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Welche Rolle spielt die politische Geschichte?
ОглавлениеDie kontinuierlichen Innovationen, die wir für Westeuropa ab dem 14. Jahrhundert beobachten können, entsprechen exakt den Prognosen unseres Modells. Alle vier Bedingungen für die Weiterentwicklung der Schießpulvertechnologie wurden im Westeuropa des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit eingehalten. Wie das Modell impliziert, müsste das Resultat ein ununterbrochenes Produktivitätswachstum des militärischen Sektors in Westeuropa sein. Genau das können wir auch beobachten, und zwar geschah dies mit einem Tempo, das für alle anderen vorindustriellen Volkswirtschaften beispiellos ist. Dieses nachweisbare Produktivitätswachstum spricht für unser Turniermodell.
Im nächsten Schritt wollen wir feststellen, ob das Modell auch auf den Rest Eurasiens anwendbar ist, von Osteuropa bis nach Japan – kann es erklären, warum es den anderen großen Zivilisationen Eurasiens nicht in ähnlicher Weise gelang, die Schießpulvertechnologie weiterzuentwickeln, wie den Westeuropäern? Warum sie bei einer Rüstungstechnologie, die ideal für Eroberungen geeignet war, am Ende ins Hintertreffen gerieten? Doch bevor wir uns diese Frage vornehmen, sollten wir noch einmal auf einen ganz wichtigen Punkt hinweisen: Diese nachhaltigen Innovationen in Europa waren in keiner Weise irgendwie vorherbestimmt. Tatsächlich kann man sich auch vorstellen, dass alles ganz anders gekommen wäre, hätte sich die politische Geschichte Westeuropas nur ein wenig anders entwickelt.
Diese Möglichkeit ergibt sich ganz eindeutig aus dem Turniermodell selbst. Denn damit das Learning by Doing funktioniert, müssen die Herrscher (so besagen es die ersten beiden Bedingungen des Modells) um einen zu erwartenden Gewinn kämpfen, der – verglichen mit den Fixkosten der Einrichtung eines Steuer- und Militärapparats – wertvoll ist, und die politischen Kosten der Mobilisierung von Ressourcen müssen bei beiden ähnlich niedrig sein. Zudem müssen ihre Länder ähnlich groß sein. In Europa gab es immer wieder Herrscher, die in der Lage waren, enorme Summen auszugeben, um mit Feuerwaffen Krieg zu führen, und dies auch taten (im 16. und 17. Jahrhundert die Habsburger, das Haus Valois und die Bourbonen, im 18. Jahrhundert Großbritannien, Frankreich und Preußen). Wäre es jedoch einem dieser Monarchen gelungen, die anderen zu vernichten und sich zur europäischen Hegemonialmacht aufzuschwingen, dann hätte das Learning by Doing schlagartig nachgelassen – schon deshalb, weil niemand mehr diese neu entstandene Großmacht herausgefordert hätte. Dann hätte in Europa zwar Frieden geherrscht, aber die militärischen Innovationen wären ebenfalls zum Stillstand gekommen (so zumindest die Prognose unseres Modells). Und es gibt noch zwei Szenarien, die dafür gesorgt hätten, dass die Innovationen weit geringer ausgefallen wären: wenn es in den europäischen Großmächten mehr Widerstand gegen die große Steuerlast gegeben hätte oder wenn das Schießpulver zu dem Zeitpunkt, als man damit begann, konsequent Steuern zu erheben, bereits eine alte Technologie gewesen wäre.
Die politische Geschichte stellt eine außerhalb unseres Modells liegende Einflussgröße dar (in der Sprache der Ökonomen: eine exogene Variable). Denn für sich genommen kann das Modell schlichtweg nicht erklären, warum in Europa einige Fürsten weniger Widerstand erlebten als andere, wenn sie Steuern erhoben, warum das Schießpulver nicht bereits tausend Jahre früher entdeckt wurde oder warum es in Europa nie eine Hegemonialmacht gab. Um zu begreifen, warum die Europäer die Welt eroberten, reicht das Wettbewerbsmodell allein also nicht aus. Wir müssen uns auch mit der politischen Geschichte beschäftigen – und zwar nicht nur mit der politischen Geschichte Europas, sondern auch der übrigen Welt.