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Die Implikationen des Modells für das Europa der Frühen Neuzeit

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Rein theoretisch hätten die Westeuropäer die Schießpulvertechnologie ab dem Spätmittelalter also kontinuierlich weiterentwickeln müssen. Bei all diesen technischen Neuerungen hätte der Rüstungssektor in Westeuropa ab dem 14. Jahrhundert außerdem ein nachhaltiges Produktivitätswachstum verzeichnen müssen. Doch lassen sich diese Annahmen auch durch historische Aufzeichnungen untermauern?

Auf jeden Fall, zumindest was die Militärgeschichte betrifft. Die zuerst im Spätmittelalter verwendete Artillerie legte schon bald Stadtmauern in Schutt und Asche, was zu einer drastischen Umgestaltung von Befestigungsanlagen führte, und dies wiederum zog die Entwicklung neuer Belagerungstaktiken nach sich. Die Einnahme gut befestigter Burgen wurde immer besser planbar, und schließlich gelang es, sogar Festungen zu erobern, die bislang als uneinnehmbar galten.70 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts verwendete König Gustav II. Adolf von Schweden die erste wirklich effektive Feldartillerie, und im ausgehenden 18. Jahrhundert machte die französische Armee die Feldgeschütze leichter, sodass sie sich besser transportieren ließen, was wiederum unter Napoleon zu drastischen Neuerungen in der Kriegstaktik führte. Um 1400 herum waren die ersten Feuerwaffen in Europa kleinkalibrige Geschütze, die man an Stöcken befestigte (Abbildung 2.4), später kamen Flinten mit Luntenschloss auf (Abbildung 2.5), und diese wurden im 17. Jahrhundert durch die zuverlässigeren Steinschlossgewehre abgelöst. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts wurde die Kavallerie mit Pistolen ausgestattet. Was die Kriegsmarine betrifft, so erhielten die ersten Schiffe vielleicht bereits im 14. Jahrhundert Geschütze, und in den darauffolgenden vier Jahrhunderten gab es hier eine Innovation nach der anderen – von Geschützpforten bis hin zu immer aufwendigeren Schiffskonstruktionen, dank derer man die größten Kriegsschiffe mit bis zu 74 Kanonen bestücken konnte. Man verbesserte nicht nur die Feuerkraft der Geschütze, sondern auch die Reichweite der Schiffe, ihre Seetüchtigkeit und die Möglichkeit, bei schlechtem Wetter zu segeln. Taktiken, Ausbildung und Organisation – all das erfuhr massive Verbesserungen, bei der Marine wie auch bei den Landstreitkräften. Das gliedweise Feuern (das einen aufwendigen Drill der Musketiere erforderte, die selbst unter Beschuss ein kontinuierliches Sperrfeuer aufrechterhalten sollten) war nur eines von zahlreichen Beispielen. Und im Laufe dieses gesamten Prozesses wurden die erfolgreichen Monarchien immer besser darin, ihre Kriege zu bezahlen und ihre Armeen und Flotten zu versorgen, während sie immer mehr davon abrückten, private Auftragnehmer anzuheuern, und die Arbeit stattdessen von ihren eigenen Beamten erledigen ließen.71 England (das offenbar spätestens Ende des 18. Jahrhunderts in Sachen Finanzierung und Ausrüstung seines Militärs die Nase vorn hatte) schuf einen Steuerapparat, der Verbrauchsteuern einzog und damit riesige Summen einnahm, während die britische Flotte systematisch die Hygiene an Bord ihrer Schiffe verbesserte und dafür sorgte, dass ihre Matrosen sich besser ernährten und sauberere Kleidung erhielten. Dadurch verringerte die Marine drastisch die Anzahl der Todesfälle durch Skorbut, Typhus und Pocken. Die erfahrenen Besatzungen verbrachten deutlich mehr Zeit auf See und weniger im Hospital.72


Abbildung 2.4. Frühe Feuerwaffe, ca. 1411. Quelle: Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Codex 3069, folio 38v.


Abbildung 2.5. Abfeuern einer Luntenschloss-Gabelmuskete, 1607. Quelle: Gheyn 1607, mit freundlicher Genehmigung der Library of Congress.

Es gibt auch unwiderlegbare quantitative Beweise dafür, dass die Produktivität der Technologie in Westeuropa stieg, und zwar in einem Maße und in einem Tempo wie sonst nirgends in den vorindustriellen Volkswirtschaften. Nachdem Pfeil und Bogen durch Feuerwaffen ersetzt worden waren, war der neue kritische Parameter für die Infanterie ihre Feuerkraft. Die Anzahl der Schüsse, die französische Truppen innerhalb eines bestimmten Zeitraums abgeben konnten, stieg zwischen 1600 und 1750 um das Zehnfache; Mitte des 18. Jahrhunderts machten Bajonette die Pikeniere überflüssig, und die alten Luntenschlossflinten wurden von Steinschlossgewehren mit Ladestock und Papierpatronen verdrängt (Tabelle 2.4).73 Die höhere Feuerrate sorgte für ein Wachstum der Arbeitsproduktivität von 1,5 Prozent pro Jahr – diese Zahl kommt den Wachstumsraten in modernen Volkswirtschaften gleich, und er übersteigt bei Weitem, was man selbst zu Beginn der industriellen Revolution erwarten würde. 74 Dabei ist der Wert noch extrem niedrig angesetzt, denn er lässt die Fortschritte in Taktik, Versorgung und Organisationsformen außer Acht, die wir als integralen Bestandteil der Schießpulvertechnologie ansehen können. Nur ein Beispiel: Mit der Perfektionierung des gliedweisen Feuerns Anfang des 17. Jahrhunderts hörten die Verbesserungen in Sachen Feuertaktik noch längst nicht auf. Anfang des 18. Jahrhunderts teilte man Truppen mit Steinschlossmusketen in einzelne Züge auf, die innerhalb eines Bataillons so angeordnet wurden, dass alle gleichzeitig feuern konnten, wobei einige standen und einige knieten. Ein Drittel der Soldaten feuerte zuerst, dann folgten nacheinander die anderen beiden Drittel. Das verbesserte nicht nur die Feuerkraft einer Armee, sondern auch die Moral der Soldaten, die als Teil einer kleineren Gruppe alle gleichzeitig agierten, und – aus demselben Grund – die Kontrolle über die Heeresteile.75

Tabelle 2.4. Arbeitsproduktivität in der französischen Armee: erfolgreiche Schüsse pro Infanterist, 1600–1750


Quelle: Lynn 1997, 454–472.

Anmerkung: Die Berechnung berücksichtigt nur Pikeniere und Infanteristen mit Feuerwaffen; unbewaffnete Soldaten wie Trommler sind nicht mit einberechnet. Die implizite Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität für die 150 Jahre von 1600 bis 1750 beträgt 1,5 Prozent pro Jahr.

Auch die Marine erlebte ein nachhaltiges Produktivitätswachstum – was im Grunde kaum überrascht, schließlich hatten die Europäer in diesem Bereich den wohl größten Vorsprung. Die Produktivität der Marine zu messen, ist indes nicht ganz einfach, denn bei der technischen Verbesserung von Kriegsschiffen gab es eine Vielzahl unterschiedlicher Ziele, und diese änderten sich auch im Laufe der Zeit. Im 18. Jahrhundert ging es vor allem um die reine Feuerkraft, aber Geschwindigkeit, Reichweite und die Fähigkeit, bei schlechtem Wetter zu kämpfen, waren ebenfalls wichtige Parameter, vor allem in Kriegen, bei denen es darum ging, den Gegner wirtschaftlich zu zermürben, was auf zahlreiche Seekriege der Frühen Neuzeit zutrifft.76


Abbildung 2.6. Preisverhältnis zwischen Pistolen und Spaten: England, 1556–1706. Quellen: Rogers und Rogers 1866–1902 (Preise von Pistolen), Greg Clark (Preise von Spaten).

Doch trotz der vielfältigen Anforderungen, die man an Kriegsschiffe stellte, haben wir genügend Beweise dafür, dass die Produktivität der europäischen Seestreitkräfte in der Frühen Neuzeit immer weiter stieg. Ignorieren wir einmal die anderen Ziele der Marine und nehmen lediglich die Feuerkraft unter die Lupe: Wenn wir das reine Gewicht der Geschosse als Maßstab für die Produktivität der Marine ansehen und dieses Gewicht durch die Arbeit an Bord eines Schiffes und das Kapital teilen, so erhalten wir einen Wert für die Totale Faktorproduktivität (in anderen Worten: die Produktivität nicht nur der Arbeit, sondern sämtlicher Produktionsfaktoren). Dieser Wert stieg in der britischen Marine zwischen 1588 und 1680, als die Feuerkraft zunehmend an Bedeutung gewann, um 0,4 Prozent pro Jahr.77 Ein so schnelles Wachstum gab es in den vorindustriellen Volkswirtschaften praktisch nirgendwo sonst; dort wuchs die Gesamtproduktivität in den wichtigsten Bereichen der Wirtschaft in der Regel nur um bis zu 0,1 Prozent pro Jahr (wenn sie überhaupt wuchs).78 Nun könnte man natürlich einwenden, dass die britische Marine einfach nur auf Feuerkraft setzte und daneben andere Parameter wie die Geschwindigkeit und Reichweite der Schiffe vernachlässigte – technisch ausgedrückt, dass sie sich nur in einem bestimmten Grenzbereich der Produktionsmöglichkeiten bewegte und die Produktivität insgesamt konstant blieb. Jedoch hatten die Briten bereits Ende des 16. Jahrhunderts damit begonnen, feindliche Schiffe nicht mehr zu entern (wie es bis dahin das primäre Ziel in Seeschlachten gewesen war), sondern sie mithilfe ihrer Geschütze zu versenken. Tatsächlich stammen die Daten von 1588 bereits von Kriegsschiffen, die sich auf Feuerkraft spezialisierten – damals besiegte die schwer bewaffnete Flottille der Engländer die spanische Armada.

Ein weiteres Anzeichen für ein rasantes Produktivitätswachstum waren die sinkenden Preise für Waffen, die seit dem Spätmittelalter weitaus schneller fielen als die Kosten für andere Industriegüter. Der relative Preis für Pistolen beispielsweise fiel in England zwischen Mitte des 16. Jahrhunderts und Anfang des 18. Jahrhunderts um den Faktor 6 (Abbildung 2.6), und auch andere Waffen wie Kanonen und Musketen erlebten – in Relation zu den Kosten der relevanten Produktionsfaktoren – einen rasanten Preisverfall. Genau wie heutzutage bei den Kosten für Computertechnik waren diese sinkenden Preise ein deutliches Anzeichen für ein Wachstum der Produktivität. Auch in diesem Fall sind die entsprechenden Werte wohl zu niedrig angesetzt, da Verbesserungen in Taktik, Versorgung und Organisation dabei ignoriert werden.

Tatsächlich können wir das Produktivitätswachstum für die frühneuzeitliche Waffenproduktion in Frankreich und England schätzen, indem wir die Kosten für Feldgeschütze, Musketen oder Pistolen mit einem Index der Kosten der Produktionsfaktoren vergleichen. Der Mittelwert der Wachstumsrate der Totalen Faktorproduktivität (über einen Zeitraum vom Ende des 14. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts) betrug 0,6 Prozent – ein sehr hoher Wert, selbst zu Beginn der industriellen Revolution (Tabelle 2.5). Eine weitere Möglichkeit, die Kosten zu analysieren, ist den Preis von Waffen mit dem für zivile Produkte mit einem vergleichbaren Produktionsprozess, etwa Spaten, zu vergleichen. Hierbei ergibt sich ein noch höherer Mittelwert, nämlich 1,1 Prozent pro Jahr, was den Wachstumsraten bei Textilien und Eisen entspricht, die während der industriellen Revolution erreicht wurden (Tabelle 2.6).

Tabelle 2.5. Geschätzte Wachstumsraten der Totalen Faktorproduktivität von einem Preisindex in Relation zu den Kosten der Produktionsfaktoren: Englische und französische Waffen


Quellen: Archives nationales, Marine, Armaments D/3/34 (Compte fonderie d’Indret), Bibliothèque nationale, Manuscrits français 2068 (Prothocolle pour servir d’avertissement) und 3890 (Jehan Bytherne, Livre de guerre), Rogers und Rogers 1866–1902, Guyot 1888, Levasseur 1893, Nicollière Teijeiro und Blanchard 1899–1948, Tout 1911, Phelps Brown und Hopkins 1955, Beveridge 1965, d’Avenel 1968, Clark 1988, Rogers 1993, Clark 2002. Zu weiteren Einzelheiten über die Quellen und darüber, wie die Preise berechnet wurden, siehe Hoffman 2011, Tabelle 1.

Anmerkung: Die Schätzungen basieren auf Regressionen unter Verwendung von Gleichung (2) in Anhang B. Falls ein Mangel an Daten einen Faktor von den Regressionen ausgeschlossen hat, wird kein Faktor-Anteil gezeigt.

Die Schätzungen beinhalten zwar bestimmte Annahmen über die Marktstruktur des militärischen Sektors in Europa (alle Details hierzu finden sich in Anhang B), aber alle unsere Indizien deuten darauf hin, dass sie durchaus im Bereich des Möglichen liegen. Und es besteht kaum die Chance, dass es sich dabei um statistische Sondereffekte handelt.79 Wenn überhaupt, so sind die Schätzungen wahrscheinlich eher zu niedrig angesetzt, wie bei den Feuerraten der Feuerwaffen. Auch lassen die Berechnungen qualitative Verbesserungen (wie den Übergang vom Luntenschloss zu Steinschloss) außen vor, die die Preise erhöht und die geschätzte Produktivitätswachstumsrate damit künstlich reduziert hätten, sowie mögliche technische Änderungen in der Produktion ziviler Güter, die die gleiche Wirkung gehabt hätten. Doch vor allem vernachlässigen sie genau diejenige Zeit mit dem wohl raschesten Produktivitätswachstum: Direkt nach Erfindung der Waffen fielen die Produktionskosten dank Learning by Doing wahrscheinlich am schnellsten; nur leider tauchen Preise für die Waffen, wie wir sie für unsere Berechnungen brauchen, erst viel später in den historischen Aufzeichnungen auf, als der Waffenverkauf schon mehr zum Alltag gehörte.80 Für die damaligen Preise haben wir ein einziges Beispiel, nämlich für die ersten in Frankfurt produzierten Waffen. Und dieses Beispiel weist darauf hin, dass die resultierende Verzerrung nach unten in den Schätzungen erheblich ist, denn hier ergibt sich für die Zeit zwischen 1399 und 1431 ein Wachstum der Totalen Faktorproduktivität von 3,0 Prozent pro Jahr. Dies ist sogar nach allen modernen Standards eine beeindruckende Zahl – für das ausgehende Mittelalter ist sie nichts weniger als erstaunlich.81

Tabelle 2.6. Geschätzte Wachstumsraten der totalen Faktorproduktivität vom relativen Preis von Waffen und nicht-militärischen Industriegütern


Quellen: Zusätzlich zu den in Tabelle 2.5 aufgeführten Quellen sind das Guyot 1784–1785, Bd. 15, s. v. „Rente“ und englische Preise für Spaten, die freundlicherweise von Greg Clark bereitgestellt wurden. Zu weiteren Einzelheiten über die Quellen und darüber, wie die Preise berechnet wurden, siehe Hoffman 2011, Tabelle 2.

Anmerkung: Die Regressionen basieren auf Regressionen unter Verwendung von Gleichung (3) in Anhang B. N ist die Anzahl der Preisbeobachtungen für militärische Güter; wo es mehr als 10 Beobachtungen gab, wurden die Regressionen mit weiteren Produktionsfaktoren zusätzlich zu qualifizierter Arbeit durchgeführt. Die anderen Produktionsfaktoren waren diejenigen, deren Preise man finden konnte und bei denen die Faktor-Anteile für das militärische und das damit verglichene Gut wahrscheinlich unterschiedlich waren.

Am Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit stellten die europäischen Büchsenmacher immer bessere Waffen her, während die Feuerkraft von Infanterie und Kriegsschiffen unaufhaltsam stieg. Und dies waren nicht die einzigen Fortschritte, die den Prognosen unseres Modells entsprechen: Die Vorteile einiger Neuerungen waren geradezu dramatisch. So erhöhte beispielsweise die im 18. Jahrhundert eingeführte Kupferummantelung die Spitzengeschwindigkeiten britischer Kriegsschiffe um fast 20 Prozent, und nicht nur das: Die effektive Größe der britischen Flotte wuchs dadurch um bis zu einem Drittel, da die Schiffe weniger Zeit an Land verbrachten, um instand gesetzt und repariert zu werden. Die Zeit der Schiffe auf See verlängerte sich noch durch weitere Veränderungen, die weniger auffällig waren, aber nicht weniger wichtig, zum Beispiel bessere Hygiene und Verpflegung. Das hatte die Marine dem britischen Steuersystem zu verdanken, das viel leistungsfähiger war als das französische. Und weil die Schiffe länger auf See blieben, lernten ihre Besatzungen automatisch, effektiver zusammenzuarbeiten.82

Inzwischen verbesserten die Kapitäne der britischen Marine, wie eine Analyse von Daniel Benjamin und Anca Tifrea vermuten lässt, ihre kriegerischen Fertigkeiten: Zwischen 1660 und 1815, als Großbritannien zur wichtigsten Seemacht Europas aufstieg, sank die Todesrate der britischen Schiffskapitäne (und vermutlich auch die ihrer Besatzungen) rasant. Allein die Dominanz der britischen Marine gegen Ende des 18. Jahrhunderts vermag dieses Phänomen nicht zu erklären, denn die Todesrate war bereits 1710 gefallen, und zu jenem Zeitpunkt waren die Briten noch längst nicht die führende Seestreitmacht. Vielmehr lag es daran, dass die Kapitäne aus den Fehlern ihrer Vorgänger lernen konnten – Fehler, die sie lehrten, wie man kämpft und welche Strategien man wählt, beispielswiese wann man sich für die Schlacht entscheidet und wann für die Flucht. Wenn wir diesen Vorgang, um ihn irgendwie beziffern zu können, an der Anzahl der Kommandeure messen, die starben, bevor ein neuer Kapitän das Ruder übernahm, dann ergibt sich daraus, dass es eben dieser Menge an Wissen um früher begangene Fehler war, die die Mortalität senkte – selbst wenn man die Intensität oder die Anzahl der Schlachten mit einberechnet, an denen der Kapitän beteiligt war. Wenn wir eine konstante Intensität und Anzahl der Schlachten voraussetzen, dann hat das Wissen um die Fehler ihrer Vorgänger die Mortalität der Kapitäne binnen eines Jahrhunderts von 16 Prozent (1670–1690) auf gerade einmal 0,1 Prozent (1790–1810) fallen lassen.83

Auch die Landstreitkräfte wurden effektiver. Es ist nie einfach, jemanden dazu zu bringen, irgendwelche Befehle zu befolgen, wenn sein Leben in Gefahr ist. Noch schwieriger ist es, die Disziplin von Truppen aufrechtzuerhalten, während sie beschossen werden. Heutige Streitkräfte begegnen diesem Problem, indem sie ihre Soldaten umfassend ausbilden und dafür sorgen, dass innerhalb der kleinen Truppenverbände, in denen gekämpft wird, eine große Loyalität entsteht. Diese Ausbildung und der Einsatz für die Kameraden ihres Kaders bringen Soldaten dazu, in der Schlacht höchste Leistung zu bringen; nur so überwinden sie ihren angeborenen Widerwillen dagegen, andere Menschen aus nächster Nähe zu töten. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass dies keine Erscheinung einer vielleicht allzu mitleidorientierten Moderne ist, sondern dass es diese Hindernisse schon in der Antike gab.84 Und auch wenn die Armeen der Frühen Neuzeit nicht von modernen Studien über Gruppendynamik profitieren konnten, fanden sie doch ganz ähnliche Lösungen für das Problem. Die Spanier organisierten ihre Truppen im 16. Jahrhundert beispielsweise in Verbänden von etwa zehn Soldaten, die zusammen lebten und sich darauf verlassen mussten, einander zu unterstützen. Die Soldaten operierten im Team, und sie taten nahezu alles dafür, sich nicht vor ihren Kameraden zu blamieren. Zudem setzte das spanische Heer darauf, junge Rekruten durch Veteranen ausbilden zu lassen. Beide Praktiken ernteten viel Lob, selbst von den protestantischen Soldaten, gegen die das katholische Spanien Krieg führte, und schon bald kopierte man sie überall in Europa.85 Wir können also festhalten: Selbst wenn es um einen kaum messbaren Parameter wie die Gruppenorganisation geht, bestätigt die Beweislage das nachhaltige Produktivitätswachstum der Schießpulvertechnologie in Westeuropa.

Wie Europa die Welt eroberte

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