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1 Alptraum auf Alptraum Die Krise, die kaum etwas änderte

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Zweitklassige Horrorfilme folgen häufig einer klassischen Dramaturgie: Der Protagonist blickt dem Untergang ins Auge, erwacht auf dem Höhepunkt der Katastrophe jedoch plötzlich in einer anderen Welt, die zunächst normal scheint, sich aber schließlich als ein zweiter, noch entsetzlicherer Alptraum entpuppt.1 Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Jahr 2007 ist in der Realität etwas ganz Ähnliches geschehen. Zunächst wurde man entsetzt Zeuge, wie infolge des Crashs die Immobilienpreise abstürzten, die verbliebene Industriebeschäftigung einbrach, sich ganze Stadtviertel in ausgebombte Ruinen verwandelten und Renten und Ersparnisse in Luft auflösten; die Hoffnung auf ein besseres Leben für unsere Kinder schwand dahin, Nachbarn deckten sich mit Schusswaffen ein, und mancher meinte, anstatt des Bankrotts nahe das Jüngste Gericht. Es war ein verstörendes Intermezzo, in dem die Statistiken über die Große Depression in den Dreißigern an Nietzsches Wiederkehr des Immergleichen denken ließen.

Spulen wir vor ins Jahr 2011. Ob zu Recht oder Unrecht, es regte sich gerade die Hoffnung auf den Beginn eines Umschwungs. In den großen Zeitungen hieß es, die Wirtschaftswissenschaft habe versagt und unsere klügsten Köpfe würden die Lehrmeinungen, die die Welt auf Abwege geführt hatten, gründlich überdenken. Doch gegen Jahresende dämmerte den meisten, dass die naheliegende Annahme, wir könnten uns aus dem Alptraum befreien und aus den Fehlern der Ära des neoliberalen Irrwitzes lernen, nur einer weiteren tückischen Sinnestäuschung geschuldet war. Ein dunkler Schlummer legte sich über das Land. Nicht nur dass sich das Bewusstsein der Krise wieder verflüchtigt hatte, ohne dass es irgendeinen ernsthaften Versuch zur Korrektur der Fehler gegeben hätte, die die Wirtschaft beinahe zum Stillstand gebracht hatten – seltsamerweise war die Rechte aus den Tumulten obendrein stärker, unverfrorener und mit einer noch größeren Raffgier und Glaubensfestigkeit als vor dem Crash hervorgegangen.

Im Jahr 2010 brach für die Linke eine traurige Ära der Verwirrung und Ratlosigkeit an. Es bedurfte außergewöhnlichen Stehvermögens, um angesichts des rasanten Wiederaufschwungs der Rechten unmittelbar nach der dramatischsten Weltwirtschaftskrise seit der Großen Depression nicht fassungslos nach Luft zu schnappen. »Missverhältnis« ist ein zu höflicher, »Widerspruch« ein zu altmodischer Begriff für den Gang der Ereignisse. In beinahe allen Ländern wurde Austerität die Losung der Stunde, und bei Unmut jeder Art – auch über die Austerität – wurde überall die Regierung verantwortlich gemacht. Im Namen der wirtschaftlichen Vernunft geriet die Arbeiterklasse von allen Seiten unter Beschuss, selbst von nominell »sozialistischen« Parteien, und die wenigen Versuche einer gewerkschaftlichen Gegenmobilisierung scheiterten. Linke Parteien, die sich noch wenige Jahre zuvor nach Dekaden eines neoliberalen Vormarschs endlich wieder im Aufwind wähnten, waren ratlos angesichts einer von Europa bis nach Nordamerika und Asien reichenden Dominanz neoliberalen Denkens und konservativer Parteien. Häufig wurden sie kurzerhand ungerührt abgewählt, weil sie mit Mühe versucht hatten, die schlimmsten Krisenfolgen einzudämmen. Den Finanzinstituten, die die Krise ausgelöst hatten und vom Staat gerettet worden waren, ging es dagegen gut, ja sie florierten wie vor der Krise, und mit offener Undankbarkeit finanzierten sie die wiedererstarkende Rechte – die beachtliche Erholung der Unternehmensgewinne bot die Gewähr dafür, dass konservative Denkfabriken nach der Krise eine aufwendige Verjüngungskur erhielten. Nationalistischprotofaschistische Bewegungen sprossen an Orten, wo man es nie vermutet hätte, aus dem Boden und vertraten Positionen, die keinen Funken Verstand mehr enthielten. Das Ganze ließ sich ohne Übertreibung als »Alptraum« bezeichnen; eitle Hoffnungen platzten.

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