdem nochmal am eventuellen Tatort umsehen, die Bilder der Toten schicke ich dir gleich auf dein Handy. Hier sind auch noch die Kontaktdaten des Hausarztes, falls du vorher noch mit ihm sprechen möchtest“, sagte die Chefin und ging bereits in Richtung Türe. „Ach ja ... nimm den Clemens mit. Der hat, soweit ich weiß, momentan nichts Wichtiges zu erledigen.“

Noch vor ein paar Monaten hätte Joska tief aufgeseufzt, wenn er den deutlich älteren Sascha Clemens aufs Auge gedrückt bekommen hätte. Doch inzwischen waren sie ein richtig gutes Team geworden und sie ergänzten sich perfekt. Alles, was der knapp dreißigjährige Joska nicht gerne tat wie zum Beispiel recherchieren und Berichte schreiben, liebte Sascha geradezu und darüber war Herr Kiss besonders froh. Also klappte er sein Buch über Forensik zu, meldete sich am Computer ab und stapfte hinüber in Saschas Büro.

„Es gibt schon wieder ne Leiche in Ottenbach!“, rief er schon von draußen und rauschte wie immer schwungvoll durch die Türe, sodass diese aufflog, jedoch im gleichen Moment wieder zurückprallte und ihn an der Nase traf. Mit einem Schmerzensschrei taumelte Joska ins Büro seines Kollegen.

„Was ist denn mit deiner Türe los, Mann!?“, jammerte er und hielt sich die Hand unter die blutende Nase. Ungerührt streckte Sascha ihm ein Taschentuch entgegen.

„Türstopper mit Gummiringummantelung“, grinste er nur und konnte sich dann beim Anblick seines geschundenen Kollegen das Lachen doch nicht verkneifen.

„Was?“, nuschelte der nur, schniefte und trocknete sich die Tränen ab, die ihm unwillkürlich in die Augen geschossen waren.

„Vielleicht ist dir das endlich eine Leere, nicht immer so temperamentvoll durch die Türen zu rauschen, sodass die jedes Mal an die Wand krachen!“, erklärte sein Gegenüber in hoffnungsvollem Tonfall, doch Joska Kiss schaute seinen Kollegen mit aufkeimendem Ärger an.

„Du brichst mir fast die Nase, nur weil ich etwas schwungvoller als andere Leute einen Raum betrete? Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

„Der Türstopper sollte dir doch nicht deinen Riechkolben brechen, sondern die Türe und die Wand schonen! Was denkst du denn?“, sagte Sascha so ernst es ihm möglich war, denn eigentlich hatte er schon gehofft, dass seine Aktion mit dem Türstopper auch eine gewisse Wirkung auf seinen Kollegen haben könnte. Was er selbstverständlich niemals zugeben würde.

„Auch egal ... kommst du jetzt mit zu der Leiche oder nicht?“, näselte Joska mit einem Tempofetzen in der Nase.

„Natürlich - wir sind doch ein Team!“, rief Sascha, als wäre nichts gewesen, schnappte sich seinen Mantel und sein obligatorisches Notizbuch.

„Warte!“, rief Joska und bekam seinen eifrigen Kollegen gerade noch an der Kapuze zu fassen. „Wir sollten, bevor wir in die Gerichtsmedizin fahren, vorher noch mit dem Hausarzt sprechen, der den Totenschein ausgestellt hat. Der hat wohl irgendwas Seltsames bemerkt. Magdalena wusste aber leider noch nicht, was genau. Kannst du das bitte machen? Mich versteht man ja gerade etwas schlecht“, knurrte er mit einem zornigen Blick, während er sich demonstrativ auch noch ein Tempo ins zweite Nasenloch stopfte.

„Okay, ich mach das. Hast du die Nummer von dem Arzt?“, fragte Sascha und setzte sich wieder an seinen Computer. Mit einem Handzeichen bedeutete er seinem Kollegen, der ihm bereits einen Zettel mit Telefonnummer in die Hand gedrückt hatte, sich zu ihm zu setzen. „Ich stell auf laut, dann muss ich dir nachher nicht alles erzählen. Zuhören geht ja auch mit Tempo in der Nase“, konnte er sich nicht verkneifen, während er schon den Hörer in der Hand hatte.

Mit rollenden Augen fläzte sich Joska Kiss auf den Besucherstuhl und streckte seine langen, muskulösen Fußballerbeine von sich.

„Guten Tag, Herr Dr. Menrad. Sascha Clemens - Kripo Göppingen. Meine Chefin, Magdalena Müller-Harnisch hat mir Ihre Nummer gegeben. Wir wollten mit Ihnen über den Todesfall Bockmeyer aus Ottenbach sprechen. Hätten Sie kurz Zeit für uns? Ich habe Sie auf laut gestellt, damit mein Kollege Joska Kiss mithören kann“, eröffnete Sascha das Gespräch mit dem zuständigen Arzt.

„Ja, grüß Gott, die Herren. Einen kurzen Moment noch, bin gleich für Sie da“, sagte Herr Menrad und man hörte, wie er seiner Mitarbeiterin etwas zurief und sich dann gleich wieder meldete. „So, jetzt habe ich kurz Zeit für Sie ... tja, das mit der Ottenbacher Leiche ist ein bisschen merkwürdig, wenn ich das so sagen darf. Frau Bockmeyer ist, beziehungsweise war, schon seit Jahrzehnten meine Patientin. Leider konnte ich ihr bei ihrer Alkoholsucht nicht helfen und musste ihren körperlichen Verfall miterleben, ohne etwas tun zu können. Dass sie irgendwann daran sterben könnte, habe ich erwartet ... dennoch ist mir bei der Leichenbeschau etwas Seltsames aufgefallen, was ich auch gleich Ihren Kollegen und danach auch der Gerichtsmedizin in Ulm mitgeteilt habe“, erklärte der Arzt, ohne konkreter zu werden.

„Könnten Sie uns vielleicht erklären, was Sie so stutzig hat werden lassen?“, wollte Herr Clemens natürlich wissen und auch Joska beugte sich interessiert vor.

„Tja ... nun ... ich kann es gar nicht genau beschreiben, aber mir scheint, dass sie Vergiftungserscheinungen aufzeigt“, stammelte der Arzt.

„Aber die können doch von der Alkoholgeschichte herrühren - Alkohol ist ja auch ein Gift, wenn man es so will“, schaltete sich Herr Kiss in das Gespräch ein.

„Ja schon, aber so starke Anzeichen findet man da meistens nicht. Wie schon gesagt, ich habe das den Kollegen mitgeteilt und ich denke, sie werden der Sache schon auf den Grund gehen. Setzen Sie sich doch bitte mit denen in Verbindung, mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen - tut mir leid“, entschuldigte sich der Herr Doktor.

„Kein Problem, Herr Dr. Menrad. Danke, dass Sie so aufmerksam waren und uns das gemeldet haben. Bei so alten und zudem noch alkoholkranken Leuten rechnet man ja mit einem frühzeitigeren Tod und schaut dann bei der Leichenschau vielleicht nicht immer so genau hin. Gute Arbeit!“, lobte Joska, doch dann fiel ihm noch etwas ein. Wenn er schon einen Arzt an der Strippe hatte, konnte er ihn auch gleich noch etwas Privates fragen. Eventuell konnte er sich so den Gang zu seinem Hausarzt sparen.

„Ach, Herr Doktor - einen kurzen Moment noch. Ich hätte da noch eine Frage.“

„Ja bitte, aber machen Sie es bitte kurz! Mein Wartezimmer ist voll und die Leute werden immer ungeduldiger und pansicher - es ist wirklich nicht zu fassen!“, jammerte der Arzt und Joska konnte sich das sogar bildlich vorstellen - lauter Leute mit Atemschutzmasken im Wartebereich!

„Eine befreundete Apothekerin hat mir gesteckt, dass es bald zu Engpässen bei einigen Arzneien kommen könnte. Ich muss regelmäßig Schilddrüsen-Medikamente nehmen und hätte zwar noch für ein paar Wochen welche zuhause. Aber könnte man trotzdem jetzt schon ein Rezept für die nächste Ration bekommen?“

„Ihr Hausarzt wird Ihnen sicher eines ausstellen, aber vielleicht kommen Sie damit bereits zu spät! Soweit ich weiß, sind mancherorts zum Beispiel die Hunderter schon ausverkauft!“

„Oh nein, das ist nicht gut! Hoffentlich läuft das bald alles wieder normal! In China wurde doch alles wieder etwas gelockert oder?“

„Sie können ja auch zwei mal Fünfziger nehmen, die gibt es wohl noch. Wo das alles noch hinführt kann ich Ihnen leider auch nicht sagen, aber hoffen wir einfach das Beste, dass die Politiker und wirtschaftlichen Verantwortlichen es nicht zum Äußersten kommen lassen. Darf ich dann wieder an meine Arbeit gehen? Ich selbst habe Sorge, dass ich meine Praxis schließen muss, sollte es bei mir oder meiner Belegschaft zu einer Ansteckung kommen. Das ist alles nicht mehr so harmlos, wie es viele immer noch darzustellen versuchen!“, seufzte Dr. Menrad und nach einer knappen Verabschiedung legte er auf.

„Schon ganz schön bedrohlich, das Ganze! Ich habe gehört, dass sie nun auch bei uns ab nächster Woche die Schulen und Kindergärten bis nach den Osterferien schließen wollen! Da werden viele Eltern zuhause bei ihren Kindern bleiben müssen, denn zu den Großeltern, die ja potenziell gefährdeter sind, soll man sie auch nicht geben. Ob es da auch einige unserer Kollegen treffen wird?“, fragte Joska und dachte dabei an Nora und ihre Familie. Die würden in ihrem Ottenbacher Familienbetrieb, einer Messermacher-Werkstatt, zunächst ganz normal weiterarbeiten können. Vielleicht kamen nicht mehr so viele Kunden in die Firma, aber mehr würden sie wohl nicht mitbekommen.

„Ja, da bin ich auch mal gespannt. Aber zurück zu unserem Fall: Jetzt wissen wir zwar nicht viel mehr, aber ich hoffe, dass die Gerichtsmediziner das mit der angeblichen Vergiftung rauskriegen. Sollen wir gleich versuchen, dort einen Termin zu bekommen oder ist das eh noch zu früh?“, fragte Sascha und Joska bestätigte das.

„Eilt doch jetzt nicht so sehr, oder?“, meinte Joska und hoffte dabei, heute vielleicht doch noch nicht von seinen Fortbildungsunterlagen abgezogen zu werden.

„Die melden sich doch sowieso, wenn sie was Ungewöhnliches feststellen und wir dürfen dann rausfinden, ob sie sich selbst vergiftet hat oder ob jemand Anderes dahintersteckt. Warten wir einfach ab, einverstanden?“, fragte Sascha und sein Kollege nickte, klatschte sich auf die Schenkel und sprang hoch.

„Prima Idee, dann werde ich mich weiter hinter meine Fortbildung klemmen - ist ganz schön viel, kann ich dir sagen!“, seufzte er und verschwand wieder in seinem Büro.

Altes Wissen - Neuer Tod

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