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I. Vorparlamentarische Institutionen, insb. Ständeversammlungen

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Vorläufer parlamentarischer Institutionen gab es in Europa seit dem frühen 13. Jh. Der Ausgangspunkt ist die Beratung mittelalterlicher Herrscher durch ihre Lehnsträger/Vasallen; entsprechende Gremien gehen zum Teil ins frühe Mittelalter zurück (angelsächsischer witenagemot, isländischer althingi, fränkischer Hoftag). Aus diesen Gremien erwuchsen Ständeversammlungen, ein spezifisch europäisches Phänomen[4]. Der Monarch berief sie, um Rat und tatkräftige Hilfe zu erhalten, vor allem in großer Not und mit dem Ziel, Steuern zu bewilligen oder Heere auszurüsten. Zunächst wurden die Großen des Reiches (Klerus und hoher Adel), später dann auch der niedere Adel (Ritter) und Städte beteiligt. Die Mitbestimmung der Stände war der Preis für ihre Hilfe. Keine der Ständeversammlungen besaß aber ein voll ausgebildetes Gesetzgebungsrecht. Aus dem römischen Recht war der Grundsatz „quod omnes tangit, ab omnibus approbetur“ („was alle angeht, soll von allen beschlossen werden“) überliefert. Vor allem Steuern konnten ohne Zustimmung der Stände regelmäßig nicht erhoben werden.

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Die Entwicklung verlief in den Staaten unterschiedlich. In manchen Ländern wie Polen-Litauen kam es zur Adelsrepublik mit einem schwachen König. In Frankreich, Spanien, Dänemark und einigen deutschen Territorien wurden die Stände im Zeitalter des Absolutismus an den Rand gedrängt oder ganz beseitigt. In England wurde die Macht des Königs schon früh – nämlich in der Mitte und zum Ende des 17. Jh. („Glorious Revolution“, Bill of Rights 1689) und schließlich dann zum Ende des 18. Jh. – beschnitten. „[A]us einem ‚Gespräch‘ wurde eine mächtige ‚Institution‘, die im Laufe der Zeit den ursprünglich dominanten ‚Gesprächsteilnehmer‘, den König, entmachtete und aus dem politischen Prozess verdrängte“.[5]

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Kirchliche Vorbilder und Einflüsse sind unverkennbar. Sie zeigen sich z.B. bei der Organisation der Ständeversammlungen. Die fortschrittlichen Wahl- und Beratungstechniken der Orden, Synoden und Konzilien[6] sowie das Mehrheitsprinzip[7] konnten sich teilweise durchsetzen.

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Die deutsche Entwicklung sei etwas näher betrachtet: Deutschland war lange ein Sprach- und Kulturraum, aber kein Staat. Das Heilige Römische Reich („Altes Reich“) war ein juristisch schwer zu fassender „Flickenteppich“ aus über 250 Territorien. Anders als in Spanien, Frankreich und England vollzog sich die Ausbildung des modernen Staates auf territorialer Ebene, nicht auf der Ebene des Alten Reiches. Aus dem mittelalterlichen, unregelmäßig stattfindenden „Hoftag“ entwickelte sich nach 1470 der Reichstag als Versammlung der Reichsstände des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Reichsstände waren die bereits erwähnten über 250 reichsunmittelbaren Territorien. Sie besaßen Sitz und Stimme im Reichstag. Ihr Einverständnis war unter anderem bei der Steuerbewilligung, der Erklärung von Krieg und Frieden sowie Bündnisverträgen erforderlich. Die Reichsstände waren sehr mächtig, da eine Zentralgewalt weitgehend fehlte. Die Reichstage unterschieden sich von modernen Parlamenten in elementarer Weise: Die Teilnahmeberechtigten der Reichstage waren nicht von irgendjemandem, gar von ihren Untertanen beauftragt. Sie beanspruchten vielmehr als Herrschaftsträger von sich aus Mitspracherechte und zwar entweder als Personen (so die Kurfürsten und Fürsten) oder als Korporationen (so die Städte oder Klöster). Der Reichstag verhandelte über Interessen der Stände und nicht über die Interessen des Volkes. Außerdem waren der Kaiser und seine Berater als Frühform einer „Regierung“ nicht – wie heutige Regierungen – von der Ständeversammlung abhängig. Der Kaiser wurde vielmehr von den sieben[8] Kurfürsten auf Lebenszeit gewählt. Ferner tagte der Reichstag nicht – wie moderne Parlamente – ständig. Teilweise fanden jahrzehntelang keine Reichstage statt, etwa während des Dreißigjährigen Krieges. Erst seit 1663 tagte der Reichstag „immerwährend“ als Gesandtenversammlung in Regensburg. Die Gesandten besaßen auch nicht – wie heutige Abgeordnete – ein freies Mandat. Sie unterlagen den Vorgaben des Reichsstandes, für den sie auftraten (imperatives Mandat). Manche Gesandten vertraten auch mehrere Reichsstände, da sich gerade die kleineren Stände einen eigenen ständigen Vertreter nicht leisten konnten. Ein weiterer Unterschied zum modernen Parlament: Die Beschlüsse wurden nicht „nach Köpfen“ in einer einheitlichen Versammlung gefasst, sondern getrennt in drei Kollegien (Kurfürsten – Reichsfürsten – Reichsstädte). Das Reichsfürstenkollegium war weiter unterteilt in Kurien. Ein Beschluss des Reichstages („Reichsschluss“) kam zustande, wenn alle drei Kollegien übereinstimmten und der Kaiser den Beschluss ratifizierte. Innerhalb der Kollegien wurde mit Mehrheit entschieden. Die vom Kaiser ratifizierten Beschlüsse wurden seit 1497 in einem „Reichsabschied“ zusammengefasst.

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Auf der Ebene einzelner Reichsstände, d.h. der Territorien (wie Bayern, Brandenburg) existierten Landtage als Versammlung der Landstände, also bestimmter bevorzugter Gruppen von Angehörigen eines Territoriums (ähnlich den Reichsständen), und nicht etwa der Bevölkerung. Ihre Kompetenzen, z.B. bei der Steuerbewilligung, ähnelten denen der Reichsstände. Die Ständeversammlungen waren zumeist ebenfalls im Dreikuriensystem organisiert. Das Bewilligungsrecht sorgte immer wieder für Auseinandersetzungen, z.B. im 17. Jh. zwischen dem brandenburgischen „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm und den Ständen seiner Territorien. Viele deutsche Landesfürsten versuchten – wie etwa auch die französischen Könige – den Einfluss der Stände zu beschränken oder ganz auszuschließen und somit gänzlich absolut zu herrschen.

§ 2 Geschichte der Parlamente und des Parlamentsrechts › II. Volksvertretungen in der konstitutionellen Monarchie

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