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Zweifel am Modell
ОглавлениеWie alle solche Modelle stellt auch unser Turniermodell eine grobe Vereinfachung der Realität dar. Das Gute daran ist, dass ein Modell zu besonders greifbaren Ergebnissen führt, indem es sich auf das konzentriert, was wirklich wichtig ist. Trotzdem wollen wir an dieser Stelle einhaken und uns ein wenig mit Zweifeln und Kritik an dieser Vereinfachung beschäftigen, bevor wir das Modell ausweiten, um zu untersuchen, wie Rüstungsausgaben die Entwicklung der Schießpulvertechnologie beeinflussten.
Eine Vereinfachung ist, dass die beiden Herrscher dieses Spiel nur einmal spielen, und zwar zu Beginn ihrer Regierungszeit. Ihre Entscheidung, in den Krieg ziehen, interpretieren wir nicht als Entscheidung für oder wider einen bestimmten Konflikt, sondern als kriegerische Grundhaltung, die für die gesamte Zeit ihrer Herrschaft gilt. Das Modell setzt voraus, dass die beiden Herrscher während ihrer gesamten Zeit auf dem Thron entweder gegeneinander Krieg führen oder friedlich nebeneinander her leben. Natürlich könnten auch andere Herrscher (aus anderen Ländern oder anderen Epochen) dieses Spiel spielen, aber damit die Dinge nicht zu kompliziert werden, gehen wir davon aus, dass die Herrscher keine Allianzen bilden und sich nicht darum kümmern, was nach ihrer Herrschaft geschieht.
Zugegeben, an dieser Stelle lässt das Modell komplexere Muster von Bewaffnung und Kampf außen vor, wie sie ein aufwendigeres Modell generieren könnte.32 Entweder führen die Herrscher Krieg, oder sie führen keinen Krieg, weil sie entweder keinen Gegner haben oder sich zurückziehen. Allerdings muss man auch festhalten, das eben dieses simple Muster ziemlich genau beschreibt, wie sich viele Herrscher in der der Frühen Neuzeit in Wirklichkeit verhielten, von den Kaisern Chinas bis hin zu einigen Königen in Westeuropa.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die beiden Herrscher ihr Verhalten ja auch ändern könnten, beispielsweise wenn sie bereits wüssten, dass eine Generation später ihre Söhne gegeneinander kämpfen würden. Mag sein, dass solche Überlegungen in der Theorie zu ganz anderen Ergebnissen führen würden, doch in der Realität des frühneuzeitlichen Europa war dies eher unwahrscheinlich, vor allem wenn der Gewinn in Ruhm oder einem Sieg über die Feinde des eigenen Glaubens bestand.33 Es ist nun einmal eine Tatsache, dass die Außenpolitik von kurzfristigen Interessen geleitet war und sich von Herrscher zu Herrscher stark unterschied.34 Wir dürfen durchaus annehmen, dass sich die Herrscher damals eher weniger damit beschäftigten, was nach ihrer eigenen Herrschaft geschah.
Und wie sieht es mit möglichen Allianzen und Bündnissen aus? Auch diese stellen für das Gebiet, das wir hier untersuchen wollen, kein so großes Problem dar, wie es zunächst scheint. Unser Wettbewerbsmodell kann ganz einfach auf mehr als zwei Herrscher erweitert werden, der Erkenntnisgewinn bleibt der gleiche. Wichtig ist eigentlich nur, dass es mindestens zwei Herrscher sind, die zu einem Krieg bereit sind, und nicht nur einer; ob es zwei, drei oder noch mehr sind, ist dabei weniger relevant.35 Bündnisse zwischen einzelnen Ländern bzw. Herrschern wurden mitunter weit vor einem möglichen Krieg geschmiedet und per Eheschließung bekräftigt. Was unser Modell betrifft, können wir solche Bündnisse als exogene Variablen einstufen. Andere Allianzen können wir kurzerhand als weiteres Mittel zur Mobilisierung von Ressourcen ansehen. In diesem Fall bleibt das Modell so lange unverändert, wie die variablen Kosten der Mobilisierung konstant bleiben.36
Ein weiterer Kritikpunkt gilt den variablen Kosten. Hier ist das Problem, dass man sie nicht direkt nachverfolgen kann, da es sich um politische Kosten handelt und nicht um monetäre. Hinweise auf hohe politische Kosten sind Aufstände wegen zu hoher Steuern, Widerstand der Elite und Fahnenflucht, aber ebenso ein zu niedriges Steueraufkommen während des Krieges. Der Grund dafür ist, dass die politischen Kosten in Kriegszeiten umgekehrt proportional zu den Kosten des Militärs sind. Neben Krediten waren es in erster Linie die Steuern, die den Rüstungsetat finanzierten; daher hatte ein Herrscher, der im Krieg wenig Steuern einnahm, zwangsläufig hohe variable Kosten – andernfalls hätte er ja ohne Weiteres die Steuern erhöhen und sich mehr Soldaten und Kriegsgerät beschaffen können.37
Natürlich kam es auch vor, dass sich ein Herrscher mitten im Krieg Geld lieh, um neue Ressourcen zu mobilisieren, und dieses dann später zurückzahlte, indem er erst nach dem Krieg die Steuern erhöhte. Andererseits waren es in der Frühen Neuzeit zumindest in Europa vor allem Staaten mit besonders hohen Steuern, die sich das meiste Geld leihen konnten – schließlich mussten sich die Kreditgeber ja auch absichern. Insofern gingen hohe Kredite und hohe Steuern Hand in Hand.38 Aushebungen und Gelder aus der persönlichen Kasse des Herrschers trugen mitunter auch einen Teil zu den Rüstungsausgaben bei, aber in den meisten Fällen war dies nicht besonders viel. (Die wichtigsten Ausnahmen im frühneuzeitlichen Westeuropa waren Schweden und Preußen – die schwedischen Könige verfügten über große Armeen eingezogener Soldaten, und die preußischen Herrscher steuerten erhebliche Summen aus ihrem eigenen Vermögen zum Rüstungsetat bei.) 39 Ganz allgemein gilt: Selbst wenn die Herrscher nicht gegeneinander kämpften, wiesen höhere variable Kosten auf niedrigere Steuern in Kriegszeiten hin, obgleich man diese niedrigeren Steuern auch darauf zurückführen könnte, dass der Gewinn weniger wertvoll war oder dass es Unterschiede in den variablen Kosten eines Gegners gab.
Ein weiterer Kritikpunkt könnte sein, dass das Modell davon ausgeht, die variablen Kosten blieben konstant – würden sie nicht spätestens dann steigen, wenn die Mobilisierung von Ressourcen ein gewisses Maß übersteigt? Dieses Problem haben wir in unserem Modell zumindest teilweise dadurch gelöst, dass wir bei jedem Herrscher für die mobilisierbaren Ressourcen jeweils eine bestimmte Obergrenze annehmen. Wir werden uns später damit beschäftigen, was passiert, wenn sich die politischen Kosten (die für je zwei Herrscher festgelegt sind) im Laufe der Zeit verändern.
Ähnliche Bedenken könnte man anmelden, was den Wert des Gewinns oder der Fixkosten betrifft, die wir im Rahmen unseres Wettbewerbsmodells (wie die variablen Kosten) ebenfalls für je zwei Herrscher als konstant annehmen. Wenn wir später Herrscher in unterschiedlichen Epochen und in verschiedenen Teilen Eurasiens betrachten, werden wir auch hier mit unterschiedlichen Werten arbeiten und schließlich erklären, warum sie an einem Ort niedriger bzw. höher sein können als anderswo.
Zu guter Letzt könnte man die Frage aufwerfen, ob die europäischen Herrscher der Frühen Neuzeit nicht einiges an Ressourcen verschwendet haben – denn immerhin trugen sie ja nicht selbst die Kosten für ihren Krieg (zumindest nicht die vollen Kosten). Die Befürchtung ist insofern berechtigt, als es durchaus möglich war, dass ein Herrscher, der einen Krieg unbedingt gewinnen wollte, dabei die gesamte Wirtschaft eines Landes ruinierte. Andererseits hätte wohl kaum ein Herrscher leichtfertig seine Steuereinnahmen oder das Leben seiner Soldaten aufs Spiel gesetzt, denn damit wären automatisch seine eigenen Kosten für die Mobilisierung von Ressourcen in die Höhe geschnellt. Insofern hätten doch alle, die bestimmte militärische Ziele verfolgten, schon aus Eigennutz mit Soldaten und Material relativ sorgsam umgehen müssen. Und nach allem, was wir heute wissen, taten sie das auch. Militärunternehmer und für die Beschaffung von Kriegsgerät zuständige Beamte wachten sorgsam über die Ausgaben. Zwar kam es vor, dass Offiziere leichtfertig Menschenleben aufs Spiel setzten, um einer Belagerung möglichst schnell ein Ende zu setzen, doch den Herrschern war viel daran gelegen, dass besonders erfahrene Soldaten und Matrosen überlebten, da jene überhaupt erst dafür sorgten, dass ihre Armeen und Flotten effektiv waren. Zudem hatte man bereits festgestellt, dass es, wie Geoffrey Parker schreibt, „weitaus billiger war, einen verwundeten Veteran gesund zu pflegen, als einen neuen Rekruten auszubilden“. Das Christentum schlug in dieselbe Kerbe, indem es Barmherzigkeit predigte. Es veranlasste Herrscher dazu, Gefangene freizukaufen, Lazarette für verwundete Soldaten einzurichten und Heime für verkrüppelte Veteranen zu bauen.40