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Träumen Zombies von ewiger Ruhe?

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Im gegenwärtigen Alptraum sieht es so aus, dass die ansonsten so zerstörerische Krise auch nicht nur ein einziges ökonomisches Scheinargument ins Jenseits befördern konnte. Das ist keine Neuigkeit: John Quiggin hat dieses Phänomen amüsant Zombie Economics getauft und damit verdienstvollerweise einen wichtigen Aspekt hervorgehoben.12 So feiert zum Beispiel Friedrich Hayeks Der Weg zur Knechtschaft in den USA nach langer Pause ein eigenartiges Comeback als Bestseller, und selbst Ayn Rand wurde offenbar zu neuem (untoten) Leben erweckt. Wie Colin Crouch treffend bemerkt hat: »Was bleibt nach der Finanzkrise vom Neoliberalismus? Die Antwort: so gut wie alles.«13 Unterdessen haben die Verlage eine wahre Flut von Krisenbüchern entfesselt, die zwar nicht als Totgeburten, aber doch als fade Klone aus der Druckerei kommen. Zynisch könnte man sagen: Sollen die Akademiker doch die soziale Katastrophe in eine weitere unnachhaltige Wachstumsindustrie verwandeln. Welchen Sinn sollte das x-te launige Wortspiel mit der Metapher der »unsichtbaren Hand« auf dem Umschlag irgendeines Buches haben, das uns weismachen will, eine Handvoll (meist eine Primzahl) Ereignisse oder Prinzipien sei der Stein der Weisen für das Verständnis der jüngsten Krise?

Es sei dem Leser versichert, dass dies nicht ein weiteres Buch »über die Krise« im Sinne einer ausführlichen Chronologie sein wird. Einige der detailliertesten Darstellungen der Rezession von 2007 bis 2009 finden sich kostenlos im Internet; das Problem scheint eher zu sein, dass niemand mehr genug Interesse daran hat, um sich die Mühe einer Lektüre zu machen.14 Es gibt sogar einen hervorragenden Film, der die Chronologie des Zusammenbruchs mit beeindruckender Klarheit für ein breites Publikum schildert, nämlich den bereits erwähnten Dokumentarfilm Inside Job (2011) von Charles Ferguson, der daran anschließend auch noch das ebenso erhellende Buch Predator Nation vorlegte. Natürlich ist der Film schwach in der Darstellung struktureller Ursachen, er verengt den Blick auf das Finanzwesen, blendet internationale Entwicklungen weitgehend aus und folgt der amerikanischen Unsitte, holzschnittartige Bösewichter an den Pranger zu stellen. Außerdem sind solche Filme selbstverständlich kein Ersatz für gut dokumentierte Untersuchungen über die Veruntreuung von Geldern, die expansive Geldpolitik der Fed, rechtliche Sabotage und andere komplizierte Einzelheiten. Aber es gibt noch ein anderes Problem: Obwohl der Film eine beispiellose Anklage der Ökonomenzunft darstellt, macht er um ihr Gedankengut einen großen Bogen – er misstraut den Wirtschaftswissenschaftlern, ohne zur Wirtschaftswissenschaft Stellung zu beziehen. Das vorliegende Buch soll den Film um diese wesentliche Dimension ergänzen: Es untersucht die Krise als soziale Katastrophe, aber zugleich als geistige Konfusion. Sollte dabei deutlich werden, dass wir unsere Misere auf ein theoretisches Debakel zurückführen können, dann wird die Krise rückblickend betrachtet vielleicht nicht ganz umsonst gewesen sein.

Die Krise dient mir außerdem als Vorwand für eine Untersuchung darüber, wie neoliberale Gedanken ihre linken Gegner behindern und lähmen konnten. Die fortdauernde Krise ist ein politischer Wendepunkt; diese Erkenntnis stets ins Zentrum zu rücken, erweist sich als viel schwieriger, als man annehmen könnte. Mit »der Linken« meine ich nicht die wenigen Umnachteten, die sich als Jünger der Zusammenbruchstheorie gewiss waren, ein vollständiger Kollaps des Kapitalismus werde der politischen Herrschaft des Proletariats den Weg bahnen. Die Geschichte hat es nicht gut mit ihnen gemeint. Ich habe eine andere, breitere Öffentlichkeit vor Augen. Die große Rezession hat Leute, die man früher »Sozialisten« oder »Progressive« genannt hätte, vollkommen überrascht und jede Hoffnung auf Rehabilitierung ihres Wirtschaftsverständnisses zunichte gemacht. Sie hat eine hybride Ordnung hervorgebracht, die jene Linken so verdutzt und fassungslos machte, dass man sie oft laut darüber nachdenken hörte, ob es eine Linke überhaupt noch gibt. An diese Leute, deren Grundüberzeugung lautet, dass Marktstrukturen einer Politik im Interesse des allgemeinen menschlichen Fortschritts untergeordnet werden können und sollen, möchte ich mich hier wenden. Es sind gar nicht wenige, die so denken, doch ihr Verständnis von Märkten und Gesellschaften ist heute leider von theoretischer Verwahrlosung gekennzeichnet.

Nehmen wir ein Beispiel aus dem eben lobend erwähnten Film Inside Job. Dort heißt es, wie nach der Krise auch andernorts zu hören, die Neoliberalen seien vor allem deshalb für das Desaster verantwortlich, weil sie in kurzsichtiger Manier Märkte dereguliert oder bestehende Regulierungen umgangen hätten. Diese Behauptung habe ich zum Beispiel wiederholt auf der INET-Konferenz und von Leuten in Washington gehört. Gewiss hat es seit den Achtzigerjahren einschneidende Veränderungen der regulierenden Strukturen gegeben, und auf manche werde ich in diesem Buch hinweisen; doch mitnichten handelte es sich dabei um eine schlichte Abschaffung von Regeln, die man wieder einführen könnte oder sollte. Wer die Rede von einer »Deregulierung« akzeptiert, verfängt sich in einem Netz von Begriffen, das das politische Handeln paralysiert. Die Neoliberalen strafen die wohlfeilen Aufrufe ihrer Gegner zur »Reregulierung« mit offener Verachtung, und meines Erachtens ist es Zeit, sie darin wesentlich ernster zu nehmen.15

Der Gedanke eines Allheilmittels namens »Regulierung« zieht etliche ungeprüfte Annahmen über das Wesen von Märkten nach sich. Er befestigt die Dichotomie von Märkten und Gouvernementalität, führt zu Unklarheit über das Verhältnis von Absicht, Wille und spontanen Prozessen und stärkt so auf einer unbewussten Ebene das neoliberale Credo. Darin besteht ein deutliches Symptom der anhaltenden wirtschaftstheoretischen Schwäche der Linken. Wie Heerscharen politischer Theoretiker immer wieder gezeigt haben, zielt das neoliberale Projekt in erster Linie auf Reregulierung und ein neues institutionelles Arrangement – es macht in keinem Fall kurzerhand Tabula rasa zugunsten eines reinen Laissez-faire.16 An diesem Garten Eden der rechten Mythologie, einem Paradies, das nie und nirgends existiert hat, fand der Neoliberalismus noch nie besonderen Gefallen. Doch obwohl dies in den letzten fünfzig Jahren unzählige Male betont worden ist, wird es in der umnebelt-verstreuten Kultur der Spätmoderne beharrlich ausgeblendet und bei jeder Zuspitzung der politischen Debatte dieselbe grundfalsche Dichotomie bemüht. Diese Gedächtnisstörung kommt der Rechten viel zu gelegen, als dass man sie auf eine allgemeine Alzheimerisierung oder inkompetente Journalisten zurückführen sollte. In der Rede von »freien Märkten« erscheinen Freiheit wie Märkte, vor allem durch ihre Legierung, als undefinierte Urbilder. Es erfordert erhebliches theoretisches Differenzierungsvermögen, diese Tatsache ins Zentrum der politischen Auseinandersetzungen zu rücken, und sowohl die neoklassische wie die marxistische Wirtschaftslehre haben sich dabei als wenig hilfreich erwiesen. Das vorliegende Buch soll uns daran erinnern, dass die heutige Wirtschaftswissenschaft das Vergessen fördert. Als Prophylaxe werden wir eine andere Herangehensweise an die Ökonomie verfolgen, die den neoliberalen Kerngedanken auf ontologischer Grundebene entgegengesetzt ist.

Noch in anderer Hinsicht kapituliert das Lager der Regulierungsbefürworter unwillentlich vor dem Lager der Gier. Sein Rezept wird oft mit einem knappen Satz begründet: Da es von den Vierziger- bis zur Mitte der Achtzigerjahre keine Finanzkrisen gegeben habe (oft ungesagt bleibt: im Westen), müssen wir nichts weiter tun, als alle Räder auf den Stand jenes Goldenen Zeitalters zurückzudrehen. Indem die Linke diese Vorstellung unterschreibt, akzeptiert sie unbewusst die entscheidende Behauptung der populistischen Rechten und der neoklassischen Orthodoxie: Zwischen damals und heute soll kein substanzieller Unterschied bestehen, Märkte gelten als zeitlose Wesen mit zeitlosen Gesetzen. Tatsächlich treffen sich einige der erfolgreichsten Bücher zur Krise, von Kenneth Rogoffs und Carmen Reinharts Dieses Mal ist alles anders bis zu David Graebers Schulden: Die ersten 5000 Jahre, in dieser Grundannahme.17 Genau hier aber müsste der polemische Einspruch der Linken ansetzen: Wirtschaft, Gesellschaft und Weltpolitik unterscheiden sich heute markant von der Zeit des Kalten Krieges, und einige neoliberale Innovationen der jüngeren Vergangenheit machen die aktuelle Krise besonders bitter. Solche Unterschiede genau zu verstehen, ist ein notwendiger erster Schritt zum Entwurf einer besseren Welt. Die Neoliberalen haben schon lange jede Nostalgie für ein Goldenes Zeitalter abgelegt; es ist höchste Zeit, dass die Linke dies ebenfalls tut.18

In den letzten dreißig Jahre entspann sich eine fatale Dynamik, an der sich verdeutlichen lässt, wie der Ruf nach Regulierung die Linke aufs falsche Gleis geführt hat. Als zunächst in der Peripherie und dann immer häufiger auch in den Metropolen Finanzkrisen ausbrachen, erklärten technokratische Ökonomen im Chor mit den Neoliberalen, indem man durch Staatsverschuldung und Bürgschaften reicher Länder einen Bankrott von Privatunternehmen vermeide, könne man sie eindämmen und überwinden. Auf dieses Standardrezept wurde dann auch zurückgegriffen, als 2007/08 die große Krise anrollte. Das Mantra lautete stets, die Regierung solle kollabierende Sektoren »retten«, indem sie sich stärker verschuldet und deren Bilanzen stützt; strukturelle Probleme sollten angeblich später – vielleicht auch durch mehr Regulierung – angegangen werden, sobald das Schlimmste überstanden wäre. Rückendeckung für diese Praxis wurde wahllos bei Milton Friedman wie bei John Maynard Keynes gesucht. Doch wie ich in Kapitel 6 zeigen werde, erfolgte die jüngste »Rettung« in einer neuen, verhängnisvollen Weise, die jede Rückkehr zu früheren Strukturen verhinderte. Die vermeintlich kluge Maßnahme entpuppte sich als Hütchenspiel, dessen Handhabung weithin Privatfirmen überlassen wurde und bei dem die rasant wachsenden öffentlichen Schulden allmählich den Charakter des Staates als finanziellen Stabilitätsanker untergruben: Die Insolvenz der Privatwirtschaft bedrohte die Zahlungsfähigkeit der öffentlichen Hand. Mit anderen Worten: Die wiederkehrenden Bankenkrisen offenbarten das Unvermögen des keynesianischen Staates zur Eindämmung und Überwindung endemischer makroökonomische Krisen, sodass von der »Regulierung« nur eine verschwommene Erinnerung bleibt. Bereits 2012 geriet allmählich in Vergessenheit, dass die Krise im Kern eine Krise des Kapitalismus war und nur infolgedessen eine Finanzkrise des Staates. Die Verschuldung des Staates schien nun genauso prekär wie die der Privatbanken. Diese Dynamik war vermeidbar, weil gänzlich vorhersehbar.

Begreift man nicht, wie das Wirtschaftssystem versagt hat – und eine zentrale These dieses Buchs lautet, dass die meisten Ökonomen die eigentümliche Wirtschaftsentwicklung vor der Krise nicht verstanden und auch nach ihrem Ausbruch verwirrt blieben –, dann verfällt man auf die schimärische Pauschallösung einer rationalen Regulierung. Dieses katastrophale intellektuelle Versagen der Ökonomen sollte die Linke davor bewahren, sehnsüchtig eine »Regulierung« wie zur Zeit des Kalten Krieges heraufzubeschwören, und bildet auch den Hintergrund des Fehlschlags von Initiativen wie dem Dodd-Frank-Finanzmarktreformgesetz und Basel III.

Gegen den einfältigen Ruf nach Regulierung wenden sich die Neoliberalen seit langer Zeit. Heute predigen sie jedoch darüber hinaus, dass jedermann vor dem Naturzustand der Unwissenheit kapitulieren solle und auf Versuche zur Steuerung der Wirtschaft weitgehend verzicht werden müsse – allerdings, eine wichtige Einschränkung, nicht vollständig. Bezeichnenderweise folgen sie einer solchen Enthaltsamkeit selbst nicht. Als Teil des Projekts, eine mit sozialen Zielen vereinbare Wirtschaft zu schaffen, muss die Linke auch einen theoretischen Erklärungsrahmen für diese Tatsache entwickeln.

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